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BERICHT/116: Afrikas Erde - Kleinbauern Opfer neokolonialen Landraubs (SB)


Afrikas Zukunft? Europäische Entwicklungspolitik versus Landgrabbing - Oder: Stehen wir vor einem neuen Kolonialismus?

Eine Veranstaltung der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit in Kooperation mit dem GIGA - German Institute of Global and Area Studies am 8. August 2012 in Hamburg

Vortragende und Moderatorin am Tisch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Alicia Kolmans, Dr. Wilfried Bommert, Anna-Katharina Gallus, Kerstin Nolte Foto: © 2012 by Schattenblick

Der afrikanische Kontinent weckt seit langem die Begehrlichkeiten fremder Interessen. In der Kolonialzeit trat der räuberische Aspekt der Eroberung ungeschminkt hervor: Sklaven trugen Ketten oder wurden ins Joch gespannt; Arbeiter für Landwirtschaft und Bergbau in Lagern zusammengepfercht. Unvergeßlich der zigmillionenfache Verbrauch von Sklaven und ihren Angehörigen auf den Kautschukplantagen des belgischen Königs Leopold II. im Kongo-Freistaat zwischen 1885 und 1908. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, nach der Entlassung der afrikanischen Staaten in die vermeintliche Unabhängigkeit, griffen andere Mechanismen des Raubes und der Unterwerfung, die allerdings die gleiche Funktion erfüllten wie eh und je: Sicherung und Verwertung der afrikanischer Ressourcen, einschließlich der menschlichen Arbeitskraft.

Vor vier, fünf Jahren, als die Preise für Grundnahrungsmittel weltweit explodierten und sich über 100 Millionen Menschen zusätzlich Nahrung nicht mehr leisten konnten, stieg die Zahl der Hungernden erstmals in der Menschheitsgeschichte auf über eine Milliarde an. Im gleichen Zeitraum rückte die Nutzbarmachung afrikanischen Bodens für den Pflanzenanbau in die Aufmerksamkeit der Finanzakteure und anderer Interessengruppen. Da erfuhr die Weltöffentlichkeit, daß afrikanische Bauern von ihrem Land vertrieben wurden, weil dort ausländische Investoren Pflanzen für den Export anbauen wollten. Die fünffache Fläche Deutschlands, rund 200 Mio. Hektar, wurden in den letzten Jahren verpachtet, in der Regel verbunden mit direkten Vertreibungen und Verdrängungen der angestammten Bevölkerung.

Vor dem Hintergrund dieser brisanten Entwicklung lud die Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit in Kooperation mit dem GIGA - German Institute of Global and Area Studies am 8. August zu einer öffentlichen Veranstaltung unter dem Titel "Afrikas Zukunft? Europäische Entwicklungspolitik versus Landgrabbing. Oder: Stehen wir vor einem neuen Kolonialismus?" ein. Die Vorträge wurden von Alicia Kolmans, zuständig für Welternährungsfragen bei MISEREOR in Aachen, von der Diplom-Geographin und wissenschaftlichen Mitarbeiterin des GIGA Kerstin Nolte sowie dem Agrarexperten und Publizisten Dr. Wilfried Bommert gehalten. In einer sich an die Vorträge anschließenden, lebhaften Diskussionsrunde nahmen die Referentinnen und der Referent zu Fragen und Anmerkungen aus dem Publikum Stellung, wobei die Moderatorin Anna-Katharina Gallus von der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit den aus den Reihen der mit 80 bis 90 Gästen sehr gut besuchten Veranstaltung vielfach vorgetragenen Wunsch, auch einmal zu Wort kommen zu dürfen, nicht in allen Fällen entsprechen konnte. Die rege Teilnahme wie auch die große Besucherzahl zeigen, wie sehr das gewählte Thema die Menschen beschäftigt.

Moderatorin bei der Einführung - Foto: © 2012 by Schattenblick

Anna-Katharina Gallus
Foto: © 2012 by Schattenblick

Als erstes erhielt Kerstin Nolte das Wort. Sie berichtete von den Ergebnissen ihrer wissenschaftlichen Arbeit als Geographin in Sambia, Mali und Kenia, wo sie mit verschiedenen an der Landverpachtung beteiligten Personen gesprochen hat, angefangen von Dorfbewohnern über Vertreter der kommunalen, regionalen und auch staatlichen Ebene bis hin zu Investoren. Noltes Einschätzung: "Eine vereinfachte Sicht wie, der Täter: bösartiger Landgrabber, und das Opfer: armer Bauer - das gibt es so nicht. Die Realität ist natürlich viel komplizierter."

Hier wäre zu fragen, wie verbreitet dieses Schwarz-weiß-Bild unter den Kritikern des Landgrabbings überhaupt ist. Zweifelsohne tritt das Phänomen, daß Agrarland über die Köpfe von Dorfbewohnern hinweg vergeben und die Betroffenen vertrieben werden, seit einigen Jahren gehäuft auf. Es ist also gerechtfertigt, von einem Trend zu sprechen und diesen negativ zu besetzen. Das enthebt allerdings niemanden davon, jeden einzelnen Fall genau zu betrachten. Sollte Nolte das gemeint haben, als sie sich gegen pauschale Aussagen wandte, wäre ihr zuzustimmen.

Die Referentin stellte zunächst die Land Matrix vor, die von verschiedenen internationalen Organisationen, unter anderem dem GIGA, unterstützt wird. Dabei geht es um eine möglichst vollständige Erfassung der Landnahme in einer öffentlich zugänglichen Datenbank. In einem "Analytical Report", der im April dieses Jahres herausgekommen ist, wird von 1200 Land-Deals mit einer Gesamtfläche von 83,2 Mio. Hektar gesprochen. In 403 Fällen wurde tatsächlich ein Vertrag abgeschlossen, in 330 davon die Produktion begonnen. Die bewirtschaftete Fläche umfaßt dabei 21 Mio. Hektar. Die Datenbank enthält zur Zeit 73 Investor- und 88 Zielländer, wobei 70 Prozent der Landnahme in elf Ländern stattfindet, von denen wiederum sieben in Afrika liegen. Bevorzugt werden fruchtbare Böden in der Nähe von Infrastruktur. "Diese Investitionen sind in Konkurrenz zu landwirtschaftlicher Nutzung, was zu Problemen führt, weil auf dem Land Kleinbauern leben", stellte Nolte klar.

Bei ihrer Erforschung der Landvergabe und der damit verbundenen Prozesse in Kenia, Mali und Sambia hat die Referentin festgestellt, daß die Sichtweise der verschiedenen Beteiligten höchst unterschiedlich sein kann. Die Regierungen hofften tatsächlich, Investoren ins Land zu locken, die dann beispielsweise infrastrukturelle Verbesserungen vornehmen sollten. Bevölkerung und Zivilgesellschaft hingegen befürchteten Ausbeutung zu Lasten der Ärmsten und Verdrängung der Subsistenzlandwirtschaft sowie negative Umweltauswirkungen. Nolte schilderte, ähnlich wie in ihrem Vortrag im Mai dieses Jahres bei einer früheren GIGA-Veranstaltung zum Landgrabbing [1], daß bei Pachtverträgen in Sambia das "customary land" (kommunales Land, in der Verwaltung der Chiefs - der lokalen Autoritäten) in "state land" (Staatsland) übergeht. Dieser Prozeß sei nicht umkehrbar. Außerdem berichtete sie, daß Sambia ein sehr entwickeltes Regelwerk habe, aber die Regeln nicht immer eingehalten würden.

Es sei klar, daß eine großflächige Investition in Landwirtschaft starke Auswirkungen habe, denn es fände ein Strukturwandel statt. Die Frage sei nicht, ob Landnahme positiv oder negativ zu bewerten sei, sondern ob den negativen Folgen ausreichend entgegengesteuert werde. Sie halte es für eine wichtige Voraussetzung, daß die von der Landnahme betroffene Bevölkerung in die Verhandlungen zur Verpachtung einbezogen werde, erklärte Nolte abschließend.

Referentin am Tisch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Kerstin Nolte
Foto: © 2012 by Schattenblick

Der ehemalige Leiter der Umweltredaktion des WDR-Hörfunks, Dr. Wilfried Bommert, hat sich ebenfalls intensiv mit dem Landgrabbing befaßt. Vor einigen Monaten ist sein Buch "Bodenrausch" [2] erschienen. Er betonte gleich zu Beginn seines Vortrags, daß wir eindeutig vor einer neuen Form des Kolonialismus stehen. Der gehe nicht mehr vom Militär aus, sondern vom "Kapital". Die Zielgebiete seien vorwiegend "failed states", das seien Staaten, deren Regierungen ihren Job nicht machten und überwiegend korrupt seien.

In diesen Ländern gibt es kein einklagbares Eigentumsrecht und keine oder kaum unabhängige Richter; auch herrscht dort Armut vor, und ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung hungert. Opfer des Landgrabbings sind all die Bevölkerungsgruppen, die keine große Lobby im Land haben. Das Problem der Landnahme bestehe nicht nur darin, daß die betroffenen Bauern weggehen müssen, sondern auch darin, daß das Land ihre Ernährungsgrundlage gebildet hatte und diese dann wegbreche, erklärte der Referent. Außerdem verlören solche Ländern an politischer Stabilität.

Bommert veranschlagt den Beginn des Landgrabbings auf den Zeitraum 2007, 2008, als mehrere Weltkrisen zusammentrafen: die Krise des Klimawandels mit Extremereignissen wie Dürren und Überschwemmungen, die Krise der Finanzwirtschaft, die des Erdölmangels sowie des Mangel an Fähigkeit einiger Staaten, sich selbst zu ernähren.

Anhand zweier Schaubilder verdeutlichte der Referent, daß die Ernährungskosten ab 2007 in die Höhe geschnellt sind, wohingegen die Investitionen in die Landwirtschaft, bzw. deren Anteil an den Entwicklungsgeldern, über Jahre hinweg gesunken ist. Der Bodenrausch findet hauptsächlich in Südostasien, Kambodscha, Laos und sämtlichen Subsaharastaaten statt. Die Interessenten aus der Lebensmittel-, Finanz-, Energie- und Klimazertifikatindustrie umgingen den Markt, der nach Ansicht Bommerts "versagt" hat, und schlössen direkte Verträge ab. Das gelte auch für Staaten wie beispielsweise China, Südkorea, Japan und die Golfstaaten.

Die Weltbank macht den Weg für die Investoren aus den vier genannten krisenhaften Bereichen frei. Beispielsweise hat sie ein weltweites Flächenkataster erstellt, was wo investiert werden könnte. Darüber hinaus hat sie Gesetze für Privatisierung und Investitionen in Ländern ins Rollen gebracht, die bisher so etwas noch gar nicht besaßen, und nationale Ableger für solche Deals geschaffen. Bommert bezeichnete die Weltbank deshalb als das "Schmiermittel" des Bodenrauschs.

Die Zukunft sieht nach Einschätzung des Referenten düster aus. Da die Bodenpreise langfristig an die Ölpreise gekoppelt werden, werde es eine unaufhaltsame Entwicklung nach oben geben. Bommert unterschied zwischen Trends auf der Angebot- und auf der Nachfrageseite. Die Ernährung werde zum Spielball der Finanzmärkte, die nach "bodenständigen" Anlagemöglichkeiten suchten. Die Welt der Ernährungsmärkte oder Weltbodenmärkte habe sich grundsätzlich gewandelt, glaubt der Referent, die Prioritäten seien inzwischen anders gesetzt. Auch das Bevölkerungswachstum, der höhere Fleischkonsum sowie die Steigerung der Biospritanteile am Treibstoffverbrauch verstärkten den Druck auf die Böden.

Während die Nachfrage wächst, geht das Angebot zurück, die Produktionsgrundlagen schmelzen. Schon heute sind 30 Prozent der fruchtbaren Böden durch die Art der Bewirtschaftung in den letzten 50 Jahren unproduktiv geworden, und viele Länder haben die Hälfte des Grundwassers ausgepumpt. Die freiwilligen Regeln der Landnahmen, wie sie vor kurzem von den Vereinten Nationen verabschiedet wurden, würden ignoriert, so Bommert.

Referent am Stehpult - Foto: © 2012 by Schattenblick

Dr. Wilfried Bommert
Foto: © 2012 by Schattenblick

Dem Referenten ist in vielem zustimmen, doch seine Einschätzung, daß sich die Ernährungs- bzw. Weltbodenmärkte "grundsätzlich" gewandelt haben und die "Prioritäten anders gesetzt" werden, läßt Fragen aufkommen. Schließlich ist Kapital bzw. Finanzkapital keine Erfindung des Jahres 2007/2008, und die Zahl der Hungernden lag vor der Krise auch schon bei rund 850 Millionen. Das vorherrschende Wirtschaftssystem, das es den Eignern von Kapital ermöglicht, Land zu erwerben (oder die Arbeitskraft von Menschen, die das Land bewirtschaften), ist älter und mit ihm auch der Bodenrausch.

Beispielsweise fiel im Verlauf der Diskussion der Name "Robert Mugabe" als Negativbeispiel für Korruption. Dazu gibt es mehr zu sagen. Hier soll nicht die Politik des langjährigen simbabwischen Präsidenten verteidigt werden, aber womit er den Unmut der westlichen Welt auf sich gezogen hat, war zunächst einmal, daß er einen inakzeptablen Zustand des Landgrabbings in Angriff nehmen ließ. Ende der neunziger Jahre und damit fast zwei Jahrzehnte nach dem erfolgreichen Ende des Befreiungskampfs gehörten in Simbabwe, dem ehemaligen Apartheid-Staat Rhodesien, mehr als 70 Prozent des besten Ackerlands rund 5000 vorwiegend weißen Farmern. Die lebten mitunter im Ausland und besaßen nur ein Verwertungs-, aber kein Entwicklungsinteresse. Dagegen besaß ein Millionenheer von schwarzen Kleinbauern, die teils noch auf den gleichen Flächen lebten, auf denen einst Zwangsarbeitslager eingerichtet worden waren, gar kein Land.

Hier ist nicht der Platz, um die Kolonialgeschichte Rhodesiens, den Befreiungskampf, die Machenschaften des Auslands gegen das von Mugabe geführte Simbabwe oder dessen Machenschaften gegen die Opposition auszuleuchten. Es soll lediglich an diesem Beispiel deutlich gemacht werden, daß das Phänomen des Landgrabbings in Afrika sehr alt ist und mit ihm das dahinterstehende Wirtschaftssystem, das - passend zu Bommerts Einschätzung, wonach "Kapital" den neuen Kolonialismus befördere - kapitalistisch genannt wird. Das anzumerken ist insofern nicht nebensächlich, als daß ansonsten die Gefahr besteht, daß bei einer ungenauen Analyse die entsprechenden Schlußfolgerungen nicht die Schlagkraft entfalten, die erforderlich wäre, um die geschilderte Entwicklung des Landgrabbings den Garaus zu machen.

Unstrittig ist, daß ab 2007, 2008 ein Run auf die Äcker dieser Welt eingesetzt hat und daran unter anderem das stets nach sicheren Anlagemöglichkeiten suchende Investitionskapital - nach dem Platzen der Immobilienblase - an der Pacht von Böden beteiligt ist.

Alicia Kolmans stellte in ihrem Vortrag dezidiert in Frage, daß Landgrabbing eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten sein könne: Für die lokale Bevölkerung in den betroffenen Ländern handle es sich dabei in der Regel nicht um einen Segen, sondern einen Fluch. Landgrabbing sei zwar ein Phänomen, das bereits seit vielen Jahren existiert, doch bilde es in jüngerer Zeit neue Charakteristika aus, was das Ausmaß und die maßgeblichen Akteure betrifft. So träten verstärkt auch Konzerne aus Schwellenländern in Südostasien oder Südamerika sowie die Finanzbranche auf den Plan. Aufgrund dieser Entwicklung wachse in vielen afrikanischen Ländern die Lobby für industrielle Landwirtschaft, was unter anderem dazu führe, daß die gesetzlichen Rahmenbedingungen für ausländische Investoren erleichtert werden. Für die lokale Bevölkerung geht der Zugang zu Land und Wasser verloren, Arbeitsplätze werden vernichtet und durch neu hinzukommende selten kompensiert. Wegerechte werden eingeschränkt, und ein Technologietransfer findet nur selten statt, zumal die eingeführten Technologien nicht für die kleinbäuerliche Landwirtschaft angepaßt sind. Daher kommen die Investitionen zumeist nicht den dort lebenden Menschen zugute.

Weltweit hungern eine Milliarde Menschen, wobei 50 Prozent der Hungernden Kleinbäuerinnen und -bauern sind. Daher müsse man beim Kampf gegen den Hunger auf dem Land ansetzen und dort investieren. Welche Art von Investitionen ist erforderlich? Laut Weltagrarbericht 2008 sind 90 Prozent der weltweit 525 Millionen Agrarbetriebe kleinbäuerliche Einheiten unter 2 Hektar Land, die jedoch substantiell zur Produktion von Nahrungsmitteln beitragen. Demnach kommen beispielsweise in Afrika 90 Prozent der Nahrungsmittel aus solchen Kleinbetrieben. Nach aktuellen Zahlen der norwegischen Regierung produzieren Kleinbauern 80 Prozent der Nahrungsmittel in den Entwicklungsländern, die damit umgerechnet 65 Prozent der dortigen Nahrung herstellen. Faßt man alle vorhandenen Daten zusammen, ergibt sich das Bild, daß kleinbäuerliche Produzenten etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen und mindestens 70 Prozent der Nahrung weltweit produzieren. Wolle man also weltweit den Hunger bekämpfen, sei es notwendig, bei der kleinbäuerlichen Bevölkerung anzusetzen.

Die Frage könne nicht sein, auf welche Weise sich ausländische Großinvestitionen zum beiderseitigen Nutzen einsetzen ließen. Vielmehr sei von zentraler Bedeutung, welches Ernährungssystem und welche Art von Landwirtschaft tatsächlich zur Hungerbekämpfung beitragen. Es müsse in die kleinbäuerliche Bevölkerung und die Entwicklung lokaler Märkte investiert werden, nicht aber in ein globales Ernährungssystem. Den Kleinbauern müsse Zugang zu Produktionsmitteln ermöglicht werden, wofür wiederum Landreformen unabdingbar seien. Erforderlich sei auch eine angepaßte Technologie und Infrastruktur, die sich ganz wesentlich von jener unterscheidet, die Landgrabbing mit sich bringt.

Viele Studien belegten, daß eine kleinbäuerliche Landwirtschaft sehr produktiv und effizient sein kann. MISEREOR hat 2010/2011 eine Evaluierung von Projekten ländlicher Entwicklung durchgeführt und dabei festgestellt, daß man mit Investitionen in diesen Bereich beträchtliche Erfolge erzielen kann. Die Referentin veranschaulichte dies anhand einer bildlichen Darstellung, die die Verbesserung der drei täglichen Mahlzeiten im Verlauf der Projektarbeit zeigte.

Damit sich ein solches Agrarsystem in den betreffenden Ländern entwickeln kann, müsse sich jedoch auch hier in Deutschland einiges ändern. Das gelte insbesondere für die Konsummuster hinsichtlich des Fleischverzehrs. "Was wir brauchen, sind Landreform und Ernährungssouveränität, nicht Landgrabbing und ein industrielles Ernährungssystem", schloß die Referentin ihren Vortrag.

Referentin am Stehpult - Foto: © 2012 by Schattenblick

Alicia Kolmans
Foto: © 2012 by Schattenblick

Obgleich Alicia Kolmans damit eine Win-Win-Situation ausgeschlossen hatte, drehte die Moderatorin bei der Überleitung zur Diskussion mit ihrer Frage an die beiden Referentinnen und den Referenten das Rad wieder auf eine vorgeblich neutrale Nullstellung zurück: Wie könne man Fehlentwicklungen beim Landgrabbing entgegensteuern und ein Verfahren entwickeln, das für alle drei Akteure, nämlich "die Investoren, das Land und die Opfer profitabel" sei?

Kerstin Nolte verwies auf Richtlinien, die ein Verfahren anmahnen, das positiv für alle Beteiligten sei. FAO, Weltbank, NGOs und andere Akteure entwickelten solche Guidelines. Diese seien insofern sinnvoll, als sie Standards etablierten und die Diskussion anregten, doch reichten sie für sich genommen nicht aus. Da es sich um freiwillige Verpflichtungen handle, müßten diese in der internationalen Gemeinschaft und den betroffenen Ländern in Gestalt von Gesetzen, die Landgrabbing verhindern, umgesetzt werden.

Dr. Wilfried Bommert hielt demgegenüber alles, was derzeit an solchen Vorgaben auf dem Tisch liegt, für vollkommen wirkungslos. Ernstzunehmende Maßnahmen müßten tatsächlich "beißen", indem beispielsweise Länder, die solche Geschäfte zu Lasten ihrer Bevölkerung machen, internationalen Sanktionen unterworfen werden. Er sei nicht so blauäugig anzunehmen, daß das im UN-System möglich wäre. Daher stelle sich die Frage, was man national bewirken könne. Auch große deutsche Finanz-, Handels- und Energieunternehmen seien direkt oder indirekt in Landgrabbing verstrickt. Mache man diese Beteiligung publik, stünden sie vor der Entscheidung, ob sie nicht wegen des zu befürchtenden Imageschadens zurückstecken sollten.

Alicia Kolmans sah in den freiwilligen Richtlinien hingegen schon eine Möglichkeit, etwas zu verändern, zumal sie von globalen Bauernbewegungen und der Zivilgesellschaft mitentwickelt worden seien. Nun sei Lobbyarbeit vonnöten, damit die Regierungen diese Guidelines auch implementieren. Wichtig sei Transparenz bei den Verträgen der Investoren, damit sich die lokale Bevölkerung dagegen wehren kann. Auf nationaler Ebene seien Regelungen wie etwa eine Obergrenze des zur Verfügung gestellten Landes wünschenswert.

Die Moderatorin fragte ergänzend, warum nicht einfach nur Nahrungsmittel gekauft, sondern Verfügungsrechte über das Land selbst erworben werden.

Dr. Wilfried Bommert konstatierte ein Versagen des Weltmarkts und ein daraus resultierendes Mißtrauen seitens der Regierungen und Unternehmen. Der Glaube, daß man auch künftig zu stabilen Preisen einkaufen könne, sei geschwunden. Daher umgehe man den Weltmarkt und stelle eine direkte Beziehung zwischen Ackerland und Verwertung her.

Alicia Kolmans erinnerte an verhängte Exportverbote für Nahrungsmittel in manchen Ländern, die Käufern den Zugang verwehrten. Hinzu kämen weitere Faktoren wie die Instablität der globalen Finanzmärkte, die Boden zu einem vergleichsweise sicheren Investitionsobjekt machten.

Bei der anschließenden Diskussion im Plenum kamen zwangsläufig recht unterschiedliche Themen und kontroverse Auffassungen zur Sprache, auf die wir an dieser Stelle nur schlaglichtartig eingehen wollen. Ein aus Sierra Leone stammender Diskussionsteilnehmer sprach von einer Täter-Opfer-Beziehung und assoziierte Landbesitz mit Macht und Verantwortung. Afrika sei ein Freiwild, und die dort lebenden Menschen gewönnen den Eindruck, daß man sich seit den Kolonialzeiten gegen sie verschworen habe und heute Schlimmeres auf legalem Wege praktiziere. Landgrabbing sei Landraub, und alle Richtlinien würden vor Ort zur Makulatur.

Was in den betreffenden Ländern vor sich gehe, sei in der Tat häufig nicht oder wenig bekannt, so Kerstin Nolte. Wesentlich sei dabei, was die afrikanischen Bauern wollten. Diese seien ihrer Erfahrung nach Investitionen gegenüber gar nicht so negativ eingestellt. Die Richtlinien für Investoren in den Industrieländern beträfen nur deren Perspektive und müßten um entsprechende Vorgaben von afrikanischer Seite ergänzt werden. Alicia Kolmans hob an den UN-Richtlinien hervor, daß sie auch unter Beteiligung afrikanischer Länder erstellt wurden und Regierungen ansprechen. Auch Vertreter von Kleinbauern, Fischern und Landarbeitern seien beteiligt gewesen. Demgegenüber seien die Richtlinien der Weltbank ein Leitfaden für Investoren, der eine nachhaltige Gestaltung des Landgrabbing lediglich suggeriere. Die bei der FAO angesiedelte Bauernorganisation Via Campesina stelle eine Form der Beteiligung dar, die man als hoffnungsvollen Ansatz bezeichnen könne.

Auf die Frage, ob auch Indien zum Landgrabbing dränge, erwiderte Dr. Wilfried Bommert, daß dieses riesige Land angesichts seiner rasant steigenden Einwohnerzahl und einer sinkenden Agrarfläche gar keine andere Wahl habe. In China führe das steigende Wohlstandsniveau zu mehr Verzehr insbesondere von Schweinefleisch, wofür gewaltige Mengen an Futtermitteln beschafft werden müßten. Grundsätzlich gehe es um Machterhalt und nicht um Moral, da letztere im Zweifelsfall stets auf der Strecke bleibe.

Diese Einschätzung regte zu der Ergänzung an, daß sich auch die deutsche Bevölkerung fragen müsse, woher die billigen Produkte stammen, die sie wie selbstverständlich konsumiert. Bommert verwies in diesem Zusammenhang darauf, daß über 50 Prozent aller Nahrungsmittel zwischen Acker und Teller verloren gehen und man daher sehr viel mehr Menschen ernähren könnte, schränkte man diesen Verlust ein. Zudem stopften die Nahrungsmittelkonzerne immer größere Kalorienmengen in immer weniger Volumen hinein, was zu einem Gewichtszuwachs der Konsumenten führe. Nicht zuletzt gelte es zu prüfen, ob Versicherungen und Fonds in Landgrabbing involviert seien und man Druck auf diese Unternehmen ausüben könne. Es gebe viele große und kleine Hebel für die Zivilgesellschaft, in dieser Richtung aktiv zu werden.

Alicia Kolmans und Dr. Wilfried Bommert bei der Diskussion - Foto: © 2012 by Schattenblick

An dem vorhandenen Wissen der Kleinbauern ansetzen ... Foto: © 2012 by Schattenblick

Alicia Kolmans wandte sich gegen die geäußerte Auffassung, daß die afrikanischen Kleinbauern unfähig seien, produktiver zu arbeiten. Bekämen sie durch Landreformen Zugang zu größeren Flächen und mehr Wasser, erhielten sie Kredite und stünde ihnen eine Infrastruktur zur Verfügung, könnten sie sehr viel effektiver Nahrungsmittel produzieren. Die Vorstellung, daß man ihnen alles beibringen müsse, laufe auf Gentechnik, chemischen Dünger und industrielle Agrarwirtschaft hinaus. Demgegenüber gelte es, an vorhandenem Wissen anzusetzen und sich an diesen Bedürfnissen zu orientieren.

Kolmans kritisierte die Tendenz des derzeitigen Entwicklungsministeriums, gemeinsame Projekte mit der Wirtschaft durchzuführen, und verwahrte sich gegen den Glauben, private Investitionen seien geeignet, den Hunger wirksam zu bekämpfen. Kleinbauern in Wertschöpfungsketten zu integrieren, sei der falsche Weg. So gebe es beispielsweise seit kurzem den Fonds von der KFW, der Entwicklungsbank der Bundesregierung, und der Deutschen Bank, die Investitionen des Privatsektors in Afrika fördern sollen. Das sei mit einem großen Fragezeichen zu versehen.

In Beantwortung einer Frage zur Förderung der Logistik für kleinbäuerliche Produzenten erinnerte Dr. Wilfried Bommert daran, daß es noch vor 30 Jahren Staaten in Afrika gab, die sich selbst ernähren und Nahrungsmittel exportieren konnten. Seither seien die Investitionen auch in die landwirtschaftliche Ausbildung und Forschung dramatisch zurückgegangen. Investiere man nicht in Wissenschaft und Ausbildung, könnten die betroffenen Länder nicht vorankommen.

In ihrem Schlußwort verwies Anna-Katharina Gallus auf zahlreiche weitere Themen wie etwa die ökologischen Folgen der Vernichtung des Regenwalds zur Gewinnung von Ackerflächen, die im Zusammenhang mit Landgrabbing zu erörtern seien. Es handle sich um ein unglaublich vielfältiges Thema: "Profitabler als Gold: Stehen wir vor einem neuen Kolonialismus?" - das seien Fragen, bei denen es keine richtige oder falsche Antwort gebe. Es gebe viele Antworten, viele Perspektiven.

Diesem Resümee, das die Konfliktlage wieder zu relativieren versucht und den Akteuren des Landraubs ein wie auch immer geartetes Recht auf ihr Tun zuspricht, sind einige Fragen entgegenzuhalten: Stellt sich nicht derjenige, der gegenüber einem gesellschaftlichen Phänomen wie Landraub eine andere Perspektive einnimmt als die der Betroffenen, automatisch auf die Seite jener, die den Raubzug durchführen? Und liefe eine unterstellte Win-Win-Situation "für alle Beteiligten" nicht darauf hinaus, daß den Opfern des Landraubs lediglich ein Almosen überlassen wird? Gibt es nicht zu denken, daß sich bislang nirgendwo in Afrika die Verheißungen der Investoren auf Entwicklung einer Region erfüllt haben?


Fußnoten:

[1] Siehe:
BERICHT/110: Afrikas Erde - Im Fokus globaler Landnahme (SB)
GIGA-Forum zu "Landraub oder Agrarinvestitionen - Großflächige Agrarprojekte in Entwicklungsländern" am 23. Mai 2012 in Hamburg
http://schattenblick.com/infopool/politik/report/prbe0110.html

[2] Wilfried Bommert: Bodenrausch. Die Globale Jagd nach den Äckern der Welt, Eichborn Verlag, Köln 2012.

12. August 2012