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BERICHT/166: Herrschaft in der Krise - Mangel, Druck und Staatsräson (SB)


"Mit der Abrisskeule gegen die Demokratie - Staatsumbau der BRD seit 1990"

Vortrag im Magda-Thürey-Zentrum in Hamburg-Eimsbüttel am 10. Oktober 2013



Der Ausbau des staatlichen Gewaltmonopols, das gilt zumindest in der politischen Bildung und im Verfassungsrecht, wird auf demokratisch kontrollierte und staats- wie bürgerrechtlich wohlabgewogene Weise zu den grundgesetzlich verankerten Freiheitsrechten in ein ausbalanciertes Verhältnis gesetzt. "Freiheit und Sicherheit" lautet die offiziöse Formel, mit der suggeriert wird, die Aushandlung divergierender Interessen erfolge auf Grundlage der Gewaltenteilung zum Vorteil aller Beteiligten. Unterschlagen wird dabei das die gesellschaftliche Machtverteilung maßgeblich bestimmende Verhältnis von Kapital und Arbeit, das in der herrschenden Eigentumsordnung zu grotesken Widersprüchen sozialer Art führt. Wer behauptet, das eine habe mit dem anderen nichts zu tun, wird schon mit einem Blick auf die sozialen Kämpfe der letzten 200 Jahre eines Besseren belehrt. Diejenigen, die nichts besaßen als die Möglichkeit, Kraft und Zeit ihres Lebens in Form der Ware Arbeitskraft auf einen Markt zu tragen, dessen Tauschbedingungen von den Besitzern der Produktionsmittel bestimmt wurden, mußten sich ihre Freiheiten stets unter härtesten Bedingungen erkämpfen. Dabei stand der bürgerliche Staat in der Regel auf der Seite derjenigen Klasse, die von der durch ihn geschützten Eigentumsordnung am meisten profitierte.

So stehen Freiheit und Sicherheit heute kaum mehr in jenem konfliktträchtigen Verhältnis, als das Bürgertum dem absolutistischen Staat ihm vorenthaltene Privilegien abrang und auf diese Weise dem modernen republikanischen Verfassungsstaat den Weg ebnete. Freiheit und Sicherheit sind heute Privilegien der Eigentümerklasse, treten beide doch erst durch ihre materielle Bemittelung in den Stand operativer Rechts- und Lebenspraxen. Der Freiheit des Kapitals, sich überall auf der Welt so schrankenlos wie möglich zu verwerten, geht die Sicherheit der Eigentumsordnung voran. Dem aus der Erwerbsarbeit ausgegrenzten Subproletariat der Langzeitarbeitslosen und Versorgungsbedürftigen ermangelt es an beidem - die Sozialadministration der Arbeitsgesellschaft belastet sie mit diffamierenden Verdächtigungen und freiheitseinschränkenden Pflichten, ohne daß ihre Sicherheit - im ökonomischen wie physischen Sinne - dadurch auch nur annähernd so gut geschützt wäre, wie es für die besitzende Klasse im Feudalkapitalismus der Fall ist.

Nach dem Niedergang der sozialistischen Staatenwelt, in der zumindest der Versuch unternommen wurde, den Ansprüchen der Besitzlosen in einer sozial gerechteren Staatsform zu entsprechen, scheint diese Widerspruchslage unhinterfragbarer denn je zu sein. Die fortschreitende Ökonomisierung aller Lebensbereiche hat die Menschen so total in den Griff der sozialdarwinistischen Marktlogik genommen, daß viele nicht einmal mehr die Frage stellen, ob die bedrückenden und erniedrigenden Verhältnisse, unter denen das Gros der Menschen leidet, nicht überwunden und abgeschafft werden müßten. Gegen die neoliberale Doktrin, laut der die individuelle Leistungsfähigkeit das einzige Kriterium gesellschaftlichen Erfolges sei, scheint kein Kraut gewachsen zu sein, hätte sie doch spätestens mit der manifesten Krise des Kapitals gegenstandslos werden müssen.

Die demgegenüber aufscheinende Perspektive einer sozialistischen Gesellschaft wurde indes mit allen Mitteln medialer und politischer Propaganda so gründlich diskreditiert, daß die Frage, wieso der kapitalistische Staat im Kommunismus immer noch seinen Hauptfeind erkennt, die Wirkmächtigkeit der Vision vom Ende aller Ausbeutung und Unterdrückung ahnen läßt. Der trotz des Endes der Systemkonkurrenz 1990 kontinuierliche Ausbau staatlicher Repression ist ein Indiz dafür, daß die Gefahr revolutionärer Umwälzungen in den Augen der Herrschenden längst nicht gebannt ist. Ihre Furcht findet Nahrung in den sozialen Aufständen der letzten Jahre. Diese konnten sich zwar, wie im Fall der spanischen Indignados, nicht als dauerhafte Massenbewegung etablieren oder wurden, wie im Fall der US-amerikanischen Occupy-Bewegung, mit geheimdienstlicher Unterwanderung zerschlagen. Sie wurden - wie die demokratischen Aufstände in der arabischen Welt - mit großorchestrierten Konterstrategien unter Beteiligung der NATO fast in ihr Gegenteil verkehrt oder verharren, wie bei der vom Gezi-Park und Taksim-Platz ausgehenden Oppositionsbewegung in der Türkei, in einer Art Patt-Situation gegenüber der amtierenden Regierung. Doch ist der Funke des sozialen Widerstands nicht erloschen, und er könnte desto stärker entflammen, als seiner Vereinnahmung durch die Beschränkung auf reformistische und partizipatorische Zielsetzungen mit einer organisatorischen und ideologischen Konzeption entgegengetreten würde, die die anwachsende soziale Verelendung zum Anlaß ihrer revolutionären Aufhebung nimmt.

Projektion des Flyers der Veranstaltung - Foto: © 2013 by Schattenblick

Foto: 2013 by Schattenblick

Nach außen wie innen - Totalität der Repression

Diese Aussicht wäre zumindest ein naheliegender Grund für den Ausbau staatlicher Gewaltmittel, den der Gewerkschafter Wolfgang Erdmann auf Einladung der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) am zweiten Abend der Hamburger Veranstaltungsreihe zur Krise bürgerlicher Herrschaft [1] in großen Zügen darstellte. Aktiv im Arbeitskreis Staatsumbau der IG Metall Hamburg, schöpfte der Referent aus dem großen Fundus der dort erarbeiteten Ergebnisse, die insbesondere Fragen der äußeren und inneren Militarisierung aus verfassungsrechtlicher wie rüstungsökonomischer Sicht und die Folgen der sogenannten Antiterrorgesetzgebung für die politische Strafverfolgung und den Ausbau der Geheimdiensteapparate zum Gegenstand haben.

Wichtige Stationen seines Referats betrafen das inzwischen zur Regel gewordene Ausmaß permanenter Auslandseinsätze der Bundeswehr, die mit 6500 Soldatinnen und Soldaten in 12 Weltregionen deutsche Flagge zeigt. Laut den Verteidigungspolitischen Richtlinien vom Mai 2011 geht es um die Gewährleistung "freier Handelswege und einer gesicherten Rohstoffversorgung", unterstrichen mit dem imperativen Handlungsbedarf einer Staatenkonkurrenz, deren Mißachtung zum Ergebnis habe könnte, daß Deutschland einmal mehr - wie bei dem nachholenden Imperialismus des späten 19. Jahrhunderts - zu spät kommen könnte: "Die Erschließung, Sicherung von und der Zugang zu Bodenschätzen, Vertriebswegen und Märkten werden weltweit neu geordnet." [2] Wer am Ende zu kurz kommt, ist nicht nur für künftige Kriegschauplätze entschieden. Auch wenn der Nationalkodex der Bundeswehr - Motto "Wir. Dienen. Deutschland." - damit wirbt, daß es sich beim imperialistischen Krieg um ein Anliegen aller dem nationalen Kollektiv Zugehörigen handelt, so verschärft sich der soziale Konflikt in der eigenen Bevölkerung desto mehr, je größer die ihr für sozial wie militärisch bestimmte Eskalationen abverlangten Entbehrungen werden.

Nicht einmal die an und für sich positive Abschaffung der Wehrpflicht erweist sich bei genauerer Betrachtung als friedensfördernde Maßnahme, erinnert der Referent doch daran, daß Interventionsarmeen spezialisierter Formen der Ausbildung, Fähigkeit und Struktur wie der Beherrschung neuer Waffen bedürfen. Zudem bieten professionalisierte "Streitkräfte im Einsatz" ein Ausmaß an Zuverlässigkeit auf ausländischen Gefechtsfeldern, das Wehrpflichtigen nicht abverlangt werden kann, wenn sie etwa die Sinnhaftigkeit derartiger Expeditionen in Frage stellen. Hier werden die Maßstäbe durch die zuverlässig abrufbare Handlungsfähigkeit moderner Spezialstreitkräfte und die Professionalisierung des internationalen Söldnertums gesetzt, und es kann kaum verwundern, daß sich in dieser Sphäre übergreifender Exekutivgewalt auch Geheimdienste aller Couleur tummeln.

Referent und SDAJ-Transparent - Foto: © 2013 by Schattenblick

Wolfgang Erdmann
Foto: © 2013 by Schattenblick

Weitere Vorbereitungen für die angebliche Normalisierung eines für zwei Weltkriege verantwortlichen Landes als kriegführende Nation werden, wie Erdmann berichtet, mit der Etablierung einer zentralistischen Kommandostruktur, die funktionell einem Generalstab gleicht, als auch der Einrichtung einer zivilen Sondergerichtsbarkeit für Auslandseinsätze der Bundeswehr, mit der verhindert werden soll, daß deutsche Soldaten in ihren Einsatzgebieten vor Gericht gestellt werden können, getroffen. Schon Bundeskanzler Gerhard Schröder hat der "Enttabuisierung des Militärischen" das Wort geredet, und Verteidigungsminister Thomas de Maizère lobte denn auch beim Abzug der Bundeswehr aus dem afghanischen Kundus, wie wichtig die "Zäsur" dieses Kampfeinsatzes "nicht nur für die Bundeswehr, sondern für die deutsche Gesellschaft" gewesen sei.

Dies kann man auch als Drohung auffassen, wenn man nur an den Aufbau der allein zur Ausbildung in Urban Warfare gedachten Stadt "Schnöggersburg" im Gefechtsübungszentrum (GÜZ) auf dem Truppenübungsplatz Altmark denkt. [3] Den Häuserkampf zu proben, um die in immer größerer Zahl in den Megacities des globalen Südens konzentrierten Armutsbevölkerungen daran zu hindern, sich gegen ihre weitere Ausbeutung zu wehren, ist wesentlicher Teil einer prospektiven Aufstandsbekämpfung, deren künftige Einsatzorte auch in den westlichen Metropolengesellschaften liegen werden.

So ging der Referent ausführlich auf den sogenannten Heimatschutz ein. Anders als vermutet werden könnte, führte die Senkung der Zahl der aktiven Soldatinnen und Soldaten bei der Bundeswehrreform nicht zu einer geringeren Kampfkraft der Streitkräfte. Die Ausrichtung auf aggressive Kampfeinsätze im Ausland bedingte vielmehr die höhere Professionalisierung, bessere Ausstattung, rationellere und effizientere Strukturierung der Truppe und damit eine anwachsende militärische Einsatzbereitschaft. Zudem besteht eine sogenannte allgemeine Reserve von 1,2 Millionen Reservisten, von denen zur Zeit rund 38.000 zur Bundeswehr beordert wurden. 289 Reservisten sind direkt im Ausland eingesetzt, während andere Reservisten als Ersatz für Soldaten im Auslandseinsatz fungieren, für dessen Durchführung also unverzichtbar sind.

Von besonderer Bedeutung für die innere Aufrüstung sind die in der Konzeption der Reserve 2011 verankerten "Beiträge zum Heimatschutz, d.h. Verteidigungsaufgaben auf deutschem Hoheitsgebiet sowie Amtshilfe in Fällen von Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen, zum Schutz kritischer Infrastruktur und bei innerem Notstand" [4]. Aus diesem Katalog an Einsatzmöglichkeiten können sich zahlreiche Gründe dafür ergeben, bewaffnete Truppen innerhalb der Republik gegen die eigene Bevölkerung vorgehen zu lassen. Diese Aufgabe ist strukturell längst im Rahmen der Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte (RSUKr) verankert, die aus rund 30 über das Land verteilten bewaffneten Einheiten in Kompaniestärke bestehen wird. Allein 2010 wurde die Bundeswehr in 71 Fällen im Rahmen der Amtshilfe im Innern eingesetzt.

Da die Reservisten als "Mittler zwischen Bundeswehr und Gesellschaft" eine "Bindegliedfunktion" erfüllen sollen, "die sowohl der Personalgewinnung als auch der gesellschaftlichen Einbindung der Streitkräfte zugute kommt", und ihr "Aufgabenschwerpunkt Heimatschutz (...) das Prinzip 'Dienst an der Allgemeinheit' (Wir.Dienen.Deutschland.)" stärkt, hat man es bei diesen 1,2 Millionen Bürgerinnen und Bürgern im Kern mit einer Art Prätorianergarde zu tun, die sich bestens dazu eignet, Kontroll- und Exekutivfunktionen zu übernehmen, die tief ins soziale Gewebe der Gesellschaft eindringen. Der Referent mißt dieser Entwicklung nicht umsonst große Bedeutung für den von ihm geschilderten Staatsumbau bei, betrifft die Aufstellung einer Art Bürgerkriegsarmee doch nicht zuletzt streikende Arbeiterinnen und Arbeiter, denen etwa unter dem Vorwand, kritische Infrastrukturen zu gefährden, das Streikrecht mit Gewalt entzogen werden könnte. Zudem ist leicht ersichtlich, daß die Militarisierung der Gesellschaft mit der Beauftragung der Reservistinnen und Reservisten, quasi als Botschafter der Bundeswehr in der Bevölkerung zu dienen, mit großen Schritten vorankommt.

Podium des MTZ - Foto: © 2013 by Schattenblick

Moderator Kurt (SDAJ) und Wolfgang Erdmann
Foto: © 2013 by Schattenblick

Da mit Wolfgang Erdmann ein Gewerkschafter bei der kommunistischen Jugendorganisation SDAJ zu Gast war, der mit seiner politischen Gesinnung längst nicht mehr typisch für die organisierte Arbeiterbewegung ist, sei aus aktuellem Anlaß an den innergewerkschaftlichen Streit um die Positionierung des DGB zur Militarisierung der Gesellschaft und Aufrüstung zum Kriege erinnert. Er soll am 30. Oktober in einem Friedens- und Sicherheitspolitischen Workshop ausgetragen werden, zu dem Christoph Marischka und Jürgen Wagner in einem Beitrag [5] für die Informationsstelle Militarisierung (IMI) Lesenswertes verfaßt haben.

Wo die persönliche Überzeugungskraft nicht ausreicht, da verrichten 20,3 Millionen Euro Werbeetat der Bundeswehr, so laut dem Referenten die Zahl für 2012, zwar keine Wunder, aber doch mindestens so viel Wirkung wie andere Produktwerbung auch. Ohnehin ist die Militarisierung der Schulen und Hochschulen in vollem Gange, daran ändert auch der Widerstand der Zivilklauselbewegung und beherzter Pädagoginnen und Pädagogen, die keine Jugendoffiziere in ihre Schulen lassen, nur wenig. Die Drittmittelabhängigkeit der Hochschulen oder rot-grüner Opportunismus ebnen der Bundeswehr breite Wege in die Klassenzimmer und Hörsäle, während der antimilitaristische Widerstand von Diskriminierung und Kriminalisierung bedroht ist. Dabei stellt sich die Frage des Widerstands angesichts des beeindruckenden Kataloges an Verschärfungen der Inneren Sicherheit, den Erdmann präsentierte, im Vorwege wie in der Folge exekutiver Ermächtigung. Im Vorwege, was den angeblichen Anlaß staatlicher Repression betrifft, in der Folge, wie man sich ihrer erwehren kann.

Natürlich wird von den Apologeten niemals zureichender Sicherheit auf breiter Front und völlig ungerührt vom Nachweis seines irrationalen Charakters das Argument der Terrorismusabwehr ins Feld geführt. Deren Ratio besteht keineswegs im grundsätzlichen Schutz der Bevölkerung, ließe sich deren Opferbilanz doch an vielen, sozial indizierten Stellen - Verkehrstote, Arbeitsunfälle, Fehldiagnosen, Krankenhausinfektionen, Mangelernährung, um nur einige Beispiele zu nennen - weit kostengünstiger als im Falle des entufernden Sicherheitsapparates verringern. Als flankierende Maßnahmen kriegerischer Aggressionen macht die Terrorismusabwehr zwar Sinn, aber nicht, wie behauptet, weil die Bundesrepublik am Hindukusch verteidigt wird, sondern weil sie dort erst die Ursachen für mögliche Vergeltungsanschläge schafft. Die sicherheitspolitische Verabsolutierung des Terrorismus zur zentralen Bedrohung ist mithin eine typische Begleiterscheinung imperialistischer Kriege, was staatlicherseits durch die erklärte Einebnung des Unterschieds zwischen äußerer und innerer Sicherheit durchaus eingestanden wird.

Gefährdet wird die Totalität exekutiver Logik und ökonomischer Aushungerung vor allem durch den vielgestaltigen sozialen Widerstand, dessen irreguläres und unvermutetes Aufflammen die Strategen der Repression dazu veranlaßt, die Maßnahmen der Gefahrenabwehr immer weiter vor dem Punkt anzusiedeln, an dem staatliche Gewalt aus konventioneller rechtstaatlicher Sicht - "nulla poena sine culpa" - überhaupt wirksam werden dürfte. So bedient man sich, äquivalent zur militärischen Präventivdoktrin des humanitären Interventionismus, eines breiten Instrumentariums aus administrativen, informationstechnischen, strafrechtlichen und sozialwissenschaftlichen Mitteln der Observation und Evaluation möglicher Sicherheitsrisiken. Der Einsatz Bürgerrechte aufhebender bis freiheitsberaubender Mittel gegen sogenannte Terrorverdächtige oder Gefährder, die im Zuge der NSA-Spähaffäre ruchbar gewordene Totalerfassung des elektronischen Datenverkehrs, seine automatisierte Echtzeitüberwachung wie die Nutzung der auf Vorrat gespeicherten Informationen zum Erstellen komplexer Personen- und Gruppenprofile, die Evaluierung sogenannter Radikalisierungstendenzen und anderer Dispositive der Abweichung von spätestens damit gesetzten Verhaltensnormen, die politische Verfolgung bloßer Gesinnungen im Rahmen der sogenannten Vereinigungskriminalität, die in der Bundesrepublik um sich greifende Einschränkung des Demonstrationsrechts unter dem Vorwand potentieller Risiken - der Sicherheitsstaat hat sich längst zu einem Leviathan entwickelt, dessen souveräne Macht sich, anders als behauptet, kaum mehr durch die ihm entgegengestellten Grundrechte einhegen läßt.

Dies ist, was die Autonomie seiner davon betroffenen Bürger betrifft, um so schwerwiegender, als diese immer weniger Möglichkeiten besitzen, die Marschrichtung zur autoritären Staatlichkeit auf demokratischem und parlamentarischem Wege umzukehren. So irreführend die Unterstellung, es ginge bei alledem um die Abwehr von Terroristen - und nicht die Unterdrückung des sozialen wie ökologischen Widerstands - ist, so folgerichtig arbeiten die Verfassungsorgane daran, die 1968 mit Erlaß der Notstandsgesetze eröffnete Legalität des Ausnahmezustands als operativen Regelfall zu institutionalisieren.

So ist laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts seit letztem Jahr der bewaffnete Einsatz der Bundeswehr im Innern auch unterhalb des Inkrafttretens der Notstandsverfassung prinzipiell möglich, und das aus gutem, antifaschistischen Grund eingeführte Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten wurde de facto außer Kraft gesetzt. Zensur findet statt, wie Durchsuchungen linker Buchläden und Verbote mancher Publikationen der radikalen Linken belegen. Mutmaßliche türkische Kommunistinnen und Kommunisten, Aktivistinnen und Aktivisten des kurdischen Befreiungskampfes, radikalökologischer Bewegungen oder der seit Jahrzehnten nicht mehr existierenden Revolutionären Zellen [6] werden mit politischen Prozessen überzogen, in denen auf geheimgehaltenem Wege gewonnene Informationen Beweiskraft erlangen und fragwürdige Kronzeugen wie anonym bleibende Staatschützer gerichtsverwertbare Aussagen zu Lasten der Angeklagten machen. Die antidemokratische Geheimexekutive ist praktisch durch keinen noch so schwerwiegenden Skandal aus dem Sattel zu heben, sondern verwandelt die eigenen Versäumnisse in neuen Handlungsbedarf. In den Universitäten und Denkfabriken wird die sich ideologiekritisch gebende, die eigenen Anteile an staatlicher Legitimations- und Feindbildproduktion wissenschaftlich bemäntelnde Gleichsetzung von Faschismus und Kommunismus zusehends hegemonial und legitimiert auf EU-Ebene bereits vorhandene antikommunistische Verbotsforderungen.

Transparent 'Nazifreie Zonen schaffen!' - Foto: © 2013 by Schattenblick

Foto: 2013 by Schattenblick

Die Übermacht der Repression in Kritik und Bewegung antizipieren

Der Vortrag Wolfgang Erdmanns, der sich wesentlich auf die umfassende Wiedergabe der Entwicklung staatlicher Repression beschränkte und an dieser Stelle zum Anlaß weiterführender Überlegungen genommen wird, setzte in der anschließenden Diskussion für die Bestimmung von Strategie und Praxis wichtige Fragen frei: Wie weit entwickelt ist der Stand autoritärer und faschistoider Staatlichkeit, welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Bündnispolitik antifaschistischer Organisationen und Parteien, welche Bedeutung hat die anwachsende Repression für die Durchführung von Arbeitskämpfen, ist in Anbetracht unübersehbarer Divergenzen zwischen Staat und Kapital von ersterem noch uneingeschränkt als "ideellem Gesamtkapitalisten" zu sprechen?

Der Referent wollte Fragen zum Ausbau staatlicher Repression auf EU-Ebene angesichts eines dazu noch ausstehenden Vortrages nicht vorwegnehmen. Die sozialen Widersprüche innerhalb der Europäischen Union, wo eine durchschnittliche Jugendarbeitslosigkeit von fast 25 Prozent herrscht und 43 Millionen Menschen nicht genug Geld haben, um satt zu werden, sind maßgeblich auch für die sicherheitsstaatliche Entwicklung der Bundesrepublik. Das gilt darüberhinaus weltweit, handelt es sich doch bei der sogenannten Schulden- und Finanzkrise um eine Krise der Weltwirtschaft, die längst nicht mehr in der Lage ist, die gigantischen Mengen fikiven Kapitals durch eine Mehrwertproduktion zu decken, die die Aussicht auf eine tragfähige, die Grundbedürfnisse aller Menschen befriedigende Produktion von Gütern und Dienstleistungen eröffnete. Da die Masse der Menschen bei fortschreitender Produktivitätsentwicklung immer ärmer und die Stabilität des Finanzmarktes längst auf politischem Wege durch Belastung der Staatshaushalte, sprich der Steuerzahler, gewährleistet wird, zeichnet sich für die von der Erwerbsarbeit ausgegrenzten Menschen nicht der geringste Silberstreif am Horizont ab.

Sie sind einer Verwaltung des Mangels unterworfen, der als solcher durch die Senkung der Lohnkosten und die Spaltbarkeit der Menschen im Kampf um verbliebene Überlebensmöglichkeiten eine herrschaftsichernde Funktion zukommt. Wo sich die Bevölkerungen eines Besseren besinnen und gemeinsam gegen die soziale Verelendung, die fremdnützige Verwertbarkeit ihrer Lebensverhältnisse und Ausplünderung ihrer Gemeinwesen aufstehen, da schlägt die Stunde der Exekutive. Sie kann sich auf ein breites Arsenal etablierter Gewaltmaßnahmen stützen und tut dies auch, wie etwa ein aktueller, von zehn im International Network of Civil Liberties Organizations (INCLO) zusammengeschlossenen Bürgerrechtsorganisationen herausgegebener Report "Take back the streets: Repression and criminalization of protest around the world" [7] belegt. Da die in der Bundesrepublik angesiedelte Kapitalmacht an führender Stelle am sozialen Niedergang in der EU beteiligt ist, setzen sich die ihr verpflichteten Parteien keineswegs für die Stärkung demokratischer Grundrechte ein. Was bleibt, sind die sozialen Bewegungen, die allerdings in der zentralen Frage antikapitalistischer Kritik nicht unter einen Hut zu bringen sind. Um so wichtiger ist es, die Verschärfung der herrschenden Verhältnisse im Sinne einer Klassenanalyse auf der Höhe gesellschaftlicher Atomisierung, vor dem Hintergrund eines in der Substanz seiner Reproduktion stark angegriffenen Kapitalismus und eines politisch nicht nur regulierten, sondern systematisch produzierten Mangels zu analysieren.


Fußnoten:

[1] http://www.kapitalismus-in-der-krise.de/

[2] http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/!ut/p/c4/NY3BCoMwEET_KFGEtvSmCKWXHnqp9lKiWeJisgnrai_ 9-EZod2AYmHmsfuosMhs6IxjJeN3pfsTz8FZD2JxacJyAJ0BZUvQoOCtDDoYooGyc1wCU0wYsgBbdSu63WzL34kyLR0Ig_ dg_WVBjJJDdJaOY3bGRyCpFFr83K3NuFFrdF2XbFGXxv_JzunT18VZVh_ba3HUKof4C82vsSQ!!/
oder http://tinyurl.com/m4xqmqw

[3] http://www.imi-online.de/2012/06/26/schnoggersburg-im-gefechtsubungszentrum/

[4] http://www.bundeswehr.de/resource/resource/MzEzNTM4MmUzMzMyMmUzMTM1MzMyZTM2MzIzMDM wMzAzMDMwMzAzMDY3NzkzNDM4NmI2NTc3N2EyMDIwMjAyMDIw/2012_02_01_KdR_mit_Anlagen.pdf
oder http://tinyurl.com/n5ko9vk

[5] http://www.schattenblick.de/infopool/medien/altern/imi-562.html

[6] Laufende Berichterstattung zum Frankfurter RZ-Prozeß
http://www.schattenblick.de/infopool/recht/ip_recht_redakt_der_prozess.shtml

[7] http://ccla.org/wordpress/wp-content/uploads/2013/10/Full-Report-English.pdf


14. Oktober 2013