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BERICHT/169: Quo vadis NATO? - Geld oder Leben, Teil 1 (SB)


Militarisierung fängt in der Schule an und wird an der Universität profitabel

Forum "Militärforschung an Universitäten und öffentlichen Forschungseinrichtungen und das Recht" auf dem Bremer Kongreß "Quo vadis NATO? - Herausforderungen für Demokratie und Recht" am 28. April 2013


Transparente auf Antikriegsdemo in Bonn am 3. Dezember 2011 - Foto: © 2011 by Schattenblick

"Krieg beginnt hier" ... auch an Schule und Uni
Foto: © 2011 by Schattenblick

Seit Jahren regt sich Widerstand gegen die Militarisierung des Bildungswesens. Seit der Aussetzung der Wehrpflicht versucht die Bundeswehr, mit aufwendigen Werbekampagnen Nachwuchs für eine Laufbahn beim Militär zu rekrutieren. Statt des verfassungsmäßigen Auftrags, junge Menschen zu selbständigem Denken und freier Willensbildung zu erziehen, wird an den Schulen zwar weit hinter der Front, aber doch mit eindeutigem Marschbefehl versehen der Kampf um die Köpfe geprobt. Dies, weil Schulministerien von Landesregierungen Kooperationsabkommen mit der Bundeswehr abgeschlossen haben, die es erlauben, daß Jugendoffiziere im Unterricht über ihre Sicht der Sicherheitspolitik referieren. Dagegen, daß der Schulunterricht zu einer ideologischen Arena verkommt und die Unsicherheit vieler Schulabgänger angesichts beruflicher Zukunftsängste zur Legitimierung von Krieg und NATO-Interventionismus ausgenutzt wird, setzten sich Schüler- und Elternvertretungen vehement zur Wehr.

Und das nicht nur aus grundsätzlichen Erwägungen, sondern auch um einer rassistischen Indoktrination der Schülerinnen und Schüler in den Weg zu treten. So scheinen manche Jugendoffiziere der Ansicht zu sein, die Irrationalität des angeblichen Versuchs, Deutschland am Hindukusch zu verteidigen, ließe sich mit infantiler Rhetorik am besten bemänteln. An einer Schule in NRW wurde die Besatzungspolitik der NATO, wie der Deutschlandfunk berichtete, mit Sentenzen wie "Hey, liebe Afghanen, da sitzen ganz viele Terroristen bei Euch, die ärgern uns" [1] gerechtfertigt. Das Thema Korruption, mit der die destruktiven Folgen der Okkupation auch noch den davon Betroffenen angelastet werden können, wurde auf sattsam bekannte Weise völkerpsychologisch präsentiert: "Der Afghane hat einen anderen Herangehenspunkt. Und zwar hat er mir erklärt, wenn ich irgendwo einen Vorteil gewinnen kann, wenn ich jemanden anderen übers Ohr haue, dann ist das eine vollkommen legitime und gute Sache." [1] Junge Menschen für eine friedliche Gesellschaftsentwicklung zu interessieren, anstatt sie für imperialistische Interessen zu vereinnahmen, scheint jedenfalls kein Ziel dieser Didaktik zu sein, was die grüne Bildungsministerin in NRW, Sylvia Löhrmann, nicht daran hindert, am Kooperationsabkommen mit der Bundeswehr festzuhalten.

Doch nicht nur die Schule ist Schauplatz der Mobilisierung für künftige Kriege. Auch an den Hochschulen und Universitäten sehen sich Studierende infolge der Drittmittelabhängigkeit ihrer Fakultäten zunehmend mit dieser Form politischer Einflußnahme konfrontiert. Nicht selten werden Forschungsprojekte mit wehrtechnischer Zielsetzung von Rüstungsunternehmen oder direkt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert. Der Anspruch, daß Forschung frei von marktwirtschaftlichen oder militärrelevanten Erwägungen zu sein habe, berührt ein altes humanistisches Ideal von Bildung, deren Nutzen allein der Zivilgesellschaft zugute kommen soll. Mag der Widerstand der Studierenden und des Lehrpersonals zuweilen auch halbherzig wirken und durch die Macht des Marktes gebrochen sein, so gilt dennoch, daß die generelle Instrumentalisierung der Universitätsforschung für privatwirtschaftliche Zwecke nicht mit dem öffentlichen Bildungsauftrag, wie er im Grundgesetz verankert ist, zu vereinbaren ist.

Die Einbindung der Universitäten und Hochschulen in die Militarisierung der bundesdeutschen Innenpolitik, wie sie beispielsweise in der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit (ZMZ) in den Kommunen ihren Ausdruck findet, unterminiert die Friedensnorm des bürgerlichen Verfassungsstaats. Nach offiziellen Zahlen hat das Verteidigungsministerium in den Jahren 2007 bis 2012 rund 19 Millionen Euro für die Erforschung neuer Wehrtechnik und 15 Millionen für wehrmedizinische Projekte bereitgestellt. Hinzu kamen Aufträge in Millionenhöhe in für das Militär relevanten Wissenschaftsbereichen. In diesem Zeitraum betrieben 124 der durch das Ministerium mit Geldmitteln versorgten Hochschulprojekte wehrtechnische Forschung.

Unter dem Zwang zur Ökonomisierung stellen die Lehranstalten allzu oft angewandte und ergebnisorientierte Forschung in den Dienst von Bundeswehr, Rüstungsindustrie und Privatfirmen. Mittlerweile bedienen über 40 Hochschulen den militärindustriellen Komplex mit fachspezifischer Auftragsforschung. Daß an deutschen Universitäten zum Krieg geforscht wird, ist für viele Studierende unerträglich und mit Gewissensnöten verbunden. Damit nicht genug, werden unter dem Konstrukt der Sicherheitsforschung weitere Mittel aus dem zivilen Haushalt des Bundesforschungsministeriums in Studiengänge investiert, um innovative Rüstungs- und Überwachungstechnologien entwickeln zu lassen. Daß der akademische Bildungssektor auf diese Weise der Kriegsmaschinerie einverleibt wird, verträgt sich in den Augen kritischer Zeitgenossen nicht mit der Friedensfinalität, wie sie im Grundgesetz und im Zwei-plus-Vier-Vertrag festgelegt ist, wo es wörtlich heißt, "dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird".

Um der Militarisierung der akademischen Forschung entgegenzuwirken, haben einzelne Universitäten Zivilklauseln erlassen. Forschung, Lehre und Studium sollen demnach ausschließlich zivilen und friedlichen Zwecken dienen. Begründet wird dies damit, daß zur wissenschaftlichen Forschung und Lehre auch die Verantwortung für mögliche Anwendungen und gesellschaftliche Konsequenzen gehöre. In diesem Sinne verstehen sich die Anhänger der Zivilklausel als Teil der Friedensbewegung. Doch hilft eine Zivilklausel, der Militärforschung an Universitäten und öffentlichen Forschungseinrichtungen tatsächlich einen Riegel vorzuschieben, oder wird mit der gesellschaftlichen Debatte um den Friedenszweck universitärer Forschung nur ein Trojanisches Pferd in Stellung gebracht, das brisante Fragen von Sinn und Inhalt institutionell organisierter Wissensvermittlung und Forschung auf Nebengleise lenkt?

Trifft es überhaupt zu, daß das Zivile in einem ausschließenden Gegensatz zum Militärischen steht? Immer schon waren technischer Fortschritt und die Innovationsschübe zur optimaleren Verwertung der Ware Arbeit integrativer Bestandteil strategischer Bemittelung gewesen. So erschloß der Bau der Eisenbahn nicht nur neue geographische Räume, sondern erhöhte auch die Beweglichkeit des Militärs, so daß Truppen schneller an das Kriegsgeschehen transportiert werden konnten. Der US-amerikanische Bürgerkrieg zwischen der Union und den Konföderierten Staaten 1861 bis 1865 ist ein prominentes Beispiel für den engen Zusammenhang zwischen der stürmischen Industrialisierung im Kapitalismus und den extensiv zerstörerischen Folgen, die angeblich nur der Reichtumsproduktion gewidmete technische und logistische Innovationen hatten.

Im Vortrag - Foto: © 2013 by Schattenblick

Sabine Jaberg
Foto: © 2013 by Schattenblick

Grenzgänge zur Widerspruchsregulation

So stand auch die Frage nach der Abgrenzung zwischen ziviler und militärischer Forschung auf der Agenda eines Forums, in dem am 28. April 2013 an der Universität Bremen über "Militärforschung an Universitäten und öffentlichen Forschungseinrichtungen und das Recht" [2] debattiert wurde. Zum Auftakt der Vortragsrunde setzte Sabine Jaberg unter dem programmatischen Titel "Wo verläuft die Grenze zwischen 'ziviler' und 'militärischer' Forschung?" den Schwerpunkt ihrer Argumentation auf die Frage nach den Konsequenzen, die eine kategorische Abgrenzung für die Forschungfreiheit beinhalten könnte. Die ehemalige Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität in Hamburg (IFSH) war zwei Jahre Stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AFK) und hat ihre Habilitationsschrift zum State of the Art der Friedensforschung in Deutschland eingereicht. Zur Zeit forscht sie zum Themenschwerpunkt Pazifismus, gewaltfreie Aktion und Militärkritik.

Ihre eher reservierte Haltung zur Zivilklausel illustrierte sie mit einem persönlichen Erlebnis. Bei einer Einladung zu einer Ringvorlesung zu diesem Thema an der Universität Tübingen 2011, wo kurz zuvor eine Zivilklausel verabschiedet worden war, wurde sie mit einem Transparent empfangen, auf dem die bekannte antimilitaristische Parole "Der Krieg beginnt hier" auf die Rolle der Bundesrepublik als Kriegsakteur verwies. Zum einen empfand die Referentin den Slogan als Ausdruck einer Kriegsverharmlosung, zum zweiten sah sie sich als Adressatin eines ihrer Ansicht nach inhaltlich ungerechtfertigten Unmuts. Zwar betonte sie die Strittigkeit des Zivilbegriffs, präzisierte allerdings selbst den von ihr aufgestellten Gegensatz nicht näher. Statt dessen reduzierte sie den in der Zivilklausel aufgeworfenen gesellschaftlichen Diskurs über die Militarisierung der akademischen Forschung auf die simple binäre Logik von Inklusion und Exklusion: Was der Friedensverpflichtung der Zivilklausel widerspreche, müsse ausgegrenzt, was sich mit ihr vereinbaren lasse, dürfe in die akademische Forschung einbezogen werden.

Was aber ist, so fragte die Referentin, der Gegenspieler von Zivil? Wenn nur zivile Forschung an den Universitäten und Hochschulen betrieben werden dürfte, müßte dies den Ausschluß jeder Art von durch militärnahe Institutionen und Rüstungskonzerne finanzierten Projekten zur Folge haben. Darin sah Sabine Jaberg jedoch eine für den Wissenschaftsbetrieb kaum abschätzbare Gefahr. Zwar lieferten Ingenieurs- und Naturwissenschaften Forschungsergebnisse, deren militärischer Zweck recht eindeutig zu bestimmen ist. Unklarer sei ihr zufolge jedoch die Abgrenzung zum Militärischen im Bereich der Dual-use-Technologien, wo der Zivilgebrauch wissenschaftlicher Erkenntnisse synchron zu ihrer militärtechnologischen Verwendung verlaufe. Selbst bei der Grundlagenforschung, obschon sie neutral erscheine, könnte heute niemand wissen, zu welchem Zweck sie morgen zur Anwendung gelangt. Auch die Geistes- und Sozialwissenschaften, allem Anschein nach zivilgesellschaftlich verankert, enthielten zuweilen Fragestellungen, die, wie versteckt oder offen auch immer, für die Verherrlichung militaristischer Traditionen empfänglich sein könnten.

Nähme man das Friedensprimat ernst, müßten alle Forschungsrichtungen exkludiert werden, die nicht in kritischer Absicht vor den Gefahren des Krieges und repressiver Systeme warnten, argumentierte die Referentin. In einem zivilen Ausschließlichkeitsgebot erkannte sie die reelle Bedrohung für den Mainstream der Krisen- und Konfliktforschung, möglicherweise aus den Universitäten herausgedrängt zu werden. Dabei führte sie die Tradition des politischen Realismus, bestimmte Strömungen des Idealismus und Liberalismus, aber auch zivilisierungstheoretische Ansätze in der Friedensforschung an, "die mit einer gewissen friedensdienlichen Restgewaltsamkeit kalkulieren". Ihrer Ansicht nach ist die Grenze zwischen ziviler und militärischer Nutzung, die eine Zivil- bzw. Friedensklausel sicher abstecken müßte, so komplex und uneindeutig im Lichte des wissenschaftlichen Diskurses, daß eine Exklusion über den Inhalt der Forschung zumindest heikel, wenn nicht ganz und gar fragwürdig erscheint.

Eine Exklusion über den Auftraggeber bzw. Finanzier von Forschungsprojekten biete zwar einen präziseren Handlungszugriff, da sich die rüstungsindustriellen Adressaten relativ unproblematisch ermitteln und einordnen ließen. Sabine Jaberg gab allerdings zu bedenken, daß militärische Institutionen zuweilen auch eine fürs Zivile interessante Forschung finanzieren würden. Als einschlägiges Beispiel für den nützlichen Rückfluß auf die Gesellschaft nannte sie die Forschung an Hörschäden nach Detonationen. Der militärische Verwertungszusammenhang sei zwar eindeutig, wenn Projekte vom Bundesministerium der Verteidigung finanziert würden, aber dennoch machte sie den Einwand geltend, daß das allein keinesfalls das Genuine an einer militärischen Forschung kenntlich machte, zumal ein partikularer Nutzen für die Zivilgesellschaft nicht gänzlich abgestritten werden könnte.

Der vulgärmaterialistische Reflex, "die Forschung ist im Prinzip okay, aber das Geld stinkt", werde ihr zufolge der Verschränkung von Forschung auf ziviler und militärischer Basis nicht gerecht. So würden selbst namhafte Friedensforschungsinstitute in der BRD mit einem Austauschoffizier der Bundeswehr zusammenarbeiten. Mit einer gewissen Skepsis in der Stimme fragte die Referentin denn auch in die Runde hinein, ob sich solche Institute angesichts des aus der Zivilklausel ausstrahlenden Antimilitarismus nunmehr zivilkompatibel umformen müßten.

Frau Jaberg machte zudem geltend, daß bestimmte Personen aus Töpfen finanziert werden, die den Anhängern der Zivilklausel suspekt erscheinen, aber ihnen nichtsdestotrotz in der Sache näherstehen könnten als solche, die aus zivilen Töpfen unterstützt werden. Vor allem jedoch plädierte sie für den öffentlichen wissenschaftlichen Diskurs. In diesem Sinne ziehe sie die Analyse der Restriktion vor. Die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen sei in ihren Augen ein universaler Schlüssel, weil Forschung, die das Licht der Öffentlichkeit scheut, sich von den Universitäten zurückziehen würde. Obwohl sie das Ziel der Zivilklausel normativ vernünftig findet, denn Universitäten, die mit öffentlichen Geldern finanziert werden, sollten keine Kriegsschmieden sein, hält sie das Instrument einer "generellen Zivilklausel" zumindest in den Geistes- und Sozialwissenschaften in hohem Maße für schädlich. Zudem könne eine Zivilklausel zu einem "Terror der Tugend" führen, da mit dem Fallbeil Grenzen zwischen sozialverträglicher und militaristisch-verleumdeter Forschung gezogen werden könnten.

Sabine Jaberg, die seit 1999 als Dozentin an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg arbeitet, beendete die bis zur Unkenntlichkeit getriebene Relativierung aller ernsthaft mit der Zivilklausel verbundener Implikationen von Krieg und Frieden und daraus resultierend die Befürwortung einer freien, bestenfalls selbstkontrollierten Forschung mit dem Verweis auf das Yin-Yang-Prinzip: In dem weißen Teil gibt es einen schwarzen Punkt und umgekehrt, womit alles gesagt war, was an Konfliktentschärfung in dieser Sache aus ihrer Fakultät zu leisten war.

Zweifellos ist über die unterstellte Unterscheidbarkeit von Zivilem und Militärischem zu diskutieren, doch die Schlußfolgerung der Referentin verkehrt eine Kritik, die die Gewaltfrage im Grundsatz stellt, in die Legitimation staatlicher Gewaltausübung. Die von Jaberg propagierte Harmonisierung offenkundiger Widersprüche ist im Kern gegen jede Form der eindeutigen Positionierung gerichtet, die nicht nur die Überwindung von Militarismus und Krieg zum Ziel hat, sondern sich gegen Herrschaftsinteressen sui generis richtet. Wo das, was es zu bestreiten gilt, von der eigenen Position nicht zu unterscheiden ist, wird jedem unumkehrbaren historischen Fortschritt zugunsten der Wiederholung des ewig Gleichen eine Absage erteilt.

(wird fortgesetzt)


Fußnoten:

[1] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/dlfmagazin/1949382/

[2] http://www.ialana.de/arbeitsfelder/frieden-durch-recht/dokumente-des-nato-kongresses-april-2013-in-bremen/578-liste-der-kongressveranstaltungen


29. Oktober 2013