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BERICHT/314: Antirepressionsdemo Hamburg - anwachsende Strafbarkeit ... (SB)


In eine Denkerstirn geworfen, die Augen leicht melancholisch entrückt, mit der Andeutung eines Lächelns im Gesicht blickt die Bronzefigur von Gotthold Ephraim Lessing auf das weite Terrain des Gänsemarkts in Hamburg. Seit 1881 sitzt der bedeutende Dichter der deutschen Aufklärung in einer lässigen Pose auf einem zweieinhalb Meter hohen Granitsockel. Sein Auge hat viele Wandlungen der Zeit miterlebt. Nicht immer war die Geschichte ruhmreich, vieles hätte dem Humanisten die Scham ins Gesicht getrieben. Als sich am 17. März der Platz vor dem Lessing-Denkmal allmählich zu füllen beginnt und eine warme Mittagssonne die hohen Schatten der umliegenden Häuser vertreibt, könnte der Anlaß aus Sicht Lessings nicht hoffnungsfroher sein.


Hamburger Gänsemarkt samt Lessing-Statue - Foto: © 2018 by Schattenblick

Die Demonstranten treffen ein
Foto: © 2018 by Schattenblick

Auf diesem denkwürdigen Marktplatz versammeln sich Menschen verschiedenen Alters, ein bunter Haufen aus allerlei sozialen Schichten und politischen Gesinnungen, die an diesem kalten Märztag dem Aufruf zur Antirepressionsdemo "United we stand" gefolgt sind, um ihrem Protest gegen die autoritäre Formierung von Staat und Gesellschaft Ausdruck zu verleihen, vor allem jedoch, um ein Zeichen zu setzen gegen die nach den G20-Gipfel im Sommer 2017 in Hamburg massenmedial inszenierte Kriminalisierung und politische Strafverfolgung von Verdächtigen, die an den sogenannten G20-Krawallen beteiligt gewesen sein sollen.


UnitedWeStand-Transparent - Foto: © 2018 by Schattenblick

Motto des Tages
Foto: © 2018 by Schattenblick

Am Ende stehen auf dem Gänsemarkt rund 1.500 Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet und dem europäischen Ausland in einem Fahnenmeer verschiedenster Organisationen und Bündnisse. Rot und schwarz stechen im besonderen hervor, linker Protest gegen Überwachung und staatliche Repression. Der diesjährige "Tag der politischen Gefangenen" atmet den Geist solidarischer Uneingeschüchtertheit. In Redebeiträgen werden insbesondere die nach dem Gipfel verhängten hohen Haftstrafen kritisiert, deren Ziel einzig darin besteht, Aktivisten mundtot zu machen und deren berechtigte Kritik am weltweiten Regime der Reichtumsverteilung und Armutsverwaltung in einem immer dichter werdenden Netz von Abschreckung durch die Justizbehörden und Instrumenten politischer Entmündigung zu ersticken.


Anarchisten-Transparent mit der Aufschrift 'Resist Repression - Free Peike' - Foto: © 2018 by Schattenblick

Der staatlichen Repression entgegentreten
Foto: © 2018 by Schattenblick

Schon vor dem eigentlichen Protestzug ist der Treffpunkt in der Hamburger Innenstadt von einem Polizei-Großaufgebot nahezu umzingelt. Schwer bewaffnete Polizeikräfte säumen die Ausfallstraßen, bilden Spaliere, um den Protest in kontrollierte Grenzen zu halten. Die Hamburger Polizei ist mit etwa 1.700 Beamten im Einsatz, darunter auch zwölf Wasserwerfer sowie Hundertschaften der Bereitschaftspolizei aus anderen Bundesländern. Doch die Provokation verfängt nicht. Der Protest verläuft friedlich und ohne besondere Zwischenfälle. Den Organisatoren ist es gelungen, der Strategie staatlichen Kalküls von Einschüchterung und Spaltung durch eine massive Polizeipräsenz die Vision einer solidarischen, selbstbestimmten, staats- und geschlechterbefreiten Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung entgegenzusetzen und dabei auf jede Eskalation zu verzichten.


Mannschaftwagen der Polizei in doppelter Reihe - Foto: © 2018 by Schattenblick

Die Staatsmacht setzt sich in Szene
Foto: © 2018 by Schattenblick

Daß die bereits im Mai 2017 vom Bundestag beschlossene Verschärfung des sogenannten Widerstands- und Landfriedensbruch-Paragrafen dazu diente, den polizeilichen Maßnahmen- und Zugriffskatalog im Vorwege auf den G20-Gipfel in Hamburg auf ein neues Niveau zu heben, kann niemanden überraschen, der mit der planmäßigen Militarisierung des Polizeiapparates vertraut ist. Mit dem repressiven Signal sollte dem Protest auf der Straße jedwede demokratische Legitimität genommen werden.


Demonstrationszug auf dem Valentinskamp - Foto: © 2018 by Schattenblick

Gemeinsam marschieren
Foto: © 2018 by Schattenblick

Von seiten der Anwälte wird zudem bemängelt, daß die Verteidigung nach einer neuen Fristenregelung nur noch einen Verhandlungstag hat, um Anträge zu stellen und daß der Tatvorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte mit einer unverhältnismäßig hohen U-Haft quittiert werden kann. Ferner sollen Jugendliche nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden. Um den internationalen Zusammenhalt der Aktivisten aufzubrechen, hat die Hamburger Ausländerbehörde eine neue Ausweisungsverfügung erhalten und kann so im Falle eines russischen Aktivisten eine Einreise nach Deutschland bzw. in den Schengen-Raum mit einer bis zu fünfjährigen Sperre unterbinden, was einer Verbannung gleichkäme. Auf jeden Fall wird die Verfolgung politischer Ziele, einem Grund- und Menschenrecht, dem Generalverdacht, sich lediglich zum Zwecke von Gewalttätigkeiten an Demonstrationen beteiligen zu wollen, unterworfen, und zwar unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung seines Handelns.


Demonstranten ziehen an zwei Wasserwerfern der Polizei vorbei - Foto: © 2018 by Schattenblick

Allein die Drohung ist Teil der Repression
Foto: © 2018 by Schattenblick

Unter dem Vorwand einer Beeinträchtigung von Sicherheit und Ordnung Ausländern das Recht auf Teilnahme an transnationalen Protesten im Bundesgebiet abzusprechen, schränkt die freie Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit maßgeblich ein. Auf diese Weise soll der Protest kriminalisiert und ein Klima der Einschüchterung geschaffen werden.


Anti-G20-Transparent mit der Aufschrift 'Krieg und Krise haben System' - Foto: © 2018 by Schattenblick

G-20-Kritiker mit deutlicher Botschaft
Foto: © 2018 by Schattenblick

Nach der Auftaktkundgebung setzte sich der Zug gegen 15.10 Uhr in Bewegung. Zunächst ging es über den Valentinskamp und die Jungiusstraße in Richtung Messehallen. Am Holstenglacis fand vor der Untersuchungshaftanstalt Hamburg eine Zwischenkundgebung statt, wo die Demonstranten lautstark die Freiheit für alle politischen Gefangenen forderten. Nach einer halben Stunde marschierte der Zug weiter in Richtung Schanzenviertel. Vor der Roten Flora fand dann die zweite Zwischenkundgebung statt. Kurz vor 17.00 Uhr erreichten die Teilnehmer den Endkundgebungsort am Park am Grünen Jäger.

An den G20-Gefangenen könnte ein Exempel statuiert werden, das einzelne betrifft, denen vor Gerichten lange Haftstrafen drohen, aber das Ziel ist die Mündigkeit der Allgemeinheit, weil jedem Bürger und jeder Bürgerin die politische Stellungnahme sowie grundlegende Rechte verweigert werden. Politische Repression zielt auf Freiheitsrechte, die, ist ihre Verfassungsmäßigkeit einmal aufgehoben oder eingeschränkt, jeder Form von Staatswillkür Tür und Tor öffnen und Rechtsstaatlichkeit in letzter Konsequenz zur Makulatur machen. Dagegen Flagge zu zeigen, diente der 17. März in Hamburg. Es geht um weitaus mehr, als Krämerseelen zu verlieren fürchten. Mit der Demokratie fällt zugleich die letzte Bastion der Menschlichkeit und des Rechts auf Selbstbestimmung.


Transparent mit der Aufschrift 'Gemeint sind wir alle!' - Foto: © 2018 by Schattenblick

Bürgerrechte akut in Gefahr
Foto: © 2018 by Schattenblick

31. März 2018


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