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BERICHT/358: Die Linke - zeitgemäße Konsequenzen ... (SB)


Australien ist unsere Petrischale, und wenn wir die Brandstifter, die zu viele Länder regieren, nicht loswerden und herausfinden, wie wir in überschaubarer Zeit zusammenfinden, werden wir wahrscheinlich in einer Welt landen, wo keine Feuerwehrleute uns (oder unsere Kinder und Enkel) mehr retten können. Schlußendlich scheint der Klimawandel wie die der Natur eigene Version eines Atomkrieges im Zeitlupentempo in Erscheinung zu treten.
Tom Engelhardt - For the Fate of Planet Earth, Please See Page 5 [1]


Die verheerenden Brände im Süden und Osten Australiens sind ein Menetekel besonderer Art, sind sie doch bestens dafür geeignet, den Menschen in den Industriestaaten Westeuropas und Nordamerikas das Dilemma aus politischer Verweigerungshaltung und sozialökologischer Krise vor Augen zu führen. Während die Bedeutung von zunehmender Erderwärmung, mehrjähriger Trockenheit und hoher Windgeschwindigkeit für die weit überdurchschnittliche Intensität und Ausbreitung der im Sommer stets stattfindenden Buschbrände von zahlreichen WissenschaftlerInnen am Beispiel Australiens bestätigt wird [2], übt sich die Regierung des Landes im Spagat zwischen zögerlichen Zugeständnissen an die Klimaschutzbewegung und praktischer Verweigerung, wirksame Maßnahmen gegen die Fortsetzung der Kohleförderung zu treffen. Nur nicht so genau hinschauen, scheint die Devise von Premierminister Scott Morrison - auch bekannt unter dem Spitznamen "Scotty from Marketing" - zu lauten. Sein Krisenmanagement läßt sich in einem Zitat zusammenfassen, dessen Wording tatsächlich einer PR-Agentur entsprungen sein könnte: "Schuldzuweisungen helfen jetzt niemandem, und die Überanalyse dieser Dinge ist keine produktive Angelegenheit" [3].

Schon die Bilder lassen ahnen, daß diese Brandsaison ganz anders als je zuvor verlief: Hundert Meter hohe Flammenwände, der Himmel über Sydney wochenlang durch Rauchschwaden verdunkelt, ganze 81 Tage, mehr als in den letzten zehn Jahren zusammen, durch Atemgifte und Feinstaub kontaminierte Luft in der Hauptstadt, viele Menschen sind nach wenigen Stunden Arbeit so erschöpft, daß sie nicht weitermachen können, Familien, die alles verloren haben, fliehen vor den Feuerwalzen an die Strände, wo sie von Marineschiffen evakuiert werden, ein Koala klammert sich an ein Kind mit Atemmaske, im Hintergrund das Feuerinferno, ganze Ortschaften vernichtet, überall verkohlte Tierkadaver, verstörte Kängurus und Koalas irren mit Brandwunden durch die noch lodernden Feuer.

In der Rangfolge der Länder mit den höchsten Pro-Kopf-CO2-Emissionen wird Australien nur von Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien übertroffen [4]. Zusammen mit Kanada und den USA werden die ersten sechs Plätze dieser Liste von Staaten angeführt, die in besonders hohem Ausmaß fossile Energie fördern, verbrauchen und exportieren. Wenn auch auf der Südhalbkugel gelegen ist Australien ein Land mit mehrheitlich westlich orientierter Bevölkerung und Kultur, so daß die Reaktionen der Menschen auf den Verlust ihrer Häuser und die Vernichtung ihrer natürlichen Umwelt inklusive einer Milliarde jener Tiere, für die der fünfte Kontinent berühmt ist, auch hierzulande gut nachvollziehbar ist.

Zugleich basiert der Reichtum Australiens, Kanadas und der USA auf einem inneren Kolonialismus, der das indigene Wissen um die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen systematisch zerstört hat. Im nach wie vor von Rassismus geprägten Grundverhältnis zwischen weißer Mehrheit und indigener Minderheit zeigt sich der Widerspruch zwischen kapitalistischer Mehrwertproduktion und industrieller Wachstumsorientierung auf der einen Seite und der Respektierung natürlichen Lebens auf der anderen wie in einem Vexierspiegel. Zwischen diesen Positionen tut sich ein Abgrund an Ignoranz und Kontrollverlust auf, in dem die lebensgeschichtlich betrachtet kurze Phase menschlicher Zivilisationsentwicklung durchaus untergehen könnte.


Durch zögerlichen Klimaschutz soziale Katastrophen riskieren

Obwohl der klimapolitische Handlungsbedarf seit über 40 Jahren in Regierungskreisen bekannt ist, wird zum Ergreifen wirksamer Maßnahmen zur Beschränkung der Emission von Treibhausgasen in der Bundesrepublik erst seit anderthalb Jahren auf breiter gesellschaftlicher Ebene so viel Druck aufgebaut, daß dabei nicht mehr nur Symbolpolitik herauskommen kann. Maßgeblich verantwortlich dafür sind soziale Bewegungen wie Fridays for Future, Ende Gelände und die radikalökologischen AktivistInnen von der Waldbesetzung des Hambacher Forstes. Die nun auf politischer Ebene erwogenen Schritte bleiben im Rahmen marktwirtschaftlicher Rezepturen wie des Drehens an Stellschrauben fiskalischer und regulatorischer Art. Weder wird ernsthaft über die Erfordernis gesprochen, die kapitalistische Wachstums- und Wettbewerbsdoktrin zu überwinden, noch wird die Gänze der Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse in den Blick genommen.

Übergangen wird vor allem der soziale Charakter des Problems, ist die fossilistische Produktivkraftentwicklung doch unlösbar verknüpft mit der Vertiefung klassengesellschaftlicher Widersprüche und neokolonialistischer Strategien der Ressourcenextraktion im Globalen Süden und seiner systematischen Verschuldung durch die kapitalstarken Industriestaaten. Nur weil das seit 150 Jahren technologisch und industriell entbrannte Wachstum in Jahrmillionen angesammelte fossile Energie nutzbar gemacht hat, konnte die Produktivkraft in einer quantitativen Dimension gesteigert werden, zu der es ansonsten Landflächen und menschlicher Arbeitsleistung bedurft hätte, die mehrere Planeten für sich in Anspruch genommen hätte. Die schon von Marx prognostizierte Unterminierung der natürlichen Quellen kapitalistischer Entwicklung liegt schlicht darin begründet, daß die stofflichen Grundlagen des Lebenserhaltes - Wasser, Luft, Biomasse - vom Brand kapitalistisch induzierter Produktivkraftsteigerung in hoher Beschleunigung überholt wurden und werden. Der Kapitalismus ist sich selbst zu produktiv geworden, wie die zahlreichen Beispiele für groteske Verschwendung und konsumistische Innovationsdynamik bei gleichzeitiger Massenarmut und Hungersnot belegen.

Das drückt sich im zusehends schärfer werdenden, potentiell Kriege initiierenden Wettlauf der Staaten um verbliebene Naturressourcen ebenso aus wie in den massiv zunehmenden Wanderungs- und Fluchtbewegungen der Menschen, denen die substanziellen Quellen ihrer Reproduktion verlorengehen. Demographische Argumente zur Begrenzung des Klimawandels werden inzwischen nicht mehr nur von alten weißen Männern wie dem Fleischbaron Clemens Tönnies [5] propagiert, sondern finden auch unter Klimaschutzbewegten in sozialen Netzwerken Zuspruch. Der auf der Hand liegende Widerspruch, daß Menschen in Ländern mit einem 30- bis 40mal niedrigeren Bruttoinlandsprodukt als die Bundesrepublik, die direkt von den Folgen des Klimawandels betroffen und daher Ausgangspunkt von Migrationsbewegungen sind, auch nicht annähernd soviel CO2 freisetzen können wie die Bevölkerung hierzulande, wird zugunsten einer bevölkerungspolitischen Gleichung von potentiell genozidaler Konsequenz ignoriert. Der Vorsprung in der industriellen Entwicklung und der Produktivität des Globalen Nordens tritt viel zu selten als Bringschuld der ehemaligen Kolonialmächte und viel zu häufig als rassistische Leugnung eigener Verantwortung in Erscheinung.

Südlich der Sahara sind derzeit 45 Millionen Menschen vom Hunger bedroht oder hungern bereits. Laut der Regionaldirektorin des UN-Welternährungsprogramms (WFP), Lola Castro, hat diese Hungerkrise "ein Ausmaß erreicht, wie wir es nie zuvor erlebt haben, und die gesammelten Erkenntnisse zeigen, dass es schlimmer wird" [6]. Wie die junge Welt berichtet, steigen die Jahresdurchschnittstemperaturen im südlichen Afrika derzeit doppelt so schnell wie im Rest der Welt, und laut WFP hat es aufgrund der extremen jahrelangen Dürre seit fünf Jahren nur eine normale Erntesaison gegeben. Die Ausbreitung von Mega Droughts (Megatrockenheiten) in Afrika, Chile und Australien macht der Gründer des Climate Emergency Institutes und Gutachter beim Fünften Sachstandsbericht des IPCC 2014, Dr. Peter Carter, für einen drohenden Biosphärenkollaps und eine mögliche planetare Katastrophe verantwortlich [7].

Derartig beunruhigende Entwicklungen werden hierzulande kaum wahrgenommen, und das nicht nur, weil die Menschen glauben, weit entfernt von den Orten akuter Katastrophen zu sein. Der Glaube an die Fortschreibung herrschender Produktions- und Verbrauchsbedingungen wird politisch gefördert, weil ein möglicher Aufstieg der sozialen Opposition zur Massenbewegung unbedingt verhindert werden soll. Wenn jedoch die Auswirkungen mehrjähriger Dürreperioden auf die Produktion von Nahrungsmitteln auch hierzulande Einbrüche in der Ernährungssicherheit erzeugen, dann könnte der durch ökologische Zerstörung verstärkte soziale Antagonismus mit einer Wucht hervortreten, die die ohnehin gegebene Gefahr faschistischer Ermächtigungschritte erst recht akut werden ließe. Einschnitte in die allgemeine Versorgung sind die naheliegendsten Folgen der Klimakatastrophe für Gesellschaften, in denen große Teile der Bevölkerung niemals darüber nachdenken mußten, ob es im Supermarkt überhaupt noch etwas zu kaufen gibt.

Die erst in jüngster Zeit allgemein wahrgenommene Problematik der intensiven Tierproduktion für Klimaentwicklung, Naturzerstörung und Welternährung erinnert auch an die viel weniger im Rampenlicht stehende Krise der Biodiversität. Sie befindet sich, obschon mittelbar verknüpft, völlig zu Unrecht im Schatten der Klimakrise, obwohl sie für nicht wenige WissenschaftlerInnen fast noch bedrohlicher als die Veränderungen des Weltklimas ist [8]. Seit den 1960er Jahren haben die Wildtierpopulationen um 60 Prozent abgenommen, 75 Prozent der Insekten und 50 Prozent der Vögel sind mit unabsehbaren Folgen für die Kultivierung von Nutzpflanzen verschwunden, zahlreiche Tierarten sind ganz ausgestorben. Dafür platzen die Bestände an sogenannten Nutztieren aus allen Nähten und haben dafür gesorgt, daß nur noch 4 Prozent aller Säugetiere in freier Natur leben. Allein die Biomasse aller Rinder ist um 60 Prozent größer als die aller Menschen, auch das könnte beim Thema der sogenannten Überbevölkerung geltend gemacht werden. Die zur Fleisch-, Milch- und Eierproduktion gehaltenen Schweine, Rinder und Hühner stellen nicht nur ein erhebliches ökologisches Problem dar, sie tragen durch die von ihnen konsumierten Futtermittel maßgeblich zum Hunger von über 800 Millionen und zur Mangelernährung von gut zwei Milliarden Menschen bei.

Es ist nachgerade zynisch, den Klimawandel, wie jüngst auf dem World Economic Forum in Davos, lediglich als wirtschaftliches Problem zu thematisieren. Wenn nun große Konzerne und Finanzinvestoren den Grünen Kapitalismus propagieren, dann ist das nicht Ausdruck besonderer Menschenfreundlichkeit, sondern geschäftliches Kalkül in Sicht auf objektive Veränderungen, die notgedrungenerweise sogar zu ihrer Enteignung führen könnten. Grün bemalte Wachstumskonzepte und Innovationsoffensiven wie den Green Deal der EU als im Sinne des Klimaschutzes kontraproduktiv zu kritisieren ist denn auch essentiell für die Klimagerechtigkeitsbewegung wie für politische Parteien, die sich deren Zielen verschrieben haben.


Bewegungslinke Offensive für verbindende Klassen- und Klimapolitik

Unter den im Bundestag vertretenen Parteien wäre Die Linke am ehesten in der Lage, die soziale Relevanz der Klimakrise aufzugreifen. Auch wenn Die Grünen die Klimaschutzthematik regelrecht besetzt zu haben scheinen, bewegen sie sich auf dünnem Eis, und das nicht nur gegenüber den rechten BesitzstandswahrerInnen in FDP, Unionsparteien und AfD. Mit der Adaption der Marktlogik in allen Umweltfragen und einem vor allem am Hebel des Konsums ansetzenden ökologischen Regulationskonzept haben sie sich auf eine Weise dem Wirtschaftsstandort Deutschland verschrieben, daß sie mit dessen ökonomischer Krise ebenfalls unterzugehen drohen. Wird die Bearbeitung klassengesellschaftlicher Probleme bei der Durchsetzung ökologischer Produktionsweisen nicht an den Anfang gestellt, wird sie später nicht mehr einzuholen sein, das besagt schon die betriebswirtschaftliche Logik des deutschen Wettbewerbsstaates.

Die auf migrantenfeindlicher Festungsmentalität, neokolonialistischer Geostrategie, autoritärer Staatlichkeit und technologischer Innovationsdynamik errichtete Zukunftskonzeption der neoliberalen und nationalkonservativen Parteien soll das Aufkommen einer starken sozialen Opposition verhindern, die irgendwo zwischen einer deutschen Gelbwestenbewegung und einer radikalisierten Klimagerechtigkeitsbewegung hervortreten könnte. Die im Klimapaket der Bundesregierung enthaltenen sozialen Härten provozieren eine klassengesellschaftliche Zuspitzung, weil praktischer Klimaschutz allen opportunistischen Verheißungen zum Trotz nicht ohne abfallende Mehrwertproduktion zu haben ist. Dezentral und mit geringem Stoffeinsatz produzierte erneuerbare Energie, die technisch weniger aufwendige Produktion länger haltbarer Gebrauchsgüter, der Verzicht auf überflüssiges Beiwerk bei Verpackung, Produktwerbung und Warenvielfalt, die Schaffung kürzerer Wege im Gütertransport und verbrauchsärmerer Fortbewegungsformen im Personenverkehr, dies und vieles mehr an praktischer Reduktion und Wiederverwendung ist mit dem auf permanent wachsenden Output angewiesenen Kapitalismus inkompatibel. Und wo konsequenterweise die Postwachstumsgesellschaft propagiert wird, sind die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und die Einführung planwirtschaftlicher Elemente im Sinne eines Ökosozialismus nicht weit.

Die Lebenslüge der grünkapitalistischen Bewirtschaftung der Klimakrise, keine Konsumeinschränkungen und Wachstumsreduktion hinnehmen zu müssen, wirkmächtig zu erschüttern kann nicht nur Aufgabe sozialer Bewegungen sein. Das politische Problem, der Wahlbevölkerung reinen sozialökologischen Wein einschenken zu müssen, um als Partei dauerhaft glaubwürdig zu sein, ist mithin nur im oppositionellen Kurs gegenüber dem neu ergrünten neoliberalen Block und dem nationalkonservativen Verweigerungsflügel zu erreichen. Der Bewegungsanspruch der Partei Die Linke, repräsentiert etwa bei der Gründungsversammlung der Bewegungslinken in Berlin im Dezember, müßte denn auch zu einer deutlichen Positionierung zugunsten einer antikapitalistischen bis ökosozialistischen Gesellschaftsveränderung erfolgen.

In der Bewegungslinken wird Klimaschutz insbesondere mit dem Konzept der verbindenden Klassenpolitik bearbeitet. Die in Berlin im Workshop zu Klassen- und Klimapolitik von Rhonda Koch vertretene Ansicht, daß es politisch keinen relevanten Akteur gibt, der eine Antwort im Sinne einer Erzählung, die zusammenbindet, auf die vielfältigen durch die herrschende Klimapolitik bedingten sozialen Konfrontationen hat, kennzeichnet eine wesentliche Leerstelle im klimapolitischen Diskurs. Sie betrifft allerdings mehr als nur die Widersprüche der heutigen Arbeitsgesellschaft, gründet deren patriarchale Struktur doch in einem anthropozentrischen Griff auf nichtmenschliche Lebenswelten, dessen Gewalt und Zerstörungskraft weit älter ist als die Formierung kapitalistischer Produktionsverhältnisse.

Für Koch resultiert aus dieser Leerstelle die Verantwortung, eine klassenorientierte verbindende Antwort sowohl gegen die Unsicherheit im Beschäftigungssektor zu geben als auch eine radikale Klimapolitik auf die Beine zu stellen. Positiv gewendet sei das nichts Geringeres als eine Steilvorlage für sozialistische Politik. Allerdings kann die von ihr gegebene Antwort auf die zentrale Frage, wer für die Kosten konsequenten Klimaschutzes aufkommt, nicht wirklich befriedigen, werden doch Konzerne, Staat und Vermögende zu verhindern wissen, daß die Eigentumsfrage in parlamentarischer Abstimmung zugunsten einer radikalen Klimagerechtigkeitspolitik ausfällt. Vor allem jedoch wird auch ihrem Wohlstand auf Dauer die Basis kapitalistischer Mehrwertproduktion entzogen, weshalb die ökosozialistische Perspektive bislang am meisten Plausibilität aufweist. Solange die soziale Reproduktion in der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft dem Primat der Lohnarbeit unterworfen wird und Klassenwidersprüche bestehen bleiben, droht die Veränderung hin zur sozialökologischen Produktionsweise sachzwangbedingtes Stückwerk zu bleiben.

Wie die Linkenpolitikerin betonte, kommt eine Zusammenarbeit von Gewerkschafts- und Klimabewegung nicht von selbst zustande, vielmehr bleibe dieses Scharnier bei der Bewegungslinken und vielleicht sogar der ganzen Linkspartei in den besten Händen. Bei allen AkteurInnen in diesem Dreieck ist jedoch zu fragen, wie weit die Bereitschaft geht, Zugeständnisse an das Gelingen einer sozial gerechten Klimapolitik auch und gerade im Weltmaßstab zu machen. Dem von der Linkspartei vor kurzem beschlossenen Aktionsplan Klimagerechtigkeit bleibt bei aller Ambitioniertheit im Detail, der starken Betonung ordnungspolitischer Eingriffe, der fundierten Kritik am kontraproduktiven Charakter des Emissionshandels, der internationalistischen Positionierung gegen den sogenannten Freihandel und die Macht der Konzerne und Banken sein innerparteilich konfrontatives Zustandekommen anzumerken. Das ist an der unterbliebenen Kritik an E-Mobilität und motorisiertem Individualverkehr [10] ebenso zu bemerken wie an der nicht vorhandenen Diskussion einer ökosozialistischen Perspektive.

Nichts wird die kommenden Jahre und Jahrzehnte so sehr bestimmen wie die sozialen und politischen Kämpfe um die Bewältigung der epochalen Klimakatastrophe. Je zögerlicher dieser Herausforderung entgegengetreten wird, desto desaströser wirken sich die unterlassene Beschränkung des fossilen Brandes und die verbrauchsintensive Bewirtschaftung des Planeten und seiner Lebensformen aus. Das trifft auch auf die Systeme demokratischer Legitimation von Politik zu. Deren träge Reaktionen auf die seit langem prognostizierte Aufheizung der Atmosphäre und Weltmeere wie die Vernichtung zahlloser Lebensformen lassen zumindest erkennen, daß die Objektivierung der Natur als bloße Ressource menschlichen Fortschrittes ein Irrtum kolossalen Ausmaßes ist. Doch nur den Subjektcharakter nichtmenschlicher Bioorganismen anzuerkennen scheint der Doppelherrschaft von Kapital und Patriarchat unmöglich zu sein.

Die Notwendigkeit einer bewegungslinken Offensive innerhalb wie außerhalb der Partei ergibt sich aus dem kaum zu brückenden Spagat zwischen erforderlicher parlamentarischer Mandatierung an der Wahlurne und dem Ergreifen schmerzhafter Einschnitte in eine imperiale Lebensweise, deren Horizont durch die schlußendliche Aufhebung der privatwirtschaftlichen Eigentumsordnung markiert ist. Das Aufgreifen der Dynamik sozialer Bewegungen im Sinne einer verbindenden Klassen- und Klimapolitik ist angesichts der häufig übergangenen Verantwortung von Menschen, die durch das Leben in einer hochproduktiven Industriegesellschaft und die Zugehörigkeit zur weißen Mehrheitsbevölkerung privilegiert sind, für nichtweiße Minderheiten im eigenen Land wie die von Neokolonialismus betroffenen Bevölkerungen im Globalen Süden besonders wertvoll. Dieses jahrhundertealte Gewaltverhältnis sollte im Mittelpunkt des Anspruches auf globale Klimagerechtigkeit stehen und wird dennoch immer wieder ignoriert.

Die Leugnung der Bringschuld, die aus der Übernutzung fossilistischer Energie und der Ausbeutung von Rohstoffen aller Art im Trikont resultiert, ist ein wesentliches Motiv des um sich greifenden Rassismus der Neuen Rechten und auch in subtileren Ausgrenzungspraktiken anzutreffen, zu denen es selbst unter KlimaschutzaktivistInnen kommt [11]. Nach einer neuen Erzählung, die die losen Enden des derangierten Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur zusammenknüpft, braucht nicht lange gesucht werden, bietet sich ein globaler und inklusiver Universalismus der Klimagerechtigkeit doch gerade jetzt dazu an. Ansonsten droht die Erschütterung aller Systeme sozialer Reproduktion in eine Welt zu münden, die weit mehr von sozialdarwinistischen Kämpfen um letzte Ressourcen bestimmt sein könnte als vom kooperativen und solidarischen Handeln der vielbeschworenen, an der Herstellung wirkmächtiger Handlungseinheit und damit ihrem humanistischen Anspruch stets gescheiterten Menschheit.


Fußnoten:

[1] https://www.commondreams.org/views/2020/01/27/fate-planet-earth-please-see-page-5?utm_campaign=shareaholic&utm_medium=referral&utm_source=facebook&fbclid=IwAR0UnvsLbd1SViLD4zu-rRKzhg5ov7DCAZKzsLFQmZ4NQQQ7E_yIyplYte4

[2] https://australianbushfiresandclimatechange.com/?fbclid=IwAR0BwY8ZvRrt-gti5rijQL1k7pMK-G1sIu_0Keg6ZmVpOsZcCpDR4rXwxvE

[3] https://www.counterpunch.org/2020/02/13/coded-messages-about-australias-big-burn/

[4] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/167877/umfrage/co-emissionen-nach-laendern-je-einwohner/

[5] http://www.schattenblick.de/infopool/tiere/report/trbe0016.html

[6] https://www.jungewelt.de/artikel/371006.südliches-afrika-ignorierte-hungersnot.html

[7] https://www.pressenza.com/2019/12/biosphere-collapse/

[8] http://schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0091.html

[9] https://www.oekologische-plattform.de/wp-content/uploads/2020/01/200128_Aktionsplan_Klimagerechtigkeit_ohne_Layout.pdf_c.pdf

[10] http://schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1224.html

[11] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele1046.html


Berichte und Interviews zur Gründungsversammlung der Bewegungslinken im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT

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17. Februar 2020


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