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BERICHT/360: Iran - Einigkeit der Herrschenden ... (SB)


Parolen wie "Reformisten, Hardliner, eure Zeit ist vorbei", "Die Islamische Republik muss zerstört werden" und "Suleimani ist ein Mörder", waren die vernichtenden Antworten. Die Student*innen im Iran riefen: "Nein zum Referendum, nein zur Reform, (sondern) Streik, Revolution", "Von Teheran bis Baghdad, Elend, Unterdrückung und Gewaltherrschaft", und "Von Teheran bis Baghdad, rufen wir Revolution!"
Narges Nassimi - Neue Massenproteste im Iran: Jugend und Frauen an vorderster Front [1]


Seit Oktober 2019 kommt es im Irak immer wieder zu Massenprotesten. Trotz massiver Repression und zahlreichen Toten unter den DemonstrantInnen lassen sich die Menschen nicht davon abhalten, für die Verbesserung ihrer sozialen Lage und das Ende politischer Unterdrückung auf die Straße zu gehen. Unter den 38 Millionen IrakerInnen leben 7 Millionen unterhalb der Armutsgrenze, über die Hälfte der Bevölkerung kann nicht hoffen, jeden Tag satt zu werden. Den Demonstrationen im Iran gehen seit Dezember 2017 mehrere Protestwellen voraus, bei denen die Menschen aus blanker Existenznot wie im Widerstand gegen politische Unterdrückung aufstehen. Auch die aufständischen IranerInnen mußten dafür einen hohen Blutzoll entrichten, der den Protesten jedoch keinen Einhalt gebieten konnte. Rund ein Drittel der Bevölkerung von 82 Millionen Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze, rund 6 Prozent erleiden akuten Hunger [2]. Die Menschen im Iran stehen gegen die insbesondere für Frauen repressiven Auswirkungen der islamischen Klerikalherrschaft und die sozial verelendenden Folgen einer Strategie auf, bei der große Finanzmittel für eine nach außen gerichtete Hegemonialpolitik eingesetzt werden, während im Innern Mangel herrscht.

Um Näheres über diese Entwicklungen, die im grenzüberschreitenden Zusammenwirken der Proteste im Irak und Iran ihren besonderen Ausdruck finden, zu erfahren, lud die Interventionistische Linke (IL) Hamburg Vria Arenan von der KP Iran zu einem Vortrag und Gespräch ein. Die komplexe Gemengelage der politischen und sozialen Situation in diesen von kriegerischer Aggression, materiellem Mangel, religiöser Sozialkontrolle und klassengesellschaftlicher Gewalt gezeichneten Staaten ließ sich in diesem Rahmen sicherlich nicht erschließen. Der Referent trug jedoch mit seiner Sicht der Situation dazu bei, den ansonsten von Akteuren, die ein starkes Eigeninteresse an der militärischen Kontrolle über die Region am Persischen Golf haben, geprägten geostrategischen Herrschaftsdiskurs um eine Perspektive von unten zu erweitern.

Schon die Projektion einer die ethnische Vielfalt repräsentierenden Landkarte des Irans zu Beginn des Vortrags zeigte, daß die Annahme, es handle sich bei der Islamischen Republik um ein homogenes Staatswesen, in die Irre führen muß. So befinde sich der kurdische Teil des Landes praktisch mit der Zentralregierung in Teheran im Krieg, meinte der aus dieser Region stammende Referent. Die heutigen Machtverhältnisse gründen für ihn in der aus linker Sicht gescheiterten Revolution gegen das Regime des Schahs Reza Pahlavi, die von den Islamisten um Ruhollah Chomeini gestohlen worden sei. Man habe nicht genügend Vorkehrungen dafür getroffen, was nach dem erfolgreichen Sturz des Regimes gemacht werden sollte. Die Machtergreifung der Islamisten und ihr strikt antikommunistischer Kurs habe auch dafür gesorgt, daß die imperialistischen Mächte trotz aller Probleme, die aus dem Verlust des mit ihnen verbündeten Schahs resultierten, im Zweifelsfall die religiöse Fraktion im Iran unterstützten.


Foto aus dem Vortrag von Vria Arenan - Kindersoldaten mit islamischen Farben - Foto: © 2019 by Schattenblick

Mit Kindern gegen die hochgerüstete Kriegsmaschinerie Saddam Husseins
Foto: © 2019 by Schattenblick

Den von 1980 bis 1988 unter Verlust von bis zu einer Million Menschenleben ausgetragenen Krieg zwischen Irak und Iran nützte dem islamischen Regime, weil er zur Vernichtung der inneren Opposition beitrug, so Arenan. In dieser Zeit begannen auch die öffentlichen Hinrichtungen von RegierungsgegnerInnen. Insbesondere Frauen mußten massive Gewalt über sich ergehen lassen. Sie wollten nicht, wie schon zu Zeiten des Schahs, zu Menschen zweiter Klasse degradiert werden, was in grausamen Praktiken wie dem Verschütten von Säure auf ihren Gesichtern und öffentlich zelebrierten Steinigungen resultierte. In dieser Zeit wurden sehr viele junge Menschen ermordet. Da die Bevölkerung dazu gebracht wurde, diesen Ereignissen nicht nur beizuwohnen, sondern auch zu applaudieren, wurde selbst am Galgen Widerstand geleistet, wie das berühmte Bild eines die Zuschauer lachend und klatschend verspottenden Hinrichtungskandidaten zeigte.

Am 17. März 1988 verloren bis zu 5000 Menschen in der kurdischen Stadt Halabja ihr Leben durch einen vom irakischen Diktator Saddam Hussein befohlenen Giftgasangriff. Er wollte den Ort nach einer Offensive iranischer Truppen zurückerobern und tat dies mit der ihm eigenen Grausamkeit. Hier ist zu ergänzen, daß die Verfügbarkeit von Chemiewaffen in den Händen der irakischen Streitkräfte dem Import von Produktionsmitteln für Rüstungstechnologie aus NATO-Staaten geschuldet war. Geschätzte 60 Prozent des irakischen Giftgasarsenals wurde in Anlagen produziert, die von deutschen Firmen geliefert und aufgebaut wurden. Die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joseph Fischer weigerte sich später, den Familien der Opfer wie den Tausenden Langzeitgeschädigten finanzielle Wiedergutmachung zukommen zu lassen, indem sie eine Mitverantwortung der Bundesrepublik schlicht bestritt.

Mit einigen Bildern gedachte der Referent der vielen Freunde, die er in Halabja verloren hat, wo er selbst auf kurdischer Seite gekämpft hatte. Auf der iranischen Seite der Front befand sich zu dieser Zeit nicht nur der frühere Präsident des Landes, Mahmud Ahmadinejad, sondern auch der am 3. Januar bei einem US-amerikanischen Raketenangriff umgebrachte General der iranischen Revolutionsgarde, Qasem Soleimani. Für Arenan war dieser hauptverantwortlich für die iranische Politik in der Region. Der Einsatz iranischer Revolutionsgardisten in Syrien und im Irak gegen den Islamischen Staat (IS) habe durchaus in Abstimmung mit den US-Truppen stattgefunden, mit denen Soleimani ohnehin viel zusammengearbeitet habe. Er habe eine sehr wichtige Rolle bei der Organisation schiitischer Milizen im Irak gespielt, die einen wesentlichen Machtfaktor im Land darstellen und an der brutalen Unterdrückung der seit Oktober dort erfolgenden Proteste beteiligt sind. Dabei wurden rund 15.000 Menschen zum Teil schwer verletzt, so etwa durch direkt auf sie abgefeuerte Blendgranaten, die sich in einigen Fällen in die Augenhöhle bohrten und dort weiterbrannten. Mindestens 400 DemonstrantInnen wurden im Irak durch proiranische Sicherheitskräfte und iranische Einheiten umgebracht.


Projektion eines Fotos von und mit Vria Arenan - Foto: © 2019 by Schattenblick

Aus der schmerzhaften Geschichte kurdischer Unterdrückung
Foto: © 2019 by Schattenblick

Aufgrund der massiven Unterdrückung der schiitischen Mehrheit durch Saddam Hussein war deren Aufstieg nach seinem Sturz praktisch vorprogrammiert. Auch dabei kamen, wie zu ergänzen ist, sehr viele Menschen ums Leben, so bei dem schiitischen Aufstand kurz vor der Kapitulation der irakischen Truppen im Irakkrieg 1991, zu dem die US-Regierung ermuntert hatte, ohne den Aufständischen dann militärisch zur Seite zu springen. Um die 60.000 Tote unter der schiitischen und 20.000 Tote unter der kurdischen Bevölkerung soll die Niederschlagung der Aufstände in der Endphase des Krieges durch die Elitetruppen Saddam Husseins gekostet haben, bei der die US-Streitkräfte zusahen [3], um einen Kontrollverlust zu vermeiden. Brent Scowcroft, Sicherheitsberater des US-Präsidenten George Bush senior und als solcher beteiligt an der Entscheidung, den Aufstand der Schiiten 1991 nicht zu unterstützen, erklärte 2007, durch die Schaffung von Demokratie im Irak 2003 habe man eine soziale und religiöse Revolution ausgelöst, die man nicht anders beherrschen könne als durch die Aufrüstung der irakischen Armee [4]. Am schlimmsten ist die soziale Revolution, darin sind sich selbst die Gegner in einem geostrategisch motivierten Krieg einig.

Für Vria Arenan setzte sich das Blutvergießen im Irak mit der Ermordung zahlreicher Sunniten durch schiitische Milizen nach dem Ende Saddam Husseins nahtlos fort. Das habe viele Iraker in die Arme des IS getrieben, denn der Iran habe mit seinen offiziell beauftragten wie inoffiziell anwesenden bewaffneten Einheiten im Irak eine große Militärmacht dargestellt. Warum nun wurde ein so nützlicher Mann wie Soleimani von den USA umgebracht? Laut dem Referenten habe es sich um eine Warnung der USA an die Adresse des Irans gehandelt. Beide Regierungen hätten lange Zeit miteinander kooperiert, doch Soleimani habe den Bogen überspannt, weil er in der Region zu aktiv gewesen sei und US-Interessen zuwidergehandelt habe.

Soleimani sei für die US-Regierung Teil einer Unruhe in der Region gewesen, die sie nicht hätten vereinnahmen können. Ansonsten ist die systematische Unterminierung gesellschaftlichen Friedens ein übliches Mittel US-amerikanischer Hegemonialstrategie, wie gerade das Beispiel des seit 40 Jahren massiv erschütterten Iraks zeigt. Die Instabilität der Region nütze dem Weltkapital, so Arenan, doch Soleimani habe in diesem Zusammenhang zu eigenständig gehandelt, wie etwa bei der Eroberung der vom IS besetzten Stadt Kirkuk gegen den Wunsch der USA und ohne Genehmigung durch die eigene Regierung.

Angesichts der in aller Welt als illegal erachteten Hinrichtung des zweitwichtigsten Funktionärs im Iran sei dann allerdings nicht viel geschehen außer mehr oder minder symbolischen Angriffen auf US-Stützpunkte im Irak. So werde auch der Nachfolger Soleimanis keine große Rolle spielen, er sei nicht so engagiert wie sein Vorgänger. Soleimani sei ein islamischer Faschist gewesen, aber das aus ganzem Herzen für sich und sein Regime, so Arenan. Für ihn geht es bei solchen Auseinandersetzungen zwischen Staaten vor allem darum, Unsicherheit zu verbreiten und den Menschen zu suggerieren, sich klein und hilflos zu fühlen. Zudem würden die Menschen im Iran, die Kinder und Angehörige durch das islamische Regime verloren hätten, niemals vergessen, daß die demokratischen, die Menschenrechte achtenden Staaten Europas das Regime in Teheran unterstützten. Dazu zeigte er ein Bild mit EU-europäischen PolitikerInnen, die bei Besuchen in Teheran das Kopftuch anlegten und dem Klerikalregime so ihre Aufwartung machten.


Fotos aus dem Vortrag von Vria Arenan -Todeskandidat verspottet das Publikum der Hinrichtung, Menschen am Galgen - Fotos: © 2019 by Schattenblick Fotos aus dem Vortrag von Vria Arenan -Todeskandidat verspottet das Publikum der Hinrichtung, Menschen am Galgen - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Blutige Ernte nach der gestohlenen Revolution
Fotos: © 2019 by Schattenblick


Die soziale Opposition läßt sich nicht einschüchtern

Die aktuelle Situation im Iran wie im Irak gebe jedoch Anlaß zur Hoffnung auf eine dauerhafte Veränderung. So würden heute im Irak in allen größeren Städten Menschen zusammen auf die Straße gehen, die sich vor zwei Jahren noch umgebracht hätten. Ob schiitischer oder sunnitischer Konfession, ob arabischer oder kurdischer Herkunft, sie einigten sich im Kampf für eine gerechte und sichere Welt, in der das Verbrechen ein Ende haben soll. Auch im Iran sei eine neue Einigkeit an Parolen wie "Wir sind zusammen! Habt keine Angst, wir sind zusammen!" abzulesen. Die Menschen hätten genug davon, daß moderate Regierungspolitiker wie Mir Hossein Mussawi Reformen ankündigten, die vor allem den Zweck hätten, die soziale Opposition ruhigzustellen. Die Menschen wollten selbst über ihre Verhältnisse bestimmen und seien von diesem Vorhaben auch nicht durch brutale Repression abzuhalten. 1500 Oppositionelle seien in den letzten zwei Monaten getötet worden, 7000 verletzt und mehrere tausend verhaftet worden.

Sicherlich habe das Regime Millionen Menschen zur Beerdigung Soleimanis mobilisiert, was jedoch bei einer Bevölkerung von 82 Millionen nicht so schwer sei. Auch Diktaturen könnten Menschen auf die Straße bringen, das habe auch Saddam Hussein gekonnt, was für Arenan kein Zeichen ist, daß solche Regimes wirklich über AnhängerInnen verfügten.

Zugleich sei im Iran wie im Irak auch die Parole "Soleimani ist ein Mörder, sein Führer ist auch ein Mörder" gerufen worden. Solidaritätsgrüße von Bagdad nach Teheran und umgekehrt machten den Herrschenden Angst, Parolen wie "Wir sind zusammen! Nieder mit dem Diktator! Wir wollen eine andere Welt!" würden nicht nur von Studierenden, sondern auch ArbeiterInnen gerufen, die zum Teil ein halbes Jahr ohne Geld auskommen müßten, weil ihnen ihr Gehalt nicht ausgezahlt wird. Sie strebten im Iran eine andere, sozialistische Gesellschaft an. Obwohl sie nicht einmal eigene Gewerkschaften hätten, organisierten sie flächendeckend Generalstreiks und sängen, wie Arenan mit einer Videosequenz zeigte, auf der Beerdigung eines hingerichteten Arbeiters die Internationale.

Insbesondere Frauen hätten eine große Aufgabe und stellten sich überall an die Spitze der Bewegungen. Sie kämpften gegen die massenhaft verbreitete Kinderarbeit und die eigene Unterdrückung. Frauen im Gefängnis würden regelmäßig vergewaltigt, die Beendigung solcher Verbrechen sei viel wichtiger als die Proteste gegen steigende Benzinpreise. Die Menschen hätten gemerkt, daß sich nichts ändert, wenn sie es nicht selber tun. Arenan bekennt, daß seine in der Revolution 1979 großgewordene Generation immer noch an der Enttäuschung über das, was daraus wurde, leidet und tendenziell aufgegeben habe.

Doch die Generation, die die Revolutionszeit nicht erlebt hat, und das ist die große Mehrheit, denn zwei Drittel der IranerInnen sind jünger als 40 Jahre, wolle mit dieser Geschichte nichts mehr zu tun haben. Die junge Generation lehne sich schlicht gegen erlittene Ungerechtigkeit auf. Indem sie vor allem soziale Forderungen stellt wie billige Wohnungen, erschwingliche Preise, günstiges Benzin, Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und die Bekämpfung der massenhaften Arbeitslosigkeit, mache sie zwar kleine Schritte, doch das Regime habe dagegen kein Rezept. Das Erschießen und Einsperren von Oppositionellen habe den Widerstand nur gefördert, das zeigt auch der lange Zyklus, in dem es im Iran wiederholt zu Aufständen kommt.

Für den Referenten hat die Hegemonialstrategie Teherans, sich in Syrien, dem Libanon, dem Jemen und dem Irak militärisch einzumischen, auch die Funktion, der inneren Stabilisierung. Der Staatschef und religiöse Führer im Iran, Ali Chamenei, habe selbst erklärt, daß das Demonstrieren von Stärke nach außen bedeute, im Iran selbst um so fester im Sattel zu sitzen. Auch aus diesem Grund investiere der Iran stark in die Nachbarländer, während die eigene Bevölkerung verarme.

Zur Frage der Auswirkungen der internationalen Sanktionen erklärte Vria Arenen, daß das Regime dadurch durchaus geschwächt werde und Gefolgsleute verliere. Es gebe jedoch für die US-Regierung keinen Grund, Krieg gegen den Iran zu führen. Solange die expansionistische Politik Teherans in einem bestimmten Rahmen bleibe und nicht atomar aufgerüstet werde, habe US-Präsident Donald Trump keinen Anlaß, das Land anzugreifen. Um es wirklich zu erobern, sei es zudem zu groß für die US-Streitkräfte allein. In Sicht auf das Engagement Rußlands und Chinas weltweit seien auch die USA geschwächt, sie wären seiner Ansicht nach nicht mehr in der Lage, ohne Verbündete Krieg zu führen.


Foto aus dem Vortrag von Vria Arenan - Frau nach Säureanschlag - Foto: © 2019 by Schattenblick

... und immer wieder Haß auf Frauen
Foto: © 2019 by Schattenblick


Nationalchauvinistische Freund-Feind-Logik von unten aufheben

Die für einige ZuhörerInnen sicherlich überraschende These des Referenten zur relativen Interessensübereinstimmung zwischen der Islamischen Republik Iran (IRI) und den USA wird auch von Navid Shomali, Sekretär der Internationalen Abteilung der Tudeh-Partei des Irans, geteilt:

Die Regional- und Außenpolitik der IRI ist nicht antiimperialistisch. Im Gegenteil, die Form des politischen Islam des IRI kollaboriert oft direkt oder indirekt mit den USA. (...) Die Manöver der IRI im Nahen Osten beruhen auf dem islamistischen Chauvinismus und der Konfrontation mit ihren Gegnern, lange bevor diese eine wirkliche Bedrohung darstellen. [5]

Es kann mithin nicht erstaunen, wenn rechte Publizisten wie der Compact-Herausgeber Jürgen Elsässer oder Verfasser verschwörungstheoretischer Schriften wie Gerhard Wisnewski 2012 dem damaligen iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad ihre Aufwartung machten [6]. Auch unter manchen Linken verbreitete Sympathien für klerikalfaschistische Regimes werden dadurch nicht besser, daß sie mitunter Konflikte mit den USA oder anderen NATO-Staaten auszutragen haben. Der rabiate Umgang mit der eigenen Opposition und der ausgesprochen patriarchale Charakter ihrer Herrschaftsausübung sprechen eine unmißverständliche Sprache, was auch erklärt, daß viele Mitglieder der Opposition im Iran zu einem Boykott der anstehenden Parlamentswahl aufrufen. Auch das ist nicht ungefährlich, wie die Verurteilung von acht AktivistInnen, die im Sommer 2019 mit einem offenen Brief Khameneis Rücktritt sowie eine Verfassungsreform gefordert hatten, zu Haftstrafen zwischen einem und sechsundzwanzig Jahren zeigt [7].

Der sozialen, antirassistischen und antipatriarchalen Opposition eine Stimme zu geben ist in einer zusehends fragmentierten, sich gegen MigrantInnen abschottenden und in neue Staatenkriege marschierenden Welt wichtiger denn je. Nicht jeder Mensch kann es sich leisten, die Welt aus der sicheren Distanz informationstechnischer Kommunikationsmittel zu betrachten. Für eine stetig anwachsende Zahl von Menschen ist die Freiheit der Bewegung, die Verfügbarkeit von Lebensmitteln und die Sicherheit der eigenen Wohnung nicht mehr gewährleistet. Um zu verhindern, daß auf die sich wechselseitig verstärkenden Krisen des Kapitals und der gesellschaftlichen Naturverhältnisse sozialdarwinistische und nationalchauvinistische Antworten gegeben werden, ist das Interesse an Menschen, die heute in schwerwiegenden Existenzkämpfen stehen, nur förderlich.


Vor einem Foto aus der Revolution gegen den Schah - Foto: © 2019 by Schattenblick

Vria Arenan im Centro Sociale in Hamburg
Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] https://www.klassegegenklasse.org/neue-massenproteste-im-iran-jugend-und-frauen-an-vorderster-front/

[2] https://sozialismus.ch/artikel/2019/iran-klassenkampf-und-neoliberales-akkumulationsregime/

[3] https://www.cfr.org/blog/remembering-iraqi-uprising-twenty-five-years-ago

[4] https://www.ft.com/content/1e18e262-ffcf-11db-8c98-000b5df10621

[5] https://www.unsere-zeit.de/ungleichheit-korruption-brutalitaet-122581/

[6] https://www.juedische-allgemeine.de/politik/tee-beim-diktator/

[7] https://www.heise.de/tp/features/Iran-Opposition-fordert-Wahlboykott-4661848.html?view=print

20. Februar 2020


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