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BERICHT/010: XIV. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin (SB)


XIV. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz
am 10. Januar 2009 in Berlin

© 2009 by Schattenblick

Die alljährliche Rosa-Luxemburg-Konferenz der Tageszeitung junge Welt hat Tradition: Bereits im 14. Jahr bot sie am Vortag der Gedenkfeiern für die von Freikorpssoldaten ermordeten KPD-Mitbegründer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht dem Spektrum der Linkskräfte ein Forum der Begegnung und Diskussion. Vom ehemaligen BDI-Vorsitzenden Hans-Olaf Henkel als "wichtigstes Symposium der Neomarxisten, in dem mehr oder weniger offen zum Systemwechsel aufgerufen wird", geadelt, kam die beste Werbung wie so oft aus dem gegnerischen Lager, das sich nicht recht entschließen kann, ob man das Ärgernis totschweigen oder an den Pranger stellen soll.

Zum Leidwesen der anwesenden Lokalpresse, die einen nicht auszuschließenden Skandal keinesfalls versäumen wollte, war von Christian Klar weit und breit nichts zu sehen. Seine vor zwei Jahren an gleicher Stelle entrichtete Grußbotschaft war vom ARD-Magazin Report gut sechs Wochen nach der Rosa-Luxemburg-Konferenz 2007 aufgegriffen und skandalisiert worden, was schließlich dazu führte, daß Bundespräsident Horst Köhler sein Gnadengesuch unter erheblichem öffentlichen Druck ablehnte. Nebeneffekt dieses antikommunistischen Auftriebs war allerdings, daß die Veranstaltung auch in Kreisen bekannt wurde, denen die Namen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht nicht nur ein rotes Tuch sind.

So ging die Hoffnung der Berliner Boulevardpresse, ihre liebste Beute Christian Klar in einem Umfeld von eindeutiger Signalwirkung ablichten zu können, nicht auf. Wer Paranoia schürt, indem er Menschen zu Unpersonen erklärt, muß sich freilich auch nicht wundern, wenn er dem Wahn zuallererst auf den Leim geht und alles Böse in der Welt in einer Linken verortet, die trotz der Krise des Kapitals alles andere als hegemonial ist. Vielleicht war es ja ein kleiner Trost, daß man ersatzweise auf den neben dem kubanischen Botschafter in Berlin, Gerardo Penalver, als Ehrengast begrüßten letzten Staatschef der DDR, Egon Krenz, herumhacken und die "Ewig Gestrigen" getrost mit den "Neomarxisten" in einen Topf werfen und kräftig draufschlagen durfte.

Wir können also kaum umhin, der eingangs angesprochenen Tradition eine kurze Vorbemerkung zu widmen, zumal darunter einander durchaus widersprechende Gesinnungen und Positionen subsumiert werden können, die in ihrem Spannungsverhältnis die Konferenz in der Urania am Wittenbergplatz prägten. Ist diese tradionelle Zusammenkunft eher ein buntes Familientreffen schwindender Restbestände einer Linken, die sich um die letzte Glut verlöschender Widerspenstigkeit versammelt, um sich im Gedenken an die Vergangenheit zu wärmen, wie Skeptiker meinen? Oder setzt sie im Gegenteil gerade durch ihre Beständigkeit Impulse im Ringen um eine Streitbarkeit, wie sie angesichts der eskalierenden Weltlage so bitter nötig ist, indem sie dem Vermächtnis ausgefochtener Kämpfe nicht abschwört, sondern an ihren Idealen festhält, während alle Welt politische Prinzipientreue zum Anachronismus und gescheiterten Entwurf erklärt? Die Frage, ob Rosa Luxemburg wirklich tot ist, sollte man jedenfalls weder vorschnell noch leichtfertig beantworten. Zu fürchten braucht man diese Auseinandersetzung nicht, denn lebendige Streitkultur in einem besseren Sinn als schrebergärtnerische Flügelkämpfe steht der radikalen Linken allemal gut zu Gesicht.

Die Veranstalter haben, das sei vorweg gesagt, wieder einmal Erstaunliches auf die Beine gestellt, galt es doch, den rund 1.600 Teilnehmern der Konferenz nicht nur ein ebenso kompaktes wie abwechslungsreiches Programm zu präsentieren, sondern auch den Bedürfnissen so vieler Menschen am Ort der Zusammenkunft Rechnung zu tragen. Die organisatorische Schwerarbeit kam dabei bemerkenswert leichtfüßig daher und baute Reibungsflächen ab, die angesichts des bloßen Aufeinandertreffens niemals stillstehender Besucherströme zwischen Veranstaltungen, Büchertischen und Essensständen unvermeidlich sind. Gute Stimmung und ein durchweg freundlicher Umgangston kommen nicht von allein, und so war es nicht zuletzt das Verdienst engagierter Vorarbeit und Begleitung, daß Solidarität auch im alltäglichsten Sinn das Feld beherrschte, als sei dies eine Selbstverständlichkeit. Wo sich im Laufe langer Stunden dennoch der Wunsch nach einer Pause einstellte, geschah dies gewiß nicht in Folge mangelnder Anregung oder gar Langeweile. Man wollte einfach nichts versäumen und konnte dabei angesichts eines dicht gewebten Programms aus dem vollen schöpfen.

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Die Rosa-Luxemburg-Konferenz 2009 stand im Zeichen des Schwerpunkts "Internationalismus und Gegenmacht heute", wobei in Beiträgen prominenter internationaler Vertreter linker Parteien und Bewegungen die aktuellen Herausforderungen und Perspektiven einer weltweiten Zusammenarbeit der Linkskräfte beleuchtet wurden. Es referierten der Kölner Regisseur und Autor Klaus Gietinger, Imad Samaha von der KP Libanon, der italienische Philosoph Domenico Losurdo, die stellvertretende Leiterin des kubanischen Instituts für Philosophie, Georgina Alfonso Gonzalés, Sara Flounders vom International Action Center aus den USA, Ahmat Dansokho, der Generalsekretär der Partei der Unabhängigkeit und Arbeit Senegals sowie per aufgezeichnetem Audiobeitrag der Journalist und politische Gefangene Mumia Abu-Jamal.

Moderator Dr. Seltsam im Gespräch mit Olli R. - © 2009 by Schattenblick
Moderator Dr. Seltsam im Gespräch mit Olli R.
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Zwischen die Vorträge waren mehrere kürzere Programmpunkte eingestreut. So warb das Grips-Theater mit einem Ausschnitt aus seinem aktuellen Stück um regen Besuch, worauf ein Aufruf zur Demonstration für die politischen Gefangenen im Baskenland mobilisierte. Vom derzeitigen Stand des mg-Prozesses berichtete Olli R. Er gehört zu den drei wegen versuchter Brandstiftung an Bundeswehrfahrzeugen angeklagten Antimilitaristen, denen mit dem Mittel des politischen Strafrechts nach Paragraph 129 die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nachgewiesen werden soll. Der Prozeß verdient besondere Beachtung, weil der Paragraph 129 als zentraler Hebel des Sicherheitsstaats bei der Kriminalisierung und Verfolgung der linksradikalen Opposition fungiert.

Gewerkschafter informierten über die um sich greifende Praxis der Verdachtskündigung im Einzelhandel. Dabei nehmen die Geschäftsleitungen absurde Bagatellfälle zum Vorwand, Mitarbeiter auf Grundlage bloßer Bezichtigung auf die Straße zu setzen, um sich damit nicht nur jeder Pflicht zur Beweisführung zu entziehen, sondern zugleich der Legalisierung vorgreifender Sanktionen Vorschub zu leisten. Im Anschluß an den Beitrag von Georgina Alfonso Gonzalés war ein Ausschnitt des Films "Kubanische Träume vor 50 Jahren" zu sehen, dessen Regisseur das Konzept seines Werks erläuterte.

Die große Podiumsdiskussion beschäftigte sich mit dem Verhältnis der radikalen Linken zur Europäischen Union. Moderiert von junge Welt-Chefredakteur Arnold Schölzel diskutierten unter dem Titel "Europäische Union - das nette Imperium von nebenan" der Vorsitzende der Partei Die Linke, Lothar Bisky, Michael Kronawitter von der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB), Domenico Losurdo und der Herausgeber von Rizospastis, der Zeitung der griechischen KP, Stefanos Loukas, über die Rolle der EU im kapitalistischen Weltsystem und mögliche Formen des Widerstandes gegen ihre zunehmende Militarisierung.

Parallel zur Konferenz fand ein Koordinierungstreffen linker Jugendverbände unter dem Motto "Kein Frieden mit der Nato" zur Vorbereitung von Aktionen gegen das Jubiläum des Militärpaktes statt, an dem Vertreter des kommunistischen Jugendverbandes Griechenland (KNE), der SDAJ, des SDS, der DIDF-Jugend, der ARAB und ein Mitglied eines kurdischen Jugendverbandes teilnahmen.

Die Konferenz endete mit zwei parallel gegebenen Konzerten, bei denen zum einen die bekannten kubanischen Veteranen der Nueva Trova, Vincente Feliu und Jose Andres Ordas Aguilera, sowie Ewo2 aus Mannheim, zum andern die Gruppe Cool Breeze auftraten.

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Die Vorträge thematisierten insbesondere die jüngste Aggression der israelischen Streitkräfte auf die im Gazastreifen lebenden Palästinenser und die von der Hamas angeführte Gegenwehr. Das Thema war zweifellos von schwelender Virulenz, gingen die Angriffe auf eine ihrer Überlebensressourcen beraubten Bevölkerung, die nicht einmal über Bunker verfügt und der jede Fluchtmöglichkeit aufgrund der hermetischen Abriegelung des Gazastreifens genommen ist, doch während der Veranstaltung weiter. Die an den Wänden des großen Konferenzsaals präsentierten Losungen des israelischen Friedensblocks Gush Shalom "Stoppt das Morden. Stoppt die Besatzung. Stoppt die Blockade" sowie "Stoppt die Vernichtung der palästinensischen Bevölkerung" waren sichtbares Zeichen der Tatsache, daß Referenten wie Publikum mehrheitlich für die Palästinenser eintraten. Angesichts der Besucherzahl war das Symposium in der Urania die größte, wenn in der jeweiligen Haltung zum Krieg in Gaza auch nicht unbedingt homogene deutsche Palästina-Solidaritätskonferenz seit Jahren.

Der in Beirut lehrende Sozialwissenschaftler Imad Samaha unterstrich die Notwendigkeit eines Zusammenschlusses aller Gegner der israelischen Aggression. Er dankte dabei der Friedensbewegung in aller Welt und schloß nicht zuletzt den Protest im Land der Angriffsmacht ein, da der Feind keineswegs die israelische Bevölkerung, sondern die israelische Politik sei. Seine Partei habe grundsätzlich keine Probleme mit irgendeinem Volk, wohl aber mit manchen Regierungen. Vor allem aber dürfe man das Volk der Palästinenser nicht vergessen. Er erinnerte in diesem Zusammenhang daran, daß zu Beginn des Libanonkriegs im Jahr 1982 rund 400.000 Menschen zur größten Gegendemonstration in Israel zusammengeströmt waren, das bis heute in bezug auf Palästina nicht eine einzige UN-Resolution eingehalten habe, ohne dafür Konsequenzen tragen zu müssen. Abgesehen davon werde die UN-Politik von imperialistischen Kräften beeinflußt und sei daher nicht vertrauenswürdig.

Imad Samaha - © 2009 by Schattenblick

Imad Samaha
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Wie Samaha bekräftigte, arbeite seine Partei in diesem Kampf auch mit der islamischen Hisbollah zusammen. Da es sich jedoch um eine religiöse Partei handle und sich die beiderseitigen Auffassungen zum Aufbau eines Staats unterschieden, gebe es keine weiteren Gemeinsamkeiten. In den 1980er Jahren seien die Kommunisten im Libanon vor allem von islamischen Kräften verfolgt worden. Ungeachtet aller unüberbrückbaren Differenzen gelte es dennoch, sich auf den Kampf gegen den gemeinsamen Feind Israel zu konzentrieren.

Der italienische Philosoph und Historiker Domenico Losurdo ging in seinem Grundlagenreferat der Frage nach, wie der Internationalismus heute gestaltet werden könne. Energisch widersprach er der Auffassung, daß revolutionäre Bestrebungen der Vergangenheit angehörten, indem er die wesentlichen Kämpfe unterschiedlicher historischer Epochen in einen Zusammenhang stellte, ohne ihre spezifischen Unterschiede zu nivellieren. Wohlbegründet und unter konsequenter Berücksichtigung der jeweils dominanten Widerspruchslage berücksichtigte er den Sieg über den Faschismus ebenso wie die antikolonialistische Erhebung nach dem Zweiten Weltkrieg, um geradewegs auf den Widerstand des palästinensischen Volkes zuzusteuern, den er "heldenhaft" nannte. Gaza sei ein Ort, an dem die Unterdrücker ihre Macht über Leben und Tod nicht nur mit den terroristischen Bombardierungen, sondern schon mit der Kontrolle der lebenswichtigen Güter ausübten. Er verwies auf die von den USA und der EU unterstützte übermächtige israelische Kriegsmaschinerie und bezeichnete die Solidarität mit dem "Märtyrervolk unserer Tage schlechthin" als ein wesentliches Element des Internationalismus.

Anläßlich des 50. Jahrestags der kubanischen Revolution erörterte Losurdo das Wiederaufleben der Monroe-Doktrin in Lateinamerika und den Vormarsch der antikolonialen und antikapitalistischen Revolution auf jeweils unterschiedliche Weise. Am Beispiel des Sklavenaufstands in Haiti und der Gründung der ersten schwarzen Republik erläuterte er die Notwendigkeit, der militärischen Phase der Revolution eine ökonomische folgen zu lassen, da die Ketten anders nicht auf Dauer zu sprengen seien. Internationale Solidarität müßte Ländern wie Kuba oder Haiti, welche die USA noch immer wirtschaftlich abzuwürgen und in ein Gaza zu verwandeln suchten, doch ebenso China und Rußland, da diese dem wahnwitzigen Plan weltweiter Herrschaftssicherung der USA Widerstand leisteten, gewährt werden.

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Domenico Losurdo
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Losurdo nahm zudem die westliche Linke mit der Ermahnung ins Gebet, die enge und dauerhafte Verbindung zu Einwanderern aus der arabischen und islamischen Welt nicht zu vernachlässigen. Sie litten in besonderem Maße unter der Tragödie des palästinensischen Volkes und stünden bei Demonstrationen gegen Kolonialismus und Imperialismus in vorderster Reihe. Von Fragestellern nach seinem Vortrag, die seine Solidarität mit bestimmten Ländern unter Verweis auf die dortige Gesellschaftsform und Regierungspolitik in Frage stellten, ließ sich der Philosoph nicht irritieren. Eine Volksfront zu bilden, sei früher schwierig gewesen und heute nicht minder, erklärte Losurdo. Entscheidend bei der Bündnisfrage bleibe jedoch stets, wer als jeweils dominanter Gegner identifiziert werde.

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Sara Flounders
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Sara Flounders vom International Action Center in New York trat entschieden für eine Antikriegsbewegung ein, die sich nicht vor den Karren trügerischer Friedensappelle und der Forderung nach Gewaltfreiheit spannen läßt, welche die verzweifelte Gegenwehr des schwachen Opfers mit dem Wüten des haushoch überlegenen Aggressors gleichsetzt. Die Palästinenser hätten das Recht auf Widerstand, das Recht, Raketen abzufeuern und Tunnel zu graben. Sie wehrten sich mit den vorhandenen Mitteln wie vor ihnen die Vietnamesen gegen die US-Armee und die Juden im Warschauer Ghetto. "Gaza ist das Warschauer Ghetto heute", sagte Flounders und machte sich damit keines unzulässigen Vergleichs schuldig.

Mit diesem Verweis wird keine direkte Parallele zu Nazimethoden gezogen, sondern auf die Aberkennung der Menschlichkeit der Betroffenen verwiesen. Während sie unter dem Vorwand, man wolle die Hamas treffen, in auswegloser Lage mit massiver Zerstörungsgewalt angegriffen werden, nimmt man ihnen auch noch das Existenzrecht, indem man die Opfer als potentielle Mitglieder oder Sympathisanten der Hamas darstellt. Deren Stimme wiederum wird nach Kräften unterdrückt, so daß die Unterstellung aufrechterhalten werden kann, sie führe ihren Kampf ausschließlich aus Gründen fanatischen religiösen Hasses.

Flounders hält dem entgegen, daß, obwohl im Nahen und Mittleren Osten alle progressiven Kräfte am Widerstand teilnähmen, häufig religiösen Gruppen eine tragende Funktion zukäme. Man müsse erkennen und respektieren, daß sie integraler Bestandteil eines legitimen Kampfes sind, und müsse die fortschrittlichen Kräfte in der Region unterstützen, ohne sich von den islamischen zu distanzieren. So werde die Hamas im Westen als terroristische Organisation diffamiert, obwohl sie eine in der palästinensischen Bevölkerung verankerte Massenorganisation ist.

Es tue weh, wenn man die Lügen der israelischen Armee, der Regierung in Washington und der EU-Politiker höre. Wenn Präsident George W. Bush die Israelis unterstützt, wisse man, daß sie mit ihren Kriegsgründen genauso lügen wie er mit den erfundenen Massenvernichtungswaffen beim Angriff auf den Irak im Jahr 2003. Heute heiße Antiimperialismus und Gegenwehr, alles zu unterstützen, was die USA und die NATO schwächt. "Wir müssen die Intifada zu uns nach Hause bringen und eine Kampagne zum Boykott Israels starten", forderte Sara Flounders.

"Wir müssen Widerstand leisten gegen den Imperialismus im Nahen Osten", unterstrich auch Amath Dansokho, der einst als junger Mann an der Seite Che Guevaras für die Befreiung Afrikas vom Joch des Kolonialismus gekämpft hatte und heute als Generalsekretär der Partei der Unabhängigkeit und Arbeit Senegals vorsteht.

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Wie die abschließende Podiumsdiskussion um "das nette Imperium von nebenan" bestätigte, bliebt die Europapolitik nicht zuletzt im Vorfeld der in diesem Jahr bevorstehenden Europawahlen ein heiß und kontrovers diskutiertes Thema. Daß die Vereinigten Staaten von Europa auf kapitalistischer Grundlage nur ein reaktionäres Vorhaben sein können, das sich durch Angriffskriege, Verelendung und Repression auszeichnet, ist eine Auffassung, die beileibe nicht alle Teilnehmer der Konferenz teilten. Etliche räumten ein, daß es sich bei der EU zwar um ein imperialistisches Konstrukt handle, was es jedoch um so dringend erforderlicher mache, auf ihrem Boden um Veränderungen zu kämpfen. Und nicht zuletzt sieht eine Fraktion in der Europäischen Union sogar einen prinzipiell wünschenswerten Entwurf, der konservatives nationaltstaatliches Denken und Handeln überwinde, weshalb er gegen rückwärtsgewandte Kritik verteidigt und mit fortschrittlichen Inhalten besetzt werden müsse.

Lothar Bisky sah bei dem Projekt EU neben Gefahren auch Chancen für die Linke, die sich auf gesamteuropäischer Ebene einbringen könne und müsse, wolle man reaktionären Kräften nicht das Feld überlassen. Seine Partei fordere Abrüstung statt Aufrüstung, lehne US-amerikanische Raketenschilde in Tschechien und Polen ab und setze sich für soziale Mindeststandards und einen Mindestlohn ein. Auch strebe man ein Europa an, das in wesentlichen Fragen wie etwa beim Lissabon-Vertrag die Bürger frage und nicht hinter verschlossenen Türen richtungsweisende Entscheidungen in Geheimabkommen treffe.

Die anderen Podiumsteilnehmer standen der EU skeptisch gegenüber und kritisierten die Haltung der europäische Linkspartei aus verschiedenen Perspektiven. Michael Kronawitter kanzelte die EU-Euphorie von Teilen der Linkspartei als "Tendenz zur Verblödung" ab: "Wenn man 27 kapitalistische Nationen zusammenwirft, kommt dabei kein Sozialismus heraus. Das Ergebnis ist ein europäisches kapitalistisches Imperium, ein kapitalistischer Kontinent! Dann heißt die neue Parole frei nach Liebknecht: Der Hauptfeind steht im eigenen Kontinent!". Kronawitter kam bei der Mehrheit des Publikums am besten an, was jedoch weniger inhaltlicher Präzision und Reichweite als vielmehr seinem Talent zu lockerer Rede und markigen Seitenhieben an die Adresse Biskys geschuldet war.

Der Antifa-Aktivist repräsentierte neben Bisky, der als Chef einer im Bundestag vertretenen Partei für manchen reformerischen Kompromiß steht, den man früher bei Sozialdemokraten vermutet hätte, neben dem Historiker Losurdo und den Vertretern der griechischen KKE zwar die Bewegungslinke, war aber bei aller Kritik an dem Entwurf des reformistischen Parteiflügels der Linken, Forum Demokratischer Sozialismus, zur EU von einer gewissen programmatischen Indifferenz bestimmt. Er habe ja nichts dagegen, wenn sich die Linke auch in den Parlamenten tummelt, um vorhandene Strukturen zu nutzen und den eigenen Positionen eine Bühne zu geben, wenn man den Menschen nur klar mache, daß die Probleme von unten gelöst werden müssen. Die Kritik des ehemaligen Kandidaten der Berliner WASG an der Linken war allemal berechtigt, allerdings ließ sein Rundumschlag gegen etablierte Positionen erkennen, daß man gerade nicht darauf verzichten kann, sich auf grundlegende Weise über die eigene Position und ihre Wirksamkeit wie Korrumpierbarkeit klarzuwerden. Kronawitters Kernaussage, daß der Feind auf dem eigenen Kontinent stehe, überzeugt nur in bezug auf die opportunistische Politik der EU gegenüber den USA, kann aber nicht bedeuten, daß man den von dort ausgehenden, supranational entuferten Imperialismus geringer schätzt als den des europäischen Legitimationsproduzenten und Erfüllungsgehilfen.

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Domenico Losurdo wartete demgegenüber mit einer ebenso differenzierten wie entschiedenen Position auf. Ohne den imperialistischen Charakter der EU zu verharmlosen, rückte er doch den globalstrategischen Entwurf der Herrschaftssicherung seitens der USA in den Fokus seiner Kritik. Er zeigte unter anderem am Beispiel Brasiliens, dem man durchaus Ambitionen des Aufstiegs zu einer kapitalistischen Führungsmacht attestieren kann, die Mängel einer pauschalisierenden Einschätzung auf. So gelte es beispielsweise in Italien, für die Auflösung imperialistischer Vorposten in Gestalt der US-amerikanischen Militärstützpunkte einzutreten, während von brasilianischen Übergriffen keine Rede sein könne.

Stefanos Loukas bekräftigte die Haltung der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE), die den Austritt des Landes aus der EU fordert, weil linke Politik nur gegen oder ohne die EU möglich sei. Während seine Absage an den engeren Zusammenschluß Europas in ihren Gründen deutlich wurde, blieb in der Debatte offen, auf welchem Weg das ausgewiesene Ziel des Rückzugs aus der EU angestrebt werden soll. Selbst wenn dies möglich wäre, bleibt die institutionelle Interdependenz im supranationalen Raum und die Einflußnahme mächtiger nationalstaatlicher Akteure auf dieser Entscheidungsebene ein Problem, dem man mit einem bloßen Rückzug nicht mehr gewachsen wäre als zuvor.

Gegen die imperialistische Ausrichtung der EU zu kämpfen bedeutet, die Politik ihrer größten Akteure zu verändern, die sich der Demokratieferne der EU-Strukturen bedienen, um Entscheidungen durchzusetzen, die auf nationalstaatlicher Ebene absehbar gescheitert wären. Wie im Falle der Wirtschaftskrise, die sich nicht einfach durch das Zurückdrehen des Rades auf den Klassenkompromiß der Systemkonkurrenz bewältigen läßt, weil die dabei entstandenen Widerspruchslagen erst den Aufstieg des neoliberalen Akkumulationsregimes ermöglicht haben, läßt sich die Qualifikation gouvernementaler Verfügungsgewalt nicht einfach durch die Rückkehr zu nationalstaatlichen Formationen aufheben. Die Machtfrage ist dort nur scheinbar leichter zu stellen, weil es sich um einen vertrauten Rahmen handelt, der jedoch durch den Fortschritt der mikroelektronischen Produktionsweise und die weltweite Synchronizität krisenhafter Entwicklungen des Klimas, der Nahrungsmittelproduktion, der Energieressourcen und der kapitalistischen Globalisierung niemals mehr über die gleiche Handlungssouveränität verfügen wird wie zur Hochzeit der modernen Nationalstaaten.

Der Angriff der israelischen Streitkräfte auf den Gazastreifen wirft die Frage des Internationalismus nicht nur hierzulande mit neuer Dringlichkeit auf und verlangt dem gesamten politischen Spektrum eine Parteinahme ab. Damit hat die Rosa-Luxemburg-Konferenz einen Themenkomplex auf ihre Tagesordnung gesetzt, wie er aktueller kaum sein könnte. So prekär der Umgang mit diesem Thema in der Bundesrepublik ist, so kontrovers wird er auch in der Linken diskutiert. Was in Palästina geschieht, ist letztlich nicht von den sozialen Kämpfen in Europa zu trennen, wie unter anderem die am Gazastreifen vollzogene Strategie systematischer Mangelproduktion belegt. Wie immer die ideologischen Differenzen in der Palästinafrage geartet sind, sie sollten kein Anlaß sein, die losen Enden aufgeworfener Fragen zur Solidarität mit den Ausgebeuteten und Unterdrückten sowie zur Durchsetzung kapitalistischer Herrschaft aus der Hand zu geben und darauf zu verzichten, sie zu einem Strang von wachsender Streitbarkeit zu verknüpfen.


 © 2009 by Schattenblick

16. Januar 2009