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INTERVIEW/003: Arnold Schölzel, Chefredakteur junge Welt (SB)


Interview mit Arnold Schölzel auf der XIV. Rosa-Luxemburg-Konferenz am 10. Januar 2009 in Berlin


Der Journalist und Philosoph Dr. Arnold Schölzel hat an der Humboldt-Universität zu Berlin gelehrt und publizierte unter anderem über den marxistischen Sozialphilosophen Karl Korsch. Seit 2000 ist er Chefredakteur der jungen Welt, der einzigen radikal linken Tageszeitung der Bundesrepublik.

Dr. Arnold Schölzel - © 2009 by Schattenblick

Dr. Arnold Schölzel
© 2009 by Schattenblick
Schattenblick: Herr Schölzel, eingangs eine Frage zur Geschichte der jungen Welt. In den 90er Jahren kam es zu einem Bruch innerhalb der Redaktion.

Arnold Schölzel: 1997, da hat sich die Redaktion gespalten.

SB: Daraus ist dann die Jungle World entstanden. Können Sie in groben Zügen erklären, um welche Konfliktpunkte es damals ging?

AS: Schlecht, weil ich damals noch nicht bei der jungen Welt war. Ich bin im Verlauf dieses Konflikts zur jungen Welt gekommen. Daher kenne ich die Gründe nur vom Hörensagen. Ich war zwar schon Autor der jungen Welt, aber nicht Redaktionsmitglied. Daher habe ich von dem, was unmittelbar zu dieser Spaltung geführt hat, nichts mitbekommen. Ich war sehr überrascht.

SB: Wie sieht das Verhältnis zur Jungle World oder zu diesem Teil der Linken insgesamt aus?

AS: Das würde ich als gepflegtes Nicht-Kommunizieren bezeichnen. Also, ich lese Jungle World selten, einige Kollegen verfolgen sie regelmäßig, ich nehme eher Artikel wahr, in denen wir angegriffen werden. Das läuft eigentlich immer noch in denselben Bahnen, in denen das auch 1997 ablief. Ivo Bozic ist für mich so ein Begriff, wo wir dann als Sprachrohr der Hamas in der Bundesrepublik tituliert werden oder ähnliches Zeug.

SB: In welchen Grundzügen würden Sie diese Richtung beschreiben? Es gibt ja solche Überbegriffe wie vielleicht 'kulturalistische Linke' oder ganz schlimm 'Poplinke'.

AS: Das ist schon mein Problem, da habe ich wirklich zu wenig gelesen! Aus der Ferne und aus dem wenigen, was ich wahrnehme, scheint es sich um eine Art postmodernes Verständnis von links zu handeln, das dann gerne als unideologisch bezeichnet wird. Das ist nun ein uralter Hut. Wenn man angeblich unideologisch ist, kommt man irgendwie immer gut im Mainstream an. Darunter wird aus meiner Sicht vor allem verstanden, daß man das, was traditionell als linke Bewegung bezeichnet wird, nämlich Einsatz für die Tradition der Arbeiterbewegung und für emanzipatorische Bewegungen überhaupt zu zeigen, nicht unbedingt Grundlage des eigenen politischen Selbstverständnisses ist, sondern mal dieses, mal jenes fallweise.

SB: Wie würden Sie vom marxistischen Standpunkt, den Sie als Zeitung vertreten, das Verhältnis zum sogenannten Subproletariat, das früher immer als unzuverlässig galt, das heute aber in der Bundesrepublik als anwachsende Menge eigentlich ein politisch relevanter Faktor sein müßte, beurteilen?

AS: Das sogenannte Prekariat.

SB: Gibt es da aus Ihrer Sicht ein Mobilisierungspotential und könnte man unterstellen, daß sich da eine Art neues Subjekt herausbildet, oder halten Sie es eher mit der klassischen Anschauung?

AS: Nein, das ist, das ist zu früh, so etwas zu sagen! Wir sind zwar mitten in einer Wirtschaftskrise, aber es ist nicht sichtbar, daß sich daraus irgendeine soziale Bewegung ergibt. Die Chancen dafür steigen vielleicht. Ich habe vorhin in der neuen UZ ein Interview mit Heinz Stehr gelesen, der meint, Chancen für eine neue APO oder ähnliches zu sehen. Das ist sehr schwer zu beurteilen. Was kann man daraus schließen, was Soziologen und Philosophen zur Bildung dieses Prekariats als Ausdruck dieses völlig entfesselten Kapitalismus der letzten 20, 30 Jahre sagen? Eines Kapitalismus, der zunehmend Schwierigkeiten hat, in der Bundesrepublik dem Durchschnittsfacharbeiter mit Hilfe seines Einkommens im sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis ein Auskommen zu sichern. Das ist ja das Problem, das diese Gesellschaft offensichtlich hat. Aus dem, was die Experten dazu sagen, entnehme ich, daß es durchaus ein Widerstandsbewußtsein, ein Widerspruchsbewußtsein gibt. Das läßt sich überall feststellen. Und das trotz dieser unglaublichen Medienmaschinerie. Stichwort Unterschichten - die neueste RTL-Serie zum Dünnerwerden beschreibt der SPIEGEL als Prekariatsschulung, also man hat eben auch diese unideologischen Vokabeln. Das hätte ich sicher auch in der Jungle World lesen können, wo es eben nicht um Potenzen des Widerstandes ginge.

Das unterscheidet wahrscheinlich junge Welt und Jungle World. Im Prekariat, also bei Leuten, die entweder jung in unsichere Beschäftigungsverhältnisse hineingestoßen werden oder als Ältere hineingefallen sind, nachdem sie diese oder jene Berufskarriere hinter sich haben, da existiert auf unterschiedlicher Ebene und auf unterschiedlichem Niveau natürlich ein Bewußtsein für die gesellschaftlichen Ursachen. Das wird immer wieder festgestellt und es manifestiert sich auch bei bestimmten Gelegenheiten. So etwa bei der Wahlverweigerung, beim Abkoppeln vom Politikbetrieb, wie er von den Massenmedien inszeniert wird. Was in der Tagesschau als Modell für den Mainstream insgesamt gezeigt wird, ist im wesentlichen eine Inszenierung - das Kanzleramt hat gehustet, der Bundestag hat sich geräuspert. Diese Geschichten haben mit den realen Machtverhältnissen, Herrschaftsverhältnissen und dem, was an sozialer Steuerung stattfindet, wenig zu tun.

SB: Stichwort Prekariatsschulung und soziale Steuerung: In der jungen Welt scheinen "biopolitische" Themen, also die Kontrolle und Bezichtigung von Menschen, die rauchen oder angeblich zu dick sind, eher unterrepräsentiert zu sein.

AS: Ich würde sagen, daß es keine zentralen Dinge sind, aber es kommt durchaus vor, daß wir uns damit beschäftigen. Aber es ist sozusagen kein Schwerpunkt der Chefredaktion.

SB: Was sagen Sie zu der Vorstellung, daß sich gesellschaftlicher Fortschritt nur über industrielle Produktivität erzielen ließe, und den Gegenpositionen, die dies bestreiten, indem sie unter anderem an die Ressourcenfrage anknüpfen, aber auch an die Zurichtung des Menschen auf bestimmte Verwertungsstandards und -prozeduren.

AS: Was die Produktivitäts- und Wachstumsproblematik angeht, da bin ich schon der Meinung, daß das grundlegende soziale Problem unter anderem darin besteht, daß die Produktivität in einer hochentwickelten industriellen Gesellschaft wie der Bundesrepublik längst so hoch ist, das die 28-Stunden-Woche auf der Tagesordnung steht. Die Strategien, die Sie eben genannt haben, betrachte ich als Manipulations- und Ablenkungsstrategien, um von der Verkürzung der Arbeitszeit als dem zentralen Problem derjenigen, die nichts zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft, abzulenken.

SB: Um noch einmal auf einen aktuellen Konfliktpunkt zu kommen, der ja auch in der Veranstaltung immer wieder anklang: Das Verhältnis der Linken zu Palästina im allgemeinen und zur Hamas im besonderen. Die junge Welt hat sich da teilweise ziemlich exponiert. Wie beurteilen Sie das Spaltpotential, das in dieser Frage für die Linke steckt? Wie weit müßte die Solidarität mit den Betroffenen inklusive der Hamas, die vorgeblich angegriffen wird, während die palästinensische Bevölkerung die Hauptlast der Zerstörung abbekommt, gehen?

AS: Das muß man im einzelnen von Fall zu Fall sagen, aber es gibt natürlich ein paar Grundsätze. Diese betreffen bei uns in der Redaktion zunächst einmal ganz prinzipiell den Standpunkt des klassischen Völkerrechts. Da sehe ich allerdings nun wirklich langsam ein Alleinstellungsmerkmal der jungen Welt. Unter den Antideutschen in der Linken, die ich gar nicht als links einordnen kann, weil sie beliebig von jeder sozialen, aber auch zivilisatorischen Errungenschaft des Völkerrechts abstrahieren, spielt das überhaupt keine Rolle. Diese Position ist aus meiner Sicht asozial, weil die soziale Frage nie eine Rolle spielt, während es sich bei vielem, was dort als Hintergrund diskutiert wird, natürlich um soziale Fragen handelt. Das gilt gerade auch für den Konflikt Israel-Palästina und im Hintergrund für eine Position der Beliebigkeit im Umgang mit dem Recht, der den rot-grünen und den sozialliberalen Diskurs insgesamt prägt. Als einen repressiven Diskurs, denn wer sich nicht an die Weiterentwicklung des Völkerrechts bindet, der ist eben auch gegen humanitäre Interventionen und für Massaker von Milosevic bis Hamas und alles übrige.

Das ist ein zentraler ideologischer Diskurs und hat deswegen weniger mit diesem oder jenem Ereignis oder mit dieser oder jener Organisation wie der Hamas zu tun. Die Erlebnisse während der letzten zehn Jahre waren immer die gleichen. Wer beim Jugoslawienkrieg sagte, es handele sich um einen Angriffskrieg und die Selbstmandatierung der NATO, der wurde als Milosevicfreund dargestellt. Wer nach dem 11. September sagte, der Kampf gegen den Terrorismus ist eine Frage von Polizei oder Sicherheit, wenn überhaupt, er hat aber nichts, wie im Falle Afghanistans, mit einem Krieg zwischen Staaten zu tun, und wenn er dazu gemacht wird, dann stehen dahinter andere Motive, der wurde als Freund von Mohammed Atta bezeichnet. Das haben wir alles erlebt.

Ich kann Domenico Losurdo von eben zitieren: 'Eine Demokratie ist nur möglich, wenn auch international demokratische Verhältnisse herrschen'. Wir haben aber unter diesem Deckmantel humanitärer Interventionen, Weiterentwicklung des Völkerrechts nichts anderes als eine totalitäre Instrumentalisierung des Völkerrechts für imperiale Aktionen, und zwar in einer einzigen Kontinuität, und das betrifft aus meiner Sicht auch den Konflikt im Nahen Osten und bedingt dann eben auch die Haltung gegenüber einer Organisation wie der Hamas. Ich kann immer nur in den Vordergrund stellen, Israel ist seit 42 Jahren dort der Besatzer, ist laut Völkerrecht dazu verpflichtet, daß die Menschen dort überhaupt leben können. Es gibt das Recht auf Widerstand einschließlich des bewaffneten Widerstands. Israel hat die Hamas selbst gefördert, um die Fatah auszubooten. Das, was die USA und die Briten insbesondere in Afghanistan erleben, spiegelt das im kleineren Maßstab. Hinzu kommt, daß eine Organisation wie Hamas unter der Rubrik islamischer Fundamentalismus oder unter radikalislamisch, wie es immer in der Standardsprache heißt, offensichtlich nicht einfach zu subsumieren ist. Ich habe jetzt die Vokabel 'radikalzionistisch' in einem Artikel gebraucht, weil es mir langsam über die Hutschnur ging.

Das ist offensichtlich eine wirkliche Volksbewegung, die einfach in der Bevölkerung verankert ist, weil keine Alternative da ist. Und wenn es wirklich um einen Krieg gegen die Hamas ginge, dann muß man offensichtlich in Gaza die Hälfte der Bevölkerung ausrotten, wenn man die Hamas vernichten will. Darüber sollte man einmal nachdenken! Den Menschen, vermute ich, geht es wie 99,9 Prozent der Menschen auf der Welt, sie wollen einfach in Ruhe leben und arbeiten, sich vernünftig ernähren, bilden und sich medizinisch versorgen lassen können. Das alles wird unterdrückt, und ich halte es für einen Witz, immer dieses Etikett draufzukleben, auch wenn ich, ehrlich gesagt, mit dem Islam wie mit jeder Großreligion absolut nichts am Hut habe.

Wir hatten auch in der Redaktion Diskussionen. Wir haben von Anfang an, seit Beginn des Irakkrieges, vom irakischen Widerstand gesprochen und haben ja auch Autoren gehabt, die dort aus öffentlich nicht immer zugänglichen Quellen etwas darüber geschrieben haben. Das hat es in den Mainstreammedien nie gegeben. Denken wir einmal an die DKP, die sich völlig auf die Seite der Irakischen Kommunistischen Partei gestellt hat beziehungsweise deren Positionen unterstützt, die also Befürworter des Krieges waren. Wir nicht. Es zeigt sich aus meiner Sicht schon, daß die Heterogenität dieses Widerstands immer klar war, daß er von Linken über Nationale bis zu Rechten und religiös inspirierten Kräften reicht, aber es hat ihn gegeben und es gibt ihn nach wie vor und es ist eines der zentralen Probleme für den Irak und für dessen weitere Entwicklung.

Davor einfach die Augen zu verschließen, indem man sagt, daß, wer überhaupt darüber redet, auf der Seite dieser Leute steht und sie unterstützt, das halte ich für einen schlechten Witz. Domenico Losurdo hat darauf hingewiesen, was es bedeutet, wenn die Linke es nicht schafft, die Islamophobie und die Rede vom Islamfaschismus als das zu entlarven, was es ist, nämlich eine Neuauflage des Antisemitismus des 19. Jahrhunderts. Man kann sich ja die Blogs ansehen, da ist z.B. der englische Arzt aus Pakistan, der sich angeblich die Hände nicht desinfiziert, weil Alkohol in der Lösung ist, und derartige Geschichten! Das läuft ständig über die Mainstreammedien, das ist sehr raffiniert, das wird geschickt gemacht, da sind wir aber wieder am Anfang, ich sehe nicht, daß man damit große Wirkung erzielt.

Nehmen wir doch einmal Roland Koch im letzten Jahr. Die kriminellen Ausländer, die natürlich nur islamisch geprägt waren, das Schlachten in Wohnküchen, gewonnen hat er die Wahl damit nicht. Da sind wir bei diesem Widerspruchsbewußtsein, wo Leute, die nicht organisiert sind, die in dieser auch bewußt herbeigeführten Desorganisationsgesellschaft leben, zu der die Medien beitragen, offensichtlich ein ziemlich klares Bild davon behalten, wer etwas von ihnen will, wer versucht zu manipulieren und wer nicht.

SB: Darf ich Sie noch einmal als Journalist fragen. Wie weit halten Sie es für gerechtfertigt, in Anbetracht der vermeintlichen Objektivität des journalistischen Gewerbes, wirklich Partei zu ergreifen?

AS: Das machen wir.

SB: Dabei stellt man ja fest, daß in der Regel Partei für die Herrschenden ergriffen wird.

AS: Natürlich.

SB: Wie halten Sie es bei der jungen Welt mit dem - in Anführungsstrichen - Anspruch auf journalistische Objektivität?

AS: Das sind die beiden Punkte, die ich genannt habe. Das eine ist, die soziale Frage im weitesten Sinne zu thematisieren und zwar aus der Sicht derjenigen, die untergebuttert werden, getreten werden, die nichts zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft und deren einzige Chance es ist, sich zu organisieren, das heißt in Gewerkschaften oder in anderen Initiativen. Die Rolle der Gesellschaft, aber insbesondere eben auch der Medien besteht darin, nicht nur als Desinformations-, sondern auch als Desorganisationsinstrumente zu wirken. Man kann es auch so sagen: jede Zeitung organisiert auf ihre Weise oder desorganisiert und jede informiert oder desinformiert. Es gibt den berühmten Spruch von Lenin über die Zeitung als den kollektiven Organisator oder Agitator. Das läßt sich auch umdrehen.

Der eine Punkt ist die soziale Frage, natürlich mit Blick auf die Tradition der Arbeiterbewegung und die Geschichte der kommunistischen und sozialistischen Bewegung insgesamt, auf das, was lebendig ist, nicht unkritisch, aber nicht antikommunistisch. Das denke ich, ist überhaupt der Kernpunkt, eben auch, was die Jungle World angeht, wo man in diesem Punkt natürlich jeden antikommunistischen Quatsch mitmacht.

Der zweite Punkt ist die Frage des Völkerrechts. Das ist ein Zivilisationsbruch, den wir erleben, das ist eine Geschichte, die, was das 20. Jahrhundert angeht, sich durchzieht durch den Ersten Weltkrieg, durch den Faschismus und den Zweiten Weltkrieg. Daß das Völkerrecht auch ganz offen ad acta gelegt wird, das scheint mir, war selbst damals nicht der Fall. Man wollte doch irgendwie, auch wenn es einen Kommissarbefehl beim Überfall auf die Sowjetunion gab, nach außen hin mit dem Roten Kreuz und allen anderen noch zusammenarbeiten. Heute schießt man die zusammen. Und sagt, wir exportieren ja eine Demokratie, wir haben das Recht, wir sind ganz einfach besser und haben das Recht, denen, die nicht so weit sind, das beizubringen.

Das denke ich, sind zwei ganz zentrale Punkte - der Verlust des sozialen und des historischen Gedächtnisses und das Völkerrecht und natürlich das Recht insgesamt. Das setzt sich ja fort, als Repression, Demokratieabbau, der Umgang mit Migranten und, was Sie genannt haben, Körperpolitik.

SB: Unsere letzte Frage betrifft die Herkunft der jungen Welt in der DDR. Reflektiert sich das heute noch in irgendeiner Form in der Redaktion und in der Belegschaft als eine Art von Ost-West-Antagonismus?

AS: Das ist vorbei. Nach dem, was ich von dieser Spaltung 1997 weiß, war einer der Gründe, daß es sozusagen eine Ost-West-Konfrontation innerhalb der Redaktion gab. Zusammengefaßt soll es so gewesen sein, daß diejenigen, die Jungle World gemacht haben, gesagt haben, die Ossis sind von Natur aus blöd und stellen keine Klientel dar für eine linke Position. Die sind Nationalisten und wollten nur in die große deutsche Nation, während die anderen eben diese Position eingenommen haben, die ich versucht habe zu skizzieren. Das spielt heute keine Rolle mehr. Das ist wirklich vorbei, wir leben in anderen Zeiten.

Das ist eher eine Geschichte, die mit einzelnen Personen verbunden ist. Wir haben zwei, drei Kollegen, die schon zu DDR-Zeiten in der jungen Welt waren, die aber nicht als Redakteure arbeiten. Ich glaube, in der Redaktion sind die jungen Westdeutschen in der Mehrheit. Es ist eben auch ein Diskurs, der eine große Rolle im Selbstbestimmungsprozeß der Bundesrepublik spielt. Es herrscht ein Phantomschmerz, daß die DDR weg ist, so daß man immer wieder versucht, sie mit galvanischen Mitteln wiederzubeleben ...

SB: Sie ist nützlich, wenn man sie nicht hätte, müßte man sie erfinden.

AS: So ist es, von der Birthler-Behörde bis eben der Frau am Checkpoint Charlie, also Schmonzetten reinsten Wassers, von denen zwar von hinten bis vorne nichts stimmt, wo aber eben dann Veronika Ferres und die Frau, um die es da geht, anschließend bei Anne Will eine Stunde sitzen und die DDR erklären. Frau Ferres als Expertin und die Frau, die ehrlich gesagt zu ihren dicken Bananen wollte und eben ihre Kinder hier gelassen hat und dann von Zwangsadoption redet, das ist das, was läuft. Das regt einen als Journalisten schon einmal an, ein bißchen nachzuforschen, um so etwas aufzudecken. Dann ist es natürlich Aufklärung über einen Gründungsmythos, den sich die Herrschenden in der Bundesrepublik und die Medien offenbar schaffen wollen. Als sei die Bundesrepublik etwas, das kurz vor dem Höllenschlund, den die DDR darstellte, gerettet worden wäre. Um Hermann Gremliza, mit dem ich ja sonst nicht unbedingt übereinstimme, zustimmend zu zitieren: Wer nie einen Richter des Volksgerichtshofs vor Gericht gebracht hat, der kann das natürlich nur dadurch wieder gutmachen, daß er keinen engagierten DDR-Bürger laufen läßt. Also wenn man allen Nazis dicke, fette Pensionen bezahlt hat, bis sie im Bett gestorben sind, dann muß man natürlich jeden Volkspolizisten, der 1950 ein Huhn geklaut hat, immer noch verfolgen und die Gesetze verlängern.

Das ist inzwischen, würde ich sagen, auch etwas ziemlich Abgehalftertes mit sehr wenig Wirkung im Osten, so daß man fast den Eindruck haben kann, daß es vor allem für den Westen gemacht wird, einfach weil es Humbug ist für jeden, der auch nur ein bißchen davon miterlebt hat. Aber es ist offensichtlich doch ein ganz zentraler Punkt in der sogenannten staatsbürgerlichen Bildung, die hierzulande verabreicht werden soll. Und natürlich auch eine Impfung, nie wieder auf den Gedanken zu kommen, es anders zu machen.

Die BILD-Zeitung bringt heute drei Seiten Christian Klar. Ich sprach vorhin mit einem Taxifahrer darüber, in Berlin lebt die halbe RAF. Sie haben diese Konferenz nicht erwähnt, sie haben die linken Veranstaltungen am morgigen Tag nicht erwähnt, und der Taxifahrer sagte dann: Na ja, wenn's eben wirtschaftlich abwärts geht, dann muß man so draufhauen und dagegenhalten. Und links gleich Terror, links gleich terroristische DDR, das ist dann natürlich das gefundene Fressen.

SB: Kann man sagen, daß die junge Welt als Zeitung aufgrund der Krise mehr Zuspruch erhält?

AS: Im Moment merken wir das nicht. Wir haben mit dem Parteibildungsprozeß sehr viel Zuspruch gewonnen, aber im Moment, so wie die Linke insgesamt nicht sehr engagiert ist, was Krisenbekämpfung angeht, das merken wir auch. Also es ist ziemlich ruhig geworden, das wünschen wir uns natürlich anders, denn wir sind nach wie vor auf Abonnements ausschließlich praktisch angewiesen, das gehört eben dazu, wenn man unabhängig sein will. Also, um es auf Formeln zu bringen, kann man es auch so sagen: Wir wollen die Verhältnisse schon so beschreiben, daß sie vielleicht eventuell mal zum Tanzen gebracht werden. Das heißt harte Informationen, qualitativ hochwertigen Journalismus bieten allerdings aus einer anderen Perspektive über die Verhältnisse, das ist das A und O. Das zweite wäre für mich das Geheimnis, wie Kriege entstehen, immer mal wieder beleuchten und nach oben kehren, da haben wir in beiden Punkten eben wirklich sehr gute Autoren, denke ich, die das leisten. Und das dritte ist, was die linke Bewegung angeht, jeder wirklich praktische Schritt ist wichtiger als hundert Programme.

Darüber debattieren wir dann auch in der Redaktion: 'Ja, die Sozialinitiative, Hartz IV, die Montagsdemos und so weiter, das ist nichts!' Ich sehe das dann schon anders, denn da manifestiert sich Widerspruchsbewußtsein. Da es keine linke Massenpartei gibt, ist das erst einmal die Form, in der sich das manifestiert. Aber es manifestiert sich natürlich auch in anderer Weise bis hin natürlich zu denen, wo man politisch darüber diskutieren muß, die Gewalt eingesetzt haben oder eben in anderen Ländern auch heute der Meinung sind, Gewalt einzusetzen. Auch das muß man sachlich diskutieren, das ist vom linken Standpunkt eben, was wirkliche Bewegung angeht, diese Frage: Ist das dann noch die Bewegung oder ist es eher gegen die Entwicklung einer Bewegung gerichtet?

SB: Kann man sagen, daß die junge Welt gegenüber der etablierten Parteienlandschaft, also auch der Linken, in kritischer Distanz verbleibt?

AS: Na ja, kritisch ist untertrieben. Das ist ein DDR-Erbe. Wir werden von vielen Funktionären, die aus der alten SED oder der PDS inzwischen auch kommen, wie Vatermörder betrachtet, wenn wir uns kritisch gegenüber der Linken verhalten, gegenüber der neoliberalen Politik, die sie zusammen mit der SPD in Berlin betreibt. Dann reden die nicht mehr mit uns, verweigern auf völlig unprofessionelle Weise Interviews, als wären wir Familiennestbeschmutzer. Wir haben zu anderen in der Bundestagsfraktion der Linkspartei - Ulla Jelpke sitzt gerade auf dem Podium - natürlich ein sehr gutes Verhältnis, was uns auch wieder sehr hilft angesichts der schwachen Ressourcen. Die Autonomie der Redaktion ist ein sehr, sehr hohes Gut. Wir entscheiden, zu wem wir auf Distanz gehen und mit wem wir kooperieren. Wir halten in Bezug auf die Linke insgesamt, also auf die Parteien und auf die Organisationen, ich würde sagen, diese gebotene journalistische Distanz.

SB: Vielen Dank, Herr Schölzel. Das ist ein schönes Schlußwort.

Arnold Schölzel im Gespräch mit Stefan Kroll - © 2009 by Schattenblick

Arnold Schölzel im Gespräch mit Stefan Kroll
© 2009 by Schattenblick


21. Januar 2009