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INTERVIEW/111: Kongreß Kurdischer Aufbruch - Solly Mapaila zum südafrikanischen Befreiungskampf (SB)


"Links zu sein bedeutet, daß man sich viel mehr um die eigentlichen Lebensumstände und das Wohlergehen der Menschen kümmert"

Interview mit Solly Mapaila am 4. Februar 2012 in der Universität Hamburg


An dem Kongreß "Die kapitalistische Moderne herausfordern - Alternative Konzepte und der kurdische Aufbruch" nahmen getreu der internationalistischen Programmatik auch mehrere Referenten aus fernen Ländern teil. Einer von ihnen war Solly Mapaila vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP), der wie berichtet [1] über die Erfahrungen des südafrikanischen Befreiungskampfes gesprochen und diesen in Beziehung zu der heutigen kurdischen Bewegung gestellt hatte. Am Rande des Kongresses ergab sich für den Schattenblick die Gelegenheit, Herrn Mapaila einige weitere Fragen zu stellen.

Solly Mapaila mit SB-Redakteurin und -Redakteur - Foto: © 2012 by Schattenblick

Solly Mapaila mit SB-Redakteurin und -Redakteur während des Interviews
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick (SB): In der Grußbotschaft von Antonio Negri zu dem Kongreß war vom Niedergang des Nationalstaats die Rede und einer extremen Mitte als einem postideologischen Punkt. Gehen Sie als Repräsentant der Kommunistischen Partei Südafrikas damit konform, daß sich rechte und linke Ideologien verschmolzen hätten?

Solly Mapaila (SM): Ideologisch gesehen natürlich nicht. Politisch gesehen, in Hinsicht auf die aktuelle Kurdistan-Frage, würde ich dies bejahen, weil die nationale Befreiungsbewegung die Gegensätze zwischen linker und rechter Ideologie überwinden muß.

SB: Ihre Partei hat den Anti-Apartheidskampf von Anfang an mitgetragen und ihren eigenen, wenn man so will klassenkämpferischen Ansatz zugunsten eines breiter aufgestellten Kampfes gegen das Apartheidsregime zurückgestellt. Wie stark waren sozialistische Positionen innerhalb des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC)?

SM: Für uns war es sehr wichtig gewesen zu berücksichtigen, daß es eine Verbindung zwischen der nationalen Frage und der Klassenfrage gibt. Selbstverständlich stand die Kommunistische Partei an vorderster Front im Kampf gegen Klassenausbeutung und Klassenunterdrückung und für den Sozialismus. Aber andererseits war uns auch klar geworden, daß wir uns, um eine Gesellschaft frei von Klassen und ohne Unterdrückung zu erreichen, auch am nationalen Befreiungskampf beteiligen müssen. Die (schwarze) Arbeiterklasse Südafrikas wurde als Nation von einer kapitalistischen Regierung der weißen Rasse unterdrückt. Und so mußten wir analysieren, was für uns wichtiger war. Tatsächlich war die Kommunistische Partei 1927 die erste Partei gewesen, die sich für eine Mehrheitsregierung und für ein nicht an der Rasse orientiertes Südafrika eingesetzt hat. Auf dieser Basis war es für uns einfach gewesen, die nationale Befreiungsbewegung als führende Kraft in diesem Befreiungskampf zu akzeptieren. Und das taten wir auch. Aus diesem Grund übernahm die Kommunistische Partei die Verantwortung für einige der schwierigsten Aufgaben der Revolution, beispielsweise den bewaffneten Kampf. Während die Bewegung von der Kommunistischen Partei und dem ANC gemeinsam gegründet wurde, standen kommunistische Kader an der vordersten Front des Befreiungskampfes.

SB: Südafrika ist heute noch auf dem afrikanischen Kontinent das Land mit der größten Kluft zwischen den Reichen und den Armen. Könnte dies als eine Folge der damaligen Positionierung des Anti-Apartheidskampfes und speziell auch Ihrer Partei aufgefaßt werden?

SM: Nicht zwingend. Ich denke, es liegt an der demokratischen Regulierung, die inzwischen stattgefunden hat. Der Apartheid-Kapitalismus hat von den neuen Bedingungen profitiert. Ursprünglich konnte er keinen internationalen Handel treiben. Jetzt hat er diese Möglichkeit und macht deshalb mehr Profit, als er es in der Zeit der Apartheid konnte. Das Großkapital profitierte von der neuen Zeit weitaus mehr als die meisten Menschen. Aber das heißt nicht, daß der Befreiungskampf den Menschen nichts genützt hätte. Sozial und politisch gesehen und auch auf andere Weise hat er der Mehrheit der Menschen einen großen Nutzen gebracht. Aber in Begriffen der Profitkalkulationen kapitalistischer Unternehmen gerechnet erscheint dies im Vergleich zu dem, was die gewöhnlichen Menschen an Geld verdienen, als Ungleichgewicht. Das liegt nicht unbedingt an der Qualität des Kampfes, sondern daran, daß die Veränderungen den kapitalistischen Unternehmen mehr Rechte verschafft haben, durch die sie mehr und mehr profitieren können.

SB: Ihr Parteikollege Denis Goldberg, der sich zur Zeit auch in Deutschland aufhält, hat in diesem Zusammenhang von Korruption gesprochen. Wie stehen Sie dazu?

SM: Korruption ist eine schwere Krankheit, die unsere Gesellschaft befallen hat. Aber Sie müssen verstehen, daß das kapitalistische System an sich total korrupt ist. Unter den neuen Bedingungen in Südafrika, die es dem Kapitalismus zu gedeihen erlaubten, erblühte natürlich auch die Korruption. Es gibt beispielsweise eine enorme Korruption in Verbindung mit staatlichen Beschaffungsaufträgen, aber das heißt auch, daß das Großkapital daran beteiligt ist. Mit dem Problem der Korruption befaßt sich eine große Antikorruptionskampagne, die die Kommunistische Partei in den zurückliegenden Jahren ins Leben gerufen hat. Wir haben diese Kampagne im ganzen Land, in Städten und Gemeinden, aber auch in landesweit organisierten Märschen durchgeführt. Es muß aber auch gesagt werden, daß die Regierung sehr entschieden gegen diese Form der Korruption vorgegangen ist. Letztes Jahr beispielsweise verkündete Präsident Zuma die eigenhändige Untersuchung von achtzehn großen Korruptionsfällen, was zeigt, daß das Großkapital nichts dafür tut, die Korruption zu stoppen.

Solly Mapaila vor dem Pädagogischen Institut der Uni Hamburg - Foto: © 2012 by Schattenblick

Historische Fragen und Themenstellungen von aktueller Relevanz
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Hier auf dem Kongreß ist auch die Rede davon gewesen, Abdullah Öcalan sei der Nelson Mandela der kurdischen Bewegung. Würden Sie dem zustimmen?

SM: Absolut. Ich denke, sie weisen dieselben charakteristischen Merkmale auf. Beide sind Männer mit großer Tatkraft, die ihre Völker anführen, großartige Menschen und engagierte Kämpfer. Ich glaube, daß sie viele Gemeinsamkeiten haben und finde, wir sollten die Gelegenheit nutzen, Abdullah Öcalan mehr Hilfe und mehr Kraft zu wünschen in diesen schwierigen Zeiten [2].

SB: Es gab einen friedlichen Übergang von der Apartheid zur neuen Staatsform. Wäre es möglich, daß Nelson Mandela als eine Art Geisel gehalten wurde, um einen Aufstand zu verhindern und den Zusammenbruch des ganzen Systems?

SM: Nein. Zu der Zeit, als Nelson Mandela entlassen wurde, war das System am Zusammenbrechen. Es konnte sich auf die bisherige Weise nicht länger halten. Die Menschen waren viel zu sehr mobilisiert. Sie waren auf den Straßen, stellten Forderungen und verlangten nach Freiheiten. Auch die Entlassung von Nelson Mandela und anderen politischen Gefangenen wurde gefordert. Zur selben Zeit brach die Nationale Partei selbst in zwei Teile. Wie wir wissen, war der letzte gewählte Apartheidführer Peter William Botha. Er konnte seine Amtszeit nicht zu Ende führen. Seine eigene Partei implodierte. Nachdem sie Botha entfernt hatten, kam Frederik de Klerk ins Amt. Das Regime sah sich gezwungen, ein Referendum abzuhalten als Antwort auf die schwarze Frage. Es gab zuviel Druck auf die Regierung, und so war sie der Ansicht, die weißen Wähler befragen zu müssen, ob sie das demokratische System akzeptieren würden oder nicht. Und die Weißen akzeptierten dies aufgrund der aktuellen Entwicklung im ganzen Land. Es gab eine Notwendigkeit, sich nach vorn zu bewegen und ein demokratisches System zuzulassen. Vor diesem Hintergrund wollte sich Botha dem Ergebnis des Referendums widersetzen, also hatten sie angesichts dessen keine andere Wahl mehr, als ihn zu entlassen.

SB: In Europa gibt es die Totalitarismustheorie, die auf einer Gleichsetzung zwischen Faschismus und Kommunismus als zwei diktatorische Systeme beruht. Auf diesem Wege sollen kommunistische Positionen kriminalisiert werden. Wäre es vor diesem Hintergrund Ihrer Meinung nach sinnvoll, würde sich die kurdische Bewegung ihrer sozialistischen Ideologieanteile immer mehr entledigen oder sollte sie daran festhalten, links zu sein?

SM: Die kurdische Bewegung sollte daran festhalten, links zu sein. Links zu sein bedeutet, daß man sich viel mehr um die eigentlichen Lebensumstände und das Wohlergehen der Menschen kümmert, als wenn man auf der Seite der Rechten steht. Wenn sie rechtsgerichtet wäre, würde sie anfangen, sich auf den Aufbau des Kapitalismus in Kurdistan zu konzentrieren. Ich denke, sie sollte sich durch das, was im übrigen Europa geschieht, nicht von ihrem Weg abbringen lassen. Nebenbei bemerkt fangen viele Länder in Europa - einschließlich Rußland - an, die Rolle, die sie in dieser Auseinandersetzung eingenommen haben, zu bedauern, weil die Mehrheit der Menschen leidet und es kein soziales System gibt, das ihnen wirklich helfen kann. Als ich jetzt nach Europa kam, hörte ich, daß über 160 Menschen gestorben sind aufgrund der Kälte. In einem sozialistischen System hätte es nicht passieren können, daß Menschen unter den Brücken schlafen müssen, weil sie keinen Platz haben, an dem sie bleiben können. Das gehört zu den Versäumnissen des kapitalistischen Systems.

SB: Eine letzte Frage noch: Es gibt Parallelen zwischen den Befreiungsbewegungen in Palästina, in Kurdistan, dem Baskenland und der Westsahara. Wie positioniert sich die heutige Regierung Südafrikas, die ihre Wurzeln in demselben Kampf hat, zu diesen Konflikten?

SM: Unsere prinzipielle Einstellung ist, daß wir mit allen unterdrückten Völkern in der ganzen Welt solidarisch sind. Aber was die Bewegung in Palästina angeht, so verbinden uns historische Beziehungen speziell mit ihr. Wir haben uns schon vor langer Zeit in unseren Möglichkeiten unterstützt. Die palästinensische Fatah hat uns in unserem Befreiungskampf unterstützt. Wir verdanken also den Erfolg unserer Revolution auch dieser Bewegung. Deshalb beruht unsere Unterstützung für die Palästinenserbewegung einer prinzipiellen Verbindung zu unseren Brüdern und Schwestern, nur eben auf einem anderen Kampffeld und einer anderen Umgebung. Wir kämpfen heute in einem anderen Umfeld, und so ist es vielleicht ein Zeichen, daß wir den kurdischen Befreiungskampf unterstützen und für die Freiheit des kurdischen Volkes, über sich selbst bestimmen zu können, eintreten.

SB: Vielen Dank, Solly Mapaila, für dieses Gespräch.

Solly Mapaila mit SB-Redakteurin - Foto: © 2012 by Schattenblick

Solly Mapaila mit SB-Redakteurin im aus südafrikanischer Sicht ungewohnt kalten Hamburg
Foto: © 2012 by Schattenblick

Anmerkungen:

[1] Bericht zum Vortrag Mapailas:
http://schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0098.html

[2] Abdullah Öcalan befindet sich seit 13 Jahren auf der Gefängnisinsel Imrali in Isolationshaft. Seit Juli vergangenen Jahres wird auch seinen Anwälten jeglicher Zugang zu ihm verwehrt. Am 18. Februar demonstrierten nach Polizeiangaben 15.000 Menschen im französischen Straßburg für die Freilassung Öcalans. Mahmut Sakar, einer der Anwälte Öcalans, kritisierte in Straßburg das fortgesetzte Schweigen des beim Europarat angesiedelten Komitees zur Verhütung von Folter (CPT) zu den Haftbedingungen seines Mandanten.

(Fortsetzung folgt)


22. Februar 2012