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INTERVIEW/131: Occupy Kassel zwischen Kunst und Protest (SB)


Interview mit Daniel am 31. August 2012 in Kassel



Kurz vor einer Demonstration gegen den Export deutscher Panzer in alle Welt [1], die im Rahmen der Kasseler Aktionstage gegen Rüstungsindustrie und Militarismus stattfand, beantwortete Daniel von Occupy Kassel dem Schattenblick einige Fragen.

Transparent 'Tents Not Tanks' - Foto: © 2012 by Schattenblick

Aufruf zur Demo vor Occupy-Camp
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Ich hatte angenommen, daß inzwischen alle Occupy-Camps geräumt sind. Wie kommt es, daß ihr noch hier seid?

Daniel: Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen sind wir im Rahmen der documenta hier aufgeschlagen und haben den Platz okkupiert. Die documenta hat hier bis zum 16. September Hausrecht. Das heißt, die Polizei und das Ordnungsamt können nur dann etwas machen, wenn die documenta das wünscht oder verlangt. Die Stadt Kassel hätte uns natürlich schon nach zwei Tagen weggeräumt, aber das ging eben nicht, weil die documenta gerade hier ist. Es sind auch nicht alle Camps weg. Die beiden symbolträchtigsten in Frankfurt und Düsseldorf sind weg, zumindest im Moment, aber es gibt andere Camps, die noch stehen, auch wenn sie jetzt teilweise auslaufen. Wir werden dann sehen müssen, wie es weitergehen kann, aber wir sind bei weitem nicht das letzte Camp.

SB: Rechnet ihr damit, daß geräumt wird, wenn die documenta ihre Tore schließt?

D: Soweit wird es nicht kommen. Da die anderen Camps geräumt wurden, und wir natürlich ein Interesse an guten Pressemeldungen haben, werden wir wahrscheinlich das erste Occupy-Camp sein, das sich selbst wegräumt, natürlich mit einem großen Paukenschlag am Schluß samt einer kleinen Kunstperformance. Eine Meldung wie 'Occupy-Camp in Kassel ist geräumt' bewegt niemanden mehr. Das kennt man schon. Deshalb haben wir uns gesagt, wir machen statt dessen etwas anderes, aber die Einzelheiten sind noch nicht spruchreif. [2]

Im Interview - Foto: © 2012 by Schattenblick

Daniel von Occupy Kassel
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Denkt ihr auch über andere antikapitalistsche Aktionsformen als Camps nach?

D: Die Camps sind reine Symbolik. Es findet viel mehr statt, als daß ein paar Leute nur Zelte aufschlagen. Die Symbolik wurde geschaffen, um öffentliche Räume in Form eines Camps zu besetzen. Insofern wird Occupy das mit Sicherheit auch noch eine ganze Zeit so beibehalten, wobei die eigentliche Arbeit und Kraft nicht in den Camps steckt. Der öffentliche Raum, den man symbolisch besetzt, dient der Diskussion um das System. Insofern ist es nicht entscheidend, ob nun irgendwo ein Camp steht oder nicht. Es wird immer wieder irgendwo ein Camp auftauchen.

SB: Die Occupy-Bewegung ist zumindest unter diesem Namen ein Jahr alt und hat ziemlich viel Aufsehen erregt. Nachdem in der bürgerlichen Presse im Frühstadium prinzipiell Zustimmung vorherrschte, hat es in Frankfurt unterdessen eine regelrechte Hetzkampagne gegeben. Wie erklärt ihr euch diesen Sinneswandel?

D: Occupy war von Anfang an darauf ausgelegt, einen sehr langen Zeitraum in Anspruch zu nehmen. Insofern denke ich, daß das Durchhalten derer, die das Ganze gestartet und bis heute vorangetrieben haben, der Sache ein gewisses Maß an Glaubwürdigkeit gibt. Es zeigt, daß die Leute, die daran beteiligt sind, ernste Absichten haben, und es nicht nur ein kurzer Aufschrei und dann wieder vorbei ist. Letzteres macht unsere Politik tagtäglich. Ich denke, die Zeit war nötig, um auch den Presseleuten zu beweisen, daß es ein paar Leute gibt, die es ernst meinen und das Ganze nicht aus Jux und Dollerei betreiben.

'DIE EROBERUNG DES RAUMS - dAS RUDEL (2012)' - Foto: © 2012 by Schattenblick

Beuys-Persiflage mit Rollatoren
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Wie steht ihr zu den Vorwürfen, die in Frankfurt erhoben wurden, daß nur sozial Schwache, Roma und Migranten im Camp gewesen wären, die eigentlich kein politisches Anliegen hätten? So hat es auch im Gerichtsurteil gestanden. [3]

D: Frankfurt stellte eine neue Art des Protestes dar, mit der man noch keine Erfahrung hatte, und so ist man in die typischen Systemfallen hineingestolpert. Tatsache ist, daß die Stadt Frankfurt zu den Leuten in den Sozialämtern und Obdachlosenvereinen gesagt hat, wenn ihr ein Dach über dem Kopf braucht, dann geht ins Occupy-Camp. Die Occupyer, die dort am Anfang waren, haben sich an den Slogan von den 99 Prozent, die sie vertreten, gehalten. Das machte es notwendig, jeden, der kommt und Interesse am Camp hat, aufzunehmen. Allerdings haben sie nicht erkannt, daß irgendwann mehr und mehr Leute in dem Camp saßen, die mit Occupy im Grunde genommen nichts am Hut hatten. Das hat dazu geführt, daß die eigentlichen Aktivisten bei den Abstimmungen - weil in den Camps immer alles basisdemokratisch entschieden wird - einfach überstimmt wurden. Diejenigen im Camp, die eigentlich keinen politischen Hintergrund hatten, stimmten entgegen der eigentlichen Aktivistenmeinung ab. Und Abstimmung ist Abstimmung. Wenn man keinen Konsens finden kann, dann gilt als Notlösung immer noch die Mehrheitsentscheidung. So war mit den Leuten, die keine politischen Absichten hatten, kein Konsens möglich, und die Mehrheitsentscheidung fiel zu Gunsten derer aus, die die größte Gruppe dargestellt hatten, und das waren ebenjene Leute, die von der Stadt geschickt wurden.

SB: Also fand keine Politisierung im Sinne eines Widerstands statt?

D: Teilweise ließen sie sich politisch aktivieren, aber der allergrößte Teil war einfach nur froh, einen Ort zu haben, wo er vorübergehend bleiben konnte. Ansonsten hat sie nichts angetrieben. Das war der Fehler der noch jungen Occupy-Bewegung, die einfach keine Lösung für die Leute hatte, die zwar mitcampen wollen, aber dies nicht aus politischen Absichten heraus tun. Inzwischen haben wir eine Lösung, die in diesem Camp auch angewendet wurde.

SB: Wie habt ihr das hinbekommen?

D: Wir haben von Anfang an gesagt, daß wir hier im Prinzip ein politisches Aktivistencamp und kein Sozialcamp sind. Der eine oder andere hat zwar zugegeben, privat einige Probleme zu haben, beispielsweise suchtkrank zu sein, aber daß er sich dennoch einbringen möchte. Dann haben wir gesagt, das ist okay, mach mit. Aber wenn jemand schon betrunken hier ankam, haben wir gesagt, sorry, so nicht. Das hat funktioniert, und so hat sich dann relativ schnell in der Stadt herumgesprochen, daß wir kein Sozialcamp sind. Das Problem war dann nach drei oder vier Wochen von ganz allein gelöst, weil niemand mehr gekommen ist, der keine politische Absicht hatte.

Zeltaufschrift 'We Are All Monkeys In The Art Zoo' - Foto: © 2012 by Schattenblick

Auch Subversion kann vereinnahmt werden ...
Foto: © 2012 by Schattenblick

Zeltaufschrift 'Resist Repressive Tolerance ...' - Foto: © 2012 by Schattenblick

... wofür die documenta ein anschauliches Beispiel gibt Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Wie fühlt ihr euch hier auf der documenta, die ja eigentlich ein Teil des Kunstbetriebs ist?

D: Klar, die documenta ist im Prinzip ein Bestandteil des Systems, das wir ablehnen. Deshalb war es natürlich schwierig, am Anfang einen Umgang mit der documenta zu finden. Aber nachdem die Kuratorin der documenta uns gesagt hat, daß das, was Occupy macht, für sie völlig rechtens und legitim ist und sie es toll findet, daß es Leute gibt, die öffentliche Plätze besetzen, um die Diskussion um das System in die Öffentlichkeit zu tragen, hatten wir keine Bedenken mehr. Sie hat dann gesagt, wenn ihr keinen Mist baut, könnt ihr bis zum Ende meiner documenta hier sitzen bleiben. Das hat mit dem Hausrecht zu tun, das die documenta hier auf dem Platz besitzt. Und weil Geben und Nehmen die Menschen eigentlich immer schon ausgemacht hat, haben wir uns dazu entschlossen, zwar die Gelegenheit zu nutzen, die uns gegeben wurde, aber nicht aktiv gegen die documenta zu protestieren. Das wäre unlauter. Wir wollen nicht auf der einen Seite die Hand aufhalten und Dankeschön sagen, daß wir hier sitzenbleiben dürfen, und am nächsten Tag wettern, ihr seid auch bloß Kapitalisten. Das ist eine Sache des Anstands. Also haben wir uns für die Chance und Gelegenheit bedankt, und ich hoffe, wir werden sie gut nutzen.

Transparent für Tierbefreiung - Foto: © 2012 by Schattenblick

Appetitbremse für Kassler Rippchen
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Es gibt in der Linken teilweise negative Aussagen über die Occupy-Bewegung, daß sie den Kapitalismus generell nur reformieren möchte und lediglich eine gerechtere Verteilung anstreben würde. Wie ist die politische Position der Leute hier im Camp? Habt ihr einen antikapitalistischen Standpunkt?

D: Der allergrößte Teil der Kernbewegung, die Occupy vorantreibt und auch als Chance sieht, sind keine Reformer. Wir wollen einen Systemwechsel. Die autonome Linke steht irgendwo links von der Linkspartei und glaubt schon seit 20 Jahren, irgendwelche Lösungsbücher in der Tasche zu haben. Es war noch keiner hier und hat mit uns geredet, und wenn doch, dann ist er zumeist auch geblieben. Die Occupy-Bewegung will keine Reform des Kapitalismus. Wir wollen, daß die Leute, die an den richtigen Stellen sitzen oder über die notwendigen Ressourcen und Mittel verfügen, die Systemänderung in Gang bringen. Dazu bräuchte man eine Masse, die den nötigen Druck ausübt, um das hinzubekommen, Leute, die sich bewegen und sagen, wir wissen, daß ihr im Prinzip recht habt und es so nicht weitergehen kann. Laßt uns endlich anfangen. Es geht nicht darum, den Kapitalismus zu reparieren. Wir wollen ein anderes System. Diese Idee gibt es schon seit 150 Jahren. Wegen des Vorteils einiger weniger, dieses symbolischen Prozents, von dem die Occupy-Bewegung in ihrem Slogan spricht - das können auch zehn oder fünfzehn Prozent der Menschen sein, die effektiv von dem System profitieren -, müssen alle anderen entweder schuften oder gar darunter leiden, je nachdem, in welchem Land der Welt man geboren ist. Das kann es doch nicht sein. Die Occupy-Bewegung sagt ganz klar, daß wir eine globale Lösung des Problems brauchen. Das geht nicht national, auch nicht in kleinen Gebieten. Man kann dann natürlich auf kommunale Ansprüche und Notwendigkeiten Rücksicht nehmen, aber insgesamt suchen wir nach einer globalen Lösung, und die ist mit dem kapitalistischen System nicht vereinbar.

Warteschlange vor Fridericianum am Occupy Camp - Foto: © 2012 by Schattenblick

Warten auf Einlaß ins Fridericianum ... was guckst du? Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Habt ihr den Eindruck, daß die Kasseler Bürger, mit denen ihr in Kontakt kommt, auf eure Ideen ansprechbar sind?

D: Da muß man unterscheiden. Diejenigen hier bei uns im Camp sind alle auf der gleichen Linie. Anders ist es mit den Gästen der documenta und den Kasseler Bürgern, die hier vorbeikommen. Das Camp an sich ist eine geschlossene Gruppe, die weiß, was sie will. Wir arbeiten daran, daß es mehr werden. Inwiefern wir damit Erfolg haben, ist eine andere Sache. Bei den Leuten, die hier mit uns reden, ist die Zustimmung riesengroß, und auch diejenigen, die kritisch ankommen, eine halbe oder ganze Stunde mit uns diskutieren und dann gehen, sagen schließlich, eigentlich habt ihr recht. Das Problem ist, daß die wirklichen politischen Gegner, die ganz anderer Meinung sind, sich gar nicht hierher trauen. Sie schicken E-Mails an documenta-Leute oder an die Stadt Kassel und beschweren sich über Gott und die Welt, anstatt hierher zu kommen und die Diskussion mit uns zu führen. Aber gerade darum geht es Occupy, nämlich die Diskussion ums Ganze in die Öffentlichkeit zu tragen. Wenn sich die andere Seite aber nicht traut, hier mitzudiskutieren, dann handelt es sich dabei, wie so oft in Deutschland, um ein speziell deutsches Problem: Über alles meckern, aber nichts tun. Dieses Problem haben wir hier mit Sicherheit auch, aber die Leute, die im Camp sind, oder die Besucher, die hier durchgehen, selbst die, die uns kritisch sehen, sagen beim Abschied, naja, ich habe es vielleicht nicht so ganz verstanden, das Ganze mit der Wirtschaft ist mir zu hoch, aber im Prinzip habt ihr recht, irgend etwas muß sich ändern.

Daniel von Occupy Kassel - Foto: © 2012 by Schattenblick

Die Trommel schlagen für bessere Zeiten
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Ist der Antimilitarismus der heutigen Demonstration für euch ein Thema?

D: Das gehört dazu, und lokal macht eine Demonstration in Kassel Sinn, weil hier Rüstung gebaut wird wie das Topmodell Leopard II. Der Großteil der Occupyer lehnt den Militarismus natürlich ab, weil es ein Fehler des kapitalistischen Systems ist, immer modernere und größere Waffen zu produzieren, um potentielle Gegner - inzwischen wird ja bei Rüstungsgeschichten nur noch von potentiell möglichen Gegner gesprochen -, vielleicht irgendwann in der Zukunft abzuwehren. Was soll der Schwachsinn? Occupy spricht von Geld- und Ressourcen-Verschleuderei, wodurch andere bedroht werden, die dann natürlich auch wieder rüsten, weil sie sich zu Recht bedroht fühlen. Und das alles nur, damit sich ein paar Leute auf ihren Millionen und Milliarden ausruhen können. Das macht doch keinen Sinn.

SB: Daniel, vielen Dank für das Gespräch

Fußnote:
[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0119.html

[2] http://occupy-public-space.com/2012/09/06/documenta-13-possibly-maybe-was-ware-wenn/

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/herr1660.html

Occupy Camp vor menschenleerer Kulisse - Foto: © 2012 by Schattenblick

Postapokalyptisches Lager vor imaginärer Kunstausstellung
Foto: © 2012 by Schattenblick

7. September 2012