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INTERVIEW/158: XVIII. Rosa-Luxemburg-Konferenz - Wo dein Platz, Genosse, ist! (SB)


Die bürgerliche Demokratie rüstet gegen den kommenden Aufstand

Gespräch am 12. Januar 2013 in Berlin


Portrait - Foto: © 2013 by Schattenblick

Gabriele Heinecke
Foto: © 2013 by Schattenblick

Die Hamburger Rechtsanwältin Gabriele Heinecke verfügt über langjährige Erfahrungen mit politischer Justiz. Sie war unter anderem Verteidigerin von Safwan Eid, der 1996 angeklagt war, seine eigene Flüchtlingsunterkunft in Lübeck angezündet zu haben, während die drei Neonazis am Tatort trotz Brandlegerspuren nicht verfolgt wurden. Sie war Verteidigerin von Willi Stoph, sie vertrat die Nebenklage im Prozeß um den Feuertod von Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle und setzte sich für die Entschädigung von griechischen und italienischen Opfern von Massakern von Wehrmacht und SS ein.

Im Rahmen der XVIII. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz, die am 12. Januar 2013 mit mehr als 1800 Besucherinnen und Besuchern in der Berliner Urania stattfand, nahm Gabriele Heinecke an einer Podiumsdiskussion unter dem Titel "Der Feind steht links" zu den Verwicklungen von bundesdeutschen Geheimdiensten und Polizeikreisen mit neonazistischen Strukturen teil [1]. Nach der Veranstaltung beantwortete sie dem Schattenblick einige Fragen.

Schattenblick: Sie haben sehr viele Menschen verteidigt, die normalerweise wenig oder gar keinen Rechtsbeistand haben. Glauben Sie aufgrund Ihrer Erfahrungen noch an den Rechtsstaat?

Gabriele Heinecke: Rechtsstaat ist immer auch eine Frage der Definition. Ich bin mir darüber im klaren, daß es ein Staat ist, dessen Gerichte entsprechend den Gesetzen, die es hier gibt, urteilen. Es gibt viele Gesetze, die mir nicht gefallen, und ich weiß auch, daß in einer sozialeren und menschlicheren Gesellschaft ganz andere Urteile gefällt würden. Das ist eigentlich der Kern davon. Darum glaube ich an gar nichts, weder an den Rechtsstaat noch an sonst irgend etwas, sondern ich sehe mich einem System gegenüber, in dem ich mich möglichst so verhalten muß, daß ich das Gefühl habe, auf der richtigen Seite zu stehen. Bürgerliche Rechte zumindest zu verteidigen und zu erhalten, ist mir wichtig.

SB: Wie schätzen Sie das Rechtsbewußtsein in der Bevölkerung ein? Es werden ja viele neue Paragraphen und Tatbestände geschaffen, die den Menschen wie ein höheres Recht und damit als normal und selbstverständlich erscheinen. Könnte man sagen, daß eine Art Verrechtlichung zuvor umstrittener Interessenlagen stattfindet, die dadurch noch unanfechtbarer werden?

GH: Menschen glauben gern. Sie glauben auch gern an Gesetze und daß diese gerecht sind. Gesetze sind aber, wie man aus der Geschichte weiß, nicht unbedingt gerecht, sondern in der Regel von Interessengruppen gemacht, die in einem Staat das Sagen haben. Mir scheint, daß die Autorität, die gegenüber der Herrschaft empfunden wird, eines der Probleme ist, mit denen wir leben, die wir aber auch zu bekämpfen versuchen müssen, um mehr Selbstbewußtsein und zugleich auch mehr Erkenntnis zu schaffen, so daß sich die Menschen, wenn sie sich in eine soziale Richtung selbstbewußt verhalten, für eine solidarische Gesellschaft einsetzen und nicht mehr daran glauben, daß man Hartz IV empfangen muß, weil es nun einmal so ist.

SB: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, befürworten Sie ein NPD-Verbot.

GH: Nein, ich habe gesagt, es dürfte die NPD gar nicht geben. Im Potsdamer Abkommen und in den Polizeibriefen der Militärgouverneure haben die Alliierten der Bundesrepublik Deutschland eindeutig Vorgaben gemacht, denen zufolge es weder die NPD noch faschistische, militaristische Organisationen geben dürfte. Daß es die NPD gibt, ist bereits der Fehler. Daß nun ein Parteiverbotsverfahren durchgeführt wird, ist eigentlich mit den Vorgaben gar nicht vereinbar. Es gab eine Auseinandersetzung zwischen dem Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts und des Verfassungsgerichts in Nordrhein-Westfalen Michael Bertrams und dem ehemaligen Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem darüber, ob die Demonstrationsfreiheit auch für Neonazis gelte. Bertrams ist der Überzeugung, daß sie für die Nazis nicht gelte, weil sie genau das tun, was der Demokratie die Kehle zuschnürt und es anderen unmöglich macht, bürgerliche, demokratische Rechte wahrzunehmen. Das ist, wie ich finde, eine sehr ordentliche Haltung, die ich auch unterstütze. Ich glaube, daß man die Diskussion auf diese Art und Weise fördern sollte und daß man sich klar darüber sein muß, was Faschismus und Faschisten eigentlich wollen und was es bedeutet, Faschisten so viel Raum zu geben.

SB: Man gerät in schwieriges Fahrwasser, wenn man Verbote gegen die Rechte fordert, aber im Grunde auch weiß, daß dies auf die Linke zurückschlagen könnte. Sehen Sie das auch so?

GH: Ja, es wird so getan, als wäre rechts gleich links. Das ist der grundlegende Fehler. Aber genau das will man uns glauben machen. Wenn man ehrlich ist, kann rechts nicht gleich links sein. Rechts will Unterdrückung von Meinungen und eine rigorose Ausbeutung von Menschen, wie es während des deutschen Faschismus geschehen ist. Das ist nichts, was eine wirkliche Linke will, nämlich ein solidarisches Zusammenleben, das sich eben dadurch auszeichnet, daß es keine Ausbeutung und Unterdrückung des anderen gibt. Im Prinzip soll keiner unter einem und keiner über einem stehen, sondern es soll eine wirkliche Demokratie für diejenigen sein, die an unterster Stelle der Gesellschaft nichts anderes haben als ihre Arbeitskraft. Wenn es keinen Grund gibt, andere zu unterdrücken und auszubeuten, dann steht das dem, was die Faschisten wollen, diametral entgegen. Weil dieser Staat aber ein kapitalistischer Staat ist, der keine Gesellschaft fördert, in der Ausbeutung nicht stattfindet, haben wir die Situation, die wir heute auch diskutiert haben, nämlich daß die Rechte ideologisch gesehen diesem Staat tendenziell näher ist als die Linke.

SB: Die NPD wirkte jahrelang relativ schwach und unbedeutend, aber auf einmal taucht eine Rechte auf, die im Vergleich zur NPD sehr viel stärker und militanter auftritt. Heute wurde ja die Auffassung geäußert, daß dies nicht zufällig passiert ist. Wie würden Sie die Gefahr einschätzen, daß die Rechte möglicherweise als Notreserve für schwierige Zeiten des Kapitalismus wieder aufgebaut wird?

GH: Ich möchte dazu einmal Franz Josef Strauß aus dem Jahre 1970 zitieren: "Mit Hilfstruppen soll man nicht zimperlich sein." Ulla Jelpke hat in ihrem Artikel in der jungen Welt sinngemäß gesagt, die Rechte sei die Triebfeder für den Kapitalismus, die Forderungen stellt, die gestellt werden sollen, damit man eine rechte Politik machen kann. Darüber kann man sich sicherlich lang und breit auseinandersetzen, aber daß die Rechte in unserem Land eine Rolle spielt, scheint mir völlig klar zu sein. Es gibt einen Zusammenhang, wenn von seiten der Rechten "Ausländer raus" gefordert und Rassismus geschürt wird, und zugleich Menschen in Flüchtlingsheimen in einer Art und Weise gehalten werden, die menschenunwürdig ist. Das Bundesverfassungsgericht hat ja gerade die Frage des Asylbewerberleistungsgesetzes überprüft und zumindest ein Stück weit eingeräumt, daß auch Asylbewerber Rechte haben.

Wenn also von rechter Seite Stimmung gemacht wird, muß man sich im klaren darüber sein, daß es nicht allein die faschistische Rechte ist, die diese Hetze betreibt, sondern daß dort vieles angefangen wird, was dann mit verschiedensten Begründungen auf die konservative rechte Politik übergreift, weil man meint, damit seine eigene Politik besser voranbringen zu können. Ein verhängnisvoller Irrtum, wenn man in die Geschichte schaut. Denn wenn sich ein Staat faschistischer Methoden bedient, sind auch diejenigen davon betroffen, die durchaus konservative Haltungen haben und nicht unbedingt mit der Art und Weise einverstanden sind, wie Herrschaft dort ausgeübt wird. Wenn man sich nicht wieder zurückbesinnt auf die Bedeutung eines Vertrags wie des Potsdamer Abkommens, das aus dem Wissen heraus beschlossen wurde, wozu der Kapitalismus in einer faschistischen Herrschaftsform fähig ist, dann muß man sich doch fragen, ob das jetzt keine Gültigkeit mehr hat. Deutschland ist reich. Wir sind die Reichsten Europas und einer der reichsten Staaten der Welt. In Deutschland gibt es im Moment jedenfalls keinen Grund, zum Machtmittel des Faschismus zu greifen, aber ich glaube, das Potential und die Möglichkeit, zu einer solchen Regierungsform zurückzukehren, ist selbstverständlich eine Option derjenigen, die heute die Herrschaft ausüben.

Wenn ich mir anschaue, was in Europa zur Zeit geschieht, daß soziale Auseinandersetzungen nicht nur in den Peripherstaaten - das halte ich für eine falsche Sicht -, sondern in allen europäischen Staaten aufkeimen, daß in Spanien 50 Prozent der jungen Leute keine Arbeit und keine Ausbildung haben, daß in Griechenland keine lebensnotwendigen medizinischen Behandlungen mehr vorgenommen werden können und die grundlegenden Versorgungen für Menschen nicht mehr gewährleistet sind, dann ist klar, daß es Aufstände geben wird. Und diese Aufstände werden sicherlich auch Deutschland erreichen. Es ist völlig klar, daß die Herrschaft bereits gegen diese Aufstände vorgeht. 2006 hat man die sogenannte Föderalismusreform beschlossen, in der, wie man sagen muß, Folterwerkzeuge gegen die Demokratie geschaffen wurden. Man ist vorbereitet auf solche Aufstände und auch darauf, daß nicht immer Sonnenschein ist, sondern ein Gewitter in die bürgerliche Demokratie hereinbrechen wird. Ich glaube, daß wir nicht vorbereitet sind, um dem Gewitter, das da kommt, zu widerstehen und uns wirklich in solidarischer Form dagegen zu wehren, was uns an politischen als auch sozialen Rechten weggenommen werden soll.

SB: Heute abend wurde auch die Bündnisfrage thematisiert. Wo sehen Sie die Gründe für die nichtvorhandenen Bündnisse oder die Schwäche der Linken überhaupt?

GH: Ich glaube, man muß erst einmal ein Ziel definieren, ehe man nach dem Bündnis fragt. Ist unser Ziel, keinen Faschismus mehr zuzulassen? Okay, da kann man ein breites Bündnis auch mit bürgerlichen Personen schließen, die den Faschismus nicht wollen. Wenn man weitergehen will, weil man nämlich erkannt hat, daß unsere ökonomische Entwicklung etwas mit dem Aufkommen rechter militanter Organisationen und deren Gedankengut zu tun hat, dann muß man wahrscheinlich ein anderes Bündnis schließen. Wer Bündnisse schließen will, muß sich fragen: Wohin wollen wir? Wollen wir diesen Kapitalismus begleiten oder wollen wir ihn, insbesondere so, wie er jetzt ist, bekämpfen? Die Frankfurter Allgemeine Zeitung titelte im letzten Jahr: "Das System ist am Ende, das Leben geht weiter." Das ist doch völlig irre. Es wird erklärt, daß die Produktionskrisen der letzten Jahre durch Geldanleihen entstanden seien, aber es sind und bleiben auch im Kern immer Überproduktionskrisen. Sie werden schärfer und werden schärfere Auswirkungen haben. Uns in einem antifaschistischen Bündnis darüber klar zu werden, daß der Kapitalismus nicht oder immer weniger funktioniert, fände ich wichtig und gut. Wenn wir nur reden und nicht handeln und nicht gemeinsam Ziele setzen, dann werden wir verlieren.

SB: Frau Heinecke, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnote:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0142.html

1. Februar 2013