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INTERVIEW/189: Obamas Amerika - Lobby-Dominanzen, Philip Giraldi im Gespräch (SB)


Interview mit Philip Giraldi am 20. August 2013 in den USA



Der 1946 geborene Philip Giraldi gehört in den USA zu den scharfsinnigsten Kommentatoren der Außenpolitik Washingtons. Seit Jahren setzt sich der ehemalige CIA-Agent in Beiträgen für die Zeitschrift The American Conservative, die Zeitungsgruppe Hearst und die Websites Antiwar.com und HuffingtonPost.com sowie bei Gastauftritten in den Nachrichtensendungen unter anderem von ABC, CBS, NBC, Fox News, der BBC und Al Jazeera äußerst kritisch mit dem seines Erachtens überambitionierten und letztlich zum Scheitern verurteilten Festhalten seines Landes an einer unipolaren Weltordnung auseinander. Während seiner Zeit beim Auslandsdienst der CIA arbeitete Giraldi unter anderem in der Türkei, in Deutschland, Italien und Spanien und spricht seitdem Türkisch, Deutsch, Italienisch und Spanisch. An der University of London hat er den Doktor in europäischer Geschichte gemacht.

2008 begab sich Giraldi, der neben seiner publizistischen Tätigkeit auch als Sicherheitsberater bei großen Konzernen aktiv ist, kurz in die Politik. Bei der Kandidatur Ron Pauls um die US-Präsidentschaft stand Giraldi dem republikanischen Kongreßabgeordneten aus Texas offiziell als außenpolitischer Berater zur Seite. Paul machte sich damals für die Schließung der rund 1000 US-Militärstützpunkte in Übersee stark sowie dafür, daß sich die amerikanischen Streitkräfte auf die Aufgabe der Landesverteidigung beschränken sollten. Später stellte sich heraus, daß unter den Bewerbern um die Präsidentschaft - die Demokraten Hillary Clinton und Barack Obama sowie der Republikaner John McCain eingeschlossen - Paul die meisten Spenden von Angehörigen der US-Streitkräfte erhalten hatte.

Seit einigen Jahren steht Giraldi als Exekutivdirektor dem 1989 gegründeten Council for the National Interest vor. Der CNI, dem zahlreiche ehemalige Politiker, Militärs und Geheimdienstler angehören, sieht die Nahost-Politik der USA in der einseitigen Ausrichtung auf die Bedürfnisse Israels in einer Schieflage, die es jeder Regierung in Washington unmöglich macht, der von ihr selbst zugedachten Schlichterrolle in der Unruheregion gerecht zu werden. In seinem jüngsten Artikel für The American Conservative mit dem Titel "What's the Evidence Behind the Case for War" [1] stellt Giraldi die angeblichen "Beweise" von US-Außenminister John Kerry dafür, daß die Regierungstruppen Baschar Al Assads in Syrien am 21. August mittels Chemiewaffen ein Massaker unter der Zivilbevölkerung im Stadtteil Ghouta von Damaskus angerichtet hätten, in Frage und verweist dabei auf Hinweise, daß hier die Rebellen eine Falsche-Flagge-Operation durchgeführt haben, um dem westlichen Ausland einen Grund zur Militärintervention zu liefern. Mit dem im vor den Toren Washingtons gelegenen, beschaulichen Purcellville, Virginia, lebenden Giraldi sprach der Schattenblick am 20. August.

Philip Giraldi im Porträt - Foto: © 2013 by Philip Giraldi

Philip Giraldi
Foto: © 2013 by Philip Giraldi

Schattenblick: Herr Giraldi, könnten Sie erläutern, wie es nach dem Ausscheiden bei der CIA zu Ihrem Engagement beim Council for the National Interest und Ihrer Tätigkeit als politischer Kommentator gekommen ist?

Philip Giraldi: Das leitete sich aus meiner früheren Tätigkeit als Nachrichtendienstler her. Ich habe 17 Jahre bei der CIA und drei Jahre beim Militärgeheimdienst, den Großteil davon im Bereich Terrorabwehr, gearbeitet. Durch meine Erfahrungen während dieser Zeit bin ich immer mehr zu der Überzeugung gelangt, daß die Probleme der USA in Sachen Terrorismus vor allem in unseren einseitigen Beziehungen zu Israel wurzeln. Da lag es nahe, daß ich meine Karriere bei einer Denkfabrik fortsetzte, die sich für eine ausgewogenere Politik der USA im Nahen Osten stark macht.

SB: Wie erklären Sie sich die Stärke der zionistischen Lobby in den USA, und ist die These, die man häufig hört, daß Washington nach der Pfeife Tel Avivs tanze, nicht etwas überzogen?

PG: Lassen Sie mich den zweiten Teil Ihrer Frage zuerst beantworten. Natürlich ist es Unsinn zu behaupten, Israel bestimme die Nahost-Politik der USA oder dessen Interessen wögen bei den Politikern im Kongreß und im Weißen Haus schwerer als die Amerikas. Es kann aber nicht bestritten werden, daß Israel aufgrund seiner vielen Fürsprecher in Washingtoner Politkreisen sowie den US-Medien auf Kosten seiner Nachbarn ganz klar bevorzugt wird. Der erste Teil Ihrer Frage berührt ein Thema, das fast tabu ist und das man ganz vorsichtig behandeln muß. Bei der pro-israelischen Lobby haben wir es mit einer Interessensgemeinschaft zu tun, die erstens ausschließlich auf ein Thema fixiert und zweitens aufgrund ihres vielen Geldes und ihres Zugangs zu Vertretern der politischen Klasse sehr mächtig ist. Hier ist das Geld der entscheidende Faktor. Verfügt man im großen Stil über Finanzmittel und andere Ressourcen, kann man sich Einfluß einfach kaufen - durch die Übernahme von Medien bzw. die Schaltung entsprechender Werbung und durch die großzügige Vergabe von Wahlkampfspenden an ausgesuchte Politiker. Leider ist das die Quelle des Problems.

SB: Inwieweit haben Ihrer Meinung nach die USA und Israel zur derzeitigen Instabilität im Nahen Osten beigetragen bzw. sie verursacht?

PG: Sie haben auf jeden Fall dazu beitragen. Das kann man nicht bestreiten. Dennoch läßt sich die These vertreten, daß politische Veränderungen in vielen arabischen Staaten ohnehin anstanden. Wir befinden uns im Informationszeitalter. Dank des Internets und der sozialen Netzwerke können sich die Menschen im Nahen Osten viel besser austauschen als früher. Neue Ideen und Reformforderungen lassen sich nicht mehr so leicht unterdrücken. Aufgrund der verkrusteten politischen Strukturen in der Region waren politische Umwälzungen unvermeidlich. Gleichwohl haben die USA und Israel in dieser Weltregion in den letzten Jahren eine sehr negative Rolle gespielt. Gemeinsam verfolgten sie die kurzfristige Politik, aus der Situation die Vorteile für Israel zu sichern. Dabei sind die langfristigen Interessen der USA auf der Strecke geblieben und die Beziehungen Washingtons zu vielen arabischen Staaten haben Schaden genommen.

SB: Bedenkt man den Plan Oded Yinons aus dem Jahr 1982 und das berüchtigte Strategiepapier "A Clean Break", das eine von Richard Perle angeführte Gruppe US-Neokonservativer 1996 dem frischgewählten Premierminister Benjamin Netanjahu vorgelegt hat, scheint Israel an einer Balkanisierung des Nahen Ostens interessiert zu sein. Gilt das Gleiche für die USA?

PG: Tatsächlich sah "A Clean Break" die Zerlegung der arabischen Staaten, deren Grenzen von Frankreich und Großbritannien nach dem Sieg über das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg gezogen worden waren, in ihre ethnischen und religiösen Einzelteile vor. Auf diese Weise sollte sich Israel potentiell gefährlicher Feinde wie Syrien und den Irak entledigen. Die Strategie wurde jedoch zu einer Zeit entwickelt, als der politische Islam bzw. der militante Islamismus längst nicht so stark und verbreitet war, wie es heute der Fall ist. Dadurch ist eine Situation entstanden, in der die Gefahr, daß sunnitische Extremisten in Syrien an die Macht gelangen könnten, nicht zu unterschätzen ist. Dies dürfte keineswegs im Interesse Israels sein.

'Die Firma' lädt ein - Foto: CIA, freigegeben als PD CIA via Wikimedia Commons

Eingang des CIA-Hauptquartiers in Langley, Virginia
Foto: CIA, freigegeben als PD CIA via Wikimedia Commons

SB: Im Jemen führt die CIA bzw. das US-Militär alle paar Tage tödliche Drohnenangriffe auf vermeintlich "terroristische Ziele" durch, was zur Folge hat, daß laut einer neuen Studie die Anzahl der militanten Anhänger Al Kaidas dort seit 2009 von 300 auf über 1000 angewachsen ist. Welches Ziel verfolgt Washington im Jemen überhaupt? Geht es um die Kontrolle des Zugangs zum Roten Meer an der Meeresenge Bab al-Mandab und/oder den Bau irgendwelcher Öl- und Gaspipelines?

PG: Im Jemen verfolgen die USA mehrere Ziele. Das erste besteht in der Unterstützung der Zentralregierung in Sanaa, die den USA wohlgesonnen ist. Was die Drohnenangriffe betrifft, so hat man mit ihnen vermutlich unter der Annahme begonnen, die 300 Al-Kaida-Mitglieder im Jemen bzw. deren Führungskader rasch liquidieren und damit das "terroristische" Problem beseitigen zu können. Doch die Strategie ist nach hinten losgegangen. Wegen der vielen Opfer unter der Zivilbevölkerung funktionieren die US-Drohnenangriffe quasi wie eine Rekrutierungskampagne für Al Kaida. Irgendwie macht das Ganze wenig Sinn. Al Kaida im Jemen stellt keine ernsthafte Bedrohung der USA dar. Offenbar hat man es im Jemen mit einer jener typischen Washingtoner Politikmaßnahmen zu tun, die niemand rückgängig zu machen gedenkt, obwohl sie ganz offensichtlich nur noch negative Folgen mit sich bringt. Die Regierung Barack Obama müßte hier schleunigst einen Kurswechsel vollziehen.

SB: Mit der Wahl des gemäßigten Hassan Rohani zum neuen Präsidenten des Irans sind viele Hoffnungen auf ein Rapprochement zwischen Teheran und Washington verbunden. Ist jedoch eine Versöhnung zwischen dem Iran und den USA nicht schon deshalb unmöglich, weil sie den Interessen der beiden wichtigsten Verbündeten Washingtons in der Region, Israel, das die iranische "Atombombe" und die schiitische Hisb Allah als größte Bedrohung ansieht, und Saudi-Arabien, das derzeit in Syrien die konfessionelle Kluft zwischen Sunniten und Schiiten immer weiter aufreißt, zuwiderläuft?

PG: Das sind zwei unterschiedliche Aspekte. Saudi-Arabien und die anderen arabischen Golfstaaten machen sich Sorgen wegen des potentiellen Aufstiegs des Irans zum regionalen Hegemon. Meines Erachtens ist die Angst vor einem übermächtigen Iran unbegründet. Zwar ist die Islamische Republik ein großes Land mit einer gut ausgebildeten Bevölkerung und umfangreichen Energieressourcen, doch ihre Wirtschaft steckt in ernsthaften Schwierigkeiten. Die Iraner sind weit davon entfernt, ihre Muskeln regionalpolitisch spielen zu lassen. Das größte Hindernis, das zwischen den USA und einem Rapprochement mit dem Iran steht, ist Israel. Aus offizieller Sicht Tel Avivs gilt der Iran als größter und gefährlichster Feind Israels. Doch auch hier ist die vom Iran ausgehende Bedrohung überbewertet. Es gibt eine Reihe namhafter israelischer Ex-Militärs und -Geheimdienstler, die öffentlich erklärt haben, daß der Iran keine wirkliche Gefahr für den Staat Israel darstellt. Dennoch sieht sich Washington durch das Bündnis mit Israel in dessen offizielle Iranpolitik eingebunden. Nichtsdestotrotz müssen die USA irgendwie den Weg zu einer differenzierteren Iranpolitik finden. Weder kann ein Krieg mit dem Iran noch eine Fortsetzung der Dauerkonfrontation zwischen beiden Ländern im Interesse der USA sein.

Ein gelb gestrichener, aus Holz gebauter Bahnhof auf dem Lande - Foto: DwayneP, freigegeben als public domain via Wikimedia Commons

Der Bahnhof von Purcellville, Virginia
Foto: DwayneP, freigegeben als public domain via Wikimedia Commons

SB: Ist nicht irgendeine Art von Verständigung zwischen den USA, dem Iran und Saudi-Arabien die Voraussetzung für eine Beendigung des Blutvergießens in Syrien?

PG: Absolut. Der Bürgerkrieg in Syrien ist von großer regionaler Bedeutung. Saudi-Arabien arbeitet seit langem am Sturz des Regimes Baschar Al Assad. Die USA halten sich alle Optionen offen. Die Regierung in der Türkei hat sich am Anfang der Syrien-Krise sehr weit aus dem Fenster gelehnt und deutlich Position gegen Assad bezogen, mußte später jedoch wegen innenpolitischen Widerstands zurückrudern. Das Ganze ist ein einziges Chaos. Meines Erachtens kann der Bürgerkrieg nur durch eine politische Lösung, in die auch Präsident Assad einbezogen ist, beigelegt werden. Dagegen sperren sich die Rebellen. Sie verlangen seine Absetzung als Bedingung für Verhandlungen, was ich für eine unrealistische Position halte. Voraussetzung für ein Gelingen von Friedensverhandlungen ist eine engagierte und offene Zusammenarbeit der USA, Rußlands, der Türkei, Saudi-Arabiens und des Irans.

SB: Die Ereignisse von Benghazi am 11. September 2012, als der US-Botschafter in Libyen, Christopher Stevens, und drei seiner Mitarbeiter gewaltsam ums Leben kamen, haben bis heute ihre Brisanz nicht verloren. Wegen des Vorfalls mußte im vergangenen November General David Petraeus als CIA-Chef seinen Hut nehmen, während der innenpolitische Streit darüber immer noch soviel Sprengstoff birgt, um die Kandidatur Hillary Clintons für die US-Präsidentschaft 2016 zu vereiteln. Bis heute weiß man nicht so richtig, was dort an jenem Abend passierte. Wie bewerten Sie als ehemaliger CIA-Agent den Vorfall? Ging es um den Versuch islamistischer Milizionäre, einige Mitglieder aus einem geheimen CIA-Gefängnis zu befreien oder bekamen sich CIA und Al Kaida in der Frage der Waffenlieferungen für die Rebellen in Syrien einfach in die Haare?

PG: Ich würde es begrüßen, wenn der Überfall von Benghazi Hillary Clintons Streben nach Höherem zunichte machte, denn ich halte sie für einen ausgesprochenen Kriegsfalken. Sie würde die USA als Präsidentin in große Gefahr bringen. Ich habe mehrmals über den Benghazi-Vorfall geschrieben und mich mit befreundeten aktiven Militärs und Geheimdienstlern darüber ausgetauscht. Anders als viele Konservative in den USA halte ich das, was dort geschehen ist, nicht für das Ergebnis eines katastrophalen Versagens der Obama-Regierung. Wenn man Diplomaten und Geheimdienstler nach Übersee schickt, dann bringt das Gefahren mit sich. Das gehört sozusagen zum Geschäft. Operiert man in Ländern, in denen politische Instabilität herrscht, erhöht sich das Risiko noch. Im Fall Benghazi ist es meines Erachtens seitens des US-Außenministeriums bereits im Vorfeld zu mehreren Fehlentscheidungen gekommen. In den besagten Stunden war das Geschehen in der Stadt für das Weiße Haus vollkommen unübersichtlich. Als ehemaliger CIA-Offizier, der Erfahrung in solchen Angelegenheiten hat, kann ich Ihnen versichern, daß die Lage in sich rasch entwickelnden Situationen meistens unüberschaubar ist. Man wird mit Informationen, die sich häufig widersprechen, regelrecht überschüttet. Da durchzublicken ist schwer bis unmöglich. Von daher ist es unrealistisch zu erwarten, daß irgend jemand im Weißen Haus, bei der CIA, im Pentagon oder im State Department den Überfall hätte richtig deuten können.

SB: Oder daß das Leben von Botschafter Stevens und seinen Kollegen hätte gerettet werden können.

PG: Nun, es gab mehrere Fehlurteile, nicht zuletzt bei Botschafter Stevens selbst. Man darf nicht vergessen, daß ein amerikanischer Botschafter der Gesandte des Präsidenten und damit der höchste Vertreter der USA in dem jeweiligen Land ist. Er selbst muß die Gefahren für sein Leben und das seiner Mitarbeiter einschätzen und in der Folge die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen treffen. Er und niemand anderes entscheidet darüber, wo er hingeht und was er tut. Bereits im Vorfeld des Überfalls machte man sich sowohl in der Botschaft in Tripolis als auch im Außenministerium in Washington über die sich verschlechternde Sicherheitslage in Libyen Gedanken. Gleichwohl ist das nichts Ungewöhnliches. Wie ich schon sagte, US-Diplomaten und Geheimdienstler müssen häufig in einem instabilen Umfeld agieren.

SB: Es gibt starke Hinweise, daß hinter dem Überfall in der Hafenstadt Benghazi illegale Transporte von Waffen aus libyschen Beständen an die Rebellen in Syrien steckten. So hat sich Botschafter Stevens am Abend des Vorfalls mit General Ali Sait Akin, dem türkischen Konsul in Benghazi, getroffen. Nur fünf Tage zuvor war mit dem libyschen Frachter Al Entisar eine erste Ladung Waffen aus Libyen im türkischen Hafen Iskanderun, nur 50 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, angekommen. Noch vor Bekanntwerden ihrer außerehelichen Affäre mit General David Petraeus und dessen Rücktritt als CIA-Chef im November 2012 erklärte Paula Broadwell, der Angriff der Islamisten in Benghazi habe dort einem geheimen Stützpunkt des US-Auslandsgeheimdienstes gegolten, wo angeblich Al-Kaida-Mitglieder gefangengehalten wurden. Im Februar 2013 machte die New York Times bekannt, daß Obama im Sommer 2012 sein Veto gegen den Plan von Hillary Clinton und Petraeus, die syrischen Rebellen heimlich auszubilden und zu bewaffnen, eingelegt hatte. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die damalige Außenministerin und der frühere CIA-Chef nicht vielleicht in Ansätzen mit der Verwirklichung ihres Vorhabens begonnen haben könnten und ob deren eventuelles Hintergehen des Präsidenten nicht den wahren Hintergrund des Benghazi-Vorfalls darstellt.

PG: Die Punkte, die Sie hier anführen, sind alle von Bedeutung. Es ist offensichtlich, daß die USA in Libyen ein Doppelspiel betrieben. Seit Herbst 2012 habe ich in dem einen oder anderen Artikel über Benghazi auch das Thema der Waffenlieferungen aus Libyen an die syrischen Rebellen hervorgehoben. Die Lieferungen setzten bekanntlich bald nach dem gewaltsamen Sturz Muammar Gaddhafis im Herbst 2011 ein. Es steht außer Frage, daß sich Clinton und Petraeus innerhalb der Obama-Regierung für ein weit aggressiveres, wenn auch heimliches Engagement der CIA und der US-Spezialstreitkräfte im Syrien-Konflikt stark machten. Man kann davon ausgehen, daß einige Personen im Betätigungsfeld Libyen-Syrien ihre eigenen Absichten verfolgten. Geheimdienstliche Operationen in Übersee, wo man die örtlichen Akteure sowie deren Motive nicht so richtig einschätzen kann und daher nicht weiß, in welche Abenteuer man sich selber hineinbegibt, nehmen häufig ein unglückliches Ende. Wenn es etwas am Benghazi-Vorfall zu kritisieren gibt, dann vor allem die völlig überzogene Außen- und Sicherheitspolitik der USA.

Luftaufnahme der Naval Station Norfolk mit diversen Kriegsschiffen darunter gleich vier Flugzeugträger der US-Marine - Foto: Mass Communication Specialist 2nd Class Ernest R. Scott, freigegeben als public domain via Wikimedia Commons

Norfolk Naval Base (Virginia), der größte Kriegsmarinehafen der Welt
Foto: Mass Communication Specialist 2nd Class Ernest R. Scott, freigegeben als public domain via Wikimedia Commons

SB: In einem Ihrer jüngsten Artikel haben Sie auf die ehemaligen FBI-Mitarbeiterinnen Coleen Rowley und Sibel Edmonds verwiesen, die, getrennt voneinander, in öffentlichen Stellungnahmen schwerwiegende Widersprüche und Ungereimtheiten in der offiziellen Version der Flugzeuganschläge vom 11. September 2001 geltend gemacht haben. Ist nicht die Aufarbeitung des jüngsten Skandals um die NSA-Spionage im Innern im besonderen und der Kampf gegen den Überwachungsstaat im allgemeinen zum Scheitern verurteilt, solange nicht die Ereignisse um 9/11 unabhängig untersucht und die richtigen Lehren aus dem Ergebnis einer solcher Ermittlung gezogen werden?

PG: Ich kenne Sibel Edmonds persönlich und habe mit ihr mehrmals gesprochen. In Verbindung mit ihrer früheren Tätigkeit im zentralen FBI-Übersetzungsbüro in Washington hat sie schwerwiegende Vorwürfe gemacht hinsichtlich von Ermittlungsspuren, denen man im Vorfeld der Anschläge nicht nachgegangen war und die hinterher unter den Teppich gekehrt wurden. Ich bin kein Anhänger der 9/11-Truth-Bewegung. Ich glaube auch nicht, daß die damalige Regierung von George W. Bush die Anschläge selbst durchgeführt hat. Nichtsdestotrotz bin ich davon überzeugt, daß die wahre Geschichte des 11. September bis heute nicht publik geworden ist. Der Bericht der 9/11-Kommission war im Grunde genommen eine Vertuschungsmaßnahme. Die Kommission hat viele Aspekte der Anschläge gar nicht erst untersucht. Dazu gehört das Vorabwissen der Saudis, der Pakistaner und vor allem der Israelis, von denen einige unmittelbar nach den Anschlägen wegen mutmaßlicher Verwicklung festgenommen wurden. Es gibt viele Aspekte in diesem Komplex, die nur ungenügend untersucht worden sind.

In ihrer Kritik hat die ehemalige FBI-Anwältin Coleen Rowley ebenfalls darauf aufmerksam gemacht, daß es in der offiziellen Version der Ereignisse riesige, bis heute nicht geklärte Löcher gibt. Dieser Einschätzung stimme ich voll und ganz zu. Blickt man auf die Fehlentwicklungen der US-Außen- und Sicherheitspolitik der letzten zwölf Jahre zurück, dann kommt man unweigerlich zu der Feststellung, daß die Saat dafür am 11. September gelegt worden ist. Die USA sind zu einem Militärstaat geworden, der ohne Sinn und Verstand von einer Auslandsintervention in die nächste stolpert, weil man bis heute nicht richtig begriffen hat, was an diesem Tag geschehen ist.

SB: In letzter Zeit macht in Teilen der US-Medien die Einschätzung, derzufolge der Einfluß der Neokonservativen im Kongreß und im Weißen Haus nachlasse, die Runde. Der Nachruf auf die neokonservative Bewegung scheint ein wenig verfrüht. Wie beurteilen Sie die Lage?

PG: Ich teile Ihre Meinung völlig. Wer glaubt, daß sich die Neokonservativen, nur weil der Demokrat Barack Obama statt des Republikaners George W. Bush im Weißen Haus sitzt, auf dem absteigenden Ast befinden, irrt gewaltig. Bei den Republikanern im Kongreß geben sie in der Außen- und Sicherheitspolitik nach wie vor den Ton an und sind auch bei Demokraten sehr einflußreich. Liest man die Leitartikelseite und die Kolumnen der wichtigsten US-Tageszeitungen wie der Los Angeles Times, der New York Times, der Washington Post oder des Wall Street Journals, so findet man dort stets die neokonservative Sicht auf jedes Geschehen im Ausland. Das Gleiche gilt für die Nachrichtenredaktionen der großen sechs US-Fernsehsender. Selbst der liberalste unter den großen US-Fernsehsendern, der Public Broadcasting Service, hat den NYT-Kolumnisten David Brooks, einen führenden Neokonservativen, als Kommentator der angesehenen Nachrichtensendung PBS NewsHour engagiert. Im außenpolitischen Diskurs der USA herrscht das neokonservative Weltbild vor. Analysiert man ernsthaft die Argumente, mit denen die Neokonservativen seit 9/11 den Einmarsch in den Irak, die Verhängung schwerer Wirtschaftssanktionen gegen den Iran sowie den gewaltsamen Sturz Muammar Gaddhafis in Libyen begründet haben und nun auch noch eine Militärintervention in Syrien fordern, dann kommt man um die Erkenntnis nicht umhin, daß sie in ihren Annahmen und Prognosen vollkommen falsch gelegen haben. Leider findet diese Erkenntnis in der großen Öffentlichkeit keinen Anklang, nicht zuletzt, weil viele Medienvertreter die imperialistische Perspektive der Neocons verinnerlicht haben.

SB: Im Mittelpunkt der Spannungen zwischen dem Westen und der islamischen Welt liegt der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Wie könnte ihrer Ansicht nach eine für beide Seiten gerechte Lösung in diesem Dauerkonflikt aussehen?

PG: Es gibt zwei mögliche Lösungen. Die eine ist die Zweistaaten-Lösung. Doch die wäre nur zu verwirklichen, wenn man die rund 500.000 jüdischen Siedler im Westjordanland nach Israel zurückholen und den Osten Jerusalems den Palästinensern als Hauptstadt ihres eigenen Staates überlassen würde. Um die Israelis dazu zu bewegen, wäre massiver Druck seitens der USA, der EU, Rußlands und der restlichen "internationalen Gemeinschaft" erforderlich - ein Szenario, für das es nicht das leiseste Anzeichen gibt. Also sehe ich für diese Lösung unter den aktuellen Bedingungen keine realistische Möglichkeit. Die zweite Lösung wäre ein gemeinsamer Staat. Die Einstaat-Lösung sähe die Verschmelzung des heutigen Israels mit den besetzten palästinensischen Gebieten zu einem neuen Staat vor, welchen Namen er auch immer tragen würde. In diesem Staat genössen alle Bürger, ob Juden, Muslime oder Christen, die gleichen Rechte. Für diese Lösung spricht vieles, und man müßte annehmen, daß sie im 21. Jahrhundert viele Anhänger fände. Leider ist das nicht der Fall. Die Israelis fürchten sich vor einer solchen Lösung, denn aufgrund der demographischen Entwicklung ist absehbar, daß die Muslime und Christen in zwanzig Jahren die Bevölkerungsmehrheit stellen würden, wodurch der neue Staat kein jüdischer mehr im engeren Sinne wäre. Ich weiß nicht, welches die bessere Lösung ist. Jedenfalls werden diese beiden Möglichkeiten am meisten diskutiert.

SB: Vielen Dank, Philip Giraldi, für das Interview.

Straßenbild einer typischen ländlichen Kleinstadt Amerikas mit zweistöckigen Läden aus rotem Backstein - Foto: Autor unbekannt, freigegeben als public domain via Wikimedia Commons

Purcellville, Virginia
Foto: Autor unbekannt, freigegeben als public domain via Wikimedia Commons


Fußnote:

[1] http://www.theamericanconservative.com/articles/whats-the-evidence-behind-the-case-for-war/

10. September 2013