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INTERVIEW/196: Herrschaft in der Krise - Bündnisse der Arbeit, Hans-Peter Brenner im Gespräch (SB)


Keine Altersängste angesichts einer geschwächten Linken

Interview am 4. Oktober 2013 im Georg-Asmussen-Haus in Hamburg St. Georg



Der niedergelassene Psychotherapeut Hans-Peter Brenner ist stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) sowie Mitherausgeber und Autor der Marxistischen Blätter. Gemeinsam mit Susann Witt-Stahl und Markus Bernhardt führte er bei der Auftaktveranstaltung "Bürgerliche Herrschaft in der Krise - eine Herausforderung für die antifaschistische Bewegung?" am 4. Oktober 2013 im Georg-Asmussen-Haus in Hamburg St. Georg die von Andreas Grünwald moderierte Podiumsdiskussion. Am Rande der Veranstaltung beantwortete Hans-Peter Brenner dem Schattenblick einige Fragen.

Im Gespräch am Tisch sitzend - Foto: © 2013 by Schattenblick

Hans-Peter Brenner
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick: Die Veranstaltungsreihe heißt "Bürgerliche Herrschaft in der Krise". Nun trifft diese zugleich auf eine Krise der Linken mit großen Tendenzen der Abwanderung zum bürgerlich-reformistischen Lager. Die DKP stellt in diesem Zusammenhang die große Ausnahme dar, weil sie auf dem 20. Parteitag ihren linken Flügel um die Gruppe "Theorie und Praxis" gestärkt hat. Ist es in Zeiten der Krise der Linken wichtig, eine klare Grenze gegenüber reformistischen Strömungen zu ziehen?

Hans-Peter Brenner: Die Krise ist eine Herausforderung sowohl in analytischer wie auch in politischer Sicht. Da sind originäre marxistische und leninistische Antworten gefragt. Ist die Krise ein Versagen von Politikern oder Bankiers, oder hat die Krise etwas mit dem System zu tun? Nun, sie hat etwas mit Imperialismus und Monopolkapitalismus zu tun. Hierzu gibt es verschiedene linke Antworten. Wir als Kommunisten beziehen uns dabei auf die Kapitalismuskritik und Analyse von Marx, Engels und Lenin. Andere machen es in einer abgeschwächten Form, sei es keynesianisch, neokeynesianisch, als Globalisierungskritik ohne den Zusammenhang zum Kapitalismus oder als Kritik am Finanzkapital, ohne einen wirklich analytischen Begriff vom Finanzkapital zu haben. Das betrifft jetzt die Frage der Analyse. Der zweite Aspekt ist, daß die Krise nicht automatisch zur Politisierung der Menschen führt. Ich habe mir im Vorfeld auf diese Veranstaltung nochmal die Analyse des Faschismus von Dimitrow auf dem 7. Weltkongreß der kommunistischen Internationale von 1935 durchgelesen. Darin warnt er ausdrücklich vor dem Irrglauben, die Krise würde wie von selbst für eine politische Klarstellung in den Köpfen sorgen. Vielmehr betont er, daß Krise und Armut der soziale Nährboden für die Demagogie des Faschismus seien. Daher braucht man aus analytischer, aber auch aus orientierender politischer Sicht eine klare Analyse all dessen, was Krise und Kapitalismus ausmacht, aber auch hinsichtlich ihrer verheerenden Auswirkungen auf das Massenbewußtsein.

SB: Die DKP war in der Vergangenheit von verschiedenen innerparteilichen Strömungen durchsetzt. Zum einen gab es die sogenannten Erneuerer, die sich auf Gramsci bezogen haben, und zum anderen eine Fraktion, die sich Neue Linke nannte. War der Bezug auf Gramsci aus deiner Sicht überhaupt schlüssig oder hat er nicht vielmehr für eine Abkehr von grundlegenden Positionen in der marxistischen Partei gesorgt?

HPB: Erneuerer aus unserer Sicht nannten wir die Bewegung Ende der 80er Jahre, die eine Konzeption der sogenannten Reformalternative und der Transformationsstrategie gefahren hat. Damals spielte Gramsci keine große Rolle. Anders ist es mit den aktuellen Auseinandersetzungen oder Diskussionen. Es ist ja bekannt, daß wir auf dem Parteitag 2010 die Frage der programmatischen Ausrichtung und der sogenannten Thesen des damaligen Sekretariats des Parteivorstands erörtert haben. In diesem Zusammenhang spielte die falsch verstandene und falsch interpretierte Hegemoniekonzeption von Gramsci im Sinne des Sozialdemokratismus eine Rolle. Gramsci war jemand, der, obwohl klassischer Kommunist, das Schicksal von Rosa Luxemburg erlitten hat. In der Rezeptionsgeschichte wurden beide, aber insbesondere Gramsci, gegen Lenin in Stellung gebracht. Gramsci wurde auch von der linken Sozialdemokratie mißbraucht. Ich erinnere an den SPD-Geschäftsführer in den 70er Jahren Peter Glotz. Er war ein hochgebildeter Mensch, der mit Gramsci eine Linksentwicklung in der SPD begründet hat, die als antileninistisch galt. Das spielt heute in der DKP eine gewisse Rolle. Aber die Erneuererbewegung Ende der 80er Jahre hatte damit nichts zu tun.

SB: Die von dir angesprochene Transformationsstrategie wurde insbesondere vom Münchner Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw) stark favorisiert. Welche Einwände könnte man dagegen vor allem aus marxistischer Sicht vortragen?

HPB: Ich habe mich dazu kurz vor dem 20. Parteitag in einem Grundsatzartikel in der jungen Welt und davor in einer Serie auch zu Gramsci und Rosa Luxemburg geäußert. Die Transformationstheorie ist kein Kind des 21. Jahrhunderts. Vielmehr ist sie, um es einmal etwas spitz zu formulieren, alter Kack im neuen Frack. Zumindest haben wir es in den 70er Jahren so formuliert. Damals war ich leitender Funktionär im Marxistischen Studentenbund Spartakus. Der Eurokommunismus bezieht sich auf eine Transformationstheorie. Im Grunde genommen ist es die alte Politik von Eduard Bernstein, in Abgrenzung von der Position Rosa Luxemburgs über eine Summe von Reformen irgendwie in den Sozialismus hineinzuschleichen. In den 70er Jahren hatte man das, vor allen Dingen bei den linken Sozialdemokraten und bei den Jusos, mit dem Begriff Systemüberwindereform oder systemsprengende Reform bzw. Reform mit revolutionärem Inhalt bezeichnet. Was wir heute Transformationstheorie nennen, ist im Grunde genommen eine Neuauflage dieser alten Geschichte.

Mir ist dabei wichtig - und das habe ich in dem Artikel in der jungen Welt, der jetzt auch bei uns in der neuen Homepage nochmal wiedergegeben wurde, auch geschrieben -, daß hinter der Transformationsstrategie, ob man es glauben will oder nicht, der lange Arm der CIA steckt. Dies gilt zumindest für die Ausprägung der Transformationsstrategie nach 1945. In einem Dokument des Nationalen Sicherheitsrats der Vereinigten Staaten von Amerika vom September 1948 wurde dargestellt, wie die USA mit dem beginnenden Kalten Krieg langfristig innerhalb der sozialistischen Länder, aber auch in der kommunistischen Bewegung, die sich damals an Moskau orientierte, einen Prozeß der Transformation in Gang setzen wollten. Transformation verstanden in einem doppelten Sinne: Einmal als Umwandlung der damaligen sozialistischen Länder hin zu einer Mischform zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Dazu sei die Entwicklung eines häretischen Kommunismus nötig, der in einem ersten Schritt die sogenannten Stalinisten verdrängen und dann in einer Übergangsform den realen Sozialismus kaputtmachen sollte. Später hat das Jelzin verwirklicht, während Gorbatschow als Fußschemel gedient hat. Parallel dazu sollte innerhalb der kommunistischen Bewegung eine Transformation in Richtung demokratischer Sozialismus stattfinden.

Das heißt, die Transformationstheorie hat einen ideengeschichtlichen, über 100 Jahre alten Hintergrund und ist ganz bewußt nach 1945 durch die CIA in der sozialistischen Internationale als Trojanisches Pferd für die kommunistische Bewegung angelegt gewesen. Das ist jetzt keine Agententheorie von mir, sondern ist in einem Band von Bernd Greiner und Kurt Steinhaus über die Nachkriegsplanungen der USA, inklusive des Abdrucks des Dokuments, nachzulesen. Das Buch ist 1980 im Pahl Rugenstein Verlag erschienen. Im Zusammenhang mit Transformation denke ich immer an meine kleinen Enkelkinder. Wenn sie in der Sandkiste spielen, dann transformieren sie ununterbrochen mit Sandförmchen. Je nach der Form wird aus dem Sand ein Fisch, ein Hase oder ein Elefant. Die Substanz bleibt immer die gleiche. Aber die politische Transformationstheorie will die Substanz verändern. Das ist der Unterschied zwischen dem Sandkastenspiel der Kleinkinder und der politischen Konzeption der Transformationstheorie.

SB: In der kommunistischen Bewegung wurde einmal die Kontroverse um die Konzepte "international" und "transnational geführt. Ging es dabei um die Aufweichung der internationalen Solidarität?

HPB: Die Frage des Nationalen und des Transnationalen ist im Grunde genommen einfach aufzulösen. Im Kommunistischen Manifest steht: Proletarier aller Länder, vereinigt euch! Der Kapitalismus ist von Anfang an eine transnationale Erscheinung gewesen. Im Kapital ist zu lesen, daß an der Quelle des Kapitalismus der Weltmarkt stand. Ob nun die Ostindienkompanie oder das portugiesische und spanische Weltreich, es ging immer um den Weltmarkt. Nur ist die Diskussion darüber schiefgelaufen, weil es nicht um pro oder kontra Weltmarkt geht, sondern um die Frage der Dialektik zwischen nationalem Kampf und dem Kampf gegen den nationalen Imperialismus und damit natürlich auch gegen die multi- oder transnationalen Konzerne. Bei uns in der marxistischen Bewegung gibt es die Tendenz, das Transnationale einfach zu verabsolutieren, was natürlich Käse ist. Denn meines Erachtens kann es keine neue Kategorie, wie etwa die Kosmopolitisierung der Produktion, geben. Denn was hat die Bourgeoisie gemacht? Sie hat jede Provinz, jeden Krähenwinkel der abgeschiedensten Länder dem Weltmarkt untergeordnet. Das mit etwas Neuem zu versehen, als wäre es eine neue Erkenntnis, die alle anderen, vor allem die leninistische Imperialismustheorie, obsolet machte, ist völliger Humbug gewesen. Was Lenin als Kennzeichen des Imperialismus mit Monopolkapitalismus charakterisiert, steht auch für die Internationalisierung des Kapitalismus. Da haben diejenigen, die das Globalisierungsgeschehen von der leninistischen Imperialismustheorie abgelöst haben, einfach die kapitalistische Realität falsch eingeschätzt. Was heute passiert, ist nicht plötzlich vom Himmel gefallen, sondern ist ein Produkt des Systems. Auch die Globalisierung ist nichts grundsätzlich Neues, nur mit neuem Gewand, aber nicht vom Charakter her.

SB: So wurde auch die Debatte, welche Bedeutung Europa für die Arbeiterklasse haben könnte, schon Anfang des 20. Jahrhunderts mit erstaunlich aktuellen Argumenten geführt.

HPB: Ja, 1904 und dann 1911. In einer Polemik von Rosa Luxemburg gegen den sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Carl Legien sagt sie, das sei eine Forderung der Vereinigten Staaten von Europa und habe mit sozialdemokratischer Programmatik nichts zu tun. So bezeichnete sie die Vereinigten Staaten von Europa als eine Mißgeburt des Imperialismus. In der Tat ist auch diese Debatte nicht neu. Daran kann man erkennen, wie weit der Wissensverlust, vor allem der Verlust an historischen Quellen reicht. Auf diesem Felde herrscht sehr viel Unwissenheit, und deswegen ist es auch so wichtig, solche Veranstaltungen wie heute zu organisieren, um an diese Zusammenhänge wieder zu erinnern.

SB: Weil inzwischen ungeheuer viel Wissen auch über die Geschichte der Kämpfe, die schon geführt worden sind, verlorengegangen ist, bräuchte es eine oder vielleicht sogar zwei Generationen, weil man praktisch bei null anfangen muß, um all das aufzuarbeiten.

HPB: Das ist richtig. Daher habe ich mir auf dem Weg hierher nochmal genau überlegt, was ich in dieser Stadt, in der ich selbst politisch groß geworden bin, heute abend zum Zusammenhang zwischen Faschismus und Krise des Herrschaftssystems sagen soll. Wahrscheinlich weiß heute kaum noch ein Mensch etwas über Ernst Thälmann, Franz Jacob, den geköpften KPD-Abgeordneten aus Hamburg, oder über die Hinrichtung von Fiete Schulze. Thälmann ist dem einen oder anderen vielleicht noch als Name geläufig, aber daß er für eine Tradition des revolutionären Antifaschismus stand, dürfte nicht mehr gegenwärtig sein. Die Generation, die Anfang der 70er Jahre mit mir in die Partei eingetreten ist, wurde noch von Antifaschisten erzogen. Unser erster Vorsitzender Kurt Bachmann war Auschwitz-Häftling, und die Hamburger Bezirksorganisation wurde von Genossen geleitet, die noch aus dem Widerstand kamen. Als ich dann später ins Rheinland umzog, stammte mein Bezirksvorsitzender aus dem Kölner Widerstand, aus dem Bereich der Edelweißpiraten und des damaligen Nationalkomitees Freies Deutschland in Köln. Diese Generation ist jetzt gerade am Wegsterben. Oder ich erinnere an meinen Doktorvater Hans Heinz Holz, der als Schüler im antifaschistischen Widerstand aktiv war. Weil er Flugblätter auf dem Schulhof verteilt hatte, kam er ins Gefängnis und lernte dort einen Kommunisten kennen und wurde so ein Linker.

Das sind die Menschen, die uns politisch groß gemacht haben und die uns jetzt natürlich als persönliches Vorbild fehlen. An wem sollen sich die Nachwachsenden orientieren, jetzt, wo sie kein lebendes Zeugnis mehr haben? Diese Gedanken sind mir auf der Hinreise durch den Kopf gegangen. Man müßte an die Traditionslinie der Antifaschisten erinnern und daran, daß ihre Kinder in den 70er Jahren zu den ersten Berufsverboteopfer gehörten wie Ilse Jacob, die Tochter von Franz Jacob, die das erste Berufsverboteopfer war. Ein anderes Beispiel ist Harry Naujoks aus Hamburg, der Lagerältester in Sachsenhausen war. Sein Sohn Rainer Naujoks war in den 70er Jahren einer der vom Berufsverbot betroffenen Referendare. Franz Arens, Herausgeber der KPD-Zeitung vor dem Verbot, sein Sohn Heiner Arens - der erste Schub der Berufsverbote hier in Hamburg betraf die Kinder der verfolgten und teilweise ermordeten antifaschistischen Hamburger Widerstandskämpfer. Wer weiß das heute noch?

SB: Hältst du es für möglich, daß die marxistische Linke zu einer jüngeren Generation, die in ganz anderen politischen Bewegungen wie etwa der für Tierrechte und Tierbefreiung organisiert ist, eine Brücke schlagen kann?

HPB: Im November werde ich im Rahmen einer Veranstaltung der Assoziation Dämmerung zum Thema marxistische Haltung zum Mißbrauch der Natur im Kapitalismus in die Diskussion treten. Lenin hat einmal gesagt, daß jede Generation auf ihren eigenen Wegen zum Sozialismus kommt. Und so verhält es sich auch heute noch. So gesehen habe ich überhaupt keine Altersängste und gerate auch nicht in politische Panik, wenn ich über die derzeitige Schwäche meiner eigenen Partei rede. Es gibt bei uns einen kleinen, aber wachsenden Jugendverband. Die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend gibt es schon seit 40 Jahren. Sie hat durch klare marxistische Selbstschulung, unterstützt von den Älteren, in ihren Sommer- und Herbstschulen politisch, programmatisch und ideologisch eine gute Entwicklung genommen. Die jungen Leute von heute, die ich in meinem Umfeld kennenlerne, sind um nichts schlechter als wir, in einigen Punkten sogar aufgeweckter. Alle, die sich kritisch entwickeln und anfangen nachzudenken, müssen von uns als potentielle Ansprechpartner angesehen werden, selbst wenn es erst einmal nur um die Frage der Beziehung zwischen Kapitalismus und Tierverwertung geht. Dabei ist es unerheblich, ob sie mit uns in allen Fragen übereinstimmen. In den meisten Fragen tun sie es nicht, aber in meiner Jugendzeit war ich genauso antikommunistisch wie alle anderen auch. Das ist ein Entwicklungsprozeß.

SB: Das heißt, man kann die Frage, mit wem man Bündnisse eingeht, nicht von vornherein definitiv beantworten?

HPB: Man kann sie schon definitiv beantworten. Wenn man einmal von dem grundsätzlichen Charakter dieses Systems ausgeht, muß man die Frage nach den gemeinsamen Interessen stellen. Und worin bestehen diese im Kern? Im Kampf gegen das Monopolkapital, was wir immer als antimonopolistische Strategie bezeichnen. In diesem Punkt gibt es objektive Interessensüberschneidungen mit der Arbeiterbewegung. Ich komme selbst aus einer Arbeiterfamilie, bin aber kein Arbeiter geworden. Stattdessen bin ich Lehrer und Psychologe. Ich gehöre also zur Mittelschicht, bin sogar als niedergelassener Psychotherapeut ein Selbständiger, nicht einmal ein Angestellter. Aber die Entwicklung der Sozialstruktur gerade in den Bereichen der nichtmonopolistischen Schichten ist neu; sie hat es als Massenschicht vorher in Deutschland nicht gegeben. Erst seit den 60er Jahren hat sie sich entwickelt. Trotzdem gibt es zwangsläufig objektive gemeinschaftliche Interessen, zum Beispiel gegen Krieg, gegen Faschismus und gegen eine Wirtschafts- und Sozialpolitik, die asozial ist. Ich bin in ver.di organisiert und in zwei Bundesausschüssen vertreten, bei den Psychotherapeuten und bei den kleinen Solo-Selbständigen. Bei letzteren findet man eine große Palette vom Steuerberater über die Hebamme zum Nachhilfelehrer, der keinen Job im Staatsdienst hat, bis hin zum Journalisten, Schriftsteller und so weiter. Was haben diese Berufe für Gemeinsamkeiten? Auch sie bilden die Arbeiterklasse und werden von den Verlagen, Krankenhausketten oder großen Konkurrenten, wenn sie Nischenprodukte herstellen wollen, ausgebeutet. Es gibt objektiv viele Gemeinsamkeiten, die man als Ausgangspunkt für Diskussion und Aufklärung nehmen muß.

SB: Willst du damit sagen, daß man den Begriff der Arbeiterklasse neu definieren müßte?

HPB: Der Dreh- und Angelpunkt ist die Arbeiterklasse in dem Sinne, wie es im Kommunistischen Manifest beschrieben ist. Jene Klasse, die den gesellschaftlichen Reichtum schafft und den Mehrwert produziert, egal, ob sie nun in der materiellen Produktion, im Vertrieb oder in der Verwaltung steht. Die Arbeiterklasse war immer differenziert. Sie war nie monolithisch gewesen, sondern immer in Veränderung begriffen. Das industrielle Proletariat spielte immer eine große Rolle, aber wenn man bei Engels nachliest, findet man, daß die ersten Kinder der Industrialisierung die Bergarbeiter waren. Es gibt alle möglichen Subgruppen innerhalb des industriellen Proletariats wie auch aggregierte Gruppen, die ebenfalls lohnabhängig sind. Im Zentrum steht allerdings das industrielle Proletariat. Die DKP legt großen Wert darauf, daß bei allen Diskussionen über die Veränderung der Sozialstruktur der Arbeiterklasse nicht vergessen wird, daß es einen materiellen Kern gibt, der die Grundlage für den Reichtum schafft, nämlich die Warenproduktion. Ich brauche einen Block, dazu muß jemand in einer Papierfabrik aus Holzfasern einen Schreibblock machen; wenn ich ein Glas Wasser trinken will, muß jemand Gläser auf industrielle Weise fertigen. Die materielle Produktion bleibt daher weiterhin die Grundlage für dieses System und damit auch für die Mehrwertproduktion. Die Existenzgrundlage der Arbeiterklasse ist die Veränderung. Mit der Entwicklung der Bourgeoisie verändert sich auch die Arbeiterklasse, heißt es im Kommunistischen Manifest.

Im Gespräch am Tisch - Foto: © 2013 by Schattenblick

Hans-Peter Brenner mit SB-Redakteur
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Wir stehen am Anfang der Veranstaltungsreihe. Wo sollte sie, vorbehaltlich der Diskussionen, die noch zu führen sind, deiner Ansicht nach hinsteuern?

HPB: Ich kenne die Hamburger Situation zu wenig und weiß nicht, an welche Themen das Programm der Veranstaltungsreihe in den nächsten Monaten noch anknüpfen wird. Ich kann auch nicht sagen, welche theoretische Arbeit in den letzten Jahren hier in Hamburg gelaufen ist. Aber ich erinnere daran, daß die MASCH Hamburg, die hier als Mitveranstalter auftritt, in den frühen 70er Jahren ein Kind der DKP war. Auf jeden Fall sollte die Veranstaltungsreihe darauf hinarbeiten, möglichst viel Klarheit in die Köpfe zu bekommen, damit dieses System nicht ein System für die Ewigkeit bleibt. Man sollte auch darauf hinweisen, daß es Erklärungen wissenschaftlichen und analytischen Inhalts gibt, die nicht überholt sind und die man bei Marx, Engels und Lenin nachlesen kann. Daß Marx' Kapital und das Kommunistische Manifest zum UNO-Welterbe erklärt werden, zeigt, daß man ohne dieses Wissen auch heute nicht zu Rande kommt. Es wäre schön, wenn über dieses Wissen gemeinsame Aktionen hier in Hamburg wie jetzt gegen die Privatisierung des Wassers durch die Stadt entwickelt werden. Und daß man Ansatzpunkte findet, an denen sich viele zusammenschließen können, um antikapitalistische Aufklärung und Widerstand zu leisten gegen die asozialen Auswüchse, die von der Politik auf die Städte abgedrückt werden. Das erhoffe ich mir, und wenn dabei Leute beginnen, sich wieder für die DKP zu interessieren, und die Partei so das eine oder andere Mitglied gewinnt, wäre mir das außerordentlich recht.

SB: Hans-Peter Brenner, vielen Dank für dieses Gespräch.


Bisherige Beiträge zur Veranstaltungsreihe "Bürgerliche Herrschaft in der Krise" im Schattenblick unter INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/165: Herrschaft in der Krise - Wo steht der Feind? (SB)
BERICHT/166: Herrschaft in der Krise - Mangel, Druck und Staatsräson (SB)

16. Oktober 2013