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INTERVIEW/251: Kurdischer Aufbruch - der Feind meines Feindes ...    Norman Paech im Gespräch (SB)


Deutsches Kalkül: Waffen für die Peschmerga - Repression für die PKK

Interview am 3. April 2015 in der Universität Hamburg

Die kapitalistische Moderne herausfordern II - Konferenz an der Universität Hamburg, 3. bis 5. April 2015



Im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Norman Paech
Foto: © 2015 by Schattenblick

Norman Paech ist emeritierter Professor für Verfassungs- und Völkerrecht und ehemaliger Abgeordneter der Linksfraktion im Deutschen Bundestag. Auf dem Kongreß "Die Kapitalistische Moderne herausfordern II: Kapitalistische Moderne sezieren - Demokratischen Föderalismus aufbauen", der vom 3. bis 5. April 2015 an der Universität Hamburg stattfand, begrüßte er die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit einem einführenden Vortrag.

Wie er darlegte, sei die tiefe Krise des Kapitalismus seit langem diagnostiziert. Sie sollte auch dem letzten Zweifler deutlich geworden sein, würden doch barbarische Kriege zur Neuordnung der Welt und Sicherung der Ressourcen im Nahen und Mittleren Osten wie auch in Afrika geführt und Gesellschaften am Abgrund wie jene Griechenlands stranguliert. Indessen blieben zwei unbeantwortete Fragen: Welche andere Logik der Entwicklung mit einer höheren Rationalität soll an die Stelle des abgewirtschafteten Kapitalismus treten? Und wer ist in der Lage, diese neue Logik durchzusetzen?

Gesellschaftliche Veränderungen würden nie in wissenschaftlichen Konferenzen durchgesetzt, sie seien vielmehr das Ergebnis der Kämpfe der Völker. An Beispielen fehle es nicht: In Lateinamerika namentlich Kuba und Venezuela, die Dekolonisation Afrikas, aber auch der Kampf des kurdischen Volkes um Unabhängigkeit und Demokratie. Die Menschen in Rojava strebten eine neue, demokratische Gesellschaft an. Es gehe immer wieder darum, friedliche Wege aufzufinden, Vorschläge zur Eröffnung eines politischen Dialogs zu machen, nicht aufzuhören zu kämpfen.

Vor drei Jahren habe er zur Eröffnung der ersten Konferenz gesagt, wir werden noch den Tag erleben, an dem die Kurdinnen und Kurden in Frieden und Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Freiheit, ohne Angst vor Dorfschützern, Polizei und Armee leben können. Er täusche sich nicht, wenn er mit Blick auf die jüngste Entwicklung in der Türkei, in Syrien und auch im Irak trotz des Terrors der Islamisten bekräftige, daß wir diesem Tag nähergekommen sind. Wie Paech abschließend hervorhob, sitze der Mann, der all diese Fragen so lange überdacht und nach ihnen gehandelt habe, immer noch im Gefängnis. Wir dürfen über der Diskussion nicht unsere Aufgabe vergessen, Abdullah Öcalan zu befreien, gab der Referent dem Kongreß mit auf den Weg.

Im Anschluß an seinen Vortrag beantwortete Norman Paech dem Schattenblick einige Fragen zum Umgang deutscher Politik mit dem Kampf der Kurdinnen und Kurden, zur Position der Türkei und Israels in diesem Konflikt sowie zu seiner Delegationsreise nach Rojava.


Norman Paech am Tisch sitzend - Foto: © 2015 by Schattenblick

Wir werden den Tag noch erleben ...
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): In den zurückliegenden Jahrzehnten wurde der Kampf der Kurden durch die deutsche Regierungspolitik diskreditiert. Angesichts der aktuellen Entwicklung sind die Kurden wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt, und die Berichterstattung scheint positiver geworden zu sein. Werden sie tatsächlich in ihrem Befreiungskampf gewürdigt oder sind sie aus hiesiger Sicht bloße Handlanger, die eine bestimmte Funktion erfüllen sollen?

Norman Paech (NP): Ich würde Ihre Einschätzung, daß die Position gegenüber den Kurden freundlicher geworden ist, doch etwas einschränken. Sie ist zwiegespalten: Auf der einen Seite sieht man die Kurden in der Tat als sehr nützliche Bodentruppen im Kampf gegen den Islamischen Staat, auf der anderen Seite spaltet man sie in die guten Kurden, nämlich die Peschmerga, und jene, die man keineswegs unterstützen möchte. Gegen letztere hegt man nach wie vor die Befürchtung, sie drohten durch ein anderes Gesellschaftsmodell die Grenzen zu sprengen. Die alte Abneigung gegenüber den türkischen Kurden, so sie in der PKK organisiert sind, ist nach wie vor präsent.

So kommt es in Deutschland regelmäßig zu Verurteilungen von Kurden, die auch ohne daß ihnen irgendwelche Taten nachgewiesen werden können, allein wegen ihrer Verbindung zur PKK nach Paragraph 129b bestraft werden. Die Nützlichkeit des kurdischen Widerstands gegen den IS wird hervorgehoben, und man schenkt dem Kampf um Kobane sehr viel positive Aufmerksamkeit. Sobald jedoch jemand auch nur eine Fahne zeigt oder das Bild von Öcalan hochhält, wird wie hier in Hamburg gegen eine Abgeordnete der Bürgerschaft ein Antrag auf Aufhebung der Immunität zwecks strafrechtlicher Verfolgung gestellt. Es hat sich etwas geändert, das will ich gar nicht bestreiten, doch die Diskreditierung der Kurden steht nach wie vor auf der Tagesordnung.

SB: Sie haben im Oktober letzten Jahres den Appell an die Bundeskanzlerin mit unterschrieben, der die Aufhebung des PKK-Verbots fordert. Welche Resonanz hatte diese Initiative im parlamentarischen Rahmen?

NP: Was den parlamentarischen Rahmen insgesamt betrifft, kann ich das nicht mit Sicherheit einschätzen. Es gab zitierte Einlässe von einzelnen Abgeordneten, die meinten, man müsse das PKK-Verbot überdenken, aber faktisch ist nichts geschehen. Ich weiß auch im Augenblick nicht, ob der Innenminister irgendeine Initiative ergriffen hat, um das Thema zur Diskussion zu stellen. Aus diesem Ministerium kommt überhaupt nichts. Ich bin da sehr skeptisch.

SB: Welche Position vertritt die Linkspartei in dieser Frage?

NP: Das ist sehr schwierig, das muß ich ganz offen sagen. Als ich dort Abgeordneter war, habe ich versucht, eine Reihe von Resolutionen zugunsten des kurdischen Kampfes und auch zur Entkriminalisierung der PKK in der Partei durchzubringen, bin jedoch seinerzeit am inneren Widerstand von Kolleginnen und Kollegen gescheitert. Heute scheint es sich dahingehend verändert zu haben, daß mehrere Kolleginnen im Kampf um Kobane eine klare Solidarität mit den Kurden gezeigt haben. Ich glaube, daß die Angst, sich von der PKK distanzieren zu müssen, nicht mehr so groß wie früher ist. Man nimmt zunehmend wahr, welch rationale Politik die PKK seit langem unter der Führung von Öcalan gemacht hat, der ja schon vor geraumer Zeit auf die Sezession von der Türkei verzichtet und wiederholt zur Aufgabe des bewaffneten Kampfes gegen sie aufgerufen hat. Das dringt allmählich durch, und die Linksfraktion im Bundestag ist zumindest die einzige, die dort Konsequenzen aus dieser Erkenntnis gezogen hat und heutzutage sehr viel positiver gegenüber den Kurden eingestellt ist als noch zu meiner Zeit.

SB: Vor wenigen Wochen gehörten Sie zu den Referentinnen und Referenten einer Konferenz in Bonn, bei der es um die Aufhebung des PKK-Verbots ging. Könnten Sie ein kurzes Resümee dieser Tagung ziehen?

NP: Als die PKK seinerzeit in der Bundesrepublik verboten wurde, habe ich die Kurden vor dem Bundesverwaltungsgericht vertreten, um eine Aufhebung dieses Verbots zu erstreiten. Ich bin jedoch gescheitert, da das Bundesverwaltungsgericht meinem Plädoyer nicht gefolgt ist. Seitdem bin ich der Überzeugung, daß es eine politisch vollkommen falsche Entscheidung ist, die PKK zu verbieten und zu illegalisieren, zu diskreditieren und zu kriminalisieren. Der Grund für diese Entscheidung liegt auf der Hand, das geschieht auf Druck der Türkei. Man stellt sich auf die Seite des NATO-Verbündeten, tabuisiert mit diesem Schritt jedoch die eigenen Möglichkeiten, politisch auf die türkische Situation Einfluß zu nehmen und dort auch das Kurdenproblem zu lösen. Das ist sehr eng miteinander verflochten, nur hat man sich hier leider vollständig in Abhängigkeit von der türkischen Regierung begeben und deren Wünschen entsprochen. Die Folge sind nach wie vor die bereits angesprochenen Verurteilungen von Kurden nach Paragraph 129b. Das halte ich für eine katastrophal schlechte Politik.

SB: Die türkische Regierungspolitik unter Erdogan wirkt nach außen hin sehr schwankend, was die Kurdenfrage betrifft. Handelt es sich bei der zeitweiligen Annäherung um ein taktisches Manöver oder zeichnen sich doch Tendenzen ab, die zu einer Friedensregelung führen könnten?

NP: Auch das ist eine sehr komplizierte Situation. Ich würde Erdogan in dieser Sache überhaupt nicht trauen. Wir haben verschiedene Anlässe anzunehmen, daß er das sehr taktisch beurteilt und nach seinen Vorteilen aussteuert: Wenn er die Kurden braucht, kommt er ihnen entgegen, braucht er sie nicht mehr, läßt er sie fallen und geht wieder gegen sie vor. Im Augenblick ist die Situation für ihn oberflächlich betrachtet relativ einfach, weil er auf einer Woge der Unterstützung schwebt. Im Grunde ist sie jedoch schwieriger geworden, weil die Situation der Kurden mehr Zustimmung und Unterstützung in der türkischen Bevölkerung selber bekommen hat. Die Befürwortung einer friedlichen Lösung der Kurdenfrage ist sehr viel größer geworden und damit auch der Druck auf die AKP-Regierung, eine politische Lösung im Rahmen von Konföderation und Autonomie herbeizuführen. Insofern bin ich der Überzeugung, daß sich die Situation seit etlichen Jahren verändert hat. Aber wie das bei vielen Politikern ist, laviert Erdogan immer noch und versucht, sich taktisch aus dieser Situation herauszuhalten.

SB: Unter den Akteuren, die in der Region Einfluß nehmen, nimmt auch Israel eine wichtige Rolle ein, taucht aber in den aktuellen Diskussionen selten auf. Wie ist das Verhältnis israelischer Regierungspolitik zu den Kurden einzuschätzen?

NP: Ebenfalls geteilt, je nachdem, welche Kurden man meint. Mit den Peschmerga gibt es eine enge Zusammenarbeit, und wir wissen auch, daß verwundete Kämpfer des IS in israelischen Krankenhäusern behandelt worden sind. Auch in dieser Frage verfolgt man natürlich eigene Interessen, wozu ich Avigdor Lieberman oder auch andere zitieren kann: Je schlechter es Syrien geht, und je mehr Kämpfe in diesem Land ausgetragen werden, desto besser geht es Israel - meint man dort. Das heißt, man unterstützt leider auch dort den Kampf, und je mehr Aufruhr und Chaos im Nachbarland herrschen, desto mehr meint Israel sicher vor den Nachbarn zu sein. Insofern habe ich von keiner Unterstützung der Kurden in Rojava gehört. Aber ich weiß, daß die israelische Regierung zusammen mit den Peschmerga und natürlich auch den Amerikanern ihre Interessen in dieser Region geltend macht.

SB: Sie haben vor einem halben Jahr an einer Delegationsreise nach Rojava teilgenommen. Was war der tiefgreifendste Eindruck, den Sie dort gewonnen haben?

NP: Zum Glück ist über die Situation in Rojava schon sehr vieles an Fragen und Erkenntnissen publiziert worden, weil zahlreiche Delegationen dorthin gereist sind. Für mich war das Überraschendste, daß sich plötzlich in diesem Winkel der Erde, eingeklemmt zwischen der Türkei, Irak und Syrien, die Menschen in diesem kleinen Landstrich emanzipieren und versuchen, ein innerhalb der Umgebung völlig neues, demokratisches Modell zu etablieren und durchzuführen. Und das auf eine Art und Weise, bei der sie ja auch mit den eigenen, noch sehr konservativen Schichten der Gesellschaft eine Übereinkunft herbeiführen müssen. Wir haben dort ein Nebeneinander alter feudaler und ganz moderner demokratischer Strukturen. Wie diese Widersprüche bewältigt werden, zeigte uns das Beispiel des Scheichs eines großen Stammes, der noch voll in der Vergangenheit lebt, aber dennoch bei dem Treffen sofort sagte, die größten Politiker seien für ihn Gaddafi und Öcalan. Er hat also erkannt, daß das Lebensmodell, unter dem er groß, stark und einflußreich geworden ist, absolut der Vergangenheit angehört. Jetzt unterstützt er eine neue Gesellschaft, die offen und sehr viel demokratischer ist als das, was wir hier im Westen vorfinden. Das war für mich der tiefste Eindruck.

SB: Es wird mit gutem Grund angenommen, daß die Angriffe auf Kobane im Zusammenhang mit dem Interesse stehen, genau diesen Gesellschaftsentwurf zu vernichten. Gibt es Ihrer Kenntnis nach belegbare Quellen oder Fakten, um das jemandem, der davon nicht überzeugt ist, näherzubringen?

NP: Da muß man sich nur die Reden und Einlassungen Erdogans ansehen. Er hat ganz klar zum Ausdruck gebracht, daß er dieses Modell vor allem wegen der Nähe zur PKK und den kurdischen Forderungen nach Konföderation, nach Autonomie, nicht dulden will. Er weiß sehr genau, daß dieses Modell von den Gedanken und theoretischen Erwägungen Öcalans geprägt ist. Ohne Öcalan wäre der demokratische Konföderalismus in Rojava nie zustande gekommen. Diese enge Verbindung will Erdogan hintertreiben, das hat er immer wieder eindeutig definiert. Er benutzt den IS, um gegen Kobane und die Kurden zu Felde zu ziehen, und will nicht, daß dieser Konflikt gelöst wird. Ihm geht es darum, daß das realisierte Gesellschaftsmodell in Rojava nicht die Forderung der türkischen Kurden nach einem ähnlichen Modell verstärkt. Das ist der Kern des Konfliktes.

SB: Werden die Bedingungen, unter denen in Rojava am Aufbau gearbeitet wird, durch die militärischen Auseinandersetzungen stark beeinträchtigt?

NP: Meiner Einschätzung nach hat der Aufbau sehr darunter zu leiden. Die geographische Lage Rojavas ist ohnehin sehr problematisch: Im Westen Afrin, in der Mitte Kobane, im Osten an der irakisch-türkischen Grenze Gizire, das sind die drei Kantone. Es ist sehr schwierig, ein gesellschaftliches Modell angesichts einer derartigen territorialen Diskrepanz durchzusetzen. Der IS läßt überhaupt keine Kommunikation, es sei denn übers Internet, zwischen den drei Kantonen zu. Außerdem greift er nicht nur Kobane, sondern auch Gizire und Afrin an. Alle drei Kantone haben darunter zu leiden, und ich bin auch nicht der Überzeugung, daß die Gefahr jetzt durch einige halbe Niederlagen des IS gebannt ist. Das ist meines Erachtens eine schwere Hypothek, insbesondere auch deswegen, weil die Türkei und der Irak, aber auch die USA diesem Modell nicht gerade freundlich gegenüberstehen.

SB: Sie haben die deutlichen Verbesserungen der politischen Situation in Rojava angesprochen. Inwieweit wird dort auch eine Umgestaltung der Eigentums- und Produktionsverhältnisse in Angriff genommen?

NP: Wir konnten das bei unserer Delegationsreise relativ wenig verfolgen, denn dazu müßte man sich sehr viel länger in dem Gebiet aufhalten. Wir wissen nur, daß sie damit begonnen haben, das Eigentum von Großgrundbesitzern zu konfiszieren und an kleinere Bauern in einer bestimmten Größe, die ökonomisch sinnvoll ist, zu verteilen. Zudem werden diese auch mit landwirtschaftlichen Geräten ausgerüstet, damit sie überhaupt in der Lage sind, das Land, welches ihnen jetzt zukommt, zu bebauen. Man muß die Ernährung, die Befriedigung der Grundbedürfnisse sicherstellen. Das wird dadurch erschwert, daß Rojava weiterhin unter dem Embargo seitens der Nachbarstaaten leidet. Unter diesen Bedingungen kann man nicht eine vollkommen neue genossenschaftliche Struktur, wie man sie anstrebt, ohne weiteres aufbauen. Das erste, dringendste Gebot ist vielmehr, die Bevölkerung zu ernähren und mit den Basisgütern zu versorgen. Mir ist jedoch bekannt, daß man versucht, die Struktur der genossenschaftlichen Verfügung über die Ressourcen des Landes durchzusetzen und gleichzeitig die Geschlechterfrage anzugehen. Wir wissen, daß in allen diesen kleinen Organisationen 40 Prozent weibliche Beteiligung garantiert sein müssen. Wo es möglich ist, versucht man diese Gesellschaft aufzubauen und damit auch die Eigentumsstrukturen langsam aber sicher umzugestalten.

SB: Wie ist es zu dem Embargo gekommen? Wurde es von den genannten Nachbarstaaten in direkter Absprache verhängt?

NP: Das Embargo der Türkei entspringt der Furcht, daß sich diese Emanzipation der Kurden in Syrien in dem südöstlichen Teil der Türkei fortsetzt. Gleiches gilt für den Nordirak, wo die Kurden unter Barsani die Autonomie im Anschluß an diesen furchtbaren Krieg bekommen haben. Sie stehen den Kurden in Rojava nicht gerade freundschaftlich gegenüber, weil die jeweiligen Gesellschaftsmodelle völlig verschieden sind. Die Kurden, die hier Peschmerga genannt werden, betreiben eine durch und durch kapitalistische Struktur, sie verdienen am Öl. Sie werden von den Kurden in Syrien als die I-Phone-Peschmerga bezeichnet, eine Formulierung, die nicht sehr schmeichelhaft ist, aber durchaus klarmacht, wie getrennt voneinander sie sind. Ich weiß aber auch, daß sich sowohl die türkischen Kurden der PKK als auch jene in Rojava bemühen, die Verbindung zu diesen so ganz unterschiedlichen Kurden im Irak herzustellen, um sie für die Demokratie und den Konföderalismus zu gewinnen. Aber bisher ist das noch nicht gelungen, das Embargo bleibt aufrechterhalten. Und im Süden ist es der IS, der Rojava im Zangengriff hält.

SB: Im Kontext deutscher Waffenlieferungen schlagen Berichte hohe Wellen, daß die an die Peschmerga gelieferten Waffen fehlerbehaftet gewesen sein sollen. Wie bewerten Sie diese Meldungen und die Waffenlieferungen als solche?

NP: Erlauben Sie mir vorab eine Bemerkung: Je mehr ich von Fehlkonstruktionen oder schlechten Waffen der Deutschen höre, desto positiver finde ich das. Man sollte überhaupt keine Waffen, weder gute noch schlechte, exportieren. Die deutsche Regierung nimmt eine klare Unterscheidung zwischen den guten Peschmerga, die stets mit den USA zusammengearbeitet haben, und den schlechten, nämlich der PKK und den Kurden in Rojava, vor. Die einen bekommen Waffen, die anderen nicht. Dabei weiß man seit langem, daß die gelieferten Waffen nie beim ersten Empfänger bleiben. In Zeiten der Kämpfe, in denen das Geschehen hin und her wogt, landen sie fast zwangsläufig auf der gegnerischen Seite. So wissen wir, daß der IS auch über Milan-Raketen verfügt, die ihm nie geliefert worden sind. Wenn man ein Terrain erobert, erbeutet man auch die Waffen. Das haben wir bei der Einnahme Mossuls gesehen, wo der IS die Panzer der USA wie auch die Milan-Raketen erbeutet hat. Das weiß natürlich auch der Sicherheitsrat in Deutschland, der sich damit beschäftigt, das wissen auch das Innenministerium und das Verteidigungsministerium: Wohin sie auch Waffen liefern - es ist nie gesichert, daß diese dauerhaft bei den Adressaten bleiben.

SB: Wurde die mehrheitliche Ablehnung von Kriegsbeteiligung und Waffenlieferungen in der deutschen Bevölkerung systematisch aufgeweicht, als plötzlich eine militärische Unterstützung der Kurden im Kampf gegen den IS hoch im Kurs stand?

NP: Ich bin der Überzeugung, daß nach wie vor eine sehr breite Ablehnung des Krieges in der deutschen Bevölkerung vorherrscht. Wir haben es in Rojava jedoch mit einer besonderen Situation zu tun, die mich an meine eigene, man kann fast sagen, Jugend in den 60er, 70er Jahren erinnert. Damals ging es um die Frage, auf welche Weise man Befreiungsbewegungen in Afrika unterstützt. Es gab damals lebhafte Diskussionen über die Waffenlieferungen der UdSSR an die MPLA in Angola, die gegen die portugiesische Kolonialherrschaft kämpfte. Ich habe diese Lieferungen unterstützt und bin sozusagen ein eingeschränkter Pazifist, wenn es um die Befreiung geht.

Insofern habe ich auch die Forderung unterstützt, daß der Weg für diejenigen kurdischen Brüder und Schwestern geöffnet wird, die aus der Türkei zur Unterstützung der Verteidigung und Befreiung der Kurden in Kobane kommen. Das hat heftige Diskussionen in meiner Partei ausgelöst, in der etliche immer noch anderer Auffassung sind. Ich bin jedoch aufgrund dieser historischen antiimperialistischen Position, die ich immer vertreten habe, schon der Ansicht, daß der Weg für diese Unterstützung der Kurden durch Kurden freigemacht werden muß.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich lehne deutsche Waffenlieferungen ab, wie sie hier ventiliert und auch getätigt worden sind. Sie tragen nicht zur Befreiung der Kurden bei, sondern nur zu einer weiteren Eskalation des Kriegsgeschehens in der Region, weswegen ich strikt dagegen bin.

SB: Herr Paech, vielen Dank für dieses Gespräch.


Einführungsbeitrag zum Kongreß "Die Kapitalistische Moderne herausfordern II" im Schattenblick unter
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BERICHT/190: Kurdischer Aufbruch - fortschrittlicher Beginn (SB)

24. April 2015


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