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INTERVIEW/263: Kurdischer Aufbruch - die Klassen wandeln sich ...    David Harvey im Gespräch (SB)


Kapitalismus sezieren - die Machtfrage stellen

Die kapitalistische Moderne herausfordern II - Konferenz an der Universität Hamburg, 3. bis 5. April 2015


Der 1935 geborene Geograph und Marxist David W. Harvey gilt seit Jahrzehnten als kompetentester Erforscher der konkreten Bewegungen des Kapitals in Zeit und Raum. Auf der Konferenz "Die kapitalistische Moderne herausfordern II" ging er in der ersten Session unter dem Thema "Nationalstaat - Gott auf Erden?" auf die Zirkulation des Geldkapitals und die territoriale Organisation von Macht im Staatensystem ein. [1]

Am folgenden Tag beantwortete David Harvey dem Schattenblick einige Fragen zur Konkretion antikapitalistischer Positionen, zur Bedeutung der Urbanisierung, zu einem neuen Klassenbegriff und zum Aspekt der Macht in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen.


Im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

David Harvey
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Wir haben gestern in der Session 1 über das Wesen des Kapitalismus und antikapitalistische Bewegungen gesprochen. Was bedeutet es aus Ihrer Sicht, antikapitalistisch zu sein, wo dieser Begriff doch auf höchst unterschiedliche Weise verwendet wird?

David Harvey (DH): Es bedeutet, die grundlegende Produktionsweise tatsächlich zu verändern, die in allen Formen kapitalistischer Gesellschaft dominiert. Man könnte sich das folgendermaßen vorstellen: Wenn der Kapitalismus ein Ozeanriese ist, ist das Kapital das, was im Maschinenraum vor sich geht. Wenn gravierende Probleme im Maschinenraum auftreten, wie das gegenwärtig der Fall ist, müssen wir darüber nachdenken, wie wir die Gesellschaft auf eine völlig andere Weise antreiben können. Allerdings hat der Maschinenraum eine sehr spezifische Struktur, denn es geht im Kapitalismus natürlich darum, Profit zu generieren, die Zirkulation und Akkumulation des Kapitals in unablässig wachsendem Ausmaß zu befördern. Es geht auch darum, bestimmte Ausdifferenzierungen in der Bevölkerung hervorzubringen, die in Wohlhabende und Habenichtse unterteilt wird. Das ist das grundlegende operative System mit seinen diversen Charakteristika und internen Instabilitäten und Widersprüchen. Wie wir wissen, wird es immer wieder von Krisen heimgesucht. Wir müssen dieses System meines Erachtens durch eine alternative Produktionsweise ersetzen, die nicht auf Geld beruht, das dazu verwendet wird, noch mehr Geld zu verdienen.

SB: Die Bewegung der Kurdinnen und Kurden, wie sie sich auf diesem Kongreß darstellt, nimmt für sich antikapitalistische Positionen in Anspruch. Ist sie nach Ihrer Einschätzung tatsächlich im Kern antikapitalistisch oder verwendet sie diese Begrifflichkeit eher in einem oberflächlichen Sinn?

DH: Ich habe hier sehr detaillierte Auffassungen gehört, was mit Antikapitalismus gemeint ist. Da ich die Ausführungen teilweise nur in der Simultanübersetzung verfolgen konnte, bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich alles richtig verstanden habe. Deshalb würde ich gern mehr darüber lesen und herausfinden, in welchem Sinn die heute vorgetragenen Argumente gegen die kapitalistische Produktionsweise verwendet werden. Es wurde jedenfalls großer Wert auf Demokratie gelegt, was ich für sehr gut und wichtig halte. Ich glaube jedoch nicht, daß eine zunehmende Demokratisierung zwangsläufig in eine antikapitalistische Stoßrichtung mündet. Der Kapitalismus kann meines Erachtens mit sehr viel mehr Demokratie überleben, als sie heute existiert. Ebenso zweifle ich nicht daran, daß er mit einer wesentlich größeren Gleichberechtigung der Geschlechter und einer viel geringeren sozialen Ungleichheit, wie wir sie heute kennen, fortbestehen könnte. Ich glaube, daß der Kapitalismus sogar unter Bedingungen überleben könnte, in denen die Umwelt in sehr viel höherem Ausmaß, als es derzeit der Fall ist, ins Blickfeld gerückt und geschützt wird. Alles das könnte geschehen, ohne daß die ökonomische Maschinerie des Ozeanriesen verändert wird.

Deshalb stellt sich aus meiner Sicht die große Frage, warum man diese Maschine überhaupt verändern sollte, wenn doch all das mit ihr möglich ist. Ich kann einige sehr spezifische Gründe anführen, warum diese ökonomische Maschine verändert werden sollte. Diese Gründe haben insbesondere mit dem Umstand zu tun, daß sie mit unablässigem Wachstum und einer Verschuldungsrate verbunden ist, die einen Punkt der Eskalation erreicht haben, an dem gravierende soziale, politische und ökologische Probleme aufbrechen. Dieses ungezügelte Wachstum führt zu einer Belastung der Umwelt, die eine ganze Palette höchst bedrohlicher Folgekonsequenzen nach sich zieht. Zudem nimmt dieses Wachstum gemessen an den realen Verhältnissen in zunehmendem Maße geradezu fiktionale Züge an. Das hat unter anderem zur Folge, daß immer mehr Menschen nicht mehr nachvollziehen können, welchen Sinn das alles noch haben soll. Daher greift in der Gesellschaft eine Entfremdung um sich, was die Art der neu geschaffenen Arbeitsplätze, die Formen des eskalierenden Konsumismus wie auch das Verhältnis zur natürlichen Umwelt betrifft, das immer instrumenteller wird. Diese Entfremdung durchdringt alle Sphären dieses Systems und bringt alle erdenklichen Ausdrucksformen der Revolte hervor, wie wir sie etwa in London erlebt haben, wo Gebäude in Brand gesetzt wurden.

Es sind Ausbrüche des Zorns, die mitunter zu einer verrückten religiösen Sinnsuche führen. Eines dieser Zeichen, das mich sehr erschreckt, ist das Phänomen einer wachsenden Zahl muslimischer Jugendlicher in westlichen Ländern wie Frankreich oder Britannien, die dem Kurs des IS folgen, weil sie in bedeutungslosen Lebensverhältnissen existieren, nach Bedeutung und Sinn suchen und in diese Richtung abdriften. Ich hege die große Befürchtung, daß diese Entfremdung zu allen erdenklichen Formen faschistischer Reaktionen führt. Der Linken kommt eine hohe Verantwortung zu, uns durch diese außerordentlich schwierige Periode zu führen, indem sie dezidiert herausarbeitet, worin das Problem des Kapitalismus besteht und auf welche Weise er beendet und durch etwas anderes ersetzt werden könnte, das dem alltäglichen Leben, das wir führen, und den Tätigkeiten, die wir ausüben, wieder eine Bedeutung verleiht, und dem Wachstum und der Zerstörung der Umwelt Einheit gebietet.

SB: Könnte man innerhalb der Linken in der Weise von einem Bruch zwischen den Generationen sprechen, daß junge Menschen viele neue Ideen und Ansätze nach vorn bringen, aber die Verbindung zu antikapitalistischen Positionen vielfach unterbrochen oder abgerissen ist?

DH: Ich stimme dem zu. Eine Do-it-yourself-Politik, die sich in gewissem Umfang durchaus sehen lassen kann und sich teilweise ausdrücklich zum Anarchismus oder Autonomismus bekennt, ist weit verbreitet. Andere Fraktionen wiederum schließen sich traditionellen linken Splitterparteien an. Die Linken meiner Generation fühlen sich dem Anliegen verpflichtet, einen Zusammenhang zwischen der Marxschen Analyse des Kapitalismus und deren wesentlichen Impulsen für eine linke Politik im Kontext aktueller Erscheinungsformen herzustellen und letzterer eine größere Relevanz für die heute vorherrschende Politik zu verleihen. Ich führe beispielsweise stets argumentativ an, daß die Kämpfe in den Städten als Teil eines Projekts der Linken außerordentlich bedeutsam sind. Der traditionelle Marxismus betont hingegen, daß der entscheidende Kampf in den Fabriken und an anderen Arbeitsplätzen geführt werde. Demgegenüber weise ich darauf hin, daß die bedeutsamsten Kämpfe, die gegenwärtig ausbrechen, die Qualität der urbanen Lebensverhältnisse betreffen. Das Leben in den Städten sollte sehr viel stärker in den Fokus der Linken gerückt werden. Man denke nur an die Auseinandersetzungen im Gezi-Park in Istanbul oder die Proteste im Kontext der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien. Die traditionelle Linke sollte ihren Fokus von den Fabriken auf das alltäglichen Leben in den Städten verschieben, um sich mit der Frage zu befassen, wie die Grundlage einer alternativen Politik aussehen könnte.

SB: Könnte man sagen, daß die wachsende Tendenz zur Ausbildung von Megacities, zumal heute bereits über die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten lebt, der traditionellen Linken mehr oder minder entgangen ist?

DH: Ich selbst habe mich seit jeher mit Fragen der Urbanisierung befaßt. Einmal habe ich den Herausgeber eines der führenden Journale marxistischen Gedankenguts gefragt, ob ihm eigentlich klar sei, daß er seit Gründung seiner Zeitschrift 1955 bis in die neunziger Jahre keinen einzigen Artikel zur Urbanisierung veröffentlicht hat, obgleich sich in dieser Periode die radikalste Transformation auf dem Planeten vollzog. Er sah sehr überrascht aus und erwiderte dann, es habe aber doch zumindest einen Beitrag zur Ästhetik des Städtebaus gegeben. (lacht) Die Linke war in der Tat nie gut auf diesem Gebiet, beginnt aber inzwischen doch die Bedeutung dieser fundamentalen Entwicklung zu erkennen.

SB: Hängt diese jahrzehntelange Einschränkung der linken Perspektive damit zusammen, daß die rasanteste Urbanisierung aus westlicher Sicht wenig bedeutsam erschien, weil sie sich vor allem in entfernten Weltregionen wie Asien, Afrika und Lateinamerika vollzog?

DH: Das Interesse der Linken an den Arbeitsbedingungen in den Fabriken ist nicht verschwunden, es richtet sich heute insbesondere auf Bangladesch, China und Südostasien. Ich stelle das nicht Abrede, da es sich verstärkt anderen Weltregionen zugewendet hat. In zahlreichen Städten Nordamerikas sind die traditionellen Fabrikarbeitsplätze verschwunden, was nicht bedeutet, daß es kaum noch Arbeitsplätze gibt. Es fand jedoch eine Verschiebung von der Automobilproduktion zu der Herstellung von Hamburgern statt. Der traditionellen Linken fällt es schwer einzuräumen, daß der Produzent eines Hamburgers genauso wichtig wie der eines Autos ist. Es ist natürlich erheblich schwieriger, erstere zu organisieren, aber es gibt doch längst Ansätze in dieser Richtung. So existiert in den USA eine Bewegung der Beschäftigten von McDonald's, und interessanterweise haben einige radikale Computer-Gurus ein Netzwerk für diese Leute eingerichtet, so daß sie sich plötzlich in zehn Städten zusammengeschlossen haben, was beträchtliche Auswirkungen hat. Hier und da sind durchaus erfreuliche Entwicklungen zu erkennen, aber was die traditionelle Linke insgesamt betrifft, hat es doch eine ganze Weile gedauert, bis sie erkannt und akzeptiert hat, daß sie es kaum noch mit Automobil- oder Stahlarbeitern, sondern vielmehr mit den Herstellern von Hamburgern, Kaffee und Suppen zu tun hat.

SB: Die führenden Unternehmen der Informationstechnologie konzentrieren sich nach wie vor in den USA. Resultiert daraus ein technologischer Vorsprung gegenüber anderen Ländern, der die industrielle Macht in die Zukunft fortschreibt?

DH: Die Vereinigten Staaten stellen keine Computer her. Es gibt dort jedoch Apple, Google, Facebook, Twitter und weitere dieser merkwürdigen Organisationen, die genaugenommen nichts produzieren. Es sind ihre Nutzer, die etwas produzieren, woraus sich die Unternehmen ihre Rente aneignen. Es handelt sich also um keinen klassischen Profit aus der Produktion, sondern um das System, eine Rente zu extrahieren. Dies entspricht meines Erachtens der Richtung, in die sich der Kapitalismus insgesamt bewegt, nämlich zu immer mehr Rentier-Aktivitäten wie jenen beim Grundbesitz, auf dem Immobilienmarkt oder bei den Rechten auf geistiges Eigentum. Der glückliche Kapitalist ist heute einer, der Rechte auf geistiges Eigentum kontrolliert und seine Rente daraus kassiert. Bill Gates schuf Microsoft und bezieht bis an sein Lebensende Lizenzgebühren.

SB: Sie haben in Ihrem gestrigen Vortrag auf die Bewegungen des Kapitals in Raum und Zeit hingewiesen und dabei auch eine Verschiebung nach China angesprochen. In welchem Maße ist das Kapital trotz seiner Wanderbewegungen nach wie vor mit führenden Nationalstaaten assoziiert?

DH: Die Mobilität des Kapitals ist seit jeher eine enorme Macht. Marx und Engels sprachen im Kommunistischen Manifest davon, daß es sich auf bestimmte Weise durch die ganze Welt bewege. Insofern ist das Kapital nicht fest an bestimmte Staaten gebunden, was insbesondere für das hochmobile Finanzkapital gilt, das ich die Schmetterlingsform des Kapitals nenne: Es flattert umher, landet irgendwo und fliegt wieder davon. Hingegen können sich Sachwerte nicht derart frei und leicht bewegen, da man sie real im Container oder auf dem Schiff transportieren muß. Die Produktion kann sich schwer umherbewegen, wenngleich es durchaus Beispiele gibt, in denen ganze Stahlwerke von Deutschland nach China versetzt wurden. Dazu sind jedoch sehr aufwendige Operationen erforderlich, die eher selten durchgeführt werden.

Eine Folge ist der Aufstieg des Finanzkapitals seit den 1970er Jahren in die Führungsposition im gesamten Prozeß der Zirkulation des Kapitals. Es ist eine Schmetterlingsform, die dominant geworden ist und sich daher immer schneller umherbewegt. Die Bondholder springen nach Griechenland und verlassen es wieder, so daß das Geldkapital die Räume diszipliniert. Wir haben es also mit einer anderen Kapitalform zu tun, die durch disziplinatorische Aktivitäten Wert für sich schöpft, indem sie extrahiert, also nichts herstellt, sondern Zahlungen kassiert. Auch das Beispiel Argentiniens ist in diesem Zusammenhang sehr interessant, weil sich dieses Land 2002/2003 mit der Mehrzahl seiner Gläubiger geeinigt hatte. Einige wenige Gläubiger erwirkten jedoch vor US-amerikanischen Gerichten Urteile, mit denen sie Argentinien in Geiselhaft genommen haben. Das Finanzkapital ist hochmobil, doch kehrt man ins Zentrum zurück, wenn man die Frage stellt, wer den Dollar kontrolliert. Ich spreche in diesem Zusammenhang von Akkumulation durch Enteignung, was ein anderer Ausdruck für Raub und Diebstahl ist, ob dies nun formal legal wie im Falle Argentiniens oder illegal geschieht.

SB: Dem Mittleren Osten wird eine Politik der sogenannten kreativen Zerstörung aufgezwungen, indem man Nationalstaaten systematisch zerschlägt und die gesamte Region zunehmend fragmentiert. Könnte man diesen Prozeß ebenfalls als ein Manöver des Kapitals bezeichnen, Räume zu okkupieren und nach seinen Maßgaben grundlegend zu verändern?

DH: Mir gefällt der Gedanke nicht, daß das Kapital alles und jedes hervorbringt. Es setzt meines Erachtens Dinge in Bewegung, doch sobald diese Prozesse angelaufen sind, entwickeln sie ihre eigene Dynamik und münden in ein Chaos, woraus das Kapital auf die eine oder andere Weise Profit zu schlagen versucht, was ihm meistens auch gelingt. Ich gehe jedoch nicht davon aus, daß das Kapital solche Entwicklungen inszeniert, und denke, daß wir es heute mit diversen unbeabsichtigten Folgen der Kapitalinteressen und -bewegungen zu tun haben. Was die Invasion des Iraks durch die USA betrifft, war diese natürlich beabsichtigt, was jedoch nicht für die weitreichende Destabilisierung gilt, die heute das Feld beherrscht.

Vieles, was sich derzeit im Mittleren Osten abspielt, war meines Erachtens nicht in der Weise kalkuliert, daß es erwünscht gewesen wäre und deswegen gezielt herbeigeführt wurde. Die USA müssen terroristische Organisationen unterstützen, um den IS zu bekämpfen, oder kooperieren zu diesem Zweck sogar partiell mit dem Iran, den sie zugleich auf anderer Ebene diskreditieren und angreifen. Ich glaube nicht, daß das Kapital oder die US-Regierung diese Komplikationen entworfen hat, bei denen es sich eher um unbeabsichtigte Folgekonsequenzen handelt, die zu neuen Krisen führen. Das Kapital und die kapitalistischen Mächte stehen dann vor dem Problem, mit diesem neu entstandenen Modell so umzugehen, daß es ihren Interessen bestmöglich zugute kommt.

SB: In den Diskussionen dieses Kongresses taucht der Begriff "Macht" so gut wie gar nicht auf. Warum ist so viel von Demokratie und Veränderung, aber so wenig von Waffengewalt, repressiver Staatlichkeit und anderen Zwangsmitteln der Herrschaftssicherung die Rede?

DH: Diese Frage ist sehr wichtig. Ein Teil diesbezüglicher Schwierigkeiten hier auf dem Kongreß ist meines Erachtens darauf zurückzuführen, daß der anarchistische Flügel in philosophischer Hinsicht sehr zurückhaltend ist, von Macht zu sprechen. Weil sie die Macht nicht übernehmen wollen, herrscht unter Anarchisten die Tendenz vor, nichts mit ihr zu tun haben zu wollen. John Holloway, der an dem Kongreß teilnimmt, will die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen, womit ich natürlich nicht übereinstimme. Es handelt sich bei dieser Position weniger darum, Macht zu bestreiten, als sie zu ignorieren. Ich hingegen halte die Machtfrage für außerordentlich wichtig. Manchmal ist es allerdings schwierig, dies in ein Gespräch einzubringen. Das rührt aus der Tendenz her, das Schwergewicht auf lokale Demokratie zu legen, die ein sehr wichtiger Wert ist. Der häufig verwendete Terminus "Autonomie" bleibt jedoch inhaltsleer, solange man nicht spezifiziert hat, was genau diese autonome Form sein soll und über welche Macht man verfügt, autonom zu bleiben.

Ich glaube, es herrscht eine gewisse Zurückhaltung vor, darüber zu reden. Man spricht lieber davon, autonome Räume zu schaffen und zu demokratisieren, womit das Gespräch endet. Meines Erachtens beginnt jedoch das Gespräch an dieser Stelle erst. Dies ist ein sehr wichtiger Beginn, den wir nie vergessen und zu dem wir immer wieder zurückkehren sollten, da wir andernfalls nicht validieren können, was anderswo in Beziehung zu einer demokratischen Basis geschieht. Aber es gibt diese Tendenz, die unbequemen Aspekte zu ignorieren und sich nicht der Frage zu stellen, wie eine Machtstruktur auszusehen hat, wenn man Autonomie anstrebt. Unter diesen Voraussetzungen handelt es sich immer nur um eine relative Autonomie.

SB: Herr Harvey, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnote:

[1] Siehe dazu BERICHT/193: Kurdischer Aufbruch - Gesichter des Kapitals ... (2) (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0193.html


Beiträge zur Konferenz "Die kapitalistische Moderne herausfordern II" im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/190: Kurdischer Aufbruch - fortschrittlicher Beginn (SB)
BERICHT/192: Kurdischer Aufbruch - Gesichter des Kapitals ... (1) (SB)
BERICHT/193: Kurdischer Aufbruch - Gesichter des Kapitals ... (2) (SB)
INTERVIEW/250: Kurdischer Aufbruch - demokratische Souveränität und westliche Zwänge ...    Dêrsim Dagdeviren im Gespräch (SB)
INTERVIEW/251: Kurdischer Aufbruch - der Feind meines Feindes ...    Norman Paech im Gespräch (SB)
INTERVIEW/254: Kurdischer Aufbruch - Volksbefreiung, Selbstbefreiung ...    Asya Abdullah im Gespräch (SB)
INTERVIEW/255: Kurdischer Aufbruch - und also Öcalan ...    Mustefa Ebdi im Gespräch (SB)
INTERVIEW/258: Kurdischer Aufbruch - Volle Bremsung, neuer Kurs ...    Elmar Altvater im Gespräch (SB)
INTERVIEW/262: Kurdischer Aufbruch - Ketten der Schuld ...    David Graeber im Gespräch (SB)

31. Mai 2015


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