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INTERVIEW/391: Es geht ums Ganze - eine neue linke Note ...    Simon Ernst im Gespräch (SB)


Gespräch am 7. Oktober 2017 in Düsseldorf


Simon Ernst gehört dem ver.di-Bezirksfachbereichsvorstand Bildung, Wissenschaft & Forschung NRW-Süd an. Im Rahmen des bundesweiten Grundrechtekongresses der Initiative "Demonstrationsrecht verteidigen!", der am 7. Oktober 2017 in der Volkshochschule Düsseldorf stattfand, moderierte er beim Auftakt- und Abschlußpodium wie auch bei der abschließenden Pressekonferenz. Unmittelbar nach Ende der Veranstaltung beantwortete Simon Ernst dem Schattenblick einige Fragen zu seinen Eindrücken beim Kongreß, zu Bündnisfragen der Bewegung gegen den Abbau der Grundrechte und zum Brückenschlag zwischen den Generationen.


Beim Vortrag auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

Simon Ernst
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Simon, ich möchte mit einer ganz persönlichen Frage beginnen: Du bist als einer der Organisatoren und Moderatoren des Kongresses durchweg sehr angefordert gewesen. Wie ist im Moment deine Stimmung, dein Gefühl, wie die Tagung aus deiner Sicht gelaufen ist?

Simon Ernst (SE): Ich bin erstmal unglaublich erleichtert und froh, daß so viele Teilnehmer hier gewesen sind und daß wir das trotz des Sturmschadens auf dem Podium mit drei fehlenden Referenten gut über die Bühne bekommen haben und nicht nur der Auftakt sehr schön war.

SB: Auf dem Kongreß war ein breites und vielfältiges Spektrum an Menschen und Positionen vertreten. Bist du auch mit dem Verlauf der Diskussionen zufrieden?

SE: Was mich überrascht hat, war die große Einigkeit unter den Teilnehmern zu sagen, wir müssen jetzt direkt ans Handeln kommen, und daß man sich weniger in diesen, ich sage mal, Detaildebatten verfranst hat, wie man das sonst von so großen Veranstaltungen kennt.

SB: Es gibt relativ feste Bündnisse zu bestimmten Themenfeldern wie zum Beispiel der Kohlefrage, wohl auch zu G20. Könntest du dir vorstellen, daß die Bewegung gegen den Abbau der Grundrechte auch für sich genommen auf Dauer so etwas wie eine eigene Größe und als fester Bezugskreis wahrgenommen wird, der ständig zu dieser Thematik arbeitet?

SE: Einerseits, glaube ich, sind wir ja dazu gezwungen, bei dieser Frage alle gemeinsam zusammenzurücken, weil wir alle angegriffen werden. Andererseits denke ich, daß es gar keine so besondere Bewegung abseits von den anderen ist, sondern daß sie dann erfolgreich ist, wenn wirklich auch alle mitmachen.

SB: Es sind viele Gewerkschafter mit im Boot, auch Menschen, die sich Parteien zugehörig fühlen. Wie würdest du das Verhältnis von Basisaktivitäten und organisierter Partei- oder Gewerkschaftsarbeit bewerten? Kann daraus aus deiner Sicht ein tragfähiges Bündnis hervorgehen?

SE: Wir haben als nichtparteilich organisierte Aktivisten die Erfahrung gemacht, daß hier die Parteien tatsächlich dazugekommen sind und geholfen haben. Das betrifft alle Parteien links von Grünen und SPD, die mit an einem Strang gezogen haben. Das war für mich persönlich eine sehr schöne Erfahrung, weil ich sonst oft das Gefühl hatte, daß die sich vor allem selber in den Mittelpunkt stellen wollten. Aber hier sehe ich eine produktive Zusammenarbeit zwischen den Aktivisten und den Parteivertretern bis in die Bundesebene.

SB: Linke Parteien haben lange Umweltfragen oder überhaupt die allermeisten Fragen, die junge Menschen heute wirklich bewegen, mehr oder weniger ausgeblendet oder sogar als Teil der bürgerlichen Ideologie zurückgewiesen. Würdest du sagen, daß eine junge Basisbewegung in Klimafragen, Tierrechtsfragen, in ganz verschiedenen Bereichen wie im Hambacher Forst, wo Menschen mit großem Engagement und Einsatz für ihre Sache einstehen, von den klassischen linken Parteien endlich entdeckt werden?

SE: Na ja, die gewerkschaftliche und die sozialistische Bewegung lebt ja von der Energie, die von der Basis kommt und von dem ständigen Zustrom der Menschen, die neu mitmachen. Und wenn wir dieses Mal bei dem Kongreß hier sehen, daß sich Parteien beteiligen, ist das natürlich schön. Aber die große Menge der Teilnehmer macht das natürlich aus einem Antrieb, der aus ihrer eigenen Praxis kommt, und ob man dann zu Hause ein Parteibuch liegen hat oder nicht, ist wahrscheinlich am Ende für die praktische Politik aus meiner Sicht nicht die entscheidende Frage.

SB: Der Nachwuchs in manchen Parteien, aber auch in der Gewerkschaft ist derzeit in bestimmten Fragen sehr weit vorn positioniert. Es war doch sehr überraschnd, wie radikal beispielsweise die ver.di-Jugend NRW-Süd agiert. Ist das aus deiner Sicht ein neues Phänomen oder bislang nur übersehen worden?

SE: Politkwissenschaftler haben ja vielfältige Theorien darüber, warum gerade die Generation der Jugendlichen in den letzten fünf oder zehn Jahren, die mit der Weltwirtschaftskrise und der neuen weltweiten Blockkonfrontation aufwächst, besonders politisch aktiv ist und besonders wenig Vertrauen in die bisher regierenden Parteien setzt. Deswegen ist die Jugend für uns ein wichtiges Potential. Der Kongreß hat aber auch gezeigt, daß die Verbindung mit den älteren Generationen eine besondere Stärke und Trumpfkarte war, und ich glaube, nur wenn man das zusammenkriegt, kann man eine ernsthafte Widerstandsbewegung aufbauen.

SB: Du hast selber gemeinsam mit deinem Vater ein Beispiel gegeben, wie der Brückenschlag zwischen den Generationen funktionieren kann. War das eine aktuelle Entwicklung in deiner Familiengeschichte, die sich erst im Kontext der G20-Proteste vollzog?

SE: (lacht) Mein Vater hat ja selber gesagt, daß er 1983 für den Frieden demonstriert hat. Warum er zwischendurch aufgehört hat, könntest du ihn vielleicht selber fragen. Aber natürlich haben wir immer zu Hause über diese politischen Fragen diskutiert. Ich habe stets die Fragen aus der politischen Bewegung in mein gesamtes Umfeld mitgenommen, um sie überall zu debattieren. Das ist, glaube ich, entscheidend, weil unsere Waffe am Ende die Argumente sind, Schlagstöcke und Wasserwerfer haben wir ja nicht so viele.

SB: Simon, vielen Dank für das Gespräch.


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1. November 2017


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