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INTERVIEW/407: Pflegenot - ein Teil des Kampfes ...    Bärbel Schönafinger im Gespräch (SB)


Gespräch am 3. März 2018 in Hamburg-St. Georg


Der 160. Jour Fixe der Hamburger Gewerkschaftslinken [1] war dem Thema "Kämpfe in Krankenhäusern in Hamburg, Bremen und Berlin - Organisierung von Pflegebündnissen - die Macht der Öffentlichkeit" gewidmet. Er fand in Zusammenarbeit mit der Initiative labournet.tv [2] statt. In der Veranstaltung wurden auch einige Videos zu Pflegestreiks gezeigt, die das in Berlin ansässige Online-Archiv für Filme aus der ArbeiterInnenbewegung beisteuerte. Anschließend beantwortete Bärbel Schönafinger von labournet.tv dem Schattenblick einige Fragen zu den Beweggründen, die der Arbeit dieses 2011 entstandenen Filmarchivs zugrundeliegen.

Schattenblick (SB): Wie seid ihr auf die Idee gekommen, Filme zu sozial- und klassenkämpferischen Themen mit deutschen und englischen Untertiteln zu versehen und auf eurer Seite weiterzuverbreiten, aber auch selber Videos zu Arbeitskämpfen zu produzieren? Ist die Berichterstattung darüber so gering?

Bärbel Schönafinger (BS): Es gibt unglaublich wenig Berichterstattung über Kämpfe am Arbeitsplatz, und wenn, dann ist sie wahnsinnig tendenziös und verzerrend. Allgemein ist es so, daß ArbeiterInnen medial so gut wie ausgeblendet werden. Selbst wenn sie streiken, werden sie nicht selber, sondern bestenfalls ein Gewerkschaftsvertreter oder die Gegenseite befragt. Wo ArbeiterInnen oder Lohnabhängige ernstgenommen werden müßten, klafft eine riesige Leerstelle. Wir glauben, daß es extrem wichtig ist, Leute direkt darüber zu befragen, wofür sie kämpfen, wie sie es machen und welche Probleme sie haben. Ich denke, daß Leute am Arbeitsplatz über mehr Macht verfügen als überall sonst, wenn sie sich organisieren. Wenn sie auf die Straße gehen, haben sie weniger Macht, weil sie am Arbeitsplatz direkt dafür sorgen können, daß beispielsweise Patienten nicht mehr versorgt werden, die Gesellschaft zum Stillstand kommt und kein gesellschaftlicher Reichtum mehr produziert wird. Eigentlich verfügen Lohnabhängige potentiell über total viel Macht, und genau das wird in den bürgerlichen Medien verschleiert. Dort setzen wir an.

SB: Knüpft ihr damit auch an die historische Rolle der revolutionären Arbeiterbewegung an und versucht sozusagen, diesen Faden wieder aufzugreifen? Häufig wird ja behauptet, daß die Arbeiterklasse damit völlig gescheitert sei.

BS: Es wird oft gesagt, daß es keine Arbeiterinnen und Arbeiter mehr gibt, und wenn, dann nur irgendwo in China. In Deutschland ist es seit den 1990er Jahren gelungen, so zu tun, als gäbe es die Klasse der Lohnabhängigen nicht mehr, als wären wir alle nur noch Bürgerinnen und Bürger. Wir hingegen denken, daß der Klassengegensatz entscheidend in unserer Gesellschaft ist, so, wie die Produktion von gesellschaftlichem Reichtum funktioniert, eben über den Lohn, über die Warenform, über den Gebrauchswert. Und dort müssen wir ansetzen und es ändern, damit wir in einer menschenwürdigen Gesellschaft leben können.

SB: Wie erreicht ihr Leute mit euren Filmen? Spielt ihr sie zum Beispiel im Rahmen von Arbeitskämpfen ab?

BS: Ja, wir versuchen, möglichst modern zu sein, erstens, indem wir uns für das Medium Video entschieden haben, das leichter konsumierbar ist und vor allem von jungen Leuten mehr konsumiert wird als Text, und zweitens, indem wir auf das Medium Internet setzen, weil es eben allgegenwärtig ist. Wir haben uns sozusagen dafür entschieden, die modernsten Medien zu verwenden, um darüber zu berichten, was an den Arbeitsplätzen passiert. Die Verbreitung geht vor allem über das Internet. Wir benutzen auch social media und versuchen, möglichst viele Veranstaltungen zu organisieren. Wir sind aber vor allem daran interessiert, daß andere Leute die Filme, die wir auf unserer Seite haben, nutzen, um selber Veranstaltungen zu machen. Man kann die Filme und die Untertitel direkt von der Seite runterladen und damit selber politisch arbeiten. Es war von vornherein ein wichtiger Gedanke, daß wir die Filme frei zur Verfügung stellen. Wir wollen, daß Filme ein Werkzeug für die politische Aufklärungs- und Agitationsarbeit sind.

SB: Gibt es Interesse von Sendern oder Mainstream-Medien an eurem Material mit Blick auf eine Zusammenarbeit oder ist die Klassenfrage inzwischen so sehr vom normalen Medienbetrieb abgekoppelt, daß man es tatsächlich mit einer alternativen Medienwelt zu tun hat?

BS: Es gibt Überschneidungen mit linken Tageszeitungen und linken Zeitschriften, aber was das Fernsehen angeht, gibt es null Kontakt. Wenn sie etwas über einen Streik machen wollen, schicken sie ihr eigenes Team hin. Aber es gibt ja noch ein bißchen linke Presse mit Interesse an solchen Themen. Zum Beispiel haben wir vor zwei Jahren einen Film gemacht über die Streikwelle in der italienischen Logistikindustrie, die sehr erfolgreich ist und wo sich migrantische ArbeiterInnen in den Warenlagern seit 2008 massiv zur Wehr gesetzt haben. Da gab es schon ein bißchen Interesse von linken Zeitungen.

SB: Du hattest vorhin erwähnt, daß ihr ökonomisch bedroht seid. Habt ihr versucht, Institutionen wie zum Beispiel Stiftungen in Anspruch zu nehmen, die für solche Projekte Mittel vergeben?

BS: Ja, wir sind seit unserer Gründung von der Privatstiftung Menschenwürde und Arbeitswelt unterstützt worden. Leider wollen sie aus der Förderung aussteigen. Ich habe das Gefühl, daß es nicht wirklich andere Stiftungen gibt, die an die Stelle der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt treten können, schlicht, weil sonst keine Stiftungen existieren, die sich genau für diesen Klassengegensatz und für Kämpfe am Arbeitsplatz interessieren. Es liegt wahrscheinlich in der Natur der Sache, denn Stiftungen werden ja von reichen Leuten gegründet. Deswegen versuchen wir es über Fördermitglieder. Wenn wir 400 Leute hätten, die zehn Euro im Monat spenden, könnten wir weitermachen und wären auch unabhängig von Geldgebern.

Außerdem hätte ich gerne 400 Leute im Rücken, weil es für das Projekt einen Austausch bedeuten würde. Wir veranstalten zum Beispiel einmal im Jahr ein Treffen für Fördermitglieder, wo wir das, was wir im letzten Jahr gemacht haben und die Filme, die uns am interessantesten erscheinen, präsentieren und auch Protagonisten einladen. Wir wollen mit den Fördermitgliedern ins Gespräch kommen, denn mit dem Wissen und der Erfahrung könnte man auch ein Netzwerk aufbauen. Das hätte einen doppelten Effekt, nicht nur, daß wir finanziert und unabhängig wären, sondern auch, daß es diesen Austausch geben würde. Uns fehlen noch 150 Fördermitglieder für 2018, und 2019 müssen wir noch 200 neue dazu gewinnen.

SB: Heute wurde viel über Tarifverträge und Personalschlüssel gesprochen oder daß Volksbegehren für eine bessere Gesundheitsversorgung mit allen möglichen Tricks unterlaufen werden können. Die grundlegende Frage, daß Gesundheit in diesem essentiellen Bereich sozialer Grundversorgung zu einer von Kapitalinteressen bestimmten Ware degeneriert, bleibt dabei weitgehend ausgeklammert. Müßte der Kampf nicht auch in diese Richtung gehen?

BS: Ich glaube, daß diese Kämpfe Hand in Hand gehen. Wir sehen gerade, daß Kollegen in den Betrieben streiken und auch kleinere Aktionen durchführen, daß es also einerseits Belegschaften gibt, die sich bewegen und etwas machen wollen, und andererseits Leute von außen dies mit Pflegebündnissen unterstützen und versuchen, noch auf der politischen Ebene Druck zu machen. Wichtig ist, daß die Leute in den Betrieben in Bewegung kommen und merken, daß es von ihnen abhängt, ob sich hier etwas verändert oder nicht. Das finde ich erfolgsversprechender, als sich an die Politik zu wenden.

Natürlich ist es gut, wenn sich Leute überhaupt dafür engagieren und so etwas wie ein Volksbegehren anstreben. Ich würde das jetzt nicht gegeneinander ausspielen. Ich persönlich denke jedoch, daß der politische Effekt neben Lohnsteigerungen oder mehr Personal, was man auf jeden Fall auch im Auge haben sollte, der ist, daß Leute in den Betrieben ihre Macht erkennen.

SB: Könntest du dir vorstellen, daß in Anbetracht der nicht besser werdenden Verhältnisse, weltweit wie auch in Deutschland, Klassenantagonismen auch im Bewußtsein der betroffenen Menschen wieder eine wachsende Bedeutung erlangen werden?

BS: Ich glaube, wenn man solche Fragen verhandelt, sitzt man einem totalen Eurozentrismus auf. Man denkt, so, wie sich das in Deutschland anfühlt, ist es in der ganzen Welt. Aber es gibt unglaublich viele Kämpfe am Arbeitsplatz in China, in Indien, in Vietnam. Es gibt in ganz vielen Ländern der Welt so viele Arbeitskämpfe wie noch nie, was natürlich damit zusammenhängt, daß so viele Leute in den letzten Jahrzehnten proletarisiert worden sind. Ich finde es irgendwie schade, daß man immer so Scheuklappen aufhat, wenn man das Thema behandelt. Es gab weltweit noch nie soviel betrieblichen Widerstand wie heute.

SB: Bärbel, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] http://www.gewerkschaftslinke.hamburg

[2] https://de.labournet.tv


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