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INTERVIEW/455: Kapital und Finanzen - liquide Dominanzen ...    Dr. Werner Rügemer im Gespräch (SB)


Präsentiert sein Buch - Foto: © 2019 by Schattenblick

Dr. Werner Rügemer
Foto: © 2019 by Schattenblick

Der Publizist, Journalist, ehemalige Lehrbeauftragte der Universität Köln und Stadtführer Dr. phil. Werner Rügemer schildert in seinem Buch "Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts. Gemeinverständlicher Abriß zum Aufstieg der neuen Finanzakteure" (PapyRossa, 2018), wie sich in den letzten zwei, drei Jahrzehnten unter der Decke des Kapitalismus ein Systemwechsel vollzogen hat. Neue Finanzakteure wie BlackRock, die ein Vermögen verwalten, das weit über das Bruttoinlandsprodukt der Bundesrepublik Deutschland hinausgeht, Private Equity Investoren und Hedgefonds haben binnen weniger Jahre enormen Einfluß gewonnen. Wie Lohnarbeit, Wohnen und andere gesellschaftliche Bereiche politisch ausgestaltet werden, folgt zunehmend der Expansions- und Profitlogik dieser Finanzakteure.

Am 9. Oktober 2019 hat Werner Rügemer sein Buch in der Werkstatt 3 in Hamburg-Altona vorgestellt und Publikumsfragen beantwortet. Im Vorwege der rund zweistündigen Veranstaltung war der Autor bereit, dem Schattenblick einige Fragen zu beantworten.

Schattenblick (SB): Vor kurzem hat der TV-Sender arte eine Doku über den Vermögensverwalter BlackRock ausgestrahlt. Sie haben den Film gesehen, wie bewerten Sie ihn?

Dr. Werner Rügemer (WR): Ich habe mir den Film natürlich mit Interesse angeschaut und da auch einige bemerkenswerte Informationen über BlackRock erhalten. Beispielsweise wie es seinem Chef, Laurence Fink, gelungen ist, den mexikanischen Präsidentschaftskandidaten zu erpressen und als neue lukrative Anlageform in die privatisierte Energiewirtschaft Mexikos einzudringen. Aber dieser Film ist ein typisches großmediales Produkt. Man hat sich einen inzwischen öffentlich schon häufiger genannten bösen Buben namens BlackRock ausgesucht und mystifiziert, wie mächtig und groß er ist und so weiter.

Aber der mit BlackRock verbundene Systemwechsel in der westlichen Finanz- und Wirtschaftsunternehmenswelt, wo mehrere hundert Kapitalorganisatoren der neueren Art die Wirtschaft umkrempeln, dabei nicht nur Unternehmen, sondern auch als wichtig angesehene Banken und sogar Börsen aufkaufen und einen neuen, zusätzlichen Einfluß auf westliche Regierungen von Ländern wie Mexiko, USA, Deutschland, Frankreich und so weiter ausüben, kommt in dem Film überhaupt nicht raus. Sich mit diesem Systemwechsel auseinanderzusetzen und sich die Frage zu stellen, was man dem entgegenhalten kann, müßte eigentlich ein dringendes Anliegen der Bevölkerung, Gewerkschaften, Parteien und selbstverständlich auch der Politik sein. Dazu animiert der Film eigentlich gar nicht.

SB: Wer hat diesen Systemwechsel ermöglicht?

WR: Wie alles "Gute" im westlichen Kapitalismus geht er von den USA aus. Bekanntlich haben die über ein Dutzend, die Finanzwelt schon jahrzehntelang dominierenden Großbanken der Wall Street in den 80er, 90er Jahren angefangen, neue Geschäftspraktiken zu entwickeln. Sie wollten dadurch der bisherigen Regulierung entkommen. So haben sie Tochtergesellschaften gegründet, die später zu den sogenannten Heuschrecken wurden. Damals hatten die Banken gefordert, daß diese für sie vorteilhafte Entwicklung vom Staat gesetzlich legitimiert wird. Die Deregulierung wurde dann von Präsident William Clinton von der Demokratischen Partei, die in den USA als sozialdemokratisch gilt, in Gesetze gefaßt. Das war auch in dem Sinne ein politischer Systemwechsel, weil die Wall-Street-Banken seit rund hundert Jahren eigentlich mit der Republikanischen Partei verschwistert waren.

In Westeuropa hat dann unter Premierminister Tony Blair in England und später in Deutschland mit dem SPD-Kanzler Schröder und dem Grünen-Chef Fischer eine ähnliche Entwicklung der nachholenden Deregulierung eingesetzt. Entsprechende Gesetze wurden in den Bereichen der Investitionen, der Steuererhebung und so weiter verabschiedet.

Das hat nach einiger Zeit gegriffen und, unterstützt durch die Agenda 2010 mit der Hartz-Gesetzgebung, wurden die Löhne gesenkt und viele flexible Arbeitsplätze eingerichtet, so daß etwa ab Anfang der 2000er Jahre die erste Welle der neuen Finanzakteure aus den USA gekommen ist. Das waren damals noch nicht BlackRock & Co, sondern die kleineren, schnelleren Private Equity Investoren. Ich bezeichne sie immer als die zweite Liga. Sie haben sich auf den lukrativen, nicht börsennotierten Mittelstand konzentriert. Das war von Vorteil, weil ein mittelständisches Unternehmen, das nicht als Aktiengesellschaft tätig ist, geringeren Publizitätspflichten unterliegt und nicht so viel über seine Geschäftspraktiken veröffentlichen muß.

SB: Könnte man sagen, daß zu dem Zeitpunkt der Mittelstand die leichtere Beute war?

WR: Er war eine leichtere Beute, auch weil er öffentlich nicht so unter Beobachtung stand. Wenn man sich anschaut, worüber die großen Medien im Wirtschaftsteil berichten, dann sind das die großen Aktiengesellschaften wie die Deutsche Bank und Siemens, das Auf und Ab ihrer Aktienkurse und ähnliches. Nur ab und zu wird etwas über irgendeinen Mittelständler veröffentlicht, wenn er pleite geht oder besonders erfolgreich ist.

Aber mindestens 99 Prozent der deutschen Unternehmen sind keine Aktiengesellschaften. Es handelt sich um Mittelstands-GmbHs oder, ein bißchen komplizierter, GmbH & Co. KGs. Solche Unternehmen erlangen wenig öffentliche Aufmerksamkeit, genau auf sie haben sich die ersten der deregulierten Finanzakteure gestürzt. In meinem Buch habe ich die Entwicklung bis heute nachgezeichnet. Von Anfang der 2000er Jahre bis 2018 wurden ungefähr 10.000 lukrative Mittelstandsfirmen aufgekauft.

In der Regel haben die Finanzakteure dann etwas gemacht, was sie "restrukturieren" nennen. Die Unternehmen wurden profitabel gemacht, das heißt, man hat den Betriebsrat rausgeworfen, Immobilien verkauft, Lohnsteigerungen gestoppt und bestimmte Arbeiten ausgelagert. In den ersten Jahren ging das dabei so rabiat zu, daß darüber auch in einigen Wirtschaftsmedien berichtet wurde. Ein bekannter Fall war das traditionsreiche deutsche Mittelstandsunternehmen Grohe. Es stellt Badarmaturen her - die hat fast jeder Deutsche zu Hause in seinem Bad.

Grohe hatte seinen zentralen Firmensitz im Wahlkreis des damaligen SPD-Arbeitsministers Franz Müntefering im Sauerland. Weil er direkt vor Ort mitbekommen hat, wie die Leute entlassen wurden und mit Grohe umgegangen wurde, ist er zu der Aussage gekommen: Die verhalten sich ja wie die Heuschrecken. Sie fallen ein, grasen alles ab, und wenn der Gewinn gesichert ist, ziehen sie weiter. Zu der Zeit war der Begriff der Heuschrecke geprägt worden, was allerdings kritisiert wurde. Der Vorwurf lautete, wenn in Deutschland amerikanische Investoren mit Tieren verglichen und als Heuschrecken bezeichnet werden, dann ist das die Sprache der Nazis und somit antisemitisch. Der Müntefering hat seine Kritik nicht mehr wiederholt und auch bei der SPD insgesamt hat das Eindruck hinterlassen.

Die geschilderte Entwicklung hält jedoch bis heute an. Um aber den Systemwechsel, der damals eingesetzt hat, zu begreifen, müssen noch die anderen Typen von neuen Finanzakteuren beschrieben werden. Da müssen wir natürlich zuerst die ganz Großen nennen, die erste Liga, also BlackRock & Co.

SB: Haben die Großen dann eingesammelt, was die Kleineren zuvor aufgekauft hatten?

WR: Nein, nein, die erste und die zweite Liga existieren nebeneinander, sie haben sich die Märkte aufgeteilt. Die einen beackern, kaufen und verwerten weiterhin den Mittelstand, während sich BlackRock & Co., die aus ungefähr 50 Finanzakteuren bestehen, auf die großen Aktiengesellschaften konzentrieren. Die treten immer zusammen auf, das gehört zum Systemwechsel dazu. Auch das wird in der Arte-Dokumentation überhaupt nicht dargestellt.

Ich habe in meinem Buch eine Liste über die Großaktionäre der 30 deutschen DAX-Konzerne erstellt: BlackRock ist in allen vertreten, also bei RWE, Eon, Siemens, Adidas, Deutsche Bank, Commerzbank und so weiter. Aber immer in Zusammenhang mit anderen dieser neuen Kapitalorganisatoren und zwar in wechselnder Zusammensetzung. Zwischen fünf und fünfzehn von ihnen sind immer die Großaktionäre. Deren Namen sind in Deutschland noch viel weniger bekannt. Sie heißen Vanguard, State Street, Wellington, Fidelity, Capital Group, Norges und so weiter. Sie merken schon, man kennt die gar nicht, obwohl sie überall mit BlackRock zusammen die Großaktionäre aller wichtigen Aktiengesellschaften in Deutschland sind. Abgesehen von den 30 DAX-Konzernen haben sie sogar noch in ungefähr 600 bis 700 anderen größeren Aktiengesellschaften Anteile erworben.

SB: Sind das die zentralen Akteure des von Ihnen beschriebenen Systemwechsels?

WR: Es gibt weitere Typen, die nochmals eine andere Arbeitsweise haben - wenn man das Arbeit nennen will - und arbeitsteilig vorgehen. In der dritten Liga würde ich die Hedgefonds ansiedeln. Der zur Zeit bekannteste Hedgefonds in Deutschland heißt Elliott. Sie sind auf kurzfristige, gezielte, schnelle Operationen eingestellt. Zum Beispiel kaufen sie von Thyssen-Krupp, meistens verdeckt, wenige Prozente Aktien auf, spielen dann aber bei anstehenden Entscheidungen das Zünglein an der Waage und helfen BlackRock & Co, die vielleicht noch nicht die Mehrheit haben, sich durchzusetzen. Wenn es zum Beispiel darum geht, mehr Gewinne aus einem Unternehmen wie Thyssen-Krupp herauszuholen, ist es eine übliche Methode, den Konzern aufzuspalten, Teile an die Börse zu bringen oder zu verkaufen. An solchen Stellen setzen die Hedgefonds an.

SB: Wenn die Finanzakteure zusammenarbeiten, ist dann nicht der Wettbewerb aufgehoben, der ja als zentrales Antriebsmoment des kapitalistischen Wirtschaftssystem gilt?

WR: Ja, sicherlich, aber natürlich stehen BlackRock & Co., die Hedgefonds, etc. untereinander durchaus in Konkurrenz. Weil alle um das Kapital von privaten Anlegern buhlen, seien es Unternehmensgruppen, erfolgreiche Manager, Versicherungen und so weiter. Wer die höhere Rendite bietet, setzt sich durch. Aber zwischen den Ligen besteht eigentlich keine Konkurrenz, da arbeitet jeder mit seiner Methode auf dem Feld, auf das er sich eingestellt und auf dem er sein Know-how erworben hat.

Darüber hinaus spielen in Deutschland rund 80 kleinere Privatbanken eine Rolle. Sie sind weniger exponiert und nehmen eher eine Zulieferposition oder Dienstleistungsfunktion ein. Diese Banken sind zum Teil zwei-, dreihundert Jahre alt und heißen Fuggerbank, Metzlerbank, Lampe-Bank, Oppenheim und so weiter. Als Dienstleister bedienen sie in ihren Regionen, um die Großstädte herum, das reiche Publikum und bieten sich als deren Vermögensverwalter an. Die Privatbanken erwerben für ihr regionales vermögendes Publikum auch Anteile bei den Großen wie BlackRock und Blackstone.

Davon leben wiederum die neuen Finanzakteure, weil ihre Finanzprodukte von den kleineren Banken, die selber eigentlich über keine große Gestaltungsmacht verfügen, mit dem vermögenden Publikum in enger Beziehung stehen. Solch eine Dienstleistungsfunktion erfüllen in Deutschland auch die traditionellen Großbanken wie die Deutsche Bank, bei denen BlackRock & Co. Haupteigentümer sind.

SB: Das ist zulässig?

WR: Sicherlich, da besteht eine ganz enge Beziehung. Eine wichtige Sparte, die dieses System als exponierte hochbezahlte Dienstleister mit am Laufen hält, nenne ich die "zivile Privatarmee des transnationalen Kapitals". Dazu gehören beispielsweise die hochbezahlten Ratingagenturen, weil sie Gefälligkeitsgutachten für die Finanzprodukte der Großen schreiben oder auch die Kreditwürdigkeit der EU-Mitgliedstaaten bewerten, was zur Folge hat, daß danach die Kreditkonditionen bemessen werden.

Des weiteren zähle ich zu dieser "Privatarmee" große Wirtschaftskanzleien wie Freshfields, die Verträge aufsetzen wie zuletzt für die Fusion von Bayer und Monsanto, bei denen BlackRock & Co. gleichzeitig Großaktionäre sind, sowie Wirtschaftsprüfungsgesellschaften wie PricewaterhouseCoopers, Deloitte, Ernst & Young und KPMG - die Big Four. Diese führen für die großen Konzerne Bilanz- und Wirtschaftsprüfungen durch und - als ganz wichtige Dienstleistung - organisieren die Steuerflucht für die Superreichen, die BlackRock & Co. ihr Kapital zur Verfügung stellen.

Alle diese hochrangigen Bewerter und Berater stehen im engen Kontakt mit den neuen Finanzakteuren und sind nicht zuletzt deshalb wichtig und hochbezahlt, weil sie gleichzeitig als Dauerberater der Staaten und Regierungen tätig sind. Die Bundesregierung wird ständig von PricewaterhouseCoopers, McKinsey, Freshfields und so weiter beraten. Letzteres hat beispielsweise den größten Privatisierungsvertrag, den die Bundesregierung je abgeschlossen hat, die Einführung der Lkw-Maut auf den Autobahnen und die Gründung der Toll Collect GmbH, erstellt. 17.000 Seiten - ein Milliardenauftrag - wurden für das Bundesverkehrsministerium von dieser amerikanischen Kanzlei geschrieben. Die aber auch für die großen Investoren arbeitet.

SB: Und somit verschiedene Interessen bedient.

WR: Nach traditionellen kaufmännischen Ehrlichkeitsgesichtspunkten würde man wohl von Mandantenverrat sprechen. Die arbeiten für beide Seiten. Dadurch werden sie zu den größten Insidern. Sie wissen über alles Bescheid, sowohl wie es in den Unternehmen als auch wie es in den Regierungen zugeht. Das ist eigentlich unzulässig.

SB: Wenn vor diesem Hintergrund die Bundesregierung Banken als systemrelevant bezeichnet und damit begründet, daß sie mit vielen Milliarden Euro aus Steuermitteln gestützt werden müssen, sich gleichzeitig aber vom Finanzkapital beraten läßt, wer ist dann der Souverän? Findet da eine Verschiebung statt, so daß man nicht mehr genau sagen kann, wer die Staatsgewalt innehat? Und wäre das dann ein Merkmal des von Ihnen beschriebenen Kapitalismus des 21. Jahrhunderts?

WR: Ja, der Systemwechsel in der westlichen Wirtschaft und Finanzwirtschaft, der gleichzeitig eine verändernde Wirkung in der Politik ausübt, bedeutet, daß die Entscheidungsmacht immer weniger bei den Staaten und Regierungen liegt. Diese haben weiter die formelle Entscheidungsmacht, aber die Entscheidungen werden von den Privaten vorbereitet. Um das am Beispiel der von Ihnen erwähnten Bankenrettung zu verdeutlichen: Als 2008 in Deutschland die Frage anstand, wie der Staat die Banken retten kann, hat der damalige Finanzminister Steinbrück von der SPD gesagt, da kennen wir uns nicht so gut aus, brauchen aber ein Gesetz dafür - ach, das kann doch die große amerikanische Wirtschaftskanzlei Freshfields übernehmen. Und Freshfields hat den Gesetzentwurf gemacht.

SB: Der dann genau so übernommen wurde?

WR: Ja. Derjenige, der so viele Freiheiten hat, auch unter dem damaligen Zeitdruck, kann das Wesentliche durchsetzen.

SB: Verstehe ich das richtig: Wenn Sie von einem Systemwechsel sprechen, der sich mit den Kapitalisten des 21. Jahrhunderts entwickelt hat, wäre es für Sie ein typisches Kennzeichen, daß nicht einfach nur mit wesentlich größeren Summen als je zuvor hantiert wird, sondern daß die Trennung zwischen Finanzkapital und Regierung verschwimmt?

WR: Ja, das ist der Fall. Doch zu diesem Systemwechsel gehören noch weitere Elemente, die ich bislang nicht erwähnt habe, nämlich die finanzielle wie rechtliche Abwertung der Arbeitskraft. Das heißt, die Abwertung - auch die moralische - der abhängig Beschäftigten und die immer weiter entwickelten Kurzzeit- und Flexibilitätsformen der Arbeit, die immer weniger zu einem ausreichenden Einkommen und natürlich auch zu einer viel zu niedrigen Rente beitragen, werden von den neuen Finanzakteuren ebenfalls befördert. Wobei dann scheinbar paradox, aber eigentlich logisch, BlackRock & Co. erklären, jetzt, da viele Leute eine viel zu niedrige gesetzliche Rente zu erwarten haben, machen wir für sie ein zusätzliches nettes Angebot, wie sie privat ihre Rente aufbessern können.

Das neu entwickelte Rentenprodukt heißt ETF - exchange-traded funds - oder auch iShares. Diese Finanzprodukte kann man schon ab ein paar hundert Euro kaufen. Es handelt sich um Anteilscheine an den großen Unternehmen, an denen auch BlackRock beteiligt ist, mit denen aber keine Vertretungsrechte verbunden sind. BlackRock verkauft die Anteile, nimmt aber in den Hauptversammlungen der großen Unternehmen selber die Vertretung für sie wahr. Natürlich sind auch diese neuen Finanzprodukte von der Entwicklung der Finanzmärkte, den Aktienwerten im DAX oder an den großen Börsen der Welt abhängig.

SB: Ohne entsprechende politische Entscheidungen wäre so eine Entwicklung nicht möglich.

WR: Genau, deswegen hat BlackRock in jedem wichtigen Staat einflußreiche Lobbyisten wie ehemalige Politiker zu sich geholt, die gut bezahlt werden. In Deutschland ist das Friedrich Merz. Der ehemalige CDU-Politiker wirbt öffentlich für die Privatisierung der Rente mit Hilfe von BlackRock-Produkten. Das soll nicht einfach nur von der Regierung geduldet werden, sondern man möchte, daß sie wie bei der Riesterrente steuerlich begünstigt werden.

SB: In der CDU wird schon kräftig mit den Hufen gescharrt, geht es doch um die Nachfolge von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sollte Friedrich Merz Kanzler werden, hätte dann BlackRock nicht einfach nur einen Fuß in der Tür, sondern säße sogar an der Spitze Regierung?

WR: Ja, vor einem halben Jahr hat BlackRock-Chef Fink erklärt, daß die bisherigen Regierungen im Westen nicht mehr in der Lage sind, den Erwartungen ihrer Bevölkerungen zu entsprechen. Auch da steht ein Systemwechsel an, und BlackRock & Co. sagen: Wir und die Unternehmen müssen mehr Verantwortung übernehmen, zum Beispiel für die private Rente. Und deswegen - das wird ja sehr geschickt vorbereitet, weil man weiß, daß in der Bevölkerung dieser eigentlich sehr direkte, brutale Systemwechsel nicht so gut ankommt, hat Friedrich Merz nach der verlorenen Wahl gegen Kramp-Karrenbauer zur CDU-Parteivorsitzenden seinen Hut nicht offiziell in den Ring geworfen, aber er wird von der Wirtschaftslobby ständig, in jedem Monat von Focus, Handelsblatt, Managermagazin und auch in meiner Region - ich wohne in Köln - vom Kölner Stadtanzeiger mit ganzseitigen Interviews und Berichten nach vorne gebracht.

SB: Merz plaziert sich also schon.

WR: Ja, und er wird plaziert. Wenn er nicht vom CDU-Wirtschaftsrat, vielen Unternehmen und den Leitmedien unterstützt würde, die ihn gern als Kanzler sähen, würde Merz' Bereitschaft allein nicht ausreichen.

SB: Abschließend möchte ich noch ein etwas anderes Thema anschneiden, nämlich Ihre Einschätzung zum Brexit. Der frühere britische Schatzkanzler Philip Hammond und Rachel Johnson, die Schwester des heutigen Premierministers, haben erklärt, daß Boris Johnson vom Finanzkapital unterstützt wird, das 4,6 Mrd. brit. Pfund auf den plötzlichen Absturz des Pfunds nach einem harten Brexit gewettet haben soll. Teilen Sie die in den Medien kolportierte Einschätzung, daß der Brexit eine Folge solcher Wettinteressen ist?

WR: Nein, es geht beim Brexit darum, einen politischen Wechsel zu verhindern. Die neuen Finanzakteure, die den Systemwechsel betreiben, sitzen in London. Seit Margaret Thatcher ist die City of London bekanntlich der am weitesten deregulierte Finanzstandort in der Europäischen Union, er ist sogar noch weiter dereguliert als der in New York. Deswegen haben sehr viele wichtige amerikanische Finanzakteure seit zehn, zwanzig, dreißig Jahren ihren Standort für Europa in London angesiedelt. Zudem befindet sich die Unternehmenslandschaft in Großbritannien wie keine andere Europas in der Hand amerikanischer Investoren. Deswegen sind die Auswirkungen der Londoner Finanzakteure auf die abhängig Beschäftigen mit am frühesten manifest geworden: Große Teile der Bevölkerung sind verarmt, die Arbeitslosigkeit ist hoch.

Deswegen war die Öffentlichkeit unruhig geworden und immer häufiger wurde die Forderung nach einem politischen Wechsel erhoben. Es war die Geschicklichkeit der Brexiteers und des UKIP-Gründungsmitglieds Nigel Farage, die ja eigentlich aus der konservativen Tory-Partei kommen, die Europäische Union zum Sündenbock dieser Misere zu erklären und eben nicht die verantwortlichen BlackRock & Co.

Das Kapital selber liebt eigentlich nicht besonders solche Typen wie Trump in den USA oder Johnson in Großbritannien. Beispielsweise ist der englische Unternehmerverband nicht unbedingt ein Freund des heutigen Premierministers, weil er wirklich unseriös, korrupt und lügnerisch ist. Aber er wird trotzdem geduldet und unterstützt, weil er die Linken verhindert. Er verhindert, daß Labour mit Jeremy Corbyn an die Macht gelangen. Deswegen ist Johnson erfolgreich und erhält auch die Medienunterstützung.

SB: Vielen Dank, Herr Rügemer, für das Gespräch.

Im Schattenblick ist zu der Veranstaltung mit Werner Rügemer am 9. Oktober 2019 in Hamburg unter INFOPOOL → POLITIK → REPORT erschienen:

BERICHT/350: Kapital und Finanzen - drei Ligen der Macht ... (SB)
INTERVIEW/455: Kapital und Finanzen - liquide Dominanzen ...    Dr. Werner Rügemer im Gespräch


16. Oktober 2019


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