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ALTER/189: Das Alter - für die Politik kein Kinderspiel (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 3/2009

Das Alter - für die Politik kein Kinderspiel

Von Harald Wilkoszewski


Steigende Lebenserwartung auf der einen Seite, niedrige Geburtenraten auf der anderen - welche Auswirkungen der demografische Wandel auf die Gesellschaft haben wird, hat sich inzwischen weitgehend herumgesprochen. Weitaus weniger bekannt sind jedoch die Folgen einer solchen Altersstruktur für sozialpolitische Entscheidungen.


Vor der Wahl ist nach der Wahl. Das gilt insbesondere für die großen Themen unserer Zeit, mit denen sich deutsche Politiker auseinandersetzen müssen. Neben den beiden anderen Megatrends Klimawandel und Globalisierung ist dies vor allem der demografische Wandel. Die Auswirkungen einer weiterhin schnell steigenden Lebenserwartung, nachhaltig niedriger Geburtenraten und sich ändernder Familienstrukturen werden die Agenda auch der neuen Regierung vor zentrale Herausforderungen stellen - und zwar sowohl in strategischer als auch in inhaltlicher Hinsicht.

Strategisch stellt sich etwa die Frage, welche grundlegenden politischen Herangehensweisen Erfolg versprechend sind: Sollte man versuchen, die Bevölkerungsentwicklung direkt zu beeinflussen, oder abwarten, bis sich die demografischen Prozesse auf natürliche Weise einpendeln?

Was konkrete Politikinhalte anbelangt, stehen die Auswirkungen in einzelnen Bereichen des Sozialsystems im Mittelpunkt, so bei den Themen Rente oder Gesundheit. Obwohl der demografische Wandel als Schlagwort mittlerweile in den meisten Köpfen der Republik angekommen ist, erscheint es sinnvoll, sich zunächst noch einmal die wesentlichen Eckdaten der tief greifenden Veränderungsprozesse innerhalb der deutschen Bevölkerung anzusehen.

Die internationale Rekordlebenserwartung ist seit dem Jahr 1840 mit bemerkenswerter Regelmäßigkeit um 2,5 Jahre pro Dekade gestiegen. Anschaulicher ausgedrückt bedeutet dies, dass man pro Lebensjahr drei Monate als "Bonus" hinzubekommt. Die momentanen Rekordhalter sind die japanischen Frauen mit einer Lebenserwartung von 86 Jahren. Die Entwicklung in der Bundesrepublik verläuft seit Ende des Zweiten Weltkriegs mit nur geringem Abstand parallel zum internationalen Trend; deutsche Frauen können eine durchschnittliche Lebensspanne von mehr als 82 Jahren erwarten.

Diese Entwicklung liegt vor allem am medizinischen Fortschritt, an Verbesserungen der hygienischen Verhältnisse sowie an der Ernährungslage, die zunächst die hohe Säuglingssterblichkeit auf ein heute äußerst niedriges Niveau drastisch verringert haben. Jeder weitere Anstieg der Lebenserwartung ist deshalb auf eine Reduzierung der Sterblichkeit höherer Altersgruppen zurückzuführen.

Wie stark sich die sogenannte fernere Lebenserwartung sogar unter den Hochbetagten durch eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse beeinflussen lässt, zeigt das Beispiel der deutschen Vereinigung. Bereits wenige Jahre nach dem Systemwechsel, der das Niveau der medizinischen und sonstigen Versorgung in Ostdeutschland deutlich steigerte, haben sich die Sterbewahrscheinlichkeiten in den Altersgruppen ab 70 Jahren in Ostdeutschland denen in Westdeutschland angeglichen oder diese sogar unterschritten.

Nichts deutet darauf hin, dass dieser Trend im noch jungen 21. Jahrhundert schwächer wird, sodass sich bei Fortschreibung der historischen Zeitreihe bis zum Jahr 2050 eine Lebenserwartung von mehr als 92 Jahren abzeichnet. Ein heute geborenes Mädchen hat damit gute Chancen, das einst für die Mehrheit der Bevölkerung als unmöglich geltende Lebensalter von 100 Jahren zu erreichen. Die Gestaltung einer solchen Lebensspanne wird eine der zentralen Herausforderungen des demografischen Wandels für Individuum, Gesellschaft und Politik sein.

Es ist keine Neuigkeit, dass in Deutschland seit Jahrzehnten deutlich weniger Kinder geboren werden, als nötig wären, um die Zahl der Bevölkerung konstant zu halten. Rechnerisch müsste dafür die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau bei 2,1 liegen; sie betrug im Jahr 2008 aber nur 1,36 (zum Vergleich: 1860 waren es etwa fünf Kinder pro Frau). Sogenannte tempo effects, also die Tatsache, dass Paare die Verwirklichung ihres Kinderwunsches zeitlich aufschieben, sorgen allerdings dafür, dass dieser Wert die tatsächliche Geburtenzahl unterschätzt.

So liegt die Kinderzahl für Frauen des Jahrgangs 1958, die bereits ihre reproduktive Phase abgeschlossen haben, bei 1,6. Das bedeutet jedoch immer noch eine zahlenmäßige Verringerung jeder nachfolgenden Generation um fast ein Viertel. Neueste Berechnungen des Statistischen Bundesamts zeigen - nun erstmals für Deutschland auf sicherer Datenbasis durch neue Fragen im Mikrozensus -, dass dies vor allem an der hohen Kinderlosigkeit in Deutschland liegt. Während die Zahl der Kinder je Mutter relativ stabil geblieben ist, stieg der Anteil kinderloser Frauen an und beträgt in der Altersgruppe 40 bis 44 Jahre aktuell 21 Prozent.

Steigende Lebenserwartung und niedrige Geburtenzahlen zusammen bewirken zunächst eine Alterung der Bevölkerung, die in Deutschland im internationalen Vergleich relativ schnell voranschreitet. Es ist zu erwarten, dass sich der Anteil der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung bis zum Jahr 2050 auf ein Drittel verdoppeln, während gleichzeitig die Gruppe der 15- bis 64-Jährigen um ein Fünftel schrumpfen wird. Diese Verschiebungen werden vor allem in den Bereichen Arbeit und Rente für weiteren Reformbedarf sorgen.

Die öffentliche Debatte bleibt oft bei diesem Befund über die Auswirkungen des demografischen Wandels stehen und berücksichtigt nicht, dass eine zunehmende Kinderlosigkeit im Land auch traditionelle Familienstrukturen nachhaltig verändern wird. Ein wachsender Anteil von Menschen wird ohne Kinder oder Enkelkinder bleiben. Herkömmliche Berührungspunkte zwischen Jung und Alt werden damit seltener.

Es ist darüber hinaus abzusehen, dass sich bei weiterhin hohen Scheidungszahlen Partnerschaftsformen verändern werden - mit weniger Menschen, die auch noch im Alter in einer klassischen Ehe leben. Eine erfolgreiche Sozial- und Gesellschaftspolitik der Zukunft sollte deshalb auch neue Familienformen in ihre Reformansätze einbeziehen.

Betrachtet man den Umgang mit den Ursachen und Folgen des demografischen Wandels auf politischer Ebene, so entsteht der Eindruck, dass immer noch ein Großteil der Energie auf Versuche verwendet wird, die Bevölkerungsalterung aufzuhalten oder zumindest abzubremsen. Das wird besonders deutlich, wenn man die Hintergründe der jüngsten Änderungen in der Familienpolitik genauer analysiert.

Das im Jahr 2007 eingeführte Elterngeld - mit jährlichen Kosten für den Staatshaushalt von vier Milliarden Euro - fußt auf einem zentralen Paradigmenwechsel der deutschen Familienpolitik, der 2004 durch ein Papier für das Bundesfamilienministerium mit dem Titel Nachhaltige Familienpolitik im Zeichen einer aktiven Bevölkerungsentwicklung verfasst wurde. Als Metaziel dieses Konzepts wird die Erhöhung der Geburtenrate genannt. Das bedeutet nichts anderes als den Abschied von einem jahrzehntelang aufrechterhaltenen Prinzip, keine Bevölkerungspolitik zu betreiben. Denn in einem modern verfassten, demokratischen Staat unterscheiden sich Familien- und Bevölkerungspolitik nicht in den Maßnahmen, sondern lediglich in den formulierten Zielen.

Familienpolitik sieht potenzielle Eltern als Subjekte, die in der Umsetzung ihrer Entscheidungen unterstützt werden sollen. Bevölkerungspolitik hingegen zielt in erster Linie auf die direkte Beeinflussung demografischer Prozesse und macht damit Menschen zum Objekt von Politikmaßnahmen.

Abgesehen von dieser normativen Konnotation zeigt das Elterngeld in der Tat erfreuliche Wirkung - so haben etwa mehr Väter als erwartet die finanziell großzügige Auszeit zur Kindererziehung angenommen. Eine nachhaltige Erhöhung der Geburtenrate blieb aber bis dato aus, was die politisch Verantwortlichen in der Medienberichterstattung durchaus unter Druck setzte. Dass das Metaziel bislang nicht erreicht werden konnte, verwundert jedoch nicht allzu sehr, wenn man die Effekte von familienpolitischen Maßnahmen in anderen Ländern in den Blick nimmt.

So zeigt das Beispiel Schweden, dass das Elterngeld nur ein Teil in einem ganzen Bündel von Faktoren ist und seine Wirkung auf die Geburtenrate im Zusammenhang mit Faktoren wie der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung oder der Erwerbsbeteiligung von Frauen gesehen werden muss (MaxPlanckForschung 2/2005, Seite 70ff.).

In Deutschland ist aufgrund eines klaren Auftrags durch das Grundgesetz und eines immer wieder durch das Bundesverfassungsgericht angemahnten Handlungsbedarfs bei der Familienförderung die Unterstützung von Eltern und Kindern mehr geboten denn je. Eine Politik, die bei der Umsetzung dieser Vorgaben aber eigentlich die Erhöhung der Geburtenrate verfolgt, muss sich offensichtlich auf eine hohe Frustrationstoleranz einstellen. Zudem würde eine vom heutigen Tage an dauerhaft erhöhte Geburtenrate auf 2,1 Kinder pro Frau die Bevölkerungsalterung bis 2050 nur geringfügig abmildern. Das hat mit der Trägheit demografischer Prozesse zu tun: Ein heute geborenes Kind wird erst in 25 bis 30 Jahren selber Kinder bekommen.

Zusammenfassend lässt sich deshalb sagen, dass eine politische Steuerung der Bevölkerungsstruktur à la carte kaum möglich ist. Eine Erfolg versprechende politische Strategie für den demografischen Wandel sollte sich deshalb mit der Frage auseinandersetzen, wie die verschiedenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereiche des Landes auf die Bevölkerungsalterung vorbereitet werden müssen. Raum für kreative Konzepte ist reichlich vorhanden.

Der demografische Wandel kann durchaus als politische Großbaustelle bezeichnet werden - wie bei fast keinem anderen Phänomen sind praktisch alle Politikfelder betroffen: Bildung, Arbeit, Gesundheit, Familie, Wohnungsbau. Die Liste ließe sich noch erweitern, wie etwa die Themen Arbeitsmarkt, Gesundheit und Generationenbeziehungen zeigen.

Bereits heute herrscht in einigen wirtschaftlichen Bereichen Fachkräftemangel: Arbeitgeber finden nicht genügend geeignete Bewerber, um offene Stellen zu besetzen. Die Schrumpfung in den für den Arbeitsmarkt relevanten Altersgruppen könnte dieses Problem noch verschärfen. Der "Rostocker Indikator" des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung zeigt, dass bei konstanten altersspezifischen Erwerbsquoten und gleichbleibendem Produktivitätsniveau das Arbeitskräftepotenzial in Deutschland schon bis zum Jahr 2025 um fast neun Prozent sinken wird. Dieser Rückgang könnte abgefangen werden, indem man die heute niedrigen Erwerbsquoten in den höheren Altersgruppen steigert (MaxPlanckForschung 2/2006, Seite 15ff.).

Im OECD-Vergleich gehört Deutschland bei der Arbeitsmarktbeteiligung von Personen im Alter von 50 bis 64 Jahren zum unteren Drittel. Die Förderung der Beschäftigung von älteren Personen steht und fällt mit einer adäquaten Weiterbildung über den gesamten Berufsverlauf. Aber auch hier befindet sich Deutschland im internationalen Bereich auf einem der letzten Plätze, da die direkt aufgewendeten jährlichen Kosten für Weiterbildungsmaßnahmen - im Jahr 2005 durchschnittlich 237 Euro pro Beschäftigtem - nur einen geringen Teil der gesamten Arbeitskosten ausmachen.

Für die heute geborenen Generationen wird die Entwicklung und Förderung von konkreten Maßnahmen für ein lebenslanges Lernen noch wichtiger: Es steht zu erwarten, dass ein großer Teil dieser Menschen eine deutlich längere Lebensspanne als heute - teilweise bis zu 100 Jahre - organisieren muss. Das bestehende, starre Konzept "Ausbildung, Berufstätigkeit, Rente" würde für viele Personen einen Ruhestand von mehr als 30 Jahren bedeuten. Ein Gesellschaftssystem, das sich zu einem erheblichen Maß über den Bereich Arbeit definiert, wird sich solche Lebensverläufe nicht leisten können.

Handlungsbedarf besteht auch auf einem Feld, das sich ohnehin stets im Mittelpunkt von politischen Reformdiskussionen findet: dem Gesundheits- und Pflegebereich. Da die Wahrscheinlichkeit, pflegebedürftig zu sein, mit dem Alter steigt - im Jahr 2003 waren in Deutschland 34 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen über 85 Jahre auf Pflege ange­wiesen -, scheint durch die Bevölkerungsalterung zunächst ein starker Anstieg der Gesundheitskosten zu drohen. Demografische Studien deuten aber darauf hin, dass die durch die steigende Lebenserwartung hinzugewonnenen Jahre nicht gänzlich in Krankheit verbracht werden. Die Menschen altern zu einem beachtlichen Teil gesund, sodass heute 65-Jährige im Durchschnitt deutlich fitter sind als ihre Altersgenossen von vor 20 Jahren.

Dennoch wird auch unter der optimistischen Annahme, dass alle hinzugewonnenen Lebensjahre gesunde Lebensjahre sind, der Pflegebedarf bis 2030 deutlich steigen: bei Frauen um 20 Prozent und bei Männern um 79 Prozent. Geht man davon aus, dass die Zahl der Jahre in Pflegebedürftigkeit proportional zu den dazugewonnenen Lebensjahren steigt, dann lägen die Werte für Frauen bei 39 und für Männer bei 127 Prozent. Diese Prognoseszenarios machen deutlich, dass gesundheitspolitische Maßnahmen gefördert werden müssen, welche die Chancen auf gesundes Altern erhöhen.

Präventiven Ansätzen kommt hier eine entscheidende Bedeutung zu. Finnland ist in Europa eines der Vorreiterländer und konnte mit groß angelegten Präventionsprogrammen deutliche Erfolge im Bereich von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie jüngst bei Diabetes erzielen. Ärzte bemängeln, dass es in Deutschland an einer solchen bevölkerungsweiten Strategie zur Gesundheitsprophylaxe fehlt.

Auf Bundesebene wurde ein erster Schritt in diese Richtung Anfang 2005 mit dem Entwurf zu einem Präventionsgesetz getan. Dieser sah etwa die Einrichtung eines Nationalen Präventionsrats und die Erarbeitung von verbindlichen Präventionszielen vor. Beim Koalitionswechsel Ende 2005 wurde die Initiative dann zwar in den Vertrag der Regierungsparteien aufgenommen, aufgrund von Differenzen - vor allem hinsichtlich des Finanzierungskonzepts - sind allerdings die politischen Verhandlungen darüber de facto seit 2008 zum Stillstand gekommen.

Zur Diskussion in klassischen Politikfeldern wie Arbeit und Gesundheit bestimmt der demografische Wandel seit Kurzem auch den breiteren gesellschaftspolitischen Diskurs, vor allem was das zukünftige Verhältnis der Generationen anbelangt (MaxPlanckForschung 1/2007, Seite 54ff.). Häufig wird darin angenommen, dass in modernen Wohlfahrtsstaaten ein wachsender Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung den Spielraum zukünftiger sozialpolitischer Reformen begrenzt, nicht zuletzt deshalb, weil sie etwa eine durchgängig höhere Wahlbeteiligung aufweisen. Prognosen gehen zudem davon aus, dass im Jahr 2050 die Hälfte der deutschen Wahlbevölkerung über 56 Jahre alt sein wird.

Unter Berufung auf den demografischen Wandel sind in der Bundesrepublik in den vergangenen Jahren mehrere zentrale Politikreformen durchgeführt worden, die tendenziell darauf abzielen, die staatliche Unterstützung für die jüngere Generation auszubauen (zuletzt durch das Elterngeld). Bei der älteren Generation dagegen wurde eher das finanzielle Einsparpotenzial genutzt (etwa durch Rentennullrunden). Bei einem wachsenden Seniorenanteil könnte sich ein solcher Politik-Mix als wenig nachhaltig erweisen.

Sollten sich die politischen Präferenzen älterer Menschen für staatliche Transferzahlungen zwischen den Generationen - wie Kindergeld oder Renten - von jenen jüngerer unterscheiden, so könnte dies in einer alternden Gesellschaft in der Tat dazu führen, dass politische Entscheidungsprozesse schwieriger werden.

Ein solcher Alterseffekt konnte bisher in der Forschung nur selten nachgewiesen werden, vor allem aufgrund einer beschränkten Datenlage. Die meisten Umfragen im Bereich intergenerationaler Beziehungen enthalten hauptsächlich Fragestellungen zu privaten Transferleistungen, das heißt Unterstützungspotenzialen innerhalb der Familien. Fragen nach politischen Einstellungen zu staatlichen Transfers wiederum beschränken sich meist auf Einstellungen zu allgemeinen Verantwortlichkeiten des Staates gegenüber den verschiedenen Altersgruppen.

Da vor allem in Deutschland die sozialpolitische Verantwortung des Staats generell von allen (Alters-)Gruppen als sehr hoch eingestuft wird, lässt sich mit diesen Fragestellungen ein möglicherweise bestehender Alterseffekt kaum erfassen. Das Gros der wissenschaftlichen Untersuchungen, auf die sich auch die politischen Entscheidungsträger in Deutschland beziehen, sieht die These vom Konflikt um Ressourcen zwischen Alt und Jung in der Folge als nicht erwiesen an.

Jüngste Untersuchungen des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung auf Basis neuer Daten kommen allerdings zu anderen Ergebnissen. Die Erhebungen mit jeweils mehreren tausend Befragten enthielten explizit auch Fragen nach der Unterstützung oder Ablehnung konkreter sozialpolitischer Reformen, etwa in Form von 13 familienpolitischen Maßnahmen. Ein solcher Ansatz erleichtert es Befragten, mögliche Wirkungen politischer Maßnahmen auf ihr eigenes Leben - oder das ihrer Kinder oder ihrer Eltern -, auf ihre finanzielle Absicherung oder ihre Handlungsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

Die Analyse der Daten macht deutlich, dass bei der Frage nach spezifischen Politikreformen durchaus Alterseffekte auftreten. So haben ältere Befragte eine wesentlich geringere Neigung als jüngere, finanzielle Transfers an Familien (Kindergeld, steuerliche Erleichterungen für Eltern) zu unterstützen. Als weitere wichtige Einflussfaktoren konnten Elternschaft und Großelternschaft identifiziert werden.

(Enkel)kinderlose Befragte zeigten ebenfalls eine deutlich niedrigere Neigung, Transfers an die jüngere Generation zu befürworten. Im Zusammenspiel mit der höheren Wahlbeteiligung Älterer, der Bevölkerungsalterung und dem wachsenden Anteil kinderloser Menschen könnte das zukünftig Entscheidungsprozesse in einzelnen sozialpolitischen Bereichen erschweren.

Konkrete Anzeichen für vermehrte Konflikte zwischen verschiedenen demografischen Gruppen gibt es bereits heute. So sorgt der auf Bundesebene beschlossene Ausbau der Kinderbetreuung für Probleme in einigen deutschen Großstädten: In Hamburg und München klagen Anwohner immer häufiger gegen die notwendigen Bebauungsplanänderungen und berufen sich dabei auf die von Kindern verursachte Lärmbelästigung. Stadtverwaltungen sehen sich genötigt, die Einrichtungsbetreiber in Gerichtsverfahren aktiv zu unterstützen, durch externe Gutachten etwa. Und dennoch mussten bereits einige Betreuungsstätten aufgrund erfolgreicher Klagen schließen.

Diese Beispiele mögen noch Einzelfälle darstellen; sie machen aber die Bedeutung von demografisch durchmischten Nachbarschaften deutlich. Die räumliche Segregation von Jungen und Alten, von Eltern und Kinderlosen begünstigt potenzielle Konfliktlinien, denn regelmäßige Berührungspunkte gehen dadurch verloren. Ohne die kann aber ein für gegen­seitiges Verständnis und Toleranz notwendiger Austausch nicht stattfinden.

Die Sozialpolitik der Zukunft muss diesen Faktor stärker berücksichtigen. Sie sollte darüber hinaus die unterschiedlichen Präferenzlagen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen ernst nehmen und die politische Vermittlungsarbeit stärker in den Mittelpunkt stellen. Nur so kann sie innerhalb der Bevölkerung die notwendige Unterstützung für Reformen finden, die sozialstaatlich und demografisch geboten sind.


Der Autor

Harald Wilkoszewski ist seit dem Jahr 2003 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock. Er hat dort am Aufbau des Arbeitsbereichs "Bevölkerung und Politik" mitgewirkt und beschäftigt sich in seiner Forschung vor allem mit den Auswirkungen des demografischen Wandels auf politische Entscheidungsprozesse. Seit 2008 ist Wilkoszewski zudem Fellow bei der Stiftung Neue Verantwortung in Berlin und leitet dort eine Arbeitsgruppe zum Thema Age Diversity Management.


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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 3/2009, Seite 10-15
Herausgeber: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2010