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ARBEIT/484: Arbeitszeiten von Frauen und Männern zwischen Wunsch und Wirklichkeit (spw)


spw - Ausgabe 1/2012 - Heft 188
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Mind the gap! Arbeitszeiten von Frauen und Männern zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Von Vivien Barlen und Claudia Bogedan



1. Einleitung

Bei der Betrachtung von geschlechtsspezifischen Unterschieden im Arbeitsmarkt fokussierte die politische Debatte in der Vergangenheit auf Unterschiede bei der Berufswahl (geschlechtsspezifische horizontale Segmentation), unterschiedliche Aufstiegsbedingungen (Stichwort: gläserne Decke; vertikale Segmentation) und nicht zuletzt in ihrer öffentlichen Wahrnehmung befördert durch die Einführung des Equal Pay Day die Lohnkluft zwischen Männern und Frauen. Eine wesentliche Besonderheit des deutschen Arbeitsmarktes im europäischen Vergleich, die ungleiche Zeitverwendung von Männern und Frauen und die über die vergangenen zwei Jahrzehnte nahezu unverändert große Kluft zwischen den Arbeitszeiten von Männern und Frauen, fungierte dabei oftmals nur als intervenierender Faktor. Der vorliegende Beitrag will daher den Fokus auf diese zentrale Ungleichheitsdimension legen. Im Vergleich der Arbeitszeiten und Arbeitszeitpräferenzen von Männern und Frauen zeigt sich, dass die von der amtierenden christdemokratischen Familienministerin reklamierte Wahlfreiheit unter den gegebenen Strukturen eine Illusion ist. Denn es klafft nicht nur eine Lücke zwischen den Arbeitszeiten von Männern und Frauen, sondern auch zwischen der tatsächlichen und der gewünschten Arbeitszeit der Frauen. Der vorliegende Beitrag betrachtet daher auf Basis der jüngsten Welle des Sozioökonomischen Panels (SOEP 2009) die Differenz zwischen der gewünschten, der vereinbarten und der realisierten Arbeitszeit als Indikator für das Ausmaß der Souveränität der Beschäftigten, Einfluss auf die Arbeitszeitlänge zu nehmen.(1) Dazu werden zunächst Art, Umfang und Motive der Teilzeitarbeit in Deutschland beschrieben. Anschließend werden Arbeitszeitwünsche und -realitäten von Frauen und Männern kontrastiert.


2. Teilzeit ist weiblich

In Deutschland wuchs die Zahl der erwerbstätigen Frauen in den vergangenen Jahren kontinuierlich. Allerdings ist gemäß der europäischen Arbeitskräfteerhebung in keinem anderen Land, außer den Niederlanden, die Teilzeitquote der Frauen so hoch wie in Deutschland gewesen (2010: 45 Prozent). Neben den Niederlanden war Deutschland somit das einzige Land, in dem die Teilzeitarbeit in den letzten 10‍ ‍Jahren angestiegen ist. Anders als in den Niederlanden fällt in Deutschland die Teilzeitquote der Männer (2010: 8,7 Prozent) jedoch deutlich niedriger aus.

Der Gender Gap bei der Arbeitszeit verdeutlicht die fortwährenden strukturellen Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern im deutschen Arbeitsmarkt, denn als Gründe für diese ungleiche Verteilung der Arbeitszeiten werden familiäre Verpflichtungen angeführt, die trotz modernisierter Geschlechterverhältnisse überwiegend von Frauen übernommen werden. Erwerbsarbeit und unbezahlte Arbeit in Haushalt und Familie verteilen sich somit nach wie vor sehr unterschiedlich zwischen den Geschlechtern. Frauen und Männer unterscheiden sich in der Nutzung von Teilzeitarbeit auch was die Lage der Teilzeit im Erwerbsverlauf betrifft. Während Frauen überwiegend mit der Familiengründung in Teilzeit wechseln, nutzen Männer Teilzeit vor allem am Anfang und Ende des Erwerbslebens, z.B. parallel zur Ausbildung oder bei Altersteilzeit (vgl. Wanger 2009: S. 13). Dies spiegelt sich bei den Motiven, die abhängig Erwerbstätige für die Teilzeittätigkeit angaben (vgl. Abbildung 1). Während Frauen dies mehrheitlich zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf tun, sind es bei den Männern gerade mal 8 Prozent. Der überwiegende Teil der Männer arbeitet in Teilzeit, weil sie keine Vollzeitstelle gefunden haben.

Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2009. Fachserie 4.1.2: Beruf, Ausbildung und Arbeitsbedingungen der Erwerbstätigen, Wiesbaden 2010

Abbildung 1: Gründe für die Aufnahme einer Teilzeitbeschäftigung bei abhängig erwerbstätigen Frauen und Männern (2009)
Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2009. Fachserie 4.1.2: Beruf, Ausbildung und Arbeitsbedingungen der Erwerbstätigen, Wiesbaden 2010

Mit der Einführung eines allgemeinen Teilzeitanspruchs mit dem Teilzeit- und Befristungsgesetz zum 01.01.2001 wollte der Gesetzgeber nicht nur mehr Flexibilität für Unternehmen schaffen, sondern auch mehr Zeitsouveränität für die Beschäftigten ermöglichen. Denn die Reduktion der Arbeitszeit soll Freiräume für andere Dinge im Leben schaffen. Dazu gehört neben der Vereinbarkeit zwischen Kindererziehung und Beruf auch die Pflege von älteren Angehörigen sowie Weiterbildung und Qualifizierung als auch die Möglichkeit, (temporär) Belastung zu reduzieren. Die Einführung der Familienpflegezeit(2) unterstreicht die Dominanz der Vorstellung, dass individuelle Arbeitszeitverkürzungen das beste Mittel zur Lösung von Vereinbarkeitsproblemen sind.

Allerdings ist die Teilzeitbeschäftigung nicht nur mit Verdiensteinbußen durch die Reduktion der Arbeitszeit verbunden, sondern auch mit individuellen Nachteilen bei der sozialen Sicherung. Denn während der Teilzeitphase sinken auch die Beiträge zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Im Fall der Rente bedeutet dies, dass Teilzeitphasen die zukünftige Rentenhöhe mindern. Aus diesen Gründen sind Frauen von einem deutlich höheren Risiko im Alter arm zu sein, betroffen (Bogedan/Rasner 2008).

Die Gruppe der Teilzeitbeschäftigten, die in Teilzeit arbeiten, weil sie keine Vollzeiterwerbstätigkeit finden konnten, ist zudem ein wichtiger Anhaltspunkt dafür, Teilzeit als Mittel einer souveränen Arbeitszeitgestaltung von Beschäftigten nicht zu überschätzen. Branchen, in denen wie im Dienstleistungssektor ein Viertel aller Stellen in Teilzeit angeboten werden, erschweren es, eine Vollzeitbeschäftigung zu finden. Fraglich ist daher, ob Teilzeitarbeit das Ergebnis einer entsprechenden Arbeitszeitpräferenz ist.


3. Arbeitszeitrealitäten und -wünsche von Frauen und Männern

Die Analyse der gewünschten, vereinbarten und tatsächlichen Arbeitszeit erfolgt auf Basis des SOEP für das Jahr 2009. In der Analyse wurde sowohl auf geschlechtsspezifische Unterschiede als auch nach Beschäftigten aus Ost- und Westdeutschland differenziert. Bei den angegebenen Arbeitszeiten handelt es sich um Durchschnittswerte.

Abhängig beschäftigte Männer arbeiten durchschnittlich im Bereich der Vollzeit (durchschnittliche tatsächliche Wochenarbeitszeit: 43,0 Stunden), Frauen im Bereich der Teilzeit (31,8 Stunden). Die nachfolgende Abbildung verdeutlicht die Differenzen zwischen männlichen und weiblichen abhängig Beschäftigten und ihren gewünschten, tatsächlichen und vereinbarten Arbeitszeiten. Beide Geschlechter arbeiten somit länger, als sie sich eigentlich wünschen - Männer bevorzugen eine normale Vollzeitbeschäftigung mit 38 Stunden pro Woche, während Frauen sich eine Beschäftigung mit etwas weniger Stunden wünschen (29,2 Stunden). Die vereinbarte Arbeitszeit (Männer: 38,4 Stunden, Frauen: 29,7 Stunden) entspricht jedoch bei beiden in etwa dem Arbeitszeitwunsch.

Im Vergleich der Beschäftigten in den ost- und westdeutschen Bundesländern zeigt sich, dass ostdeutsche Beschäftigte durchschnittlich längere tatsächliche und vereinbarte Arbeitszeiten als Westdeutsche haben (+3,5 bzw. +2,6 Stunden). Zudem liegt die gewünschte Arbeitszeit mit 35,9 Stunden in Ostdeutschland höher als im Westen (32,9 Stunden). Besonders groß ist außerdem die Differenz zwischen den West- und den Ostfrauen: Ostdeutsche Frauen arbeiten mit einem deutlich höheren Arbeitszeitvolumen als Westdeutsche. Bei den männlichen abhängig Beschäftigten ist der Abstand zwischen Ost und West geringer (siehe Abbildung 2).

Quelle: eigene Berechnungen auf Basis des SOEP 2009

Abbildung 2: Durchschnittliche gewünschte, tatsächliche und vereinbarte Arbeitszeiten der abhängig Beschäftigten unterschieden nach Geschlecht und Ost- bzw. Westdeutschland (2009)
Quelle: eigene Berechnungen auf Basis des SOEP 2009

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist zentraler Treiber für die ungleichen Arbeitszeiten: 33,5 Prozent der abhängig Beschäftigten in Deutschland leben mit Kindern unter 16 im Haushalt, davon arbeiten 27,3 Prozent der Mütter und 1,7 Prozent der Väter in einem Teilzeitarbeitsverhältnis. Die Unterschiede bei den Arbeitszeiten zwischen den Geschlechtern sind hier besonders groß: Abhängig Beschäftigte mit Kindern im Haushalt arbeiten durchschnittlich 35,3 Stunden pro Woche. Bei den Müttern sind es 26,3 Stunden, bei den Vätern hingegen 43,7 Stunden. Im Durchschnitt arbeiten Väter also etwa 17‍ ‍Stunden länger als Mütter, wobei sich die Väter eine normale Vollzeit von ca. 38,6 Stunden wünschen würden, was in etwa ihrer vereinbarten Arbeitszeit von 38,8 Stunden entspräche. Mütter hingegen sind - in Bezug auf Gesamtdeutschland - weitestgehend mit ihren Arbeitszeiten zufrieden. Sie arbeiten nur etwa 0,3 Stunden mehr als gewünscht und 1,3 Stunden mehr als vereinbart.


4. Diskussion und Fazit

Die Verfügung über die eigene Zeit, aber auch die Zeit anderer ist Ausdruck von Macht- und Herrschaftsverhältnissen und damit auch bestimmend für soziale Ungleichheiten. Der bestehende Gender Gap (also die Differenz zwischen Männern und Frauen) bei den Arbeitszeiten weist darauf hin, dass bezüglich des Rollenverständnisses der Geschlechter das so genannte "modernisierte Ernährer Modell" in Deutschland vorherrscht. Anders als in älteren Frauengenerationen, die ihre Erwerbstätigkeit mit dem Eintritt in die Familienphase ganz aufgaben, arbeiten im modernisierten Ernährer Modell beide Partner, jedoch ein Partner (zumeist der Mann) in einer Vollzeitbeschäftigung, der bzw. die andere in Teilzeit (vgl. Klenner/Pfahl 2008: S. 8). Die Auswertungen aus dem SOEP zeigten ein Fortbestehen dieser Geschlechterunterschiede bei den Arbeitszeitwünschen. Dabei ist zu bedenken, dass die Wünsche der Beschäftigten in der Regel bereits die realen Bedingungen am Arbeitsmarkt sowie Betreuungsmöglichkeiten reflektieren und nicht als Ausdruck eines Idealzustandes fehlinterpretiert werden dürfen. Der Wunsch nach einer Teilzeitbeschäftigung von Müttern spiegelt daher auch das Fehlen einer flächen- und altersgruppendeckenden Ganztageskinderbetreuung und -bildung. Zudem scheint sich die Kluft zwischen Wunsch und Realität im Vergleich zu älteren Untersuchungen (vgl. Holst 2010: S. 58f.) zu vergrößern. Die Unterschiede zwischen Ost und West ebenso wie die Unterschiede zwischen den Geschlechtern bleiben wie gezeigt erheblich.

Teilzeit als Möglichkeit einer souveränen Arbeitszeitgestaltung muss daher kritisch hinterfragt werden, da es - wie der Unterschied zwischen Ost- und West-Frauen vermuten lässt - nicht allein Ergebnis souveräner Entscheidungen, sondern auch struktureller und kultureller Faktoren ist. Dazu zählen die Möglichkeiten einer ganztägigen Kinderbetreuung und -bildung aber auch die Kultur eines "Ausschließlich-Mutterseins". Laut Daten der World Value Survey stimmen in Deutschland immerhin über 35 Prozent der befragten Frauen der Aussage (stark) zu, dass das Dasein als Hausfrau genauso erfüllend ist wie bezahlte Arbeit (vgl. World Value Survey 2005). Zudem geht Teilzeit mit erheblichen individuellen Risiken und Nachteilen einher, vor allem, wenn es sich um Teilzeit mit wenigen Wochenstunden oder gar einer geringfügigen Beschäftigung handelt. Denn nach wie vor ist das vollzeitige und dauerhafte Normalarbeitsverhältnis Maßstab in den sozialen Sicherungssystemen.

Dennoch kann nicht geleugnet werden, dass die Möglichkeit, Arbeitszeit über den Erwerbsverlauf zu variieren ein hilfreiches Instrument sein kann, um Erwerbstätigkeit mit anderen Lebenssituationen vereinbaren zu können. Aus diesem Grund empfiehlt der 2011 vorgelegte Gleichstellungsbericht der Bundesregierung eine vollzeitnahe Teilzeit bzw. kurze Vollzeit als wichtige Option zur Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit (vgl. SVK 2011: S. 222). Es ist jedoch darüber hinaus notwendig, Rahmenbedingungen zu schaffen, die ein Atmen der Arbeitszeit ermöglichen ohne die Risiken zu individualisieren. Dazu wird im Gleichstellungsbericht die Notwendigkeit benannt, Benachteiligungen von Frauen in Teilzeit bei Beförderungen entgegenzuwirken sowie einen Rückkehranspruch auf einen Vollzeitarbeitsplatz zu schaffen. Diese Debatte sollte aufgegriffen werden und ins Zentrum einer gleichstellungsorientierten Arbeits- und Beschäftigungspolitik gerückt werden.


Vivien Barlen studiert Soziologie an der Universität Osnabrück.
Dr. Claudia Bogedan leitet die Abteilung Forschungsförderung in der Hans-Böckler-Stiftung.


Anmerkungen
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(1)‍ ‍Wir danken Barbara Zimmer und Susanne Schulz (beide WSI in der Hans-Böckler-Stiftung) für ihre Unterstützung bei der Datenauswertung.

(2)‍ ‍In der Familienpflegezeit können Beschäftigte ihre Arbeitszeit, ihre Wochenarbeitszeit reduzieren und den Einkommensausfall über einen längeren Zeitraum ausgleichen. Wird zum Beispiel die Arbeitszeit in der Pflegephase auf 50 Prozent reduziert, erhalten die Beschäftigten weiterhin 75 Prozent des letzten Bruttoeinkommens. Zum Ausgleich müssen sie im Anschluss an die Pflegephase wieder voll arbeiten, bekommen in diesem Fall aber weiterhin nur 75 Prozent des Gehalts - so lange, bis der Verdienstausfall ausgeglichen ist.


Literatur

Bogedan, C./Rasner, A. (2008): Arbeitsmarkt x Rentenreformen = Altersarmut?, WSI Mitteilungen 3, S. 133-138

Klenner, C./Pfahl, S. (2008): Jenseits von Zeitnot und Karriereverzicht - Wege aus dem Arbeitszeitdilemma. Arbeitszeiten von Müttern, Vätern und Pflegenden, WSI-Diskussionspapier, Düsseldorf.

Holst, E. (2010): Arbeitszeitwünsche und -realität von abhängig beschäftigten Frauen und Männern in West- und Ostdeutschland, in: Groß, H./Seifert, H. (Hrsg.): Zeitkonflikte. Renaissance der Arbeitszeitpolitik, Berlin: edition sigma, S. S. 54-70

Sachverständigenkommission zur Erstellung des ersten Gleichstellungsberichtes der Bundesregierung (SVK) (2011): Neue Wege - gleiche Chancen. Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf, Essen/München.

Wanger, S. (2009): Erwerbsbeteiligung von Frauen. Mit halben Zeiten im Spiel. IAB-Forum 1, S. 10-17

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 1/2012, Heft 188, Seite 25-29
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. April 2012