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DISKURS/014: Hohe Einkommensungleichheit verursacht mehr Probleme (Wir Frauen)


WIR FRAUEN - Das feministische Blatt 3/2010

Gleich und Gleich gesellt sich gern
Hohe Einkommensungleichheit verursacht mehr Probleme

Von Isolde Aigner


Schulreform in Hamburg

"Hamburg bleibt sitzen" - so titelte die taz über die gescheiterte Schulreform in Hamburg. Die progressive Reform, initiiert von der schwarz-grünen Koalition in der Hansestadt, die endlich gegen Ungleichheit an Schulen angehen sollte, war in einem Volksentscheid Ende Juli 2010 gekippt worden. Vor allem der Aspekt, dass die Grundschulzeit um zwei Jahre verlängert werden sollte, stieß im Vorfeld auf massive Abwehr. Insbesondere besserverdienende, akademisch ausgebildete Eltern wehrten sich und gründeten eine Initiative mit dem Titel: "Wir wollen lernen".

Nach dem Motto: "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern" setzten jene Eltern alles daran, dass ihre Kinder nicht zwei Jahre länger mit sozial schwächeren Schulkindern unterrichtet werden. Per Volksentscheid, bei dem Familien ohne deutsche Staatsbürgerschaft nicht abstimmen konnten, wurde die Reform abgelehnt.

Die gescheiterte Schulreform ist ein Paradebeispiel für die wachsende Ungleichheit in der Gesellschaft und ihre Folgen. Diesem Aspekt widmeten sich die EpidemiologInnen Richard Wilkinson und Kate Picket in ihrer Veröffentlichung "The spirit Level" (deutscher Titel: "Gleichheit ist Glück"). In der vorangegangenen Forschungsarbeit untersuchten sie soziale und gesundheitliche Bedingungen verschiedener Gesellschaften in Zusammenhang mit Einkommensdurchschnitt und -gefälle.

Verglichen wurden verschiedene Länder miteinander sowie die Bundessstaaten der USA untereinander. Dazu zogen sie Studien der UN, Unicef und der WHO heran und betrachteten Gesundheit und soziale Aspekte der jeweiligen Staaten. Die Ergebnisse sind spannend und überraschend.


Die Ergebnisse der Studie

In der Auswertung der Einkommensgefälle ermittelten sie, dass die Länder Japan, Norwegen, Schweden und Finnland eine hohe Einkommensgleichheit aufweisen. In den USA, in Großbritannien und Portugal hingegen sind die Werte für eine Einkommensungleichheit sehr hoch. In Staaten mit großer Armut steigt die Zufriedenheit mit einer Einkommenssteigerung erst an, ist aber ein bestimmter Einkommensstatus erreicht, stagniert sie. "Immer mehr Einkommen verspricht immer weniger Zuwachs an Glück, Gesundheit und Wohlbefinden." Denn: "Hat der Mensch erst einmal das Notwendigste zum Leben, schaut er, was die anderen haben."

Ungleichheit belastet nicht - wie häufig angenommen - ausschließlich die sozial Schwächeren, sondern alle. Sie führt zudem zu vermehrtem Stress: "Sie verschärft den Statuswettbewerb, verschlechtert die Qualität unserer sozialen Bedingungen und erzeugt sozialen Stress, wie Abstiegsängste." Gleichzeitig sinkt das Vertrauen untereinander. Als ein Symbol dafür gilt der Sport Utility Vehicles (SUV), eine Art Geländewagen: "Man will Stärke zeigen, sich wappnen, sich abschotten."

Statusängste und Missgunst führen zu einer unsolidarischen Grundhaltung, in der jeder sich selbst der nächste ist: "Wächst die Ungleichheit, dann sorgen sich die Menschen weniger umeinander, es gibt weniger gleichberechtigte Beziehungen, weil jeder schauen muss, wo er bleibt." Es kommt zu einer gesellschaftlichen Spaltung und massiven Verschärfung gesellschaftlicher Konflikte. "Die Vermögenden sichern ihren sozialen Status, indem sie den Schwächeren ihre Überlegenheit zeigen. Diejenigen, die auf diese Weise einen Statusverlust hinnehmen müssen, versuchen sich dann auch an denen schadlos zu halten, die noch tiefer im Elend stecken."

Picket und Wilkinson ziehen unzählige Beispiele heran, die aufzeigen, dass gesellschaftliche wie gesundheitliche Missstände besonders in den Ländern auftreten, in denen es eine hohe Einkommensungleichheit gibt. Demnach weisen die USA, Großbritannien und Portugal unabhängig von ihrem (reichen) Durchschnittseinkommen eine hohe Rate von psychischen Erkrankungen, gesundheitlichen und sozialen Problemen auf. So sind die Chancen, das 65. Lebensjahr zu erreichen, für männliche Schwarze in Harlem schlechter als für die männlichen Einwohner von Bangladesh. Und in Russland nahm mit der Einführung der Marktwirtschaft und der raschen Steigerung der Ungleichheit die Lebenserwartung rapide ab.

Bei den schulischen Leistungen in Mathematik, Lese- und Schreibkompetenz schneiden die Länder mit mehr Einkommensgleichheit besser ab. Wilkinson und Picket führen das auch darauf zurück, dass ein Land wie Norwegen mit hoher Gleichheit Schulmittel zu 97,8% aus der öffentlichen Hand finanziert, während es sich in den USA nur um 68,2% handelt. Bei der Mordrate wird die Diskrepanz zwischen den Ländern besonders deutlich. Hier weist die USA einen 12-mal höheren Wert als Japan auf.


Die Position von Frauen

Bei der Stellung von Frauen gibt es einen Ausreißer: Während Schweden als Land mit hoher Einkommensgleichheit auch einen hohen Status bei den Frauen aufweist, ist der Status von Frauen in Japan in der Statistik sehr weit unten angesiedelt. Die WissenschaftlerInnen begründen das damit, dass in Japan "Frauen traditionell weniger Rechte als Männer" haben, während in Schweden seit Langem für die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung der Frauen gekämpft wurde.

Trotz Begründung wird an diesem Beispiel deutlich, dass Gleichheit nicht für alle gesellschaftlichen Aspekte das Allheilmittel für ein durch und durch gleichberechtigtes Leben ist.

Als MitverursacherInnen der Krise gelten Entprivatisierungen führender Industriezweige, steigende ManagerInnengehälter und die wachsende Kluft zwischen ArbeitgeberInnen- und ArbeitnehmerInnengehältern: "Die Chief Executive Officers von 365 der größten US-Firmen bekommen heute weit über 500 mal höhere Bezüge als der Durchschnitt ihrer Mitarbeiter, und diese Diskrepanzen wachsen noch."

Doch wie lässt sich Gleichheit in einer Gesellschaft (wieder-)herstellen? Wilkinson und Picket geben keinen Königsweg vor, ihr Motto lautet: Gleichheit, egal wie. In ihrem Think Tank präsentieren sie unterschiedliche Ideen, die ergänzend gedacht werden können. Sie wenden sich klar gegen die allgegenwärtige Symptombehandlung verschiedener Missstände: "Die Folgen der Ungleichheit können nicht durch Psychotherapie für die Massen und nicht durch allgemeine Desensibilisierung kompensiert werden, sondern das Übel muss durch die Reduzierung der Ungleichheit selbst behoben werden."

Eine politische Haltung, die auf weniger Steuern und geringere öffentliche Ausgaben setzt (wie wir sie derzeit in Deutschland vorfinden), halten die EpidemiologInnen im Kampf gegen Ungleichheit für kontraproduktiv. Sinnvoll wäre die Verbindung einer Einkommensumverteilung nach dem Vorbild in Schweden und einer Einkommensangleichung nach dem Vorbild Japans.

Sie plädieren außerdem für mehr Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen am Arbeitsplatz inklusive Gewinnbeteiligung: "Wer über seine Arbeit mitbestimmen kann, lebt auf, engagiert sich stärker, übernimmt mehr Verantwortung."

Weitere sinnvolle Maßnahmen wären das Stopfen von Schlupflöchern im Steuersystem, die Begrenzung von absetzbaren Betriebskosten, eine Anhebung der Spitzensteuersätze und die gesetzliche Regelung, Spitzengehälter an ein geringeres Vielfaches der niedrigsten Gehälter zu binden. Zudem plädieren sie für Investitionen in Bildung und Familienpolitik. Die WissenschaftlerInnen appellieren auch, dass die Gesellschaft sich von dem Allheilmittel "Wachstum" verabschieden muss. Hier knüpfen sie an das Prinzip einer nachhaltigen Lebensweise an. "Nicht noch mehr Konsum im Wechselspiel mit Wachstum, sondern mehr Lebensqualität, bessere soziale Beziehungen und eine saubere Umwelt - durch mehr Gleichheit."


Von der Theorie zur Wirklichkeit

In Hamburg hat sich gezeigt: Ungleichheit erhält sich selbst, auch wenn der Staat eingreift. Während die Regierung ein Exempel statuieren und die Ungleichheit verringern wollte, wehrten sich BürgerInnen, die um ihren Status fürchteten, als wenn es um Leben und Tod ginge. Und so wird die Ungleichheit zur Endlosschleife. Den Kampf um Gleichheit können wir nur gewinnen, wenn wir den eigenen Status hinterfragen.


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Quelle:
Wir Frauen, 29. Jahrgang, Herbst 3/2010, Seite 14-15
Herausgeberin: Wir Frauen -
Verein zur Förderung von Frauenpublizistik e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. September 2010