Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → SOZIALES

FRAGEN/007: Libyen - "Frauen wie Kriegsbeute behandelt", Interview mit Aicha Almagrabi (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. Dezember 2013

Libyen:
'Frauen wie Kriegsbeute behandelt' -
Interview mit der Schriftstellerin Aicha Almagrabi

von Karlos Zurutuza


Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Die libysche Schriftstellerin Aicha Almagrabi
Bild: © Karlos Zurutuza/IPS

Tripolis, 20. Dezember (IPS) - "Libyen könnte für Frauen zum zweiten Afghanistan werden, sollten dringend erforderliche Gegenmaßnahmen ausbleiben", warnt die Schriftstellerin und Frauenaktivistin Aicha Almagrabi. Libyerinnen, die für ihre Rechte eintreten, würden beleidigt, schikaniert und bedroht.

Im Interview mit IPS berichtet die 57-jährige Universitätsprofessorin und Leiterin der Organisation für die Verteidigung der Gedankenfreiheit, dass mit libyschen Frauen wie mit Kriegsbeute umgegangen worden sei. Almagrabi, die in ihrer Heimat und in Frankreich studiert hat, ist als Autorin mehrerer Gedichtbände und Romane bekannt.

IPS: Im vergangenen Oktober war es zwei Jahre her, dass Staatschef Muammar al-Gaddafi gestürzt und brutal ermordet wurde. Was hat sich seitdem für Frauen in Libyen verändert?

Aicha Alamagrabi: Die Lage hat sich alles andere als verbessert, denn auch die wenigen Rechte, die wir besaßen, haben wir verloren. Polygamie ist nach wie vor in Libyen verbreitet. Doch unter der Herrschaft von Gaddafi von 1969 bis 2011 brauchte ein Mann immerhin noch die Zustimmung seiner Frau, um ein zweites Mal zu heiraten. Inzwischen ist das nicht länger erforderlich.

Das erste, was Mahmoud Jibril (als Vorsitzender des Nationalen Übergangsrats) in seiner berühmten Rede zum Ende des Bürgerkriegs 2011 angekündigt hatte, war die Überarbeitung des Polygamiegesetzes. Erst danach sprach er vom Wiederaufbau des Landes und der Zivilgesellschaft.

Veränderungen? Libysche Frauen wurden wie Kriegsbeute behandelt. Wenn sie öffentlich protestieren, müssen sie mit Gewalt rechnen. Frauen, die für ihre Rechte eintreten, werden ständig beschimpft, schikaniert und bedroht. Wir waren Teil der Revolution, auch unter uns gab es Märtyrerinnen, doch hat uns das politisch nicht geholfen.

IPS: Einige Frauen sitzen aber doch heute in der Regierung?

Aicha Alamagrabi: Das stimmt zwar, aber sie haben große Mühe, die Stellung zu halten. Die Parteien bedienten sich ihrer zu Wahlkampfszwecken. Der Ausschuss der 60, der die neue Staatsverfassung entwerfen soll, zählt lediglich sechs weibliche Mitglieder. Einer der Parlamentarier im Allgemeinen Nationalkongress schlug sogar vor, Männer und Frauen bei Beratungen räumlich voneinander zu trennen.

Auch andere Zahlen sprechen für sich: 90 Prozent aller Lehrer sind Frauen, doch nur zwei von ihnen in Positionen, in denen sie Entscheidungen treffen.

IPS: Politiker scheinen in Libyen eine weniger große Rolle zu spielen als der Mufti Sadeq al Ghariani. Viele sagen, er sei der eigentliche Herrscher im Land.

Aicha Alamagrabi: Der Mufti übt religiöse Macht aus und wird sowohl von politischen als auch militärischen Instanzen unterstützt. Sie alle wollen erreichen, dass die Scharia, das islamische Recht, zur Grundlage des Strafrechtes und der künftigen Verfassung wird.

Sie wollen ihre eigene Interpretation des Korans durchsetzen, die gefährlicher ist als die heilige Schrift. Es wurde immer viel über die Scharia gesprochen, aber nur wenigen scheint klar zu sein, dass es davon mehrere Versionen gibt. Wollen wir die iranische? Die afghanische oder die marokkanische?

Ein wichtiges Ziel ist die Kontrolle über Frauen auf der Grundlage ihrer eigenen Koraninterpretation. Deshalb wäre die Trennung zwischen Staat und Religion so wichtig. Mädchen müssen an den Schulen inzwischen den Hidschab (Gesichtschleier) tragen. Der Mufti fordert nun, dass alle Frauen zu jeder Zeit ihr Haar bedecken.

Ich bin Professorin an der Zaytuna-Universität in Tripolis und trage dort als Einzige kein Kopftuch. Meine Kolleginnen legen den Hidschab oder den Niqab an, einen Gesichtsschleier, der nur die Augen frei lässt. Die Zahl der verschleierten Frauen nimmt zu, nicht wegen des Gesetzes, sondern eher aufgrund von Gruppenzwang.

IPS: Es gibt auch Gerüchte über neue Fatwas, islamische Rechtsgutachten, die ab kommendem Januar Frauen verbieten sollen, ohne männliche Begleitung durch das Land zu reisen.

Aicha Alamagrabi: Das würde mich nicht wundern. Ich lebe außerhalb der Stadt und wurde am 13. Februar auf dem Weg zur Arbeit von einer Gruppe bewaffneter Männer angehalten. Sie richteten anderthalb Stunden lang ihre Gewehrläufe auf mich, nur weil ich mich nicht in der Begleitung eines Mannes befand. Ich brachte den Vorfall in die Medien. Am 14. März organisierten wir einen 'Marsch für die Würde der Frau'. Wie üblich wurden wir beschimpft, misshandelt und belästigt.

IPS: Ist die zunehmende Gewalt im Land das dringlichste Problem für libysche Frauen?

Aicha Alamagrabi: Sie ist nur eines von vielen Problemen. Frauen sind ans Haus gefesselt, und die Straßen sind für sie nicht sicher. Es gibt viele Überfälle und sogar Entführungen. Dennoch ist kein Wille erkennbar, Frauenrechte in der neuen Verfassung zu verankern. Ein großes Problem besteht zudem darin, dass Frauen sich nur in geringem Maße zivilgesellschaftlich engagieren. Zu Beginn der Revolution von 2011 waren wir sehr stark, doch diese Stärke hat seit Kriegsende nachgelassen.

Heute sind wir sehr enttäuscht, weil wir an der Revolution teilgenommen haben und jetzt mit ansehen müssen, wie man unsere Idealvorstellungen von Freiheit und Gerechtigkeit durch Fatwas und religiöse Reden zu unterlaufen sucht. Fatwas haben einen großen Einfluss auf die jüngeren Generationen.

Selbst Gaddafi besann sich in den 1980er Jahren auf die Religion, als er erkannte, dass der Islam ein wirksames Instrument ist, Macht über Menschen auszuüben. Nicht gewährte Rechte und Freiheiten während seiner Herrschaft trieben viele Libyer jedoch dazu, sich extremen Gruppierungen wie der Muslimbruderschaft und den Dschihadisten anzuschließen.

IPS: Was kann den Libyerinnen in dieser schwierigen Lage helfen?

Aicha Alamagrabi: Selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass wir schließlich doch eine auf den Menschenrechten basierende Verfassung erhalten, bräuchten wir eine weitere Revolution, um die Denkweise libyscher Frauen zu verändern.

Vor allem aber muss vor dem Entwurf einer Verfassung die Herrschaft der Milizen und der bewaffneten Gruppen beendet werden, die außerhalb von Armee und Polizei agieren. Wenn dies nicht geschieht, bewegen wir uns in Richtung des 'afghanischen Modells', was die Rechte von Frauen angeht. (Ende/IPS/ck/2013)


Link:
http://www.ipsnews.net/2013/12/qa-libyan-women-handed-spoils-war/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 20. Dezember 2013
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Dezember 2013