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FRAGEN/016: Feministischer Aktivismus in China - Interview mit Jing Xiong (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 134, 4/15

Feministischer Aktivismus in China
Interview mit Jing Xiong

Von Claudia Dal-Bianco


Nach der 4. UN-Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking wurde das Media Monitor for Women Network gegründet. Dieses Netzwerk zielt darauf ab, die Sichtbarkeit von Frauen und Genderfragen in den Medien zu erhöhen. Seit der Gründung im März 1996 hat sich viel getan. Seit 2010 ist das Netzwerk in sozialen Medien aktiv[1], und seit 2012 unterstützt es öffentliche Advocacy-Aktivitäten für Frauenrechte mit Theater- und Straßenaktionen, Petitionen und Filmen. Im Folgenden ein Interview mit Jing Xiong, Mitarbeiterin des Media Monitor for Women Network.

Wie kam es dazu, dass das Media Monitor for Women Network Trainings für Aktivistinnen anbietet und Advocacy-Aktivitäten unterstützt?

Jing Xiong: In den Anfangsjahren waren wir alle nur ehrenamtlich tätig. 2009 haben wir dann ein Büro eröffnet und begonnen, uns auf neue Medien und Online-Aktivitäten zu konzentrieren. Durch unsere Homepage und vor allem die sozialen Netzwerke kamen wir mit immer mehr Frauen - Freund_innen, potentiellen Aktivist_innen, Studierenden - in Kontakt. Dadurch konnten wir viele junge Feministinnen in China erreichen und zu Aktionen motivieren. 2011 zogen wir in ein Zentrum für NGOs. Wir veranstalten seither Leseclubs, Vorträge und Workshops, die für alle offen sind. Es geht uns vor allem darum, praktische Trainings anzubieten, nicht Universitätskurse. Menschen sollen zusammenkommen und gemeinsam Ideen und Aktionen entwickeln.

2012 habt ihr die Aktion "Our viginas, ourselves" ins Leben gerufen.

Jing Xiong: Damit wollen wir auf die sexuellen Rechte von Frauen aufmerksam machen: Wir kooperieren mit jungen Feministinnen - Aktionsgruppen - und unterstützen sie bei Aktionen. Theater nutzen wir als eine Strategie, um für Frauenrechte zu agitieren. Zusammen mit Student_innen oder Theaterclubs an Universitäten, die sich für unsere Arbeit interessieren, erarbeiten wir Theaterperformances rund um sexuelle Rechte - wir beschränken uns aber nicht auf dieses Thema. Wir erarbeiten mit diesen Gruppen sozusagen ihre eigenen Versionen von "Unsere Vagina". Zunächst brainstormen wir. Dann wählen wir aus, woran wir weiterarbeiten, und dann entwickeln wir das Stück. So haben wir inzwischen elf Szenerien kreiert. Die Frauen, die sich an diesen Aktionsgruppen beteiligen, sind sehr jung. Sie haben eine höhere Bildung und leben in der Stadt - es ist also eine Art Elite.

Welche Strategien nützt ihr sonst noch in der Agitation für Frauenrechte?

Jing Xiong: Wir arbeiten mit unterschiedlichsten Mitteln und Aktionen. Wir haben zum Beispiel eine Szene in einer U-Bahn aufgeführt: Wir haben das Lied "Do you here the people sing" in "Do you hear the women sing" umgewandelt. Auf den Straßen ist permanent Polizei, aber in den U-Bahnwaggons sind wir freier. Ein anderes Beispiel: Auf Sina Weibo wurde der Fall eines prominenten Mannes bekannt, der seine Frau misshandelte. Wir versuchten diese Frau zu unterstützen, indem wir vorm Gericht Petitionsunterschriften sammelten. Ein anderes Mal war eine Frau vom Land jahrelang Opfer häuslicher Gewalt und ermordete schließlich ihren Mann. Sie wurde zum Tode verurteilt. Mit Petitionen und Performancekunst konnten wir dazu beitragen, dass das Todesurteil in eine Gefängnisstrafe umgewandelt wurde.

Wir wollen auch Geschichten von Frauen aus dem ländlichen China erzählen und auch die Stimmen von marginalisierten Frauen aus verschiedenen Altersgruppen zu Gehör bringen. Einmal haben wir mit einer NGO zum Thema Sexarbeit zusammengearbeitet. Wir haben Sexarbeiterinnen interviewt und ein Stück daraus gemacht, das in einem Pekinger Vorort, wo viele Migrant_innen leben, aufgeführt wurde. Wir filmen auch alle unsere Aktivitäten und stellen diese Filme online, um sie weiterzuverbreiten und zu informieren.

Nützt ihr Humor für eure Advocacy-Aktivitäten?

Jing Xiong: Wir machen auch Straßenaktionen, um Aufmerksamkeit zu erregen, aber auch Verwirrung zu erzeugen. Ein Beispiel: Wir haben die Aktion "Occupy the toilet" gestartet - das war zurzeit von "Occupy Wall Street". Die Aktion wurde sehr bekannt in China. Jede_r muss aufs Klo. Frauen stehen dabei oft in langen Warteschlangen. Ziel war es, etwas ganz Alltägliches auf eine ungewöhnliche Weise anzusprechen. Es wird nicht gesehen, dass auch gewöhnliche und banale Dinge geändert werden können. Wir wollen darauf aufmerksam machen, diese können geändert werden. Auch die Politik könnte geändert werden. Wir haben sechs Monate lang Männertoiletten besetzt. Mädchen sind darauf gesessen und hielten Zettel in der Hand mit ihren Forderungen. Und bei einer anderen Aktion - gegen die Diskriminierung von Frauen bei der Zulassung zu Universitäten - haben wir unsere Köpfe rasiert. Wir haben so dagegen protestiert, dass Frauen bessere Leistungen als Männer erzielen müssen, um zugelassen zu werden. Manche Aktivitäten sind also auch ironisch.

Ist Zensur ein großes Hindernis für eure Arbeit?

Jing Xiong: Zensur ist ein Problem. Manchmal verbietet die Polizei eine Aktion, manchmal weiß sie schon davor davon. Aktivist_innen werden immer wieder verhaftet und verhört, aber die Feminist Five[2] waren die ersten Feministinnen mit Haftstrafen. Manche junge Aktivistinnen sind seitdem eingeschüchtert. Frauenrechte waren bisher nicht so ein brisantes Thema in China. Wir sind nicht sicher, ob wir unsere Aktionen auf der Straße weiterführen können. Es ist uns aber wichtig, unsere Aktivitäten fortzusetzen. So versuchen wir zurzeit eher Sachen online zu machen. Dort gibt es natürlich auch Zensur. Wir hoffen, dass wir in der Zukunft wieder zurück auf die Straße können. Wichtig ist für uns, trotzdem unmittelbar auf soziale Brennpunkte in der Gesellschaft zu reagieren, und zwar mit Aktivitäten aus feministischer Perspektive. Damit begonnen haben wir, wie gesagt, 2012. Damals gab es wenige Informationen zu Feminismus und Frauenrechten in China. Es interessierte sich kaum jemand dafür. Jetzt wird es langsam besser. Es hat eine Veränderung eingesetzt - auch durch unsere Aktivitäten.

Danke für deine Antworten!


Anmerkungen:

[1] Derzeit besitzt Media Monitor for Women Network folgende Websites und Medienaccounts: www.genderwatch.cn, www.china-gad.org, "Feminist Voices" Sina Weibo, "Fight back Equality to Girls" Sina Weibo, "All About Domestic Workers" Sina Weibo, "Feminist Voices" WeChat public account, Gender Watch E-monthly, FeminisTV, und exklusive Accounts auf Websites, mit eingeschlossen Youku, Yeeyan und Douban.

[2] Am Vorabend des Internationalen Frauentages 2015 verhaftete die Polizei in Beijing, Hangzhou und Guangzhou mehrere Aktivistinnen - die Feminist Five. Die Frauen hatten geplant, Flugblätter gegen sexuelle Belästigung im öffentlichen Nahverkehr zu verteilen.


Webtipps:

www.youtube.com/watch?v=wsTKYlBpW64&feature=youtu.be //
http://v.youku.com/v_show/id_XNDQyODExODk2.html?from=y1.7-1.2

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 134, 4/2015, S. 18-19
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2016

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