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FRAGEN/030: Arbeitsemigration philippinischer Frauen - Konstruktion eines Topos (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 138, 4/16

Konstruktion eines Topos

Interview mit Ligaya Lindio-McGovern


Jeden Tag verlassen etwa 6.000 Menschen die Philippinen. Aus wirtschaftlichen Gründen lassen sie ihr Zuhause und ihre Familien zurück. In den Ankunftsländern werden sie als billigste Arbeitskräfte ausgebeutet. Dieser Arbeitskräfteexport wird in den Philippinen seit den 1970er-Jahren durch die Regierung unterstützt. Claudia Dal-Bianco von der Frauen*solidarität hat Ligaya Lindio-McGovern zur derzeitigen Situation von philippinischen Hausangestellten befragt. McGovern ist Soziologin und beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Globalisierung und neoliberalen Politiken auf philippinische Frauen weltweit. In ihrem Buch "Globalization, Labor Export and Resistance" hat sie sich mit der Situation von Hausangestellten, die aus den Philippinen emigrierten, auseinandergesetzt.


Was für Auswirkungen hat diese massenhafte Arbeitsemigration auf betroffene Familien und die philippinische Gesellschaft insgesamt?

Ligaya Lindio-McGovern (LM): Ich habe beobachtet, dass philippinische Eltern, die in anderen Ländern arbeiten, über Handy oder Internet in ständigem Kontakt mit ihren Kindern bleiben. Ich nenne das distant mothering und distant fathering. Sie stehen in der Nacht auf, um ihre Kinder mit dem Handy aufzuwecken, damit sie rechtzeitig in die Schule kommen. Sie sind ständig erreichbar und versuchen, sich um sie zu kümmern, als wären sie bei ihnen.

Natürlich hat die Arbeitsemigration auch gesellschaftliche Auswirkungen. Die Frauen sind als Haus- und Care-Arbeiterinnen am globalen Markt beschäftigt und verdienen dort so viel, dass sie ärmere Frauen in den Philippinen anheuern können, um die gleiche Arbeit in ihren Familien für weniger Geld zu erledigen. Zwar hat die philippinische Regierung bereits ein Gesetz zur Regulierung der Hausarbeit erlassen, doch viele Hausangestellte sind nicht über ihre Rechte informiert. Sie können ihre Rechte daher schwer einfordern.


Die philippinische Regierung unterstützt die Arbeitsemigration. Inwiefern profitiert sie davon?

LM: Die Regierung rechnet mit Geldrücksendungen und unterstützt deshalb die Arbeitsemigration. Um die Auslandsschulden der Philippinen bezahlen zu können, braucht die Regierung Devisen - US-Dollar. Außerdem gilt Arbeitsemigration als "Entwicklungsinstrument". Die sozialen Kosten werden bei der Förderung von massenhafter Arbeitsemigration nicht bedacht. Langfristig gesehen wird durch diese Arbeitsemigration die Wirtschaft nicht saniert, sondern das Land verliert menschliche Ressourcen, die für eine dauerhafte, nachhaltige Entwicklung auf den Philippinen wichtig wären.

Diese Politik, zusammen mit neoliberalen Strategien, die u. a. durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Welthandelsorganisation (WTO) verfolgt werden, zerstört die lokale Wirtschaft und erhöht Arbeitslosigkeit sowie die Armut, indem sie Unternehmen fördert, die Bauern und Bäuerinnen von ihrem Land verjagen und Ressourcen ausschöpfen. Aus diesem Grund muss die neoliberale Globalisierung kritisch gesehen werden, denn diese Arbeitsmigrant_innen verlassen nicht freiwillig ihr Land und ihre Familien.


Die Bewegungsfreiheit vom globalen Süden in den globalen Norden wird immer mehr eingeschränkt. Xenophobe Diskurse bezugnehmend auf Migrant_innen nehmen in Europa zu. Es würde mich interessieren, wie Filipinas und Filipinos damit umgehen?

LM: Mit manchen Regierungen gibt es Abkommen. Norwegen und Deutschland haben mit den Philippinen Vereinbarungen getroffen, um philippinische Krankenschwestern zu "importieren". Die Arbeitsemigration hat einen direkten Zusammenhang mit neoliberalen Politiken. In südlichen Ländern wird die lokale Wirtschaft zerstört und Arbeitslosigkeit generiert, so dass Menschen in den Norden gehen, um ein gutes Leben zu finden. Dort angekommen, sind die Grenzen verschlossen. Ich nenne das die soziale Konstruktion von undokumentierten Migrant_innen. Durch diesen Prozess werden super billige, super ausgebeutete Arbeitskräfte produziert. Ich habe beispielsweise bemerkt, dass vielerorts lokale Arbeitgeber_innen undokumentierte Arbeiter_innen bevorzugen. Sie müssen ihnen weder ein Mindestgehalt noch soziale Versicherung bieten.

Durch die Schaffung von (nationaler) Staatszugehörigkeit können Menschen ohne Staatsbürgerschaft ausgebeutet werden. In der EU werden Frauen in den Arbeitsmarkt aufgenommen und übernehmen als undokumentierte, ausgebeutete Migrant_innen sehr billig die Care-Arbeit. Es ist notwendig, diesen Prozess kritisch zu beleuchten und Reproduktions- mit Produktionsarbeit zu verbinden.


Gibt es auf den Philippinen Widerstandsbewegungen, und welche Ziele verfolgen sie?

LM: Es gibt starke Widerstandsbewegungen: Wir haben eine nationale Freiheitsbewegung, eine Arbeiter_innenbewegung (KMU), eine progressive Frauenbewegung (Gabriele) und migrante international, die philippinische Migrant_innen organisiert und Arbeitsemigration kritisiert. Vor kurzem gab es Friedensgespräche mit der philippinischen Regierung [1], in denen über die Ursachen von Armut und bewaffnetem Widerstand gesprochen wurde. Viele Probleme könnten durch Landreformen gelöst werden. Das Land muss wieder an Bauern und Bäuerinnen verteilt werden, damit sie Kontrolle über landwirtschaftliche und Holzproduktion zurückerlangen können. Mit diesem Problem beschäftigt sich die Bäuerinnenbewegung Amihan. Sie schlägt vor, dass Individuen oder Gruppen nur dann Land besitzen können, wenn sie selber dieses Land bewirtschaften. Amihan fordert auch Gleichberechtigung von Frauen und Männern als Landbesitzer_innen, denn Bäuerinnen sind noch immer nicht gleichgestellt.

Wir hoffen, dass uns die Duterte-Regierung entgegenkommt. Doch es gibt dagegen Widerstand anderer Länder und internationaler Organisationen wie der WTO, die im Interesse imperialistischer Mächte handeln und sich an den Philippinen bereichern wollen. Es werden Abkommen wie das Asia-Pacific Trade Agreement durchgesetzt, wodurch die ungleichen Beziehungen zwischen den imperialistischen Ländern und den "Entwicklungsländern" im Namen des globalen Kapitalismus verstärkt werden.


Gibt es auch auf der internationalen Ebene Ansätze zu Veränderung? Welchen Eindruck hast du beispielsweise von der ILO-Konvention 189 über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte?

LM: Die ILO-Konvention 189 bietet einen sehr guten internationalen Gesetzesrahmen, der Einfluss auf die Situation von Hausarbeiterinnen haben kann. Nationalstaaten werden durch solche internationale Regulierungen in die Pflicht genommen. Das Gesetz zu Hausangestellten in den Philippinen wurde nach dem Vorbild der ILO-Konvention erarbeitet. Um einen Wandel hin zu sozialer und nachhaltiger Entwicklung erreichen zu können, braucht es internationale Solidarität und Aufklärung. Es ist auch notwendig, Wissen zu verbreiten, denn Neoliberalismus ist auch ein ideologisches Projekt, das Mittel zur Produktion von kollektivem Wissen hat. Dem müssen sich NGOs in Kooperation mit Widerstandsbewegungen transnational entgegensetzen.


Anmerkung:
[1] Seit den 1960er-Jahren herrscht zwischen der philippinischen Regierung und Rebell_innen der Kommunistischen Partei (CPP) ein Konflikt. Bisher sind Friedensgespräche immer gescheitert. Dieser Konflikt gilt als einer der längsten in der Geschichte Asiens. Bisher gab es mehr als 30.000 Tote.

Lesetipp: Ligaya Lindio-McGovern (2011): Globalization, Labor Export and Resistance: A Study of Filipino Migrant Domestic Workers in Global Cities. Routledge: Oxford.

Webtipps:
Amihan: National Federation of peasant Women:
amihanwomen.org
BAYAN:
www.bayan.ph
Migrante International:
migranteinternational.org
Women's movement GABRIELA:
library.fes.de/fulltext/iez/01109004.htm

Übersetzung aus dem Englischen: Verena Kovacs

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 138, 4/2016, S. 17-18
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2017

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