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FRAUEN/292: Prostitution und Zwangsprostitution in Südafrika (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 109, 3/09

WM 2010: Feierlaune für manche
Prostitution und Zwangsprostitution in Südafrika

Von Rita Schäfer


Der informelle Sektor bietet in vieler Hinsicht Einkommensnischen für Frauen. Dennoch sind pauschale Verklärungen unangemessen. Neben Konkurrenz und geringen Verdienstmöglichkeiten gibt es in Teilbereichen des informellen Sektors massive Ausbeutungsstrukturen. Vor allem Prostituierte sind mit Gewalt konfrontiert, wie im Folgenden am Beispiel Südafrika gezeigt wird.


Im Juni und Juli 2010 wird die Fußballweltmeisterschaft in Südafrika stattfinden. Die südafrikanische Regierung erhofft sich die Kostendeckung und einen wirtschaftlichen Aufschwung. Auch die Geschäftswelt rechnet mit guten Gewinnen. Vor allem die Tourismusbranche erwartet viele zahlungskräftige Kunden aus der ganzen Welt.


Legalisierung der Prostitution zur WM 2010?

Zu den Profiteuren wollen auch Bordellbesitzer zählen, wobei das Prostitutionsgewerbe schon jetzt floriert. Und das, obwohl die Prostitution in Südafrika illegal ist. Von der Illegalität profitieren insbesondere kriminelle Netzwerke, die Mädchen zur Prostitution in Bordellen und auf dem Straßenstrich zwingen. Die Prostituierten haben keine Chance, Missbrauch anzuzeigen, denn viele Polizisten sind sexistisch eingestellt. Sie tolerieren das Gewerbe und kontrollieren in Bordells nur, ob dort Drogen gehandelt werden. Auch Prostituierte auf dem Straßenstrich müssen Gewalt durch Freier und Übergriffe durch Polizisten fürchten. Außerdem haben sie keine Verhandlungsmacht, um die Anwendung von Kondomen zu fordern. Deshalb sind sie besonders gefährdet, sich mit Geschlechtskrankheiten und HIV zu infizieren.

Seit über zwei Jahren streiten unterschiedliche Interessengruppen über die Legalisierung der Prostitution. Schon im März 2007 schlug der damalige Polizeichef Jackie Selebi vor, die Prostitution während der WM zu erlauben. Auch einzelne ANC-Parlamentarier meinten, die Legalisierung der Prostitution würde kriminelle Machenschaften reduzieren und die Steuereinnahmen erhöhen. Mitte 2008 traten städtische Entscheidungsträger - namhafte lokale ANC-Vertreter - in Durban mit ähnlichen Vorschlägen an die Öffentlichkeit, worauf ihre dortigen politischen Gegner, die Inkatha und die Inkatha Youth League, empört reagierten. Sie versuchten aus dem Thema politisches Kapital zu schlagen und warfen dem ANC vor, die gesellschaftliche Moral anzugreifen. Als Moralapostel setzten sich auch Repräsentanten fundamentalistischer Kirchen in Szene. Im Juni 2009 zog eine Gruppe zum Sitz der Provinzregierung in Durban und skandierte: Südafrika solle sich schämen, es opfere seine eigenen Töchter, um Devisen einzunehmen.

Demgegenüber verlangt die Kapstädter Organisation Sex Worker Education and Advocacy Team (SWEAT), die Prostitution zu legalisieren. Hierdurch soll vor allem die Gewalt gegen Frauen und Mädchen auf dem Straßenstrich reduziert werden. Aus ähnlichen Gründen plädiert auch die Frauenrechtsorganisation Tswaranang in Johannesburg für eine Legalisierung. Sie argumentiert, die Grauzone der Illegalität böte den Nährboden für die Entfaltung krimineller Netzwerke. Demgegenüber betonen Vertreterinnen einiger anderer Frauenrechtsorganisationen, die Legalisierung der Prostitution würde die Kriminalität keineswegs reduzieren. Sie fordern umfassende Ausbildungs- und Arbeitsangebote für Mädchen, um ihnen die Prostitution als Einkommensstrategie zu ersparen.

Um diese Kontroversen zu verstehen, ist es wichtig, die historischen Hintergründe der Prostitution in Südafrika zu berücksichtigen.


Historisches Erbe

Das 1957 von der Apartheidregierung erlassene Prostitutionsverbot gilt noch heute. Damals trug es zur Kriminalisierung von sexuellen Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe bei. Dennoch verstießen zahllose weiße Männer immer wieder gegen diese Vorschrift, indem sie schwarze Prostituierte in den Nachbarländern aufsuchten. Offiziell war die Prostitution auch in den Minenstädten verboten. Dort wurden Hunderttausende schwarzer Wanderarbeiter unter menschenunwürdigen Umständen in Männerwohnheimen untergebracht. Den Ehefrauen, die in weit abgelegene und schlecht ausgestattete Homelands verfrachtet wurden, war es verboten, mit ihren Männern zusammenzuwohnen. Die Minenbetreiber erließen Prostitutionsverbote, weil sie die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten wie Syphilis befürchteten. Faktisch duldeten sie aber die Prostitution "ihrer Arbeiter", hierdurch wollten sie Aufstände vermeiden.

Um das Widerstandspotenzial der Minenarbeiter zu reduzieren, wurden Bierhallen eingerichtet. So wollte man die Wanderarbeiter von Besuchen in illegalen Hinterhofkneipen abhalten, in diesen Shebeens genannten Kneipen boten Frauen selbstgebrautes Mais- und Hirsebier an. Ihnen wurde nachgesagt, auch als Prostituierte zu arbeiten und die Männer von sich abhängig zu machen. Immer wieder gab es Polizeirazzien, die Shebeens zerstörten und die dort tätigen Frauen verhafteten. So sollten wirtschaftlich eigenständige Frauen, die kein Aufenthaltsrecht hatten, aus den Minenstädten vertrieben werden.


Heutige Ausbeutungsstrukturen

Die Ausbeutung der Prostituierten in Bordellen wird von staatlichen Stellen toleriert, denn die Frauen müssen zehn oder mehr Stunden täglich Freiern zur Verfügung stehen und erhalten oft nur 30-60% des Geldes, das die Freier an die Bordellbesitzer zahlen. So schaffen sie eine Grauzone für die erzwungene Prostitution. Zudem sind in den Bordellen junge Südafrikanerinnen aus Existenznot tätig. Armut und mangelnde Einkommensalternativen sind auch die wichtigsten Gründe, warum sich junge Mädchen und Frauen auf dem Straßenstrich prostituieren. Diesen kontrollieren keineswegs nur einzelne Zuhälter, sondern insbesondere lokale und international vernetzte kriminelle Banden. Südafrikanische Frauenrechtsexpertinnen gehen davon aus, dass die dort tätigen minderjährigen Prostituierten zum Teil in den Nachbarländern zwangsrekrutiert und mit Drogen gefügig gemacht wurden.

Neben kriminellen Banden sind gelegentlich auch Verwandte der Mädchen als Schlepper tätig. Des Weiteren sind Lehrer mitverantwortlich dafür, den Widerstand der Mädchen zu brechen, weil sie ihre Machtstellung durch sexuellen Missbrauch ausnutzen. Hinzu kommen die auf besitzergreifende Sexualität ausgerichteten Männlichkeitsbilder, zumal zahllose Männer hoffen, dass junge Mädchen noch nicht HIV-positiv sind.

Die Bagatellisierung sexueller Gewalt durch Verantwortliche in staatlichen Institutionen sowie die den Mädchen anerzogene Autoritätshörigkeit tragen zu deren Ausweglosigkeit bei. Besonders problematisch ist die Situation derjenigen, die sich in Wanderarbeiterwohnheimen prostituieren müssen. Wegen der rigiden Aufenthaltsgesetze in Südafrika und dem verbreiteten Sexismus schrecken die Verschleppten aus den Nachbarländern davor zurück, sich an die Polizei zu wenden. Inzwischen sind auch nigerianische Syndikate, chinesische Triaden sowie die russische und bulgarische Mafia in den lukrativen Frauenhandel am Kap eingestiegen. Südafrika ist ein Zielland und gleichzeitig eine Drehscheibe für den Weitertransport von Prostituierten z.B. nach Europa.


Widerstand gegen Zwangsprostitution

Das regionale Netzwerk von Frauenrechtsexpertinnen Women and Law in Southern Africa Research and Education Trust (WLSA) hat im November 2008 eine große Öffentlichkeitskampagne zum Schutz vor Zwangsprostitution gestartet. Gleichzeitig fordert es umfassende Regierungsinitiativen zum Kampf gegen den Menschenhandel und die Bestrafung von Schleppern Dabei bezieht sich WLSA auf internationale Konventionen und regionale Abkommen. Südafrikanische Frauenrechtlerinnen fordern seit langem, dass die bereits vorhandenen Gesetze gegen geschlechtsspezifische Gewalt umgesetzt werden. Sie befürchten, dass die Legalisierung der Prostitution die schon jetzt verbreitete Zwangsprostitution in dramatischer Weise ausweiten wird, weil die Polizei bereits heute mit der Verbrechensbekämpfung überfordert ist. Viele Behördenvertreter sind korrupt und profitieren vom Mädchenhandel.

Fraglich ist, wie sich die Fußballfans während der WM 2010 verhalten werden. Es bleibt zu hoffen, dass hiesige Fan-Berater trotz der schon verbreiteten Feierlaune umfassend über Zwangsprostitution informieren.


Zur Autorin:
Rita Schäfer ist Autorin mehrerer Bücher, z.B. "Im Schatten der Apartheid" (2008) und "Frauen und Kriege in Afrika" (2008).


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 109, 3/2009, S. 30-31
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. November 2009