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FRAUEN/339: D. R. Kongo - Für Frauen die Hölle, Vergewaltigung bleibt psychologische Kriegswaffe (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Oktober 2011

D. R. Kongo: Für Frauen die Hölle - Vergewaltigung bleibt psychologische Kriegswaffe

Von Kristin Palitza


Bukavu, D. R. Kongo, 21. Oktober (2011) - Angeline Mwarusena aus dem ostkongolesischen Dorf Katana ist seit vier Jahren schwer traumatisiert. Die Massenvergewaltigung durch ruandische Hutu-Milizen der FDLR (Demokratisch Kräfte für die Befreiung Ruandas) hat ihr Leben zerstört. Aus Furcht, die Banditen könnten zurückkommen, wagt sich die 61-jährige Mutter von neun Kindern kaum noch aus ihrer Hütte. An Feldarbeit ist nicht zu denken.

"Am liebsten würde ich sterben" flüstert Mwarusena kaum hörbar. Apathisch berichtet sie: "Bei jedem Geräusch erschrecke ich. Nachts verstecke ich mich im Busch, denn die FDLR-Milizen überfallen uns immer wieder, rauben unser Vieh und unsere Ernten, morden und vergewaltigen." Das brutale Verbrechen hat bei ihr nicht nur psychische Schäden hinterlassen. Drei Jahre lang dauerte die medizinische Behandlung ihrer dabei erlittenen Verletzungen.

Wie Mwarusena geht es vielen tausend kongolesischen Frauen vor allem im Osten des zentralafrikanischen Landes. Im Panzi-Hospital in Bukavu, der Hauptstadt der Provinz Süd-Kivu, warten zahllose Vergewaltigungsopfer auf medizinische Versorgung. Verlässliche Statistiken gibt es nicht. Doch nach Angaben des Klinikdirektors Denis Mukwege wurden 2010 allein in seinem Krankenhaus 4.500 geschändete Frauen behandelt. Der Arzt schätzt, dass tausende Vergewaltigungsopfer schweigen und keine medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. "Diese Frauen werden in keiner Statistik aufgeführt", stellt er fest.


Land mit den meisten Vergewaltigungen

In dem noch unveröffentlichten Bericht des UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) für 2011 ist von 17.500 Frauen und Kindern die Rede, die 2009 in der DRC vergewaltigt wurden. "In keinem anderen Land gibt es so viele Vergewaltigungsopfer", betont die Aktivistin Audrey Shematsi. Sie leitet die Frauenrechtsabteilung der Hilfsorganisation 'ActionAid Goma', in der Provinz Nord-Kivu, die ähnlich wie Süd-Kivu unter den brutalen Überfällen der FDLR-Banden leidet.

"Nur knapp zehn Prozent der Gewalttaten werden vor den Strafgerichten verhandelt. Die Prozesse ziehen sich wochen- und monatelang hin und enden nur selten mit einer Verurteilung der Täter", kritisiert Shematsi. "Die Korruption sorgt dafür, dass es hier für Frauen keine Gerechtigkeit gibt."

In vielen Regionen des Kongo ist auch fast zehn Jahre nach den offiziellen Friedensverträgen von 2002, die einen langen Bürgerkrieg beenden sollten, von Sicherheit und friedlichen Zuständen nichts zu spüren. Auch nach einem weiteren, im Juni 2008 in Nord-Kivu unterzeichneten Friedensvertrag ist hier der Krieg nicht wirklich zu Ende. Vor allem in den an Diamanten, Kobalt, Gold, Kupfer und dem für die Elektronikindustrie unentbehrlichen Koltan reichen Bergbaugebieten im Osten der DRC kämpfen nationale und internationale Interessenten um den Zugang zu den weltweit begehrten Rohstoffen.

Die andauernde Gewalt hat auch politische Hintergründe. Die versprengten ruandischen Hutu-Rebellen der FDLR haben sich über die Grenze in die Gebirgs- und Waldgebiete im Ostkongo zurückgezogen und plündern dort die Dörfer aus.


Opfer von Familien verstoßen

"Vergewaltigung ist eine psychologische Kriegswaffe, mit der sie die Bevölkerung terrorisieren", bericht Zawadi Nabintu. Sie leitet das 'Dorcas House', ein in der Nähe des Panzi-Hospitals gelegenes Refugium für vergewaltigte Frauen. "Wir haben es hier mit zwei Problemen zu tun", erklärt sie. "Die Opfer müssen nicht nur die erlittene Gewalt verkraften. sondern wurden oftmals von ihren Familien verstoßen. Wir bemühen uns, sie finanziell unabhängig zu machen."

Eine der Patientinnen, die hier Hilfe gefunden haben, ist eine 17-Jährige, die sich Sarah nennt. Milizen hatten vor drei Jahren ihr Elternhaus in Bunjakiri 80 Kilometer nordwestlich von Bukawu überfallen. Vor den Augen des Mädchens ermordeten die Banditen die Eltern, vergewaltigten es und verschleppten es als Arbeitssklavin in ihr Lager. Als Sarah einen Monat später die Flucht gelang, war sie schwanger.

Im Dorcas House hat sie mit psychologischer Hilfe ihr Trauma verarbeitet und geht wieder zur Schule. Hier kann sie zusammen mit ihrer inzwischen zweijährigen Tochter Baraka ('Segen') leben, die sie liebevoll aufzieht. Später will Sarah Medizin studieren. (Ende/IPS/mp/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2011