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FRAUEN/447: Japan - Immer mehr Frauen droht Altersarmut (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 12. Dezember 2012

Japan: Immer mehr Frauen droht Altersarmut - Lebenserwartung sieben Jahre höher als bei Männern

von Suvendrini Kakuchi



Tokio, 12. Dezember (IPS) - Seit die Versicherungsagentin Hiroko Taguchi im April mit 64 Jahren in Rente ging, gehört sie zu der rasch wachsenden Gruppe der japanischen Seniorinnen, die den älteren Männern zahlenmäßig weit überlegen sind.

Taguchi, die nach ihrer Scheidung allein für ihren Lebensunterhalt aufkommen musste, könnte angesichts der hohen Lebenserwartung der japanischen Frauen ein langer Ruhestand bevorstehen. Japanerinnen leben im Durchschnitt sieben Jahre länger als die Männer. Nach einer vom Gesundheits- und Sozialministerium durchgeführten Untersuchung machen sie mehr als 87 Prozent der rekordverdächtigen Zahl von 50.000 Hundertjährigen in dem ostasiatischen Land aus.

"Ich hatte Glück, weil ich meine Arbeit nach der Heirat nicht aufgegeben habe. Das war für Frauen meines Alters eigentlich die Regel", berichtet Taguchi. Sie gehört somit zu den wenigen Japanerinnen, die nicht von Alterarmut betroffen sind. Andere, die früher lediglich einen Halbtagsjob hatten oder Hausfrauen waren, erhalten jetzt Altersbezüge von monatlich bis zu 500 US-Dollar. Das reicht kaum für den Lebensunterhalt.

Die patriarchalische Gesellschaft hat die Japanerinnen in die Rolle von Hausmütterchen gedrängt und ist daher zu einem Großteil für die sozialen Nöte älterer Frauen verantwortlich. Regierungsstatistiken belegen, dass 70 Prozent der Frauen ihren Job quittieren, wenn sie eine Familie gründen. Erst wenn die Kinder älter sind, kehren die meisten nur in Teilzeit an ihre Arbeitsplätze zurück. Damit sinken ihre Aussichten auf eine ausreichende Rente erheblich.


Zunehmende Abhängigkeit von staatlicher Fürsorge

Da die Frauen zudem länger leben als die Männer, sind sie umso abhängiger von der staatlichen Fürsorge. "Mehr Frauen als Männer leben im Alter in Armut, weil sie länger leben und weniger verdienen", erklärt die Wissenschaftlerin Keiko Higuchi, die an der Kasei Universität in Tokio unterrichtet und die Regierung berät.

Japan hat zurzeit die am raschesten alternde Bevölkerung der Welt. Nach Schätzungen von Experten werden im Jahr 2025 mehr als 27 Prozent der Japaner älter als 65 Jahre sein. Wenn sich der Trend fortsetzt, werden 40 Prozent der Senioren in der Zukunft weiblich sein. Frauen werden im Durchschnitt 86,5 Jahre alt, Männer 79,6.

Higuchi ist auch eine bekannte Frauenaktivistin, die die Regierung seit Längerem drängt, neue Strategien zu entwickeln, damit die Bedürfnisse älterer Frauen stärker berücksichtigt werden. Viele von ihnen leiden unter Einsamkeit, körperlichen Gebrechen und materieller Not. Die wirtschaftliche Lage des Landes, das mit hohen öffentlichen Schulden umgehen muss, macht ihre Situation nicht einfacher. Weitere Kürzungen sozialer Dienstleistungen und staatlicher Fürsorge sind zu erwarten.

Nach Erhebungen des Gesundheits- und Sozialministeriums sind 80 Prozent der Menschen über 65 Jahre, die in Japan allein leben, weiblich. Bei den meisten handelt es sich um Witwen oder Geschiedene. Frauen machen außerdem 70 Prozent aller Bewohner von Altersheimen aus. Während 25 Prozent der Japanerinnen über 75 Jahre arm sind, trifft dies auf 20 Prozent der Männer im gleichen Alter zu.

Laut dem Ministerium waren im Jahr 2011 fast 420.000 Frauen über 65 von Sozialhilfe abhängig, im Vergleich zu 324.000 Männern. Die bekannte japanische Frauenrechtlerin Junko Fukazawa, die Opfer häuslicher Gewalt berät, sieht es als Ironie des Schicksals, dass diejenigen, die traditionell für das Wohlergehen der gesamten Familie verantwortlich sind, im Alter selbst die größte Unterstützung brauchen.


Vereinte Nationen fordern Regierungen zum Handeln auf

Auch in anderen Teilen der Welt rückt die Notwendigkeit, in Zeiten des demografischen Wandels auf die Nöte älterer Frauen einzugehen, immer stärker in den Vordergrund. Der Bericht 'Ageing in the Twenty-First Century', der im September vom Weltbevölkerungsfonds UNFPA veröffentlicht wurde, fordert Regierungen und andere Akteure auf, Programme auf die Langlebigkeit von Frauen auszurichten.

Zahlen aus aller Welt belegen, dass auf jeweils 100 Frauen im Alter von mindestens 80 statistisch gesehen nur 61 Männer kommen. In Japan, der drittgrößten Wirtschaftsnation, wird deutlich, dass die wachsende Zahl älterer Menschen angesichts der abnehmenden Zahl der Erwerbstätigen ein großes Problem darstellt. Es wird erwartet, dass die Zahl der Berufstätigen von derzeit 80 Millionen auf 52 Millionen im Jahr 2050 sinkt.

Für die jüngeren Generationen von Japanerinnen, die in Zeiten einer harten Sparpolitik aufwachsen, sind die Aussichten alarmierend. Bereits jetzt spüren diese Frauen den enormen Druck der Armut. Statistiken der Arbeitsbehörde weisen darauf hin, dass viele von ihnen in gering bezahlten Teilzeitjobs arbeiten. Damit steht einem großen Teil der heute Berufstätigen eine unsichere Zukunft bevor.

"Die derzeitige demografische Entwicklung zeigt deutlich, dass die Wachstumspolitik des japanischen Staates die traditionellen Familienwerte unterhöhlt hat, die einen Schutz älterer Menschen garantierten", sagt Higuchi. Die Frauen hätten das Nachsehen. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.unfpa.org/public/home/publications/pid/11584
http://www.ipsnews.net/2012/12/longer-lives-lower-incomes-for-japanese-women/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2012