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FRAUEN/485: Indien - Verschwundene Töchter, Mädchen vom Land als Arbeitssklavinnen verschleppt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. April 2013

Indien: Verschwundene Töchter - Mädchen vom Land als Arbeitssklavinnen verschleppt

von Ranjita Biswas



Guwahati, Indien, 30. April (IPS) - Beinahe haben sie schon jede Hoffnung aufgegeben, ihre Mädchen wiederzusehen. Die Familie gehört zu den 'Adivasi', den ersten Bewohnern des heutigen Indien, und lebt in einem fernen Dorf im Bundesstaat Assam an den Ausläufern des Himalajas. Drei der vier Töchter sind seit fünf Jahren verschwunden.

"Die Eltern sind arm und ungebildet. Sie wissen nicht, was aus ihren Kindern geworden ist", berichtet Sunita Changkakati, Direktorin des unabhängigen 'Assam Centre for Rural Development' in Guwahati.

Die indigenen Adivasis waren in der britischen Kolonialzeit als Arbeiter in den Teeplantagen von Assam rekrutiert worden. Heute geraten sie leicht in die Fänge von Menschenhändlern, die Späher in die ländlichen Gebiete entsenden, die sich dort nach geeigneten Opfern umsehen sollen.

Häufig wird den jungen Frauen viel Geld und ein komfortables und interessantes Leben in der Stadt oder die Aussicht auf eine Heirat versprochen. Doch statt in den Flitterwochen finden sie sich bald in Bordellen wieder.

Die Medien haben in den vergangenen Jahren häufig über Mädchen aus dem Nordosten Indiens berichtet, die in Neu-Delhi, Mumbai, Pune und anderen Städten aus ihrer sexuellen Versklavung befreit werden konnten. Wie die Behörde für Strafverfolgung des Bundesstaates Assam berichtete, ist die Zahl der von hier aus in andere Teile Indiens gelockten jungen Frauen von nur vier im Jahr 2005 auf 79 im vergangenen Jahr gestiegen. Die Dunkelziffer dürfte noch viel höher sein, denn viele Eltern bringen das Verschwinden ihrer Töchter nicht zur Anzeige.


Chronischer Frauenmangel

Doch nicht alle Vermissten enden im Sexgewerbe. Viele Mädchen werden - häufig noch vor ihrer Volljährigkeit mit 18 Jahren - an wesentlich ältere Bauern in den weit entfernten Bundesstaaten Punjab und Haryana verheiratet. In den beiden nördlichen Unionsstaaten fehlt es an heiratsfähigen Frauen - eine Folge der Praxis, weibliche Föten abzutreiben, beziehungsweise Mädchen gleich nach der Geburt zu töten. Deswegen kaufen sich viele Männer in den Dörfern Bräute über Mittelsmänner.

Andere Mädchen aus den ländlichen Regionen werden als Haushaltshilfen in die Großstädte gebracht. "Von wohlhabenden Familien eingestellt, werden sie häufig unterbezahlt und fast wie Sklavinnen gehalten", berichtet der Adivasi Stephen Ekka von der Organisation 'Pajhra' in Assam. Jeder, der gegen seinen Willen zum Arbeiten gezwungen werde, müsse als Opfer von Menschenhändlern betrachtet werden.

Doch auch Männer fallen Menschenhändlern zum Opfer. Rajeeb Kumar Sharma, Generalsekretär der 'Global Organisation for Life Development' (GOLD) in Guwahati schildert den besonders schlimmen Fall eines Hausangestellten, der von einem Agenten in Neu-Delhi angeworben worden war. Als er eines Tages wegen Magenschmerzen in ein Krankenhaus kam, stellten die Ärzte fest, dass ihm ein inneres Organ entfernt worden war - ohne Wissen des Opfers, wie sich herausstellte.

Armut und Arbeitslosigkeit sind die Hauptgründe, die die Menschen in Dörfern leicht zu Opfern von Menschenhändlern machen. Hinzu kommen der Mangel an sozialer Mobilität und Bildung sowie die Perspektivlosigkeit junger Leute. Die berühmten Teeplantagen in Assam stecken seit einigen Jahren in der Krise. Um Kosten einzusparen, beschäftigen Plantagenbesitzer oft nur noch Saisonkräfte, insbesondere in den Pflückperioden. Viele Mädchen müssen sich daher nach alternativen Einnahmequellen umsehen.


Hoffen auf ein gutes Leben in Neu-Delhi

Selbst in den entlegensten Dörfern ist 'Delhi' ein Zauberwort, das eine Tür zu unerhörtem Reichtum zu öffnen scheint. Manchmal kommen Töchter aus der Hauptstadt zu Besuch in ihre Dörfer zurück, tragen schicke Kleider und prahlen damit, wie viel sie verdienen. Dies ist oftmals nur eine List, um andere Mädchen in die Stadt zu locken. Für viele endet das vermeintliche Abenteuer in einem Albtraum, aus dem sie nur schwerlich entkommen können.

Organisationen wie Changkakati bemühen sich seit mehreren Jahren, ein Bewusstsein für die Misere der jungen Frauen zu wecken. Sie helfen dabei, Opfer aus ihrer Lage zu befreien und ihnen ein normales Leben zu ermöglichen. In Assam setzen sie ein Programm gegen Menschenhandel, 'Ujjwala', um, das sich vor allem um Mädchen kümmert, die in die Prostitution abgeglitten sind. Im vergangenen Jahr wurden 78 junge Frauen in sichere Unterkünfte gebracht. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://acrdghy.org/
http://goldassam.org/About_Gold.htm
http://www.ipsnews.net/2013/04/their-missing-daughters/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Mai 2013