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FRAUEN/514: Lateinamerika - Bei Sexual- und Reproduktivrechten aufs Ganze gehen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. August 2013

Lateinamerika: Bei Sexual- und Reproduktivrechten aufs Ganze gehen, fordern Bevölkerungsexpertinnen

von Diana Cariboni und Raúl Pierri


Bild: © Mit der freundlichen Genehmigung der IPPF

Carmen Barroso zufolge kann es nur vorangehen
Bild: © Mit der freundlichen Genehmigung der IPPF

Montevideo, 15. August (IPS) - Lateinamerika und die Karibik sollten beim Aufbau einer 'Sexual Citizinship' eine führende Rolle spielen. Dieser Meinung ist die brasilianische Bevölkerungsexpertin Carmen Barroso. Hinter dem Begriff verbirgt sich ein Konzept, das eine ganze Reihe bevölkerungsrelevanter Fragen, Rechte und Garantien beinhaltet und von dem amerikanischen Subkontinent seit der Gründung der Vereinten Nationen vorangebracht wird.

Lateinamerika sei immer schon Vorreiter bei der Durchsetzung der Rechte der Frau gewesen und dies auch bis heute geblieben, meint Barroso, Regionaldirektorin der 'International Planned Parenthood Federation' für die westliche Hemisphäre (IPPF/WHR), auf der regionalen Bevölkerungskonferenz im uruguayischen Montevideo. Die Brasilianerin hatte bei den Verhandlungen für die Weltbevölkerungskonferenz 1994 in Kairo eine Schlüsselrolle gespielt. Wie sie gegenüber IPS betonte, sind kreative Lösungsvorschläge in diesem Bereich stets von der Zivilgesellschaft und insbesondere den Jugendbewegungen gekommen.

In Kairo hatten 1994 179 Staaten ein wegweisendes Aktionsprogramm mit dem Ziel verabschiedet, das globale Bevölkerungswachstum zu verlangsamen und die sexuelle und reproduktive Gesundheitsfürsorge zu verbessern. Die Weltkonferenz hatte den Rahmen für eine Verschiebung des Schwerpunkts von einer rein demografischen Sichtweise zu einem Ansatz vorgegeben, der den Rechten der Menschen größere Priorität einräumt - auch den sexuellen und reproduktiven.

"Lateinamerika und die Karibik haben seit den 1990er Jahren erhebliche Fortschritte gemacht", betonte Barroso auf dem Treffen vom 12. bis 15. August in Montevideo, wo die Teilnehmer Gelegenheit hatten, sich auf eine gemeinsame Position für die UN-Vollversammlung festzulegen. Die Regierungen seien sich inzwischen im Klaren darüber, dass sexuelle und reproduktive Rechte zur Entwicklung beitrügen. "Es gibt hier niemanden, der das Rad der Geschichte zurückdrehen will."

Lateinamerika und die Karibik könnten die Rechte auf ein befriedigendes und ungefährliches Sexualleben, Familienplanung und Aufklärung auch auf internationaler Ebene voranbringen. Die Region sei von jeher in dieser Hinsicht besonders fortschrittlich und eine treibende Kraft, was die Förderung der Rechte von Frauen im internationalen Prozess zur Entwicklung der UN-Charta und zur Gründung der Kommission für die Stellung der Frau von 1946 betrifft.

In der Region hat sich in politischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht ein bemerkenswerter Wandel vollzogen. Viele Staaten gehören inzwischen zu den Ländern mittlerer Einkommen, und Brasilien ist mit Russland, Indien, China und Südafrika Mitglied der BRICS-Ländergruppe. "Das bedeutet, dass uns die Welt mit anderen Augen sieht", so Barroso.

Auch bei den sexuellen und reproduktiven Rechten hat sich auf dem amerikanischen Subkontinent etwas getan: Uruguay hat Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert. Das Gleiche gilt für Guyana, Puerto Rico und die mexikanische Hauptstadt. Kolumbien wiederum hat seine Bestimmungen und Brasilien die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme einer Abtreibung gelockert.

In Kuba sind die Eingriffe bereits seit mehr als 50 Jahren erlaubt. "Tatsächlich gab es Schwangerschaftsabbrüche schon vor der kubanischen Revolution von 1959, doch waren die in Privatkliniken durchgeführten Eingriffe sehr teuer", erläuterte Mariela Castro, Leiterin von Kubas Nationalem Zentrum für Sexualerziehung (CENESEX), auf der Konferenz in Uruguay. Die hohen Kosten zwangen viele Frauen dazu, die Abbrüche von unprofessionellen Kräften vornehmen zu lassen, was mit hohen Risiken für die betroffene Frau verbunden war.

Bild: © David Puig/UNFPA

Mariela Castro auf der Bevölkerungskonferenz in Montevideo
Bild: © David Puig/UNFPA

Nach der Revolution erklärte das Gesundheitsministerium Abtreibungen zu Leistungen des öffentlichen Gesundheitssystems. 1964 wurde das Nationalprogramm für Familienplanung aufgelegt und 1972 mit den Vorbereitungen für ein Nationales Programm für Sexualerziehung begonnen sowie zwischen 1988 und 1989 das Nationale Zentrum für Sexualerziehung des Ministeriums für öffentliche Gesundheit geschaffen.


"Hexenjagd auf Frauen"

Nach Ansicht von Castro, Tochter des kubanischen Staatspräsidenten Raúl Castro, wird es in Lateinamerika und der Karibik in punkto sexuelle und reproduktive Gesundheit keine Fortschritte geben, solange es Staaten gebe, in denen Schwangerschaftsabbrüche kriminalisiert würden. "Dass viele Frauen in der Region gezwungen sind, zwischen Gefängnis und Tod zu wählen, ist eine Schande", betonte sie im IPS-Gespräch und verurteilte die "Hexenjagd auf Frauen" vor allem in den Staaten der Region, die sich sehr demokratisch gäben.

Die Sexualforscherin, die sich auch für die sexuellen Minderheiten in ihrem Lande einsetzt, ist auch Mitglied der Hochrangigen Arbeitsgruppe für die internationale Konferenz für Bevölkerung und Entwicklung in Montevideo. Als CENESEX-Chefin hat sie zahlreiche Aufklärungskampagnen über HIV/Aids und für die Rechte der LGBT durchgeführt. Castro zufolge "dürfen wir uns nicht länger mit Krümeln abspeisen lassen, wollen wir die sexuellen und reproduktiven Rechte voranbringen". (Ende/IPS/kb/2013)


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http://www.cenesexualidad.sld.cu/
http://www.ipsnoticias.net/2013/08/estamos-construyendo-la-ciudadania-sexual/
http://www.ipsnews.net/2013/08/qa-we-are-building-sexual-citizenship/
http://www.ipsnoticias.net/2013/08/no-podemos-aceptar-migajas-en-derechos-sexuales-y-reproductivos/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 15. August 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. August 2013