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FRAUEN/520: Pakistan - Groll nach Weggang, Swattal hat den Frieden mit Malala noch nicht gemacht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. Oktober 2013

Pakistan: Groll nach Weggang - Swattal hat den Frieden mit Malala noch nicht gemacht

von Ashfaq Yusufzai


Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Seit dem Anschlag auf Malala gehen mehr Mädchen zur Schule
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, Pakistan, 15. Oktober (IPS) - In ihrer Heimatregion, dem pakistanischen Swattal, hat die Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai nicht nur eine stetig wachsende Fangemeinde bildungshungriger Mädchen zurückgelassen, sondern auch viele Menschen, die ihr kritisch wenn nicht gar feindlich gegenüberstehen.

Mit ihrem mutigen Engagement für Mädchenbildung hatte sich Malala den Zorn der Taliban zugezogen. Am 9. Oktober 2012 wurde sie Zielscheibe eines Mordanschlags. Seitdem die inzwischen 16-Jährige erfolgreich an ihrer Kopfschussverletzung in einer Londoner Klinik operiert werden konnte, lebt sie in Großbritannien.

Malala hat als erste Minderjährige eine viel beachtete Rede vor den Vereinten Nationen gehalten und ist die diesjährige Trägerin des Sacharow-Preises für Meinungsfreiheit. Sie wurde für den Friedensnobelpreis nominiert, der dann aber an die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen ging.

Shahidullah Shahid, ein Sprecher der 'Tehrik-e-Taliban Pakistan' (TTP), wirft dem Mädchen vor, "den Islam dem Säkularismus geopfert" zu haben. "Wenn jemand Mut gezeigt hat und eine Auszeichnung verdient, dann die Schülerinnen der Jamia-Hafsa-Madrasa in Islamabad, die 2007 in eine Konfrontation mit Regierungstruppen verwickelt waren", sagte er von einem geheimen Ort aus gegenüber IPS

"Wir Taliban werden keine Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen, um Malala Yousafzai zu töten. Auch diejenigen, die ihr Buch verkaufen, werden nicht verschont", erklärte Shahid in Anspielung auf die Autobiografie 'Ich bin Malala', die in Zusammenarbeit mit der britischen Journalistin Christina Lamb entstanden ist.


Mädchenbildung hoch im Kurs

Den Drohungen der Taliban zum Trotz ist die Zahl der Mädchen an Yousafzais alter Bildungseinrichtung 'Khushal, Public School' von 450 im Jahr 2009 auf inzwischen 700 gestiegen. "Viele Familien wollen, dass ihre Töchter eine Schulbildung erhalten", meint dazu Subkhan Shah, ein Lehrer an der Bildungseinrichtung.

Nach Angaben des Ministers für Grundschulbildung von Khyber Pakhtunkhwa, Muhammad Atif, haben die Provinzbehörden in diesem Jahr 660 Millionen US-Dollar für Bildung im Allgemeinen und Mädchenbildung im Besonderen ausgegeben. "Im Rahmen einer speziellen Kampagne haben wir seit dem 1. September 115.000 Kinder eingeschult. Mehr als die Hälfte von ihnen - 60.000 - sind Mädchen. Auch konnten 650 der 750 von den Taliban beschädigten Schulen wieder instandgesetzt werden."

"Seit dem Mordanschlag auf Malala Yousafzai stellen wir ein wachsendes Interesse an Mädchenbildung fest", bestätigt der Bildungsbeamte Mushtari Begum in Swat. "Für die Mehrheit der Mädchen ist Malala ein Vorbild. Die Zahl der Mädchen, die die Grundschule besuchen, ist nach offiziellen Angaben von 85.650 im Jahr 2010 auf 126.678 angestiegen.

Yousafzai hatte sich schon als Zwölfjährige einen Namen gemacht, als sie in einem eigenen Blog auf der Urdu-Seite der BBC für Mädchenbildung warb. Sie schrieb zwar unter einem Pseudonym, doch wusste jeder, dass sie dahintersteckte, wie Zahira Shahid, Leiterin der High School für Mädchen in Mingora, berichtet. "Seither ist sie für die Mädchen zu einer treibenden Kraft geworden, die sie zu Bildungshöchstleistungen anspornt."

"In den schweren Zeiten, in denen sich Politiker und zivilgesellschaftliche Aktivisten aus Angst vor den Taliban schmallippig gaben, trat plötzlich Malala als mutige Verfechterin für Mädchenbildung in Erscheinung und machte der unterdrückten weiblichen Bevölkerung wieder Mut", erinnert sich Muhammad Jaffar von der von dem Kricket-Idol Imran Khan geführten Partei 'Pakistan Tehreek Insaf'.

Allerdings überrascht ihn nach eigenen Angaben gleichzeitig die ablehnende Haltung der Lokalbevölkerung gegenüber Malala, seitdem sie zu einer international gefeierten Kinderrechtlerin geworden ist. Dies erklärt seiner Meinung nach, warum Feierlichkeiten am 9. Oktober, dem Tag des Mordanschlags, ausgeblieben sind.


Bevölkerung fühlt sich im Stich gelassen

"Die Bevölkerung hier fühlt sich von Malala verraten", meint der Lehrer Ghufran Ali des 'Degree College'. "Sie hat die Menschen im Swattal, in dem der Einfluss der Taliban niemals schwinden wird, verlassen." Die internationalen Medien hätten dem Fall aufgrund des großen Interesses westlicher Länder eine unverhältnismäßig breite Dimension verliehen.

"Malala und ihre beiden Freundinnen Shazia Ramzan und Kainat Riaz, die bei dem Anschlag ebenfalls verletzt wurden, leben nun in Großbritannien, wo sie freie Bildung genießen. Doch was ist mit tausenden Mädchen im Swattal die mit ihrem Schulbesuch ihr Leben riskieren? Die Menschen hätten Malala zugejubelt, wäre sie nach ihrer Genesung hier erschienen."

Dass Yousafzai als Nobelpreisträgerin in Erwägung gezogen wurde, habe weder in Swat noch im Rest Pakistans zu Feierlichkeiten geführt, so auch Abdul Hakim, Verkäufer auf dem größten Markt in Swat. "Das bedeutet nichts anderes, als dass die Menschen unzufrieden mit ihr sind."

Die Menschen im Swattal wüssten einfach, dass Malala nicht zu ihnen zurückkehren werde, fügt Ali, ein arbeitsloser Programmierer, hinzu. Während hier jeden Monat zehn bis 15 Taliban-Gegner getötet würden, könne sie im fernen Großbritannien in Freiheit leben.

Im vergangenen Dezember war die Entscheidung der Regierung, das Degree College nach Malala umzubenennen, auf Proteste gestoßen. Die Kritiker argumentierten, dass dadurch das Leben der Schülerinnen aufs Spiel gesetzt werde. Nach einer Intervention von Yousafzai wurde die Entscheidung schließlich rückgängig gemacht.

Es gibt aber auch Menschen, die bedauern, dass die Kinderaktivistin nicht den diesjährigen Friedensnobelpreis gewonnen hat. "Wir haben die Feierlichkeiten gestrichen, nachdem wie erfuhren, dass Malala die Auszeichnung nicht erhalten wird", meint Zahid Khan, Vorsitzender des Lehrerverbands von Swat. "Wir sind aber sicher, dass sie auch weiterhin für die Mädchenbildung in unserer Region eintreten wird."

Auch die Mädchen an der Khushal-Schule seien traurig gewesen, dass ihr großes Vorbild den Preis nicht erhalten habe, bestätigt der Lehrer Fazal Khaliq. "Malala ist doch noch so jung und bekommt den Friedensnobelpreis vielleicht im nächsten Jahr. Allein schon ihre Nominierung hat uns mit unendlicher Freude erfüllt." (Ende/IPS/kb/2013)


Link:

http://www.ipsnews.net/2013/10/swat-not-at-peace-with-malala/

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IPS-Tagesdienst vom 15. Oktober 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Oktober 2013