Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → SOZIALES

FRAUEN/564: Pakistan - Afghanische Flüchtlingsfrauen schneidern sich eine bessere Zukunft (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Januar 2015

Pakistan: Afghanische Flüchtlingsfrauen schneidern sich eine bessere Zukunft

von Ashfaq Yusufzai


Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Mit Schneiderarbeiten können afghanische Flüchtlingsfrauen in Pakistan etwa 150 Dollar im Monat verdienen
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, Pakistan, 14. Januar (IPS) - Mit 46 Jahren hat Naseema Nashad ein neues Leben begonnen. Nicht aus freier Entscheidung, sondern aus Notwendigkeit. Die Afghanin war 25, als Kämpfer der Taliban die Hauptstadt Kabul erstürmten. Nashads Familie sah sich gezwungen, in das benachbarte Pakistan zu fliehen, um der brutalen Herrschaft der Islamisten zu entkommen.

"Mein Vater blieb da, um sein kleines Geschäft weiterzuführen. Er schickte uns jeden Monat Geld, mit dem wir unsere siebenköpfige Familie ernähren und die Miete in Peshawar zahlen konnten", erzählt sie. 1999 töteten die Taliban Nashads Vater - "ohne jeden Grund", wie Nashad sagt. Seitdem muss die Familie täglich aufs Neue um ihr Überleben kämpfen.

Ihre Brüder im Alter von zwölf, 14 und 15 Jahren fanden damals rasch Arbeit in Hotels, die jedoch Hungerlöhne zahlen. Auch Nashad schlägt sich seither mehr schlecht als recht mit Gelegenheitsjobs durch. Sie wünscht sich eine Vollzeitbeschäftigung, die sie auch zu Hause ausüben kann und die ihr ein regelmäßiges Einkommen verschafft.


Afghanische Frauenorganisation bildet Näherinnen aus

Diesen Traum hofft sie nun mit Unterstützung eines Berufsbildungszentrums der unabhängigen 'Afghanischen Frauenorganisation' in Peshawar in die Tat umsetzen zu können. "Ich habe nähen und sticken gelernt. Bald werde ich bei mir zu Hause ein kleines Atelier aufmachen. Einige Frauen, die früher in dem Zentrum ausgebildet wurden, helfen mir", erzählt sie.

Tausende Flüchtlingsfrauen haben sich in den vergangenen fünf Jahren auf diese Weise Handarbeitskenntnisse angeeignet. Jede von ihnen hat eine eigene Geschichte zu erzählen. Die 14-jährige Gul Pari kam vor sieben Jahren aus Afghanistan nach Peshawar. Ihr Vater, ein Tagelöhner, verdiente einfach nicht genug. Heute betreiben Gul und ihre jüngere Schwester Jamila eine Änderungsschneiderei. Sie wohnen nach wie vor in einer einfachen Lehmhütte, verdienen aber mittlerweile so viel Geld, dass sie die gesamte Familie versorgen können.

Safoora Stanikzai, die Leiterin der Afghanischen Frauenorganisation, berichtet, dass sie seit der Eröffnung des Zentrums etwa 4.000 Frauen fortgebildet hat. "Die meisten waren entweder Witwen oder Waisenkinder aus Afghanistan, die männliche Familienmitglieder verloren haben und in Pakistan in großen Geldschwierigkeiten waren."


Nähmaschine als Startkapital

Von der Organisation, die mit bescheidenen finanziellen Mitteln auskommen muss, erhalten die Frauen nach Abschluss des Trainings Nähmaschinen. Stanikzai spricht auch Frauen an, die auf den Straßen und auf Märkten betteln, um ihnen eine neue Chance zu bieten. In der Kriegsregion, in der Zivilisten bei den Gefechten zwischen Extremisten und dem Militär oft zwischen die Fronten geraten, sind solche Angebote ansonsten rar gesät. Zahlreiche Binnenflüchtlinge leben dort dicht an dicht mit der lokalen Bevölkerung, die ohnehin schon mit einem Mangel an Wohnraum, Nahrung und Jobs geschlagen ist.

Dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zufolge leben etwa 1,6 Millionen Afghanen legal in Pakistan. Die Dunkelziffer der Menschen ohne Papiere dürfte aber weit höher sein. Seit der Invasion sowjetischer Truppen in Afghanistan 1979 sind Schätzungen zufolge zwei bis drei Millionen Flüchtlinge heimlich über die rund 2.700 Kilometer lange und vielerorts durchlässige Grenze in das Nachbarland gekommen. Die Afghanen, die sich durch das Gebirge nach Pakistan durchschlugen, waren früher in den so genannten Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (Fata) und in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa willkommen.

Als jedoch der US-geführte Truppeneinmarsch in Afghanistan 2001 die Taliban-Kämpfer in die Berge abdrängte, kam es dort verstärkt zu bewaffneten Auseinandersetzungen, für die niemand zur Rechenschaft gezogen wurde. Die Bevölkerung wollte daraufhin nichts mehr mit den geflohenen Zivilisten zu tun haben, die seither am Rande der Gesellschaft leben und für den Anstieg von Gewalt und Kriminalität im Norden Pakistans verantwortlich gemacht werden.


Rückkehr nach Hause unbezahlbar

Nach Ansicht von Ahmed Rasool, Professor für Internationale Beziehungen an der Universität von Kabul, haben die verarmten afghanischen Flüchtlinge keine andere Wahl, als in Pakistan zu bleiben. Denn die Aussichten auf ein besseres Leben in der alten Heimat sind schlecht. "Der seit drei Jahrzehnten andauernde Konflikt trifft Frauen am härtesten. Sie haben Väter, Ehemänner und andere männliche Familienmitglieder verloren und können kaum für ihren Lebensunterhalt aufkommen", sagt Rasool. Einige dieser Witwen und Waisen sind im Zuge der 2001 begonnenden Fluchtwelle nach Pakistan gekommen. Andere leben schon länger in dem Land und fühlen sich dort längst heimisch.

Bild: © Najibullah Musafer/Killid

Afghanische Witwen und Waisen haben in Pakistan kaum Möglichkeiten, sich aus eigener Kraft zu ernähren
Bild: © Najibullah Musafer/Killid

Die früher reichlichen Finanzhilfen fließen allerdings immer spärlicher. Internationale Hilfsorganisationen haben mit dem Abzug der ausländischen Truppen ebenfalls die Region verlassen. Die pakistanische Regierung, die es kaum schafft, die eigene verarmte Bevölkerung im Norden zu unterstützen, kann kaum Hilfen für die Flüchtlinge abzweigen. Ihnen wird nun gesagt, dass sie sich bereits zu lange in dem Land aufhalten. Initiativen wie Stanikzais Zentrum sind also wilkommene Oasen in einer immer feindlicheren Wüste.


Almosen nicht mehr notwendig

Die 49-jährige Shamin Ara, die vor fünf Jahren an dem Zentrum ausgebildet wurde, ist nur ein Beispiel für den Erfolg der Initiative. Sie kam 1992 nach Pakistan, und ihr Vater starb vor sechs Jahren an Tuberkulose. Ihr sei nichts anderes übrig geblieben, als wohlhabende Verwandte um Almosen zu bitten, sagt sie. Nun verdient sie aber aus eigener Kraft umgerechnet 150 US-Dollar im Monat durch Nähen und Sticken. Das ist ein ordentliches Einkommen in einem Land mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von etwa 1.250 Dollar.

Einen Ehemann hat Ara bisher nicht gefunden, weil sie immer noch in tiefer Armut lebt. Immerhin kann sie aber für sich und ihre vier Kinder sorgen. Ihre selbstständige Arbeit will sie noch weiter ausbauen. Fünf anderen Afghaninnen konnte sie inzwischen helfen, zu Kleinstunternehmerinnen zu werden. (Ende/IPS/ck/2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/01/women-sewing-a-bright-future-in-northern-pakistan/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 14. Januar 2015
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang