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FRAUEN/601: Ehen und Partnerschaften in Südafrika (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 132, 2/15

Facettenreiche Familienformen
Ehen und Partnerschaften in Südafrika

Von Rita Schäfer


In der Regenbogengesellschaft Südafrikas schillern facettenreiche Ehe- und Familienformen. Heute nutzen Frauen und Mädchen Handlungsspielräume, die ihre Geschlechtsgenossinnen in Generationen davor erkämpft haben.

Zunächst zu den Fakten. Der Zensus 2011 belegt: 43 Prozent aller Südafrikanerinnen über zwanzig Jahre haben in ihrem Leben nie geheiratet, 36 Prozent sind Ehefrauen, knapp sechs Prozent Witwen, zwei Prozent sind geschieden, und ein Prozent der Frauen hat sich vom jeweiligen Ehemann getrennt, ist aber noch verheiratet. Elf Prozent leben in Partnerschaften, die meisten haben diese nicht staatlich registrieren lassen - oft handelt es sich um temporäre Beziehungen.

Seit Südafrika 1994 mit dem Amtsantritt Nelson Mandelas eine Demokratie geworden war, hat sich das Ehe- und Familienrecht grundlegend geändert. Frauen der weißen Bevölkerungsminderheit wurden 1984 von der Vormundschaft durch ihren Ehemann, Vater oder Bruder befreit - schwarze Frauen, also alle Vertreterinnen der Bevölkerungsmehrheit, waren bis 1994 rechtlos und ihrem Ehemann untergeordnet. Sie konnten nicht eigenständig Verträge abschließen, und die Ehemänner galten als alleinige Familienvorstände. Das 1998 verabschiedete Ehegesetz schaffte diese Ungleichheiten ab. Seitdem haben alle verheirateten Frauen den gleichen Rechtsstatus - unabhängig davon, ob sie nach staatlichen, religiösen oder traditionellen Regeln geheiratet haben. Polygam verheiratete Frauen müssen schriftlich ihr Einverständnis geben, bevor ihr Ehemann eine weitere Frau heiraten kann. Nun gelten auch alle Kinder aus polygamen Ehen als legal, was für ihre Mütter wichtig ist, vor allem wenn sie Zweit- oder Drittfrau sind.

2006 schrieb Südafrika abermals Geschichte - seitdem haben Homosexuelle das Recht auf Eheschließung. Das ist vorbildlich für den afrikanischen Kontinent. Manche Lesben und Schwule, die in anderen Ländern Afrikas verfolgt werden, kommen wegen dieses Gesetzes nach Südafrika.

2011 registrierte die Regierung insgesamt 167.264 Eheschließungen nach staatlichem Recht, 5.084 nach traditionellem Recht und 867 eingetragene Partnerschaften. Im selben Jahr wurden offiziell 20.980 Ehen geschieden. Das Scheidungsrecht ist für hetero- und homosexuelle Paare gleich.


Eheformen

Ähnlich wie in vielen anderen Gesellschaften ist auch in Südafrika das Heiraten eine Zeremonie, mit der verwandtschaftliche Beziehungen gefestigt werden. Oftmals bestätigen Ehen Standeszugehörigkeit und Status. Familienvorstände nehmen Einfluss darauf, wer wen heiratet. Allerdings haben in Südafrika kolonialhistorische Interventionen und die ab den 1950er-Jahren erlassenen Apartheidgesetze, die sogar das Intimleben nach rassistischen Kriterien regelten, kulturelle Normen und Werte hinsichtlich Ehe und Familie grundlegend verändert. So wurden Ehen zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe illegal - Paare und Familien wurden getrennt, Zuwiderhandlungen mit Gefängnishaft bestraft. Erst seit 1994 ist es für Paare mit schwarzen, weißen oder coloured Partnern wieder legal, zusammenzuwohnen und die Kinder gemeinsam aufzuziehen.

Ein weiteres Erbe musste das demokratische Südafrika ab 1994 überwinden: Der Kolonial- und Apartheidstaat sowie die Missionare hatten in traditionell geschlossene Ehen interveniert und den Brautpreis festgesetzt. Angeblich wollten sie den rasanten Anstieg monetarisierter Brautpreiszahlungen verhindern, faktisch trugen sie aber zu exorbitant hohen Brautpreisen bei, womit sich die jungen Männer verschuldeten, die zumeist Wanderarbeiter waren. Die Minenindustrie profitierte von vielen hunderttausend Wanderarbeitern, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts in die Bergbaustädte kamen, um Geld für den Brautpreis zu verdienen. Ehen ohne Brautpreiszahlungen, die zuvor verbreitet waren, verloren ihre gesellschaftliche Akzeptanz. Heute sind jedoch immer weniger junge schwarze Männer bereit, sich dem Druck und den finanziellen Forderungen der Verwandten ihrer Partnerinnen zu beugen. Immer mehr Paare leben ohne Trauschein zusammen. Zudem scheuen sie die hohen Kosten für eine Hochzeit und geben das Geld lieber für eigene Konsum- und Statusgüter aus oder sparen es für die Ausbildung ihrer Kinder.

Viele Erwachsene haben in ihrer eigenen Kindheit erlebt, wie problematisch die langjährige Trennung ihrer Eltern durch die Wanderarbeit der Väter war, zumal die Männer wegen der extrem geringen Löhne nicht ihre familiären Pflichten erfüllen konnten und den Müttern vom Apartheidregime verboten wurde, eine eigene wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Für viele waren Ehen daher konfliktbeladene Institutionen, sodass nun ein Großteil der Frauen nicht eheliche Formen der Partnerschaft bevorzugt.

Eigene Berufs- und Einkommensmöglichkeiten, staatliche Kinder-, Alters- und Invalidenrenten sowie Unterhaltszahlungen schaffen finanzielle Freiräume und öffnen Handlungsoptionen, wie Beziehungen und Wohnen gestaltet werden können. Etliche Frauen entscheiden sich, selbst Haushaltsleiterinnen zu sein. Ausschlaggebend dafür sind wirtschaftliche, soziale oder emotionale Gründe.


Frauen heiraten Frauen

Neben dem Zusammenwohnen heterosexueller Paare ist auch die Gynägamie in Südafrika anzutreffen, etwa bei den Lovedu in der ländlichen Provinz Mpumalanga. Das traditionelle Oberhaupt der Lovedu ist die Regenkönigin. Die Gesellschaft akzeptiert die Gynägamie - also das Zusammenwohnen zweier Frauen in eheähnlichen Verhältnissen. Dabei erhält eine der beiden Frauen den Status eines sozialen Ehemannes. Oft sind das ältere, unfruchtbare oder wohlhabende Frauen, die nicht oder nicht mehr mit einem Mann zusammenleben wollen. Sie entscheiden sich für eine soziale Ehe mit einer Frau; zumeist sind die Frauen keine Lesben, vielmehr gilt der soziale Ehemann als Vater der Kinder und Haushaltsvorstand.

Die soziale Ehefrau unterhält sexuelle Beziehungen mit Männern, die gemäß der vorherrschenden Normen biologische, aber nicht soziale Väter ihrer Kinder sind. Die Gynägamie ist eine Form des Zusammenlebens, für die sich zum Beispiel arme Teenagermütter mit abgebrochener Ausbildung entscheiden. Als Ehefrau einer respektierten und vergleichsweise wohlhabenden Frau genießen sie wirtschaftliche Sicherheit und müssen nicht Stigmata oder Gewalt fürchten. Häusliche Versorgungsleistungen und die Anerkennung von Autorität werden aber auch hier von ihnen verlangt. Gleichzeitig können sie auf Verständnis ihrer weiblichen "Ehemänner" bei gesundheitlichen und emotionalen Problemen hoffen.

Auch für die Kinder sind gynägame Haushalte oft vorteilhaft. Sie erleben weniger häusliche Gewalt, und ihre sozialen Väter - also die weiblichen Ehemänner - gehen nicht fremd, so dass die regelmäßige Grundversorgung gesichert ist.

In Südafrika wird kontrovers diskutiert, inwieweit und ob die Gynägamie ein Schritt zur Frauenemanzipation ist. Die Befürworterinnen unterstreichen, damit werde das respektvolle Miteinander zweier Frauen in unterschiedlichen Rollen und ihre Gemeinschaft gefördert. Deshalb sei die Gynägamie auch eine Option für Lesben. Kritikerinnen weisen darauf hin, dass patriarchale Rollenmuster letztlich in gynägamen Beziehungen bestätigt würden, denn eine der beiden Frauen übernimmt die dominante Männerrolle und schafft damit klare Hierarchien. Gleichzeitig gäbe es keine Männer, die in der Gynägamie sozial zu Frauen würden. Das sei aber für wirkliche Gleichheit in dieser Paarkonstellation notwendig.


ZUR AUTORIN:
Rita Schäfer ist freiberufliche Wissenschaftlerin und Autorin der Bücher "Im Schatten der Apartheid" (2008), "Frauen und Kriege in Afrika" (2008) und "Gender und ländliche Entwicklung in Afrika" (2012).

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 132, 2/2015, S. 17-18
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2015

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