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FRAUEN/607: Indien - Jasmin-Revolution, Teepflückerinnen wehren sich gegen männliche Dominanz (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. November 2015

Indien: Jasmin-Revolution - Teepflückerinnen wehren sich gegen männliche Dominanz

von K. S. Harikrishnan


Bild: © K.S. Harikrishnan/IPS

Protestmarsch von Arbeiterinnen für höhere Löhne und gegen männliche Dominanz in der Gewerkschaftspolitik in dem südindischen Bundesstaat Kerala
Bild: © K.S. Harikrishnan/IPS

THIRUVANANTHAPURAM, INDIEN (IPS) - Lissie Sunny war bis vor zwei Monaten eine indische Teepflückerin wie jede andere auch. Mehr als 25 Jahre lang arbeitete sie auf Teefarmen in den Bergen im südindischen Bundesstaat Kerala. Doch dann stellte sie sich an die Spitze einer Protestbewegung gegen Ausbeutung, niedrige Löhne und die Unterdrückung von Frauen. In Indien spricht man bereits von der 'Jasmin-Revolution'.

Gemeinsam mit 6000 weiteren Teepflückerinnen demonstriert die 47-Jährige seitdem vor allem gegen den indischen Konzern Tata, dem die 'Kenan Devan Hills'-Plantagen im Idukki-Distrikt in Kerala gehören. Gegen die Übermacht der männlich dominierten etablierten Gewerkschaften gründete Sunny die Frauengewerkschaft 'Pompilai Orumai' (PO) und wurde zu deren Präsidentin gewählt. Drei Mitglieder der Gewerkschaft wurden zudem kürzlich in die Lokalregierung gewählt.

Die Proteste begannen, als die etablierten Gewerkschaften einen Bonus, den die meist weiblichen Teepflückerinnen regelmäßig erhalten, beschneiden wollten. "Aber die eigentlichen Probleme liegen viel weiter zurück", sagte Lissie Sunny gegenüber IPS. "Die Gewerkschaften nehmen uns Arbeiterinnen seit Generationen aus. Sie haben heimliche Absprachen mit den Vorstandsetagen der Teefirmen getroffen, und ihre Anführer leben selbst ein luxuriöses Leben. Die Teefirmen zahlen den Gewerkschaftsbossen ihre Wohnhäuser, ihre Kinder bekommen eine gute Ausbildung, und sie selbst bekommen dank ihrer guten Beziehungen zu den Plantagenbesitzern gute Jobs."


Niedrige Löhne, lange Arbeitszeiten

Die Teeindustrie ist arbeitsintensiv. Die Blätter müssen von Hand gepflückt werden, was die Hände der Pflückerinnen ruiniert. In bergigen Regionen ist die Arbeit noch schwieriger und die Gefahr, sich zu verletzen, steigt. Dennoch sind die Löhne fast durchweg gering, während die Frauen meist von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang arbeiten müssen. Ein Tageslohn liegt durchschnittlich bei 233 Rupien, umgerechnet 3,50 US-Dollar. "Das ist die Hälfte dessen, was ein Arbeiter in Kerala bekommt", sagt Sunny. Auch die übrigen Lebensbedingungen sehen kaum besser aus: "Die Arbeiterinnen leben alleine in kleinen Hütten ohne Toiletten."

Für Sunny und ihre Mitstreiterinnen geht es bei ihrem Kampf auch um Geschlechtergerechtigkeit. Die meist männlichen Gewerkschaftsführer würden die Rechte von Frauen ignorieren und lediglich sich selbst und ihren Familien gute Jobs, hohe Positionen und finanzielle Vorteile zuschanzen.

Menschenrechtsaktivisten kritisieren, der Teesektor leide noch immer unter kolonialen Strukturen. Mit der jetzt ausgebrochenen Jasmin-Revolution wehren sich Frauen gegen jahrzehntelange Ausbeutung und die männliche Dominanz in der Branche.

Für den bekannten Menschenrechtsaktivisten K. Sahadevan ist die Revolte der Teepflückerinnen Teil eines seit längerem zu beobachtenden Trends: Immer mehr Frauen gingen für bessere Löhne auf die Straße. Sie würden es immer weniger einsehen, dass ihre Rechte mit Füßen getreten würden.

"In der Vergangenheit hat es immer mehr Streiks gegeben, die Frauen angeführt haben. Die etablierten Gewerkschaften waren daran allerdings in der Regel nicht beteiligt", sagt Sahadevan. Frauen hätten den Glauben an Gewerkschaftsvertreter verloren, die von politischen Parteien gesponsert werden. "Die Frauen haben ihre eigenen innovativen Mobilisierungsstrategien entwickelt."


"Historischer Kampf"

Für die Gender-Forscherin Sreelekha Nair ist der Aufstand der Teearbeiterinnen ein "historischer Kampf", der vor allem für seinen Gender-Aspekt von Interesse sei. "Der Aufstand ist ein Indikator dafür, dass Frauen immer häufiger selbst ihre Rechte einfordern." Zwar habe es schon lange Gewerkschaften in Kerala gegeben, aber diese seien männerdominiert gewesen und hätten die Bedürfnisse von Frauen kaum berücksichtigt.

Rund 33 Millionen Menschen leben in Kerala, dem am dichtesten besiedelten Bundesstaat Indiens. Obwohl Keralas Pro-Kopf-Einkommen mehr als ein Drittel über dem indischen Durchschnitt liegt und die Armut wesentlich niedriger ausfällt als im Rest des Landes, ist die Arbeitslosenquote relativ hoch, da es hier kaum Industrie gibt.

Wie aus einem Anfang März dieses Jahres vom Internationalen Währungsfonds (IWF) veröffentlichten Bericht hervorgeht, ist die Arbeitsmarktpartizipation von Frauen in Indien so niedrig wie in kaum einem anderen Schwellenland. Nur 33 Prozent aller Frauen im erwerbsfähigen Alter gehen demnach einer Arbeit nach oder suchen einen Job. Im Durchschnitt ist der Anteil in Ostasien mit 63 Prozent fast doppelt so hoch. Der globale Durchschnittswert bewegt sich bei 50 Prozent.

Nicht einmal fünf Prozent der Mitglieder von Führungsetagen in Unternehmen sind weiblich. Das ist ein niedrigerer Prozentsatz als in allen anderen Mitgliedsstaaten der so genannten BRICS-Gruppe, der Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika angehören.

2013 wurde in Indien ein neues Gesetz verabschiedet, das alle an der Börse notierten Unternehmen verpflichtete, ab August 2014 jeweils mindestens eine Frau in den Vorstand zu berufen. Da nur wenige Firmen diese Auflage fristgerecht erfüllt hatten, wurde der Zeitraum bis April 2015 verlängert, doch auch bis dahin war nichts wesentliches geschehen. (Ende/IPS/jk/24.11.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/11/jasmine-revolution-challenges-male-domination-of-tea-trade-unions/

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IPS-Tagesdienst vom 24. November 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. November 2015

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