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FRAUEN/612: Mamatón - Politisierte Mutterschaft in Costa Rica (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 134, 4/15

Mamatón

Politisierte Mutterschaft in Costa Rica

von Ariane Grau Crespo


Am 9. August dieses Jahres fand in Costa Rica der dritte Mamatón statt. Organisiert wurde das Event durch eine Gruppe von Frauen, die sich selbst als La tribu de la Mamatón (The Mamatón Tribe) bezeichnen. Die Frauen protestieren gegen Hindernisse und Hürden, denen sie in der Mutterschaft ausgesetzt sind, und für das Recht, selbst zu entscheiden, wann und wo sie stillen wollen. Ariane Grau Crespo - eine der Mitbegründerinnen der Bewegung - erzählt mehr über die Geschichte der Mamatóns in Costa Rica.


Der erste Mamatón fand in Jänner 2013 im Einkaufszentrum Plaza Lincoln in San José statt. Eine Mutter war daran gehindert worden, ihre kleine Tochter im Einkaufszentrum zu stillen. Dies war der Auslöser für einen Protest. Wir, stillende Mütter, fühlten uns betroffen und organisierten uns. Es kam zu einem Aufruf über Facebook, der von immer mehr Frauen "gelikt" wurde und über den in den Medien berichtet wurde. Mehr als 50 Frauen nahmen schließlich an dem Protest im Einkaufszentrum teil. Dies hat uns gezeigt, dass wir Frauen - in diesem Fall Mütter - uns gegen Frauenrechtsverletzungen wehren können.

Weitere Schritte ...

Wir haben uns dann für die Gründung einer Gruppe entschieden. Die Gruppe hat mehrere Ziele: Auf der einen Seite dient sie als Selbsthilfegruppe für Mütter. Wir unterstützen uns gegenseitig während der Mutterschaft und verringern dadurch die Isolierung, die wir in der kapitalistischen Gesellschaft als Mütter erleben. Auf der anderen Seite geht es darum, die Kommunikation zwischen den Müttern zu verbessern: Wir kritisieren diskriminierende Zustände und planen unsere Protestaktionen gegen diese Frauenrechtsverletzungen - unsere Mamatóns.Im August 2014 haben wir den zweiten Mamatón durchgeführt. In diesem Fall solidarisierten wir uns mit einer Studentin, der es weder erlaubt war, ihr Baby in die Universität mitzubringen, noch dieses dort zu stillen. Der letzte Mamatón 2015 war wiederum in einem Einkaufzentrum - dem Multiplaza Escazú in San Rafael. Dort wurde ebenfalls einer Mutter das Stillen ihrer zweimonatigen Tochter im Gastronomiebereich verboten. Bei diesem Mamatón waren wir schon besser organisiert: Wir hatten eine Facebookseite "Mamatón, la teta se respeta" (Mamatón, die Brust wird respektiert), von der aus wir die komplette Kampagne organisierten.

Körperpolitiken

Die Proteste von La Tribu de la Mamatón gehen aus meiner Sicht weit über das Thema Stillen hinaus. Wir verteidigen das Recht der Frauen zu stillen, wann und wo sie wollen. Aber dieses Recht wird als Teil der patriarchalisch und kapitalistisch geprägten Gewalt gegen Frauen täglich verletzt von einer Gesellschaft, die es gewohnt ist, den weiblichen Körper zu kontrollieren. Es wird über unsere Sexualität entschieden, indem der Zugang zu Informationen und Verhütungsmethoden eingeschränkt wird. Mutterschaft wird als unsere Verpflichtung angesehen und nicht als eine Option. Und dann, wenn wir Mütter werden, wird entschieden, wie und wo wir unsere Töchter und Söhne stillen dürfen. Das Verbot, öffentlich zu stillen, spiegelt die Heuchelei dieser Macho-Gesellschaft wider, in der der Frauenkörper für das Vergnügen oder den Profit der Männer objektiviert und sexualisiert wird.

Stillen als Widerstand?

In diesem Sinne ist der Mamatón für mich ein Widerstandskampf der Frauen. Darauf bezieht sich unser Erfolg in den letzten zweieinhalb Jahren. Wir haben damit begonnen, die Frage der Mutterschaft auf die öffentliche Agenda zu setzen und Stillen aus menschenrechtlicher Perspektive zu betrachten. Wir haben es geschafft, Mütter als politische Akteurinnen mit Rechten sichtbar zu machen, die auch gut organisiert und bereit sind, ihre Rechte zu verteidigen. Auf diese Weise brechen wir auch mit dem traditionellen Konzept der Mutterschaft.Wir sind aber noch nicht soweit gekommen, wie wir uns wünschen. Wir wollen mit dieser Debatte die Mutterschaft raus aus den Häusern in die Öffentlichkeit bringen. Wir wollen Mutterschaft politisieren und Frauen auffordern, ihre Entscheidungen selbst zu treffen. Die Gesellschaft muss lernen, diese Entscheidungen zu respektieren. Der Staat muss Verantwortung übernehmen für Frauenrechte sowie für die Rechte von Müttern.


Webtipp:
La teta contra el Capital y otros demonios:
http://tetacontraelcapital.blogspot.co.at/

Zur Autorin: Die Kubanerin Ariane Grau Crespo lebt seit 17 Jahren in Costa Rica. Sie ist Philosophin und Soziologin. Sie arbeitete lange für die Förderung und Verteidigung von Arbeitnehmer_innenrechten und für die Unterstützung von Gewerkschaften. Derzeit arbeitet sie für APSE, eine Gewerkschaftsorganisation im Bildungssektor. Sie ist Mitglied der Arbeiter_innenpartei und Leiterin der Gruppe "Kämpfende Frauen". Seit vier Jahren ist sie Mutter und verbindet Aktivismus mit den Rechten für Mütter. Sie war eine der Organisatorinnen der Mamatóns.

Übersetzung aus dem Spanischen: Tania Pilz

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 134, 4/2015, S. 20-21
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2016

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