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FRAUEN/652: "Es ist nicht dasselbe, eine Frau und eine Feministin zu sein." (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 137, 3/16

"Es ist nicht dasselbe, eine Frau und eine Feministin zu sein."

Von machistischen Frauen und bezahlten Mädchen

von Simone Peter


Trifonia Melibea Obono [1] ist Journalistin und Autorin aus Äquatorialguinea. Dieses Jahr hat sie ihren ersten Roman bei Ediciones en Auge veröffentlicht. In ihrem Roman Herencia de bindendée - auf Deutsch: Erbe einer Prostituierten - erzählt sie die Geschichte einer Frau aus Äquatorialguinea, die nach sechs Töchtern endlich den ersehnten Sohn auf die Welt bringt.


Äquatorialguinea, ein kleines Land im Südwesten Afrikas, halb Insel, halb Festland, ist das einzige spanischsprachige Land Afrikas. Jedoch weder die Unabhängigkeit von Spanien 1968 noch die Entdeckung seines Ölreichtums Mitte der 1990er-Jahre haben der Bevölkerung allzu viel Positives gebracht. Seit 1979 regiert Teodoro Obiang, Neffe des vorherigen Diktators Macías, das Land.

Äquatorialguinea ist der drittgrößte Ölexporteur Afrikas, große US-amerikanische Firmen wie ExxonMobil sind dort aktiv. Trotz eines Pro-Kopf-Einkommens höher als das der Tschechischen Republik leben etwa drei Viertel der Bevölkerung in Armut. Weniger als die Hälfte der Menschen hat Zugang zu Trinkwasser. Die Säuglingssterblichkeit ist eine der höchsten weltweit.

Seit 1991 ist die Republik Äquatorialguinea zumindest auf dem Papier eine konstitutionelle Demokratie. Bisherige Wahlen wurden vom Präsidenten und dessen Partei mit mehr als 90 % der Stimmen gewonnen. Der Präsident und seine Familie sind allgegenwärtig, Vorwürfe von Verstößen gegen Menschenrechte und Korruption an der Tagesordnung.


Sie bringen dich zum Schweigen

Aber wie sieht die Situation für eine Schriftstellerin, eine Journalistin aus - hier, in einem Land, wo keine Bücher gedruckt werden, wo es kaum unabhängige Zeitschriften gibt? Bücher werden in Äquatorialguinea von der ehemaligen Kolonialmacht, aus Spanien, importiert.

Melibea Obono berichtet über die Situation als Journalistin in ihrem Land: "Die Zensur ist abhängig vom Magen - du musst essen. Du schreibst, aber dann kommt der Moment, da du denkst, wenn ich das publiziere, kostet es mich meinen Lohn. Du weißt schon vorher, was es dich kosten kann, wenn du das publizierst. Du selbst machst deine eigene Zensur. Es ist nicht mehr notwendig, dass jemand kommt und dir erklärt, dass du für Obiang arbeiten sollst. Du weißt schon vorher, was du veröffentlichen kannst und dass die, die für Obiang arbeiten und Macht haben, dich in der Hand haben."

Zu dieser internalisierten politischen Zensur kommt eine kulturelle Zensur. So meint Melibea Obono, dass sie von klein auf erfahren hat, dass Frauen nicht sprechen sollten, weil sie zu viel und nur Schlechtes reden. Schreiben ist auch eine Form des Sprechens. Es gibt nur wenige äquatorialguineische Autorinnen, auch aufgrund dieser anderen Form der Zensur. Die Autorinnen sprechen in ihren Publikationen über ihr Leben als Frau in ihrem Land, über das Unrecht, das ihnen widerfährt, über ihren Alltag.

Diese Themen werden von der literarischen Welt in Äquatorialguinea nicht als relevant erachtet, da es sich um Frauenthemen handelt. Denn Gewalt an Frauen, Zwangsheirat oder doppelte Belastung der Frau werden nicht als Probleme wahrgenommen, daher werden die Bücher von Frauen über diese Themen auch nicht als bedeutsam angesehen. Warum Frauen trotzdem gerade darüber schreiben, erklärt Melibea folgendermaßen: "Wir schreiben, weil die Bücher die einzigen sind, die uns zuhören. Sie sind die Zeug_innen unserer unbedeutenden Leben. Für mich bedeutet schreiben zu leben."


Machismo und bezahlte Liebe

In ihrem Buch spricht Melibea Obono über den Brautpreis und wie dieser das Frauenbild in der Gesellschaft prägt. In Äquatorialguinea sind Zwangsheiraten häufig. Es gibt das System des Brautpreises, auf Spanisch "dote". Dabei erhält der Bruder des Mädchens eine beträchtliche finanzielle oder materielle Abfindung von dem jungen Mann, der seine Schwester heiraten will. Ein Junge, der viele Schwestern hat, ist reich. Auch wenn ein Junge mit einem Mädchen ausgehen möchte, sind Geschenke an ihre Familienangehörigen an der Tagesordnung. Den jungen Frauen wird vermittelt: Je mehr ein Mann bereit ist, für sie zu bezahlen, desto mehr liebt er sie. Daher hat Melibea Obono ihr Buch mit dem ungewöhnlichen Titel "Herencia de bindendée" veröffentlicht, "bindendée" bedeutet Prostituierte auf Fang, einer der meistgesprochenen Sprachen in Äquatorialguinea. Sie demaskiert die Tradition des Brautpreises in ihrem Buch als eine Form der Prostitution.

Anhand ihrer Erzählung aus dem Leben einer äquatorialguineischen Frau zeigt sie, wie sich dieses Bild der Frau als Ware durch ihr ganzes Leben zieht. Frauen sind keine Entscheidungsträgerinnen, sie zählen in der Gemeinschaft nicht. Dies wird dadurch sichtbar, dass Frauen beispielsweise der Zugang zum wichtigsten Gemeindehaus untersagt wird. Dort wird Recht gesprochen, und alle wichtigen Entscheidungen werden in diesem "Haus des Wortes" getroffen. Frauen sind davon ausgeschlossen, ebenso wie Schafe und Ziegen.

Eine Frau, die sich in einer traditionellen Ehe scheiden lassen will, hat keine Rechte. Denn alles, was in der Ehe an Mehrwert entsteht, gehört dem Ehemann, denn er hat den Brautpreis und somit auch die produktive und reproduktive Leistung der Frau bezahlt. Oft sind es gerade Frauen, die dieses System aufrechterhalten und weiter vermitteln.

Melibea Obono bemerkt dazu: "In Äquatorialguinea haben wir machistische Männer und viele machistische Frauen!" Denn die Tradition wird nicht hinterfragt, sie ist allgegenwärtig.


Frauen oder Feministinnen?

Melibea Obono hebt das mangelnde öffentliche Bewusstsein über Schwierigkeiten und Diskriminierungen, mit denen Frauen in Äquatorialguinea tagtäglich kämpfen, hervor. Vor allem in der Politik gibt es kein Interesse an diesem Thema. So gibt es zwar Frauen in der Regierung, jedoch seien Frauen nicht automatisch Feministinnen, und selbst dann sei nicht gesichert, dass diese Feministinnen politische Einflussmöglichkeiten haben.

Handlungsbedarf sieht die Autorin vor allem im Bereich reproduktiver Rechte. Die extrem teure Empfängnisverhütung sowie illegalisierte und gefährliche Schwangerschaftsabbrüche führen dazu, dass viele Mädchen sehr jung zu Müttern werden. Und eine neue Gesetzgebung verbietet es schwangeren Frauen, zur Schule zu gehen, was minderjährige Mütter in den meisten Fällen von einer weiteren Ausbildung ausschließt.

Melibea Obono erinnert sich: "Als ich mich hinsetzte und mein Buch nochmals las, machte es mir selbst Angst. Ich habe mich gefragt: Das basiert auf der Realität!?" In ihrem Buch zeichnet sie ein Stück äquatorialguineische Geschichte nach. "Aber macht euch selbst ein Bild!"


Anmerkung:
[1] Trifonia Melibea Obono Ntumutu Obono lebt in Äquatorialguinea und Spanien. Sie ist Journalistin und Schriftstellerin. Aktuell arbeitet sie an ihrem Doktorat im Fach Gender Studies an der Universität von Salamanca. Sie war im Mai 2016 zur Literaturwoche Äquatorialguinea des Vereins birdlike*Flexible Cultural Creations nach Wien eingeladen.

Hörtipp:
"Ich habe Angst vor meinem eigenen Buch" von Simone Peter, ausgestrahlt im Rahmen der Globalen Dialoge auf Radio Orange 94.0. Nachzuhören unter:
http://noso.at/?p=4697.

Lesetipp:
Trifonia Melibea Obono Ntutumu Obono (2016): Herencia de bindendée. Ediciones en auge: Wien.

Zur Autorin:
Simone Peter lebt und arbeitet in Wien. Als Woman on Air arbeitet sie zu feministischen und entwicklungspolitischen Themen mit einem Schwerpunkt auf spanischsprachigen Länder und Ernährungssouveränität.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 137, 3/2016, S. 26-27
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
Sensengasse 3, A-1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org
 
Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. November 2016

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