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FRAUEN/673: Isoliert - interniert? Arbeitsausbeutung und/oder Menschenhandel (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 138, 4/16

Isoliert - interniert?
Arbeitsausbeutung und/oder Menschenhandel

Evelyn Probst und Klaudia Rottenschlager


Auch in Österreich arbeiten Migrantinnen in abgeschottetem Umfeld, wie z.B. als 24-Stunden-Pflegerinnen, als Hausangestellte, im Reinigungsdienstleistungssektor oder in abgeschlossenen Hotelkomplexen. Schwere Formen von Ausbeutung wie auch Menschenhandel sind in diesen Bereichen keine Seltenheit. Die Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels, LEFÖ-IBF, entwickelt innerhalb des Projekts PRACE: Empowerment of Migrant Women at Risk of Trafficking, Exploitation or Enslavement gemeinsam mit den Partnerorganisationen Ban Ying in Deutschland und La Strada in Tschechien Strategien, um die Betroffenen zu erreichen und sie über ihre Rechte zu informieren.


Rund um die Uhr. Die ganze Woche

24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche sind die Arbeitszeiten dieser Frauen, die den Alltag in abgeschlossenen Räumen prägen. Längere Ruhepausen und geeignete Rückzugsräume stellen eine Seltenheit dar. Arbeitsverträge sind oft nur mündlich vereinbart oder nicht in den Erstsprachen der Betroffenen verfasst. So kommt es, dass eine asiatische Hausangestellte eines Diplomaten nicht "nur" für die gesamte Haushaltsführung - putzen, bügeln, waschen, einkaufen, kochen, gärtnern, Gäste betreuen - zuständig ist, sondern "nebenbei" auch noch die zwei Kleinkinder der Arbeitgeber_in inklusive Nachtbereitschaft versorgt. Noch dazu wird sie an Bekannte für verschiedene Reinigungs- und Kochdienste "verborgt".

Personenbetreuerinnen aus Osteuropa bezahlen hohe Summen an Agenturen in ihren Herkunftsländern, die sie in prekäre Arbeitsverhältnisse vermitteln. Vor Ort sehen sie sich mit schwer kranken Arbeitgeber_innen und deren Familien konfrontiert, die oft die Verantwortung für die zu betreuende Person komplett abgeben. Neben enormer physischer Anstrengung und kaum vorhandenen Freizeitmöglichkeiten bedeutet dies oft auch eine psychische Belastung der Personenbetreuerinnen. Sie können nicht ausgehen, weil sie die zu betreuende Person nicht alleine lassen wollen, und sie fürchten um ihren Gewerbeschein, weil ihnen unterlassene Hilfeleistung drohen kann.

Einschüchterungsversuche und Drohungen der Arbeitgeber_innen oder Dokumentenentzug verstärken die Angst vieler Frauen, ihre Arbeit in diesen Bereichen zu verlieren. So bleiben sie trotz minimaler oder gar keiner Entlohnung oft für längere Zeit in schwer ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen und/oder sind von Menschenhandel betroffen.


Do not give your time for free!

LEFÖ-IBF arbeitet seit Jahren an der Sichtbarmachung dieser von der Außenwelt abgeschotteten Arbeitsbereiche. Informationen über die Rechte von Betroffenen stehen dabei an erster Stelle. Um mit den schwer erreichbaren Frauen in Kontakt treten zu können, sah sich LEFÖ-IBF mit der Notwendigkeit konfrontiert, neue Formen der aufsuchenden Arbeit zu entwickeln. Die Mitarbeiterinnen von LEFÖ-IBF recherchierten zunächst die verschiedenen Ankunfts- und Abreiseorte von Personenbetreuerinnen in Wien und verteilten dann an den Bushaltestellen und Bahnhöfen erstsprachiges Informationsmaterial.

Das Besondere an diesen Informationsbroschüren und Strategien der aufsuchenden Arbeit ist der Umstand, dass sie gemeinsam mit Betroffenen von schwerer Arbeitsausbeutung und/oder Menschenhandel erarbeitet und diskutiert wurden. Unter anderem entstanden Sticker mit der Aufschrift "Do not give your time for free" und den Kontaktdaten von LEFÖ-IBF auf Arabisch, Chinesisch, Englisch, Bulgarisch, Rumänisch, Ungarisch, Slowakisch, Bosnisch, Kroatisch, Serbisch und Russisch, sowie ein Onlinebanner, das Betroffene, trotz ihrer Abgeschlossenheit, in der virtuellen Welt erreichen soll.


Die Rolle von Multiplikator_innen

Die Zusammenarbeit mit Communities von Betroffenen in Österreich erweist sich als weiterer zentraler Punkt. Intensive Vernetzungsarbeit mit diversen Botschaften gehört ebenso dazu wie aufsuchende Arbeit in Kirchen unterschiedlicher Communities und einschlägigen Lebensmittelgeschäften. Die Handlungsmacht von Migrantinnen, die isoliert arbeiten, kann vor allem dadurch gestärkt werden, dass sie bei den wenigen Gelegenheiten, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlassen, auf Unterstützung treffen. Nach dem Beginn des PRACE-Projekts vor zwei Jahren konnte LEFÖ-IBF einen massiven Anstieg an Kontaktaufnahmen von Betroffenen über Botschaftspersonal oder Arbeitskolleg_innen verzeichnen.

In Beratungsgesprächen mit Betroffenen zeigte sich, dass extrem viel Informationsbedarf besteht und Vernetzungen mit weiteren Einrichtungen und behördlichen Stellen unbedingt notwendig sind. Dabei wurde auch deutlich, dass der Zugang zu schon existierenden Strukturen - wie z.B. den Arbeiterkammern und den Gebietskrankenkassen - für diese Zielgruppe erst geschaffen werden müsse. Nicht alle Migrantinnen, die in schwer erreichbaren Räumen arbeiten, sind Opfer des Frauenhandels. Viele sind aber von struktureller Gewalt in Form von schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen betroffen.


Sensibilisierung von Behörden

LEFÖ-IBF sieht, trotz positiver Entwicklungen, die zentrale Verantwortung im Kampf gegen Arbeitsausbeutung und/oder Menschenhandel auf Seiten der (Finanz-)Polizei und der Arbeitsinspektorate. Hier setzt die Interventionsstelle auf Trainings von Behörden und Exekutive, um diese für die Identifizierung von Betroffenen zu sensibilisieren. Als Erstanlaufstelle wäre hier auch der Wirtschaftskammer, vor allem im Bereich der meist selbstständig arbeitenden Personenbetreuerinnen, eine wichtige Funktion zuzuordnen.

LEFÖ-IBF setzt sich seit langem dafür ein, dass es sowohl eine Anpassung staatlicher Maßnahmen geben müsse wie auch eine intensivere Netzwerkarbeit der Behörden und Opferschutzeinrichtungen. Außerdem braucht es Kontrollmechanismen für Vermittlungsagenturen, die beispielsweise Reinigungs- und Pflegekräfte rekrutieren - denn diese Firmen sind regelmäßig in Fälle von Menschenhandel und schwerer Arbeitsausbeutung involviert.


Webtipp:

Weitere Informationen zur Interventionsstelle und zum PRACE-Projekt unter:
http://www.lefoe.at/index.php/ibf.html


Zu den Autorinnen:

Evelyn Probst ist langjähriges Vorstandsmitglied des Vereins LEFÖ - Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen und leitet die Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels von LEFÖ seit 1998. Sie arbeitet als Trainerin für Behörden, Polizei, NGOs und andere Einrichtungen, um für die Themen Menschenhandel und Antirassismus zu sensibilisieren. Außerdem unterrichtet sie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und ist Vorstandsmitglied von GAATW (Global Alliance Against Trafficking in Women).

Klaudia Rottenschlager war lange Jahre bei der Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels LEFÖ-IBF als psychosoziale Beraterin tätig und arbeitet mittlerweile am Internationalen Forschungsinstitut für Kulturwissenschaften (IFK) in Wien. Sie gibt Workshops für NGOs zur Identifizierung von Betroffenen von Menschenhandel im Asylverfahren und lehrt nebenbei an der Universität Wien.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 138, 4/2016, S. 21-22
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
Sensengasse 3, A-1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org
 
Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro plus Porto
Jahresabo: Österreich 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2017

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