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FRAUEN/679: Das Beispiel Polen (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 139, 1/17

Das Beispiel Polen

Frauen kämpfen gegen Rechtspopulismus

von Kinga Lohmann


Die rechtspopulistische polnische Regierung ist für ihre antifeministische Politik bekannt. Die Unterstützung durch den konservativen Teil der katholischen Kirche - mit seinen einflussreichen Medien - erschwert den Widerstand dagegen sehr. Angst und Wut haben zu einer massiven Mobilisierung von Frauen geführt. Der "Black Protest" wuchs schnell über eine kleine Gruppe von Frauen hinaus. Wie gelang es den Feminist_innen, den Antrag auf das Abtreibungsverbot im Parlament zu verhindern?

Rechtspopulistische Kräfte werden innerhalb der EU stärker und etablieren sich sowohl in Ost- als auch in Westeuropa. In Polen ist eine traditionalistische, populistische Partei bereits ein Jahr an der Macht und verhält sich offen antidemokratisch. Aufgrund ihrer absoluten Mehrheit im Parlament (51 %) war es leicht, Gesetze zu verabschieden, durch die ein autoritäres Regime ermöglicht wurde. Die Popularität der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit liegt an ihrer zutreffenden Einschätzung der sozioökonomischen Situation sowie ihrem Fokus auf ökonomisch benachteiligte Gruppen. In vielen osteuropäischen Ländern wurde eine extreme Form von neoliberaler Ökonomie zu einer Art "Ideologie". Dies führte zu einer signifikanten Spaltung der Gesellschaft. Polnische Politiker_innen, sowohl rechte als auch linke, haben dieses neoliberale Wirtschaftssystem nie in Frage gestellt. Vielmehr wurde offen artikuliert, dass durch eine niedrige Entlohnung ein großartiges Wirtschaftswachstum möglich sei.

Die jetzige Regierungspartei konzentrierte sich während des letzten Wahlkampfs auf die Verlierer_innen der neoliberalen Wirtschaftspolitik - also jene, die nicht vom Wirtschaftswachstum profitierten, sondern im Gegenteil unter wirtschaftlicher Unsicherheit und prekären Arbeitsverhältnissen gelitten haben.


Fundamentalismus, Christentum und Populismus

Seit dem Zerfall des totalitären kommunistischen Regimes in Polen besitzt die katholische Kirche einen starken politischen Einfluss. So "erkaufte" z. B. die linke Regierung 2001 die Unterstützung der Kirche bei der Volksabstimmung zum EU-Beitritt, indem sie Reproduktionsrechte der Frauen beschnitt. Konservative Christ_innen können ihre Positionen über "Radio Maryja" verbreiten - ein einflussreiches, chauvinistisches Medium, das sich stark antifeministisch positioniert: ein ideologisches Sprachrohr gegen reproduktive Rechte und für ein restriktives Anti-Abtreibungsgesetz.

Die ersten Schritte der rechtspopulistischen Regierung haben genau an diesem Punkt angesetzt: Das Programm zur In-Vitro Befruchtung wurde beendet, die "Pille danach" gibt es nicht mehr, und Gleichstellungspolitiken wurden von Familienunterstützungs- und Mainstreamingprogrammen abgelöst.

Dieses politische Klima hat eine der fundamentalistischen katholischen Gruppen - die Ordo Iuris - bestärkt, ein Volksbegehren vorzubereiten. Dieses forderte ein absolutes Abtreibungsverbot und die Bestrafung von Frauen und Ärzt_innen, welche einen Schwangerschaftsabbruch durchführen. Für das Volksbegehren wurden 500.000 Unterschriften gesammelt und dem Parlament am 5. Juli 2016 vorgelegt.


Die Angst hat sich zu Stärke gewandelt

Diese politische Bedrohung von Frauenrechten, insbesondere die reale Chance eines Abtreibungsverbots, riefen Angst, Aufruhr und Wut hervor, die zu einer enormen Mobilisierung von Frauen aus dem gesamten Land heranwuchs. Feministische NGOs starteten unzählige Initiativen in dieser Zeit. Das Internet spielte als Kommunikationsmittel und kreatives Medium eine wichtige Rolle. Zum Beispiel wurde zum Boykott bestimmter Geschäfte aufgerufen, deren Besitzer_innen sich im Parlament für das Abtreibungsverbot eingesetzt hatten. Die Initiativen inspirierten sich gegenseitig und gaben der Frauenbewegung einen neuen Charakter.

Der erste große "March of Dignity" fand in Warschau am 18. Juli 2016 statt und wurde von Geschäftsleuten und Schauspieler_innen organisiert. Dieser Protest hat Frauen mit den unterschiedlichsten Hintergründen vereint und wurde von vielen Prominenten und Feminist_innen unterstützt. Es war klar, dass diese Frauen nicht aufgeben und weiter für ihre Rechte kämpfen würden, vor allem da sie selbst einen Gesetzesantrag zur Legalisierung von Abtreibungen eingereicht hatten.


Die Debatte um Abtreibung

Diese zwei Gesetzesanträge - der ein zur Legalisierung und der andere zum Verbot von Abtreibungen - haben den Diskurs in den Medien angeheizt und Feminist_innen mehr Raum für ihre Argumente verschafft. Prominente, Politiker_innen und Journalist_innen verkündeten offen ihre Unterstützung für reproduktive Rechte von Frauen.

All das führte zu einer Radikalisierung des Diskurses und zu einer Überwindung des Tabus, über Abtreibungen zu sprechen. Es entwickelte sich ein gesellschaftliches Bewusstsein, dass ein Abtreibungsverbot Frauenrechte verletzt: dass Frauen damit das Recht, über den eigenen Körper zu entscheiden, aberkannt würde. Auch die Rhetorik der Kirche wurde hinterfragt.


Politisierung und Ermächtigung

Das Parlament wies den Gesetzesantrag zur Legalisierung von Abtreibung am 23. September 2016 zurück, übermittelte der parlamentarischen Kommission aber gleichzeitig den Gesetzesantrag der religiösen Fundamentalist_innen zum Abtreibungsverbot. Damit wurde der Widerstand von Frauen in Form des "Black Protest" ausgelöst.

Slogans wie: "Politiker_innen haben nicht das Recht, Frauen ihre Rechte zu nehmen" zeigen die Politisierung der Demonstrant_innen. Der Staat wird von ihnen als Unterdrückungs- und Kontrollorgan über Frauenkörper wahrgenommen. Erhöhtes politisches Bewusstsein sowie das Wissen über eigene Rechte brachte Frauen dazu, gegen die herrschende Macht vorzugehen.

Nicht nur Frauen aus großen Städten mobilisierten sich, sondern der Protest wurde zu einer breiten, generationenübergreifenden, geographisch und sozial diversen Basisbewegung. Am 3. Oktober protestierten etwa 100.000 Teilnehmerinnen aus 143 polnischen Städten. Die "Black Protests" zeigten die enorme Macht von Frauen auf, die schlussendlich dazu geführt hat, dass das Parlament gegen das Abtreibungsverbot stimmen musste.

Einerseits nahm die rechtspopulistische Regierungspartei aufgrund der massiven Proteste von Frauen von ihrem Vorhaben Abstand, andererseits erfolgte eine Anhäufung von belehrenden, sexistischen und beleidigenden Äußerungen Frauen gegenüber. Das nun vorherrschende chauvinistische und frauenfeindliche Klima ermutigt Rechtspopulist_innen, verbale Gewalt und sexistische Sprache in der Öffentlichkeit zu verwenden.

Frauen haben aber gezeigt, dass sie die Kraft besitzen, sich gegen Konservative, Populist_innen, Rechtsradikale und religiöse Fundamentalist_innen zu wehren und durchsetzen.


Zur Autorin: Kinga Lohmann ist Mitbegründerin und Vorsitzende von Karat - Coalition for Gender Equality, ein Netzwerk von Frauenorganisationen aus Ländern in Zentral- und Osteuropa sowie Zentralasien. Als Aktivistin ist sie seit 1995 in polnischen und europäischen feministischen Bewegungen engagiert. Ihr Fokus ist auf ökonomisch benachteiligte Frauen und Frauenrechte gerichtet.

Übersetzung aus dem Englischen: Verena Kovacs

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 139, 1/2017, S. 18-19
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Mai 2017

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