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FRAUEN/787: Guatemala - Eine Verschärfung der Abtreibungsgesetze steht vor der Tür (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Guatemala: Eine Verschärfung der Abtreibungsgesetze steht vor der Tür

Von Kimberly López


(Guatemala-Stadt, 9. Mai 2019, Nómada/ poonal) - In Guatemala ist eine Abtreibung nur dann legal, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist. 2018 wurden zwei neue Gesetzesentwürfe eingebracht [1]: Das erste sah vor, eine Abtreibung bei Mädchen unter 15 Jahren zu legalisieren, die durch eine Vergewaltigung schwanger geworden sind. Dieser Vorschlag wurde vom Parlamentarischen Ausschuss für die Frau (Comisión de la Mujer) abgelehnt. Den Vorsitz dieses Ausschusses hat ein Mann inne, der Abgeordnete Aníbal Rojas von der radikal konservativen Partei Viva. Rojas machte jedoch einen Gegenvorschlag. Gemeinsam mit Dutzenden evangelikalen Pastoren der neuen Pfingstbewegung und anderen Parliamentarier*innen des "Pakts der Korrupten" (*) reichte er den Vorschlag des "Gesetzes für das Leben und die Familie" ein. Mit diesem Gesetz sollen auch spontane Schwangerschaftsabgänge kriminalisiert werden. Darüber hinaus soll auch jegliche Einforderung nach einer Debatte über therapeutische Abtreibungen - egal ob im privaten oder öffentlichen Bereich - wie z.B. im Falle der vergewaltigten Mädchen, unter Strafe gestellt werden. Der Abgeordnete Fernando Linares Beltranena gibt in einem Interview mit Nómada an, dass "das Gesetz Frauen kriminalisieren kann, um die Menschenrechte nicht geborener Kinder zu verteidigen."


Tausende Protestmails gegen das Gesetz 5272

Aníbal Rojas erhielt tausende Protestmails, um dieses Gesetz, auch unter dem Namen 5272 bekannt, zu stoppen. Es bringt nicht nur das Leben von Frauen in Gefahr, sondern auch die sexuelle Freiheit und Vielfalt in Guatemala. Die Mails sind aus allen Teilen der Welt gekommen und haben das Postfach arojas@congreso.gob.gt zum Überlaufen gebracht. "Ich habe etwa 10.000 Mails aus verschiedenen Ländern Europas erhalten: aus London, Dänemark, aus verschiedenen Teilen der Welt", sagte der Abgeordnete. "Die Mails waren teilweise beleidigend und andere haben nur eingefordert, dass das Gesetz 5272 nicht verabschiedet wird", so Rojas.

In sozialen Netzwerken zirkulieren Videos, die die Konsequenzen eines Gesetzes aufzeigen, das Abtreibung bestraft, gleichgeschlechtliche Ehen verbietet und Sexualerziehung einschränkt. In einem Video [2], das in mehreren Sprachen veröffentlicht wurde heißt es: "Egal woher du kommst, egal welche Sprache du sprichst, sag dem Verantwortlichen in einer Mail 'Nein zu 5272'". Doch trotz der Mailflut bleibt Rojas bei seinem Vorhaben. Er treibt den Gesetzesentwurf weiter voran und sagt er habe die nötige Unterstützung, damit das Gesetz verabschiedet werden könne. Dafür muss es insgesamt drei Mal abgestimmt werden. Zwei Mal wurde es schon positiv abgestimmt, fehlt noch die dritte Abstimmung des Plenums.


Parlament nicht abstimmungsfähig

Das Gesetz hat auch eine Funktion für den Wahlkampf. Es soll die Stimmen der konservativsten Christen holen. Die Präsidentschaftswahlen finden im Juni statt [3] und der Kongress besteht darauf, das Gesetz möglichst schnell zum dritten Mal im Plenum abzustimmen, um das Inkrafttreten zu beschleunigen. Dafür gab es bereits einen Versuch, doch der soziale Druck und der Protest auf den Straßen verhinderten, dass das nötige Quorum im Parlament erreicht wurde. Am 8. Mai stand das Gesetz 5272 erneut auf der Tagesordnung des Kongresses, aber auch bei diesem zweiten Versuch kam die benötigte Stimmenanzahl nicht zusammen.

Während dieser Sitzung diskutierten zwei Frauen mit dem Sicherheitspersonal vor verschlossenen Türen: "Das einzige was wir wollten, war die Sitzung zu beobachten und uns die Argumente der Abgeordneten anzuhören, die dieses Gesetz unterstützen. Uns wurde gesagt, dass der Parlamentspräsident Alvaro Arzú Escobar die Anordnung erteilt habe, dass wir aus formalen Gründen nicht teilnehmen könnten", so die beiden Frauen María Antonieta García und Ana María Muñoz. Vertreter einiger evangelikaler Kirchen, die den Vorschlag von Rojas unterstützen, hatten hingegen Zutritt. Organisationen für sexuelle Vielfalt und Frauenrechte durften ihre Argumente zu keinem Zeitpunkt vortragen. Ein Insider aus dem Kongress bestätigte, dass der Parlamentsvorsitz die Entscheidung getroffen habe, oppositionellen Gruppen den Zugang zu verweigern und nur diejenigen zuzulassen, die diese Art von Gesetzen im Sinne der ultra-konservativen Lager unterstützten.


Nur wenige Abgeordnete sprechen sich gegen das Gesetz aus

Nur wenige Abgeordnete sprechen sich offen gegen den Gesetzesentwurf aus. Die Abgeordnete Andrea Villagrán kündigte an, nicht für das Gesetz zu stimmen, da es gegen die Verfassung verstoße. Die Abgeordnete Sandra Morán spricht sich gegen jedweden Versuch aus, sexuelle Rechte und Freiheiten einzuschränken. Auch Jean Paul Briere sieht in dem Gesetz eine Rechtswidrigkeit. Diese drei Abgeordneten erschienen gemeinsam zur Parlamentssitzung.

(*) Pakt der Korrupten: Der Präsident Jimmy Morales verfügt im Parlament nur über eine kleine Fraktion. Um die Ermittlungen wegen Korruption [4] gegen ihn zu behindern und weiterhin Immunität zu genießen hat er sich eine Mehrheit aus Konservativen und Rechten gesichert. Diese stimmten gegen die Aufhebung seiner Immunität. Im Gegenzug erwarten diese u.a. die Verabschiedung eines Gesetzes, das eine Amnestie für alle Kriegsverbrecher [5] vorsieht. Der "Pakt der Korrupten" schließt nicht nur Politiker*innen ein, sondern auch Unternehmer*innen und Staatsangestellte.


Anmerkungen:
[1] https://nomada.gt/nosotras/somos-todas/aprofam-corrige-la-plana-a-su-director-y-publica-esto-sobre-ley-que-criminaliza-las-perdidas/
[2] https://youtu.be/NAaTRn8UQR0
[3] https://www.npla.de/poonal/wahlkampf-in-guatemala-aldana-gegen-den-pakt-der-korrupten/
[4] https://www.npla.de/poonal/gegen-maechtige-feinde/
[5] https://www.npla.de/poonal/gesetzesreform-kriegsverbrecher-bald-auf-freiem-fuss/


URL des Artikels:
https://www.npla.de/poonal/guatemala-eine-verschaerfung-der-abtreibungsgesetze-steht-vor-der-tuer/


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https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/

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Quelle:
poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen
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Telefon: 030/789 913 61
E-Mail: poonal@npla.de
Internet: http://www.npla.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2019

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