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GENDER/003: Homophobie ist leider noch kein Auslaufmodell (pro familia)


pro familia magazin 2/2008
Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung e.V.

Eklig, krank oder sündhaft?
Homophobie ist leider noch kein Auslaufmodell

Von Günther Dworek


Unter Homophobie wird eine soziale, gegen Lesben und Schwule gerichtete Aversion oder Feindseligkeit und irrationale Angst vor homosexuellen Menschen und ihren Lebensweisen verstanden, die sozialwissenschaftlich als "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" eingeordnet wird. Der folgende Beitrag beschreibt, wo und wie diese Form der Menschenfeindlichkeit nach wie vor anzutreffen ist.


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Wir haben das Lebenspartnerschaftsgesetz, schwule Bürgermeister und selbst bei "Deutschland sucht den den Superstar" schneiden die Homosexuellen in der Publikumsgunst gut ab. Lesben und Schwule leben heute so frei wie nie zuvor in der deutschen Geschichte. Nach Jahrhunderten der Unterdrückung und Verfolgung hat sich die Homosexuellen-Emanzipation als ein ziemlich erfolgreiches Projekt gesellschaftlicher Zivilisierung erwiesen.

Gleichzeitig singen Tausende junger Menschen verzückt mit, wenn der Rapper Bushido schmettert: "Berlin wird wieder hart, denn wir verkloppen jede Schwuchtel". Ins gleiche Horn stoßen Nazis, wenn sie in Hamburg am 1. Mai 2008 Parolen gegen die "schwule Regierung" grölen. Möglicherweise ist ein zumindest zeitweise einzurechnender Preis steigender gesellschaftlicher Sichtbarkeit und Akzeptanz eine verstärkte Aggressivität aus den Gruppen heraus, die sich nicht zu Respekt oder auch nur zur Toleranz verstehen wollen.

Die aktuellen Zahlen zur Homophobie in Deutschland, erhoben im Jahr 2007 vom Forschungsprojekt des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer zu "gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit": 31,3 Prozent stimmten voll oder überwiegend dem Statement zu, es sei "ekelhaft, wenn Homosexuelle sich in der Öffentlichkeit küssen". 17,3 Prozent erklärten Homosexualität für unmoralisch. 35,4 Prozent wandten sich dagegen, die gleichgeschlechtliche Ehe zu erlauben. Die positive Botschaft: Homophobie ist derzeit nicht mehrheitsfähig - das ist ein gewaltiger Fortschritt. Auf der anderen Seite bleibt ein beträchtlicher Bevölkerungsanteil homophob gesinnt. Wie wirkt sich das aus? Eine Befragung der Stadtverwaltung München ergab 2003, dass

• 21 Prozent der Lesben und Schwulen Ärger mit dem Arbeitgeber hatten, als ihre Homosexualität bekannt wurde,
• 35 Prozent in den Familien abgelehnt wurden,
• 60 Prozent Beschimpfungen erlebt haben,
• 40 Prozent psychischem Druck, Bedrohung und Einschüchterung ausgesetzt waren,
• 20 Prozent Opfer von Gewalthandlungen wurden.


Männlichkeitsnormen und Religiosität

Homophobie existiert in allen gesellschaftlichen Schichten, es gibt aber gewisse Brennpunkte. Eine vom Lesben- und Schwulenverband (LSVD) in Auftrag gegebene Studie kam 2007 für Berlin zu dem Ergebnis, dass homosexuellenfeindliche Einstellungen unter Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund (Türkei und ehemalige Sowjetunion) deutlich stärker verbreitet sind als unter Herkunftsdeutschen. Befragt wurden Jugendliche im Alter von 14 bis 20 Jahren an Gymnasien und Gesamtschulen. Die Studie gab klare Hinweise auf die beiden Hauptquellen von Homophobie: Je deutlicher die Befragten traditionellen Männlichkeitsnormen und Geschlechterrollen anhingen, desto stärker die Ablehnung von Homosexuellen. Und je intensiver Religiosität ausgeprägt war, desto massiver war die Homosexuellenfeindlichkeit.


Religion & Homosexualität

Die zu beobachtende Renaissance des Intolerant-Religiösen macht deutlich: Es ist kein Naturgesetz, dass die gesellschaftliche Liberalisierung ungebrochen voranschreitet. In der Verdammung von Homosexualität sind sich islamische Prediger und katholische Bischöfe völlig einig. Der heutige Papst brandmarkt die Öffnung der Standesämter für homosexuelle Paare als "Legalisierung des Bösen". Evangelikale Organisationen versuchen, homosexuelle Jugendliche in abwegige und die psychische Gesundheit gefährdende "Veränderungstherapien" zu drängen. Auf öffentlichen Druck sagte im Frühjahr 2008 das evangelikale Jugendfestival "Christival" zwar ein entsprechendes Seminar ab, in der Sache zeigte man sich aber demonstrativ unbeirrt. Die Schirmherrschaft der Bundesjugendministerin blieb der Veranstaltung dennoch erhalten, ebenso die Bundesförderung in Höhe von 250.000 Euro.

Statt in Obskurantismus wäre dieses Geld besser in Aufklärung investiert worden. Homosexuelle Jugendliche haben ein viermal höheres Suizidrisiko als heterosexuelle, bestätigte die Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen. Das ist ein brutaler Befund. Er zeigt, welcher Bedrängnis sich ein Teil der lesbischen und schwulen Jugendlichen immer noch ausgesetzt sieht. Das Zuhause kann zur Hölle werden, wenn Eltern versuchen, ihren Sprösslingen die Homosexualität auszutreiben. "Schwul" gehört zu den Top-Schimpfwörtern auf Schulhöfen. "Die Schule ist ein homophober Ort" lautet das Resümee einer Studie des niedersächsischen Sozialministeriums.

Massivste Ausdrucksform von Homophobie ist Hasskriminalität. Homosexuelle haben ein deutlich höheres Risiko, Ziel von Gewaltattacken zu werden. Vielen ist es längst in Fleisch und Blut übergegangen, im öffentlichen Raum erst einmal die Umgebung zu scannen, insbesondere wenn man als Paar unterwegs ist. Kann man sich einen Kuss erlauben, eine Umarmung, einen verliebten Blick? Es gibt No-go-areas, Stadtteile, Städte und Regionen, in denen es physisch gefährlich ist, als homosexuell erkannt zu werden. Allein der Anblick eines lesbischen oder schwulen Paares kann Gewalttäter motivieren, brutal zuzuschlagen. Täterprofil in diesen Fällen: Jung, männlich und perspektivlos. Die Gewalttäter sind zweifelsfrei eine kleine Minderheit. Sie sehen sich dennoch als Vollstrecker eines angeblichen Mehrheitswillens. Homosexuelle gelten ihnen als minderwertig und vogelfrei. Aus ihren Taten spricht blanker Hass.


Sperrgebiete für Lesben und Schwule

Nicht vergessen sollte man die Weiße-Kragen-Variante von Homophobie. Frauen kennen dieses Phänomen als "gläserne Decke": Ab einem bestimmten Punkt geht die Karriere nicht weiter. Ab dann machen die "Old Boys" die Sache unter sich aus. Es gibt keinen schwulen Industriekapitän und keine lesbische Aufsichtsratsvorsitzende. Frauen sind in diesen Sphären in Deutschland ohnehin praktisch nicht vertreten. In den Chefetagen herrscht Monokultur: Mann, weiß, heterosexuell, verheiratet. Von Diversity keine Spur. Hier werden Rollenbilder produziert, in denen Schwule und Lesben nicht vorzukommen haben.

Trotz Eingetragener Lebenspartnerschaft ist die rechtliche Gleichstellung noch nicht voll durchgesetzt. Im Steuerrecht, in Versorgungsfragen und im Adoptionsrecht sind gleichgeschlechtliche Paare weiter stark benachteiligt. In den vergangenen Jahren haben Bundesgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht, Bundesfinanzhof sowie eine Kammer des Bundesverfassungsgerichts Klagen von homosexuellen Paaren auf volle Gleichbehandlung unisono abgeschmettert. Der verfassungsrechtliche Schutz der Ehe rechtfertige Ungleichbehandlung. Die so urteilenden Richter würden den Vorwurf der Homophobie sicher weit von sich weisen. Merkwürdig nur, dass sich in beinahe sechzig Jahren Bundesrepublik - so weit man weiß - noch kein Mitglied eines obersten Bundesgerichtes geoutet hat. Die hohen Senate sind homofreie Zonen. Kaum vorstellbar, dass man dort über Homosexualität ganz unbefangen urteilt.


Homophobie ernst nehmen

Volle rechtliche Gleichstellung bleibt ein zentraler Baustein, um Homophobie einzudämmen, dementiert sie doch alle Ideologien der Ungleichheit, die Homosexuelle als unnatürlich und Menschen minderen Rechts ansehen. Darüber hinaus gilt es, an die Wurzeln zu gehen: Bildung und Jugendarbeit müssen den Problemkreis Homophobie viel stärker in den Blick nehmen. Notwendig ist mehr Engagement gegen antihomosexuelle Gewalt, Beschäftigung mit Homophobie-Brennpunkten in einzelnen Bevölkerungsgruppen, Auseinandersetzung mit den Quellen der Homophobie, mit traditionellen Geschlechterrollen und rigider Religiosität.

Natürlich sind die Gedanken frei. Wenn Menschen der Auffassung sind, Homosexuelle seien eklig, krank oder sündhaft, dann ist das traurig, aber individuell hinzunehmen. Gesellschaftspolitisch sind antihomosexuelle Einstellungen aber nicht einfach abzutun. Denn aus Einstellungen folgen oft Taten. Praktizierte Homophobie schränkt die Entfaltungsmöglichkeiten von homosexuellen Bürgerinnen und Bürgern empfindlich ein. Das kann ein demokratisches Gemeinwesen nicht hinnehmen.


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Glossar

Als Lesben werden homosexuelle Frauen bezeichnet, also Frauen, die sich emotional und sexuell zu anderen Frauen hingezogen fühlen und/oder sexuelle Beziehungen mit ihnen leben und/oder mit einer Frau in Partnerschaft leben (wollen).

Als Schwule werden männliche Homosexuelle bezeichnet. Häufig wird die Bezeichnung aber auch in einem kulturellen und nicht primär sexuellen Zusammenhang verwendet. Das Synonym ist der Anglizismus gay.

Als bisexuell werden Menschen bezeichnet, die sich aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Neigung zu Menschen beiderlei Geschlechts sexuell hingezogen fühlen. Als Kurzform ist das Adjektiv bi gebräuchlich.

Transsexuelle glauben, dass sie dem anderen als ihrem Geburtsgeschlecht angehören und wollen dementsprechend leben. Dahin gibt es viele individuelle Wege, die häufig mit einer Umgestaltung des eigenen Lebens, des äußeren, persönlichen Erscheinungsbildes und mit dem Wunsch nach verschiedenen medizinischen Eingriffen zur Angleichung an das als richtig erlebte Geschlecht einhergehen. Der ursprünglich von Medizin und Wissenschaft geprägte Begriff "Transsexualität" ist zwar im Wortsinn exakt, wird jedoch allzu oft als sexuelles Verhalten (wie Bi- oder Homoexualität) verstanden. Daher ziehen einige den Begriff "Transidentität" vor, da hier eher verstanden wird, dass es sich um eine Frage der Identität handelt. "Transgender" wiederum will ein eher fließender Oberbegriff sein, der alle Lebensformen mit einschließt, die die Geschlechter in Frage stellen.

Transgender ist ein Begriff für Abweichungen von der sozialen Geschlechtsrolle beziehungsweise den sozialen Geschlechtsmerkmalen (Gender). Das Wort ist einerseits eine Bezeichnung für Menschen, die sich mit der Geschlechtsrolle, die ihnen üblicherweise bei der Geburt, in der Regel anhand der äußeren Geschlechtsmerkmale, zugewiesen wurde, nur unzureichend oder gar nicht beschrieben fühlen.

Intersexualität ist eine Bezeichnung, die gemeinhin für Menschen mit nicht eindeutig weiblichen oder männlichen körperlichen Geschlechtsmerkmalen verwendet wird, welche umgangssprachlich auch Zwitter genannt werden oder sich selbst so bezeichnen.


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Günter Dworek, Jahrgang 1960, ist Mitglied im Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD), http://www.lsvd.de/. Mit Volker Beck und Manfred Bruns kämpfte er für die Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften. Er engagierte sich auch besonders für ein Denkmal für die homosexuellen NS-Opfer. 2006 erhielt Dworek für seinen Anteil am Zustandekommen des Lebenspartnerschaftsgesetzes den internationalen "Tolerantia"-Preis der polnischen "Stiftung für Gleichberechtigung" (Fudacja Rownsci), der "Kampagne gegen Homophobie" (Kampania Przeciw Homofobii), der französischen Opferhilfeeinrichtung "SOS-Homophobie" sowie des Berliner Anti-Gewalt-Projektes Maneo.


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Quelle:
pro familia magazin Nr. 02/2008, Seite 16-18
Herausgeber: pro familia
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2009