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GENDER/051: Gendergerechtigkeit in Krisensituationen (frauen*solidarität)


frauen*solidarität - Nr. 143, 1/18

Zu den Wurzeln der Ungerechtigkeit
Gendergerechtigkeit in Krisensituationen

von Amina El-Gamal


In einer sozial wie ökonomisch ungleichen Welt tragen Frauen überproportionale Lasten: Sie arbeiten informell oder prekär, sorgen für ganze Familien und sind v. a. im Globalen Süden davon abhängig, dass die Umwelt sauber ist und es genug Wasser gibt. Was, wenn dann auch noch Krisen und Konflikte entstehen? Im Rahmen der 7. Österreichischen Entwicklungstagung in Graz wurden Referentinnen wie Donna Andrews (Rita Edward Collective, Südafrika), Tessa Khan (Climate Litigation Network Asia) und Moema Miranda (People's Dialogue, Brasilien) eingeladen. Sie sprachen über verschiedene Krisen weltweit und beschäftigten sich mit der Frage: "Who pays the price?"


Frauen tragen in vielerlei Hinsicht die Hauptlast von Krisen und Konflikten. Häufig sind sie es, die für ihre Familien und Gemeinschaften sorgen müssen. Sie sind für die Versorgung mit Strom, Wasser, Brennstoff sowie Essen verantwortlich. Sie sind es aber auch, die sich häufiger für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen. So ist weltweit ein großer Anteil der Menschenrechts- und Umweltaktivist_innen weiblich. Außerdem sind nach Angaben der International Labour Organisation (ILO) Frauen im informellen Sektor weltweit überproportional vertreten und eher von Armut gefährdet. In Krisensituationen können zusätzliche Herausforderungen für Frauen entstehen.


"It's a man-made economy"

Finanz- und Wirtschaftskrisen bringen immer Kürzungen von öffentlichen Geldern mit sich. Dadurch fällt die soziale Sicherung weg, auf die viele Frauen angewiesen sind. Frauen kommt zudem eine "Airbag"- und "Gap-filling"-Funktion zu. Sie müssen etwaige Lohnkürzungen und Kündigungen der Männer in der Familie mit Mehrarbeit auffangen. Mit Ehrenamt und Sorgearbeit ersetzen sie Kürzungen im sozialen Bereich.

Tessa Khan machte deutlich, dass unbezahlte Pflegearbeit es den Gesellschaften zwar ermöglicht, sich von Schulden zu befreien, sie aber gleichzeitig Exklusion und Abhängigkeit der Frauen verstärkt. Das ist aber nicht auf Krisensituationen beschränkt, sondern verstärkt nur die vorherrschende Geschlechterungleichheit am Arbeitsmarkt. Frauen machen weltweit doppelt so viel Pflegearbeit wie Männer und können dadurch oft ihr Menschenrecht auf Arbeit nicht wahrnehmen und nicht aktiv in der Gesellschaft partizipieren. Oft werden sie durch Billig-Lohnarbeit und informelle Arbeit ausgebeutet.


"We are nature"

Klimawandel und Klimakrise haben den größten Einfluss auf das Leben von Mädchen und Frauen, vor allem in ärmeren und ländlichen Regionen. Dort spielen natürliche Ressourcen und Landwirtschaft eine wichtige Rolle bei der Versorgungssicherheit der Gemeinschaften und Familien. Zunehmende Wasserknappheit, Dürre, extreme Wetterbedingungen und Umweltkatastrophen haben reale Konsequenzen für den Alltag. Grundlegende Menschenrechte, wie das Recht auf Leben, Essen, Gesundheit und Wasser werden nicht mehr gewährleistet. Donna Andrews betonte, dass dies die Rolle der Frauen gefährdet, zuverlässig Getreide anzubauen und Nahrung für ihre Familie zu produzieren.

Ein weiterer Aspekt, der meist unsichtbar bleibt, ist die Gefährdung der Mütter und deren Kinder durch die globale Erderwärmung. Häufig sind Kinder anfälliger für Krankheiten, die durch Luftverschmutzung, aber auch durch Naturkatastrophen entstehen. Mütter müssen sich dann um ihre Kinder kümmern und zuhause bleiben, was ihnen die Möglichkeit nimmt, aktiver Teil der Arbeitswelt zu sein, so Tessa Khan. Laut Berichten der Weltgesundheitsorganisation WHO sind bereits 150.000 Menschen, 90% davon Kinder, aufgrund von Klimaveränderungen gestorben. Und es steigt die Müttersterblichkeit in Regionen, in denen Migration oder sogar bewaffnete Konflikte durch Klimakrisen entstehen, weil die essenzielle medizinische Versorgung nicht mehr funktioniert.


"Environmental racism around the world"

Nicht nur Krisen, die durch die Klimaveränderung entstehen, wirken sich besonders stark auf das Leben der Frauen aus, sondern auch der Kampf um nicht erneuerbare Ressourcen weltweit. Der Extraktivismus von Bodenschätzen findet oft im globalen Süden statt, in Gegenden, die unsichtbar bleiben und weit entfernt von den Zentren sind. Menschen werden dort gewaltsam aus ihren Häusern vertrieben und verlieren durch die Vergabe von Bergbaukonzessionen den Zugang zu Land und Landwirtschaft und somit ihre Existenzgrundlage. Und während die transnationalen Konzerne dann vor allem Männern Beschäftigung bieten, finden Frauen eher nur im informellen Sektor Arbeit, so Donna Andrews. Frauen sind dadurch oft sexuellen Belästigungen und Missbrauch ausgesetzt. Mit der Mobilität der Männer für die Arbeit im Bergbau entstehen für Frauen zusätzlich Probleme wie Gewalt und HIV/AIDS.

Außerdem gehen mit dem Bergbau Umweltprobleme einher, was wiederum gesundheitliche Folgen hat. Die ansässigen Gemeinschaften haben stark mit Verschmutzungen zu kämpfen, die durch die Förderung von fossilen Brennstoffen und das Extrahieren von Bodenschätzen entstehen. Bewaffnete Konflikte um diese Ressourcen im Mittleren Osten, in Lateinamerika, in Asien und in Afrika verschärfen die Lage noch zusätzlich. Frauengruppen organisieren sich aber, versicherte Moema Miranda, und gründen sogenannte Graswurzelbewegungen, um gegen Ausbeutung, Umweltverschmutzungen, Gewalt und für ihren Zugang zu Land zu kämpfen. Die Proteste werden jedoch häufig kriminalisiert, und als Verteidigerinnen von Menschen- und Umweltrechten werden die Frauen oft Opfer von Bedrohungen, Gewalt und Stigmatisierungen.


"Together we change the system"

Verschiedene Krisensituationen bedürfen unterschiedlicher Lösungsansätze. In einem waren sich alle Referentinnen der Österreichischen Entwicklungstagung jedoch einig: Die strukturellen Wurzeln von sozio-ökologischer Ungleichheit müssen ausgehoben werden. Tessa Khan machte deutlich, dass Neoliberalismus nur funktionieren kann, wenn es unbezahlte Arbeit gibt, die die Lücken füllt. "Das dominante ökonomische Modell diskriminiert Frauen und Mädchen nicht nur, es basiert auf ihrer Benachteiligung."

Moema Miranda betonte, dass deshalb eine Transformation der sozialen Beziehungen weltweit stattfinden müsse: "Machtverhältnisse zwischen Nord und Süd, Reichen und Armen, Frauen und Männern müssen hinterfragt werden." Arbeit sollte immer sichtbar, geschätzt, respektiert sein und Arbeitskraft nicht ausgebeutet werden. Frauen brauchen Entscheidungsmacht und Kontrolle, um vorherrschende Probleme definieren und Lösungen finden zu können. Sie müssen aktiv partizipieren können und nicht dazu gezwungen sein, gängige Hierarchien zu reproduzieren.

Ökofeministische Ansätze und Graswurzelbewegungen haben klare Visionen davon, wie eine gendergerechte Welt funktionieren kann. Donna Andrews meinte in Graz: "Menschenrechte können nicht getrennt von Umweltrecht gesehen werden, denn wir sind die Natur." Der Umgang mit der Natur als Ware muss verändert werden.


WEBTIPP:

www.pfz.at/list111.htm


HÖRTIPP:
Die Radiosendung "Sozial-ökologische Transformationen - jetzt!" wurde auf Radio Orange 94.0 - Globale Dialoge von den Women on Air - ausgestrahlt. Sie kann jederzeit nachgehört werden unter:
www.noso.at


ZUR AUTORIN:
Amina El-Gamal ist Erziehungswissenschaftlerin mit Forschungsschwerpunkt auf Gender und Migration. Gegenwärtig studiert sie Internationale Entwicklung im Master und Orientalistik im Bachelor an der Universität Wien.

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Quelle:
frauen*solidarität Nr. 143, 1/2018, S. 24-25
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - feministisch-entwicklungspolitische
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2018

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