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GENDER/052: White Ladies auf Turtle Island - Ansätze trans*feministischer Kritik (frauen*solidarität)


frauen*solidarität - Nr. 143, 1/18

White Ladies auf Turtle Island
Ansätze trans*feministischer Kritik

von Hanna Hacker


Chamindra Weerawardhana, engagierte trans*feministische Aktivistin(1), srilankesische Politikwissenschaftlerin, derzeit Universität Belfast, stellte am 25. Jänner 2018 Analysen und Thesen zur Politik eines "transfeminism of colour" zur Diskussion. Eine Veranstaltung des Referats Genderforschung der Universität Wien in Kooperation mit der Frauen*solidarität.


Vor rund 80 Zuhörer*innen und moderiert von Sushila Mesquita (Uni Wien) umriss Chamindra Weerawardhana vieles von dem, was nicht oft genug gesagt werden kann; was umkämpftes Terrain geblieben ist und sich nur sehr langsam ändert: In globaler Perspektive dominieren die Frauen*bewegungen des Nordens, deren Selbstverständnis oft ungebrochen west-zentristisch erscheint; Feminismus ist weiterhin imperial. LGBTQIA-Aktivismus zeigt sich als in starkem Maße cis-normativ(2), männlich und weiß strukturiert, und auch viele Trans*Gender-Kontexte schließen Schwarze und andere minoritäre Positionierungen eher aus denn ein.


Was bedeutet Trans*Feminismus?

Trans*Feminismus kann als trans*inklusiver Feminismus definiert werden und zugleich als Kritik an cis-feministischer Bewegungsgeschichte und -gegenwart. Chamindra Weerawardhana geht von einer nicht-weißen Perspektive aus und begreift, wie ihr Vortrag verdeutlichte, Trans-Women-of-Colour-Feminismus gleichsam als dezentrierende, herrschaftskritische, mobilisierende Kraft. Diese baut auf dem Wissen um Überlebensstrategien auf, wie es Grassroots-Communities entfaltet haben, versteht sich selbstverständlich als intersektionell, verbündet sich also mit Kämpfen gegen verschiedenste Diskriminierungen und stützt sich stark auf indigene Erfahrungen mit Widerstand und dekolonialem Denken. Black Feminism mit Protagonist*innen wie Audre Lorde und Angela Davis spielt hier eine bedeutende Rolle; umgekehrt ist die Black-Lives-Matter-Bewegung ohne trans*feministische Beteiligung nicht denkbar. Insbesondere anhand zweier politischer Themen präsentierte die Vortragende ihre trans*feministische Women-of-Colour-Kritik, nämlich am Beispiel der reproduktiven Rechte und am Beispiel der Strukturen inter- bzw. trans- und multinationaler Organisationen.


Reproduktionspolitik und Trans*Personen

Das Feld der reproduktiven Rechte und der "reproductive justice" umfasst ja vor allem Rechte bezüglich Verhütung, Abtreibung und selbstbestimmter Elternschaft und ist damit bekanntlich stark von Kirchen und Religionen reglementiert. Trans*Personen sind hier spezifisch betroffen, eingeschränkt oder ausgegrenzt. Bis vor sehr kurzem wurden in vielen europäischen Ländern Trans*Personen gleichsam zwangssterilisiert, ehe sie offiziell transitionieren konnten. Reproduktive Rechte von Trans*Männern stehen ebenso selten zur Debatte wie das gesamte Thema der Trans-Elternschaft.

Indigene Personen aus Gesellschaften mit alternativen Genderpositionen - dritte, vierte oder ganz "andere" Geschlechter, etwa die samoischen Fa'afafine auf Samoa, die Hijras in Indien, die Two-Spirits der Native Americans - erscheinen aus reproduktiven Ordnungen und deren politischen und rechtlichen Fragen als gänzlich ausgeschlossen. Cis-normative Reproduktionspolitik verbindet sich vielfach mit imperialen, kolonialistischen Strategien. So sind die meisten Personen, die bei Geburten sterben, "ethnisch" minorisiert, nämlich Migrant*innen in westlichen Industrieländern und indigene Frauen*, beispielsweise Adivasi in Indien.


Kein Ende der globalen Ausbeutung?

Transnationale NGOs ebenso wie multinationale Institutionen im Umfeld der UNO sind ein sehr plastisches Beispiel für Verquickungen von weißer Dominanz, Cis-Normativität, männlicher Dominanz und globaler Hegemonie und damit notwendige Ansatzpunkte für trans*feministische Kritik. Organisationen der internationalen Politik setzen binäre Genderverständnisse fort oder durch und lassen wenig bis keinen Raum für indigene alternative Genderidentifikationen oder -transgressionen. Chamindra Weerawardhana sieht diesen Zugang auch nicht aufgebrochen durch die vor kurzem erfolgte, international breit akklamierte Einsetzung eines*einer SOGIESC-Experte*n der UNO. SOGIESC steht für "Sexual Orientation, Gender Identity and Expression, and Sex Characteristics".

Die großen Verbände des LGBT-Aktivismus ihrerseits müssen als weiß, westlich und cis-dominiert gelten, und auch sie reproduzieren Verhältnisse einer kolonial respektive neokolonial produzierten globalen Ausbeutung. Bei internationalen Konferenzen versammeln Delegierte sich in luxuriösem Ambiente und reden über die Armut auf der Welt - und von solchen Inszenierungen sind auch Großveranstaltungen etwa der ILGA, also der großen, gut etablierten "International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association", nicht ausgenommen. Hierarchische Strukturen gehen unausweichlich damit einher.

Auch dies veranschaulichte Chamindra Weerawardhana anhand der ILGA und ihrer Transgender-Sektion sowie am Beispiel der neoliberalen und von "Westernizing" durchzogenen Ausrichtung von LGBTQIA-Verbänden in Sri Lanka. Solidarisierungsprozesse und der Aufbau einer solidarischen Bewegung würden auf diese Weise verhindert oder doch massiv erschwert. In der Diskussion warf Sushila Mesquita, Moderator*in der Veranstaltung, die Frage auf, ob Universitäten und generell der Wissenschaftsbetrieb denn überhaupt dekolonialisiert werden könnten, seien sie doch zutiefst eingelassen in globale Herrschaftsbeziehungen. Chamindra Weerawardhanas Resümee war eher positiv: Trans*- und queerfeministische Unterstützungsnetzwerke und eine radikale Veränderung der Produktion und Verbreitung von Wissen seien nicht nur notwendig, sondern auch machbar. Ich persönlich nehme von diesem Abend die Freude mit, eine eindrucksvolle Vortragende erlebt zu haben, und voll Entzücken die von ihr durchgängig verwendete, aus indigener Tradition stammende Bezeichnung "Turtle Island" für die USA und Kanada: auch dies ein spannender Zugang zum Potenzial eines nicht-weißen, trans*feministischen, dezentrierenden und dekolonialisierenden Perspektivenwechsels.


ANMERKUNGEN:
(1) Da die Vortragende selbst "trans" und auch, soweit sie von sich selbst spricht, "woman" ohne Asterisk (das Sternchen) schreibt, übernehme ich das, wenn ich sie direkt - und aus dem Englischen - zitiere. In anderen Passagen dieses Artikels schreibe ich "trans*", "trans*feministisch" etc. mit Sternchen, weil sich das jedenfalls in deutschsprachigen Texten so durchzusetzen begonnen hat.
(2) Mit "Cis-Normativität" ist die Bestärkung der gesellschaftlich vorherrschenden Norm des Nicht-Trans*-Seins gemeint und die Unsichtbarmachung von Trans*Identifikationen, Trans*Politiken etc.


LESETIPP:
Ch. Weerawardhana (2018): Profoundly Decolonizing? Reflections on a Transfeminist Perspective of International Relations. In: Meridians. Feminisms, Race, Transnationalism, 16, 1, S. 184-213 (in der C3-Bibliothek erhältlich)


ZUR AUTORIN:
Hanna Hacker ist Soziologin, Historikerin und Entwicklungswissenschaftlerin mit Arbeitsschwerpunkten in feministischer, postkolonialer und queerer Theorie.

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Quelle:
frauen*solidarität Nr. 143, 1/2018, S. 30-31
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - feministisch-entwicklungspolitische
Informations- und Bildungsarbeit,
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Die Frauen*solidarität erscheint viermal im Jahr.
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Jahresabo: Österreich 20,- Euro;
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Mai 2018

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