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GENDER/019: Feministische Interpretationen heute (spw)


spw - Ausgabe 1/2012 - Heft 188
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Feministische Interpretationen heute



Es wird wieder geredet über Feminismus. Dabei sind es jedoch weniger die SPD oder andere hergebrachte gesellschaftliche Bündnisse, als vielmehr einzelne Frauen und ihre Geschichten, die die Feuilletons dominieren. Es sind weniger universitäre feministischen Theorien, die im öffentlichen Diskurs um Gleichstellung, Rolle der Frau, Verhältnis der Geschlechter und Verständnis von Feminismus eine prominenten Rolle spielen, sondern stärker publizistische Einwürfe und Veröffentlichungen in Büchern und Zeitschriften und Blogs. Die Akteurslandschaft hat sich verändert und somit auch mögliche BündnispartnerInnen.

Einerseits können wir feststellen: junge Frauen sind heute selbstbewusster als je zuvor. Die jungen Frauen sind häufig besser ausgebildet, und glauben selbstsicher und optimistisch daran, dass die Zeit des "Entweder-Oder" zwischen Kind und Karriere endlich vorbei sei. Sie wollen alles: im Chefsessel sitzen und Zeit für Familie haben, Kinder bekommen und eigenes Geld verdienen. Auch feministische Blogerinnen und Autorinnen wie beispielsweise die Mädchenmannschaft oder Moderne Mädchen, die weiterhin Missstände in der Gleichstellung von Männern und Frauen in Deutschland anprangern, finden Land auf Land ab großen Anklang. Das neugegründete, feministische Popmagazin Missy Magazin, räumt Preise ab und hat eine treue Leserinnenschar. All diese Elemente zeugen von einem neuen, positiven Selbstbewusstsein von Feministinnen und Feministen.

Andererseits erleben wir eine Zeit, in der meinungsbildende Magazine wie Spiegel, Focus und Co. von einem Revival der Geschlechterstereotype zeugen. Gerne wird erklärt, warum Frauen und Männer von "Natur aus" unterschiedlich sind, warum Männer das eine besser können (einparken, im Dunkeln sehen, Länder regieren) und Frauen das andere (Emotionen zeigen und erkennen, Kinder erziehen). Abwechselnd werden die Gene, die Biologie oder die Evolution als Erklärungsmuster herangezogen. Die antifeministischen Züge dieser Debatte, die sich auch in Büchern wie "Die Emanzipations-Falle" von der Zeit-Redakteurin Susanne Gaschke oder dem viel beachteten Werk der ehemaligen Tagesschausprecherin Eva Hermann, "das Eva-Prinzip", zeigen, werden gekrönt von offenem Frauenhass bzw. Frauenangst, die sich in geistigen Ergüssen wie beispielsweise Frank Schirrmachers "Männerdämmerung" niederschlagen. In diesem beschreibt der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) den Untergang des Abendlandes. Schließlich säßen auf den wichtigsten meinungsbildenden Posten, wie Talkshow-Moderation oder Vorsitz eines Verlagshauses, mittlerweile auffallend viele Frauen. Die taz-Redakteurin Bascha Mika erweitert in ihrem Buch "Die Feigheit der Frauen" den Diskurs um das Motto "Wenn Frauen ihre Chancen nicht ergreifen sind sie selber Schuld". Auch hier wird statt eine gesellschaftliche Gesamtverantwortung zu suchen die Verantwortlichkeit des Schicksals in die Hände der einzelnen Frauen selbst gelegt.

In eine ähnliche Kerbe schlagen, wenn auch etwas ungewollter, "konservative Postfeministinnen". Nachdem der "Postfeminismus" sowohl das biologische, als auch des soziale Geschlecht "dekonstruiert" und als Kategorie abgeschafft hat, können diese auch nicht mehr diskriminiert werden. Feminismus sei längst überholt, Gleichstellungspolitik nicht mehr notwendig. Der Prototyp dieser Gattung, Familienministerin Kristina Schröder, hält das Werk der Gleichstellung für vollbracht. Ungleichbehandlungen zwischen Männern und Frauen seien nicht mehr zu erkennen. Vielen Dank Feminismus, du kannst abtreten.

Andere, liberal oder libertär angehauchte Akteure hingegen sind nicht mehr nur postfeministisch sondern gleich postgender. Das (soziale) Geschlecht ist damit sozusagen qua Definition aufgehoben. Mitglieder der Piraten-Partei sind zum Beispiel vielfach dieser Ansicht. Ungleiche Lebensentwürfe von Männern und Frauen sind damit nichts strukturelles mehr, sondern rein individuelle Lebensentscheidungen einzelner Menschen, Unterschiede reiner Zufall. So ist es eben auch reiner Zufall, dass in der Berliner Fraktion aus 15 Piraten nur eine Frau im Abgeordnetenhaus sitzt.


Feminismus heute

Die Strömungen der aktuellen Debatte, selbstbewusste Feministinnen, biologistisch begeisterte Bewahrer und libertär wie konservative PostgenderistInnen, zeugen von recht unterschiedlicher Wahrnehmung und Interpretation der Realität. Nach Clara Zetkin, nach Simone de Beauvoir, nach Judith Butler, wo steht der Feminismus heute?

Junge Frauen versuchen gerade in den letzten Jahren immer wieder, neue Methoden auszuprobieren und den Feminismus nach einer ziemlichen Durststrecke in der Dot-Com-Euphorie der 90er-Jahre wieder salonfähig zu machen. Damals war der Himmel weit, die Jobs unendlich, das Internet hatte das Geschlecht sowieso überflüssig bzw. unsichtbar gemacht. Viele junge Frauen (und auch Männer) hielten Geschlechterdiskriminierung für überwunden. Schließlich durften Frauen (theoretisch) alles: Politik machen, jeden Beruf ergreifen, zur Bundeswehr gehen, etc. Die vielen Schwierigkeiten, die sich weiterhin bei Berufseinstieg oder spätestens bei der Familiengründung einseitig für Frauen auftaten, wurden vielfach öffentlich ausgeblendet.

Die feministisch angehauchte Journalistin und Autorin Thea Dorn veröffentlichte 2005 das Buch "Die neue F-Klasse" mit Essays und Interviews von erfolgreichen Frauen unterschiedlichster Profession. "Wie die Zukunft von Frauen gemacht wird" lautete ihr damals durchaus provokanter Untertitel. Obwohl auch hier ausschließlich von beruflich und finanziell erfolgreichen Frauen berichtet wird, schleichen sich bereits kritische Anmerkung zu Frauenbildern, Rollenmustern und gesteigerten Erwartungen von außen und von Frauen selbst ein.

Den Ausschlag für eine Neuinterpretation des Feminismus gab jedoch Katja Kullman 2002 mit ihrer "Generation Ally". In Anlehnung an die Ende der 90er prominente Fernsehserie "Ally McBeal", in der als eine der ersten die Karriere einer jungen Frau im Mittelpunkt stand, lautete der passende Untertitel "Warum es heut so kompliziert ist, eine Frau zu sein". Die verschiedenen Ansprüche, die auf Frauen gleichzeitig wirken, wie: Karriere machen (weil es geht) und sich um Familie kümmern (weil es immer schon so war) wurden damit gleichzeitig thematisiert.

Während diese beiden Autorinnen vor dem Wort "Feminismus" noch zurück schrecken ("Der Feminismus ist tot, es lebe der F-Klassenkampf" schrieb Thea Dorn beispielsweise), haben die 2008 erschienen "Alpha-Mädchen" schon weit weniger Berührungsängste. "Warum der Feminismus das Leben schöner macht", so lautet ihr Untertitel. Die dort beschriebenen Problematiken, wie Identität des Feminismus, Sexualität und Schönheit, Medien und Mutterschaft, greifen zwar traditionelle Fragestellungen auf, erweitern diese jedoch um moderne Sichtweisen und Interpretationen. Die Mädchenmannschaft trifft damit einen Nerv der Zeit. Die Euphorie vieler (junger) Frauen ist auf dem harten Boden der Tatsachen, mit 23 Prozent Gehaltsunterschied, drohender Altersarmut, finanziellen Belastungen Alleinerziehender, subtilem Sexismus in den Büroetagen und 80 Prozent der Hausarbeit leisten zu müssen trotz Beruf, angekommen.

Aber auch mit anderen Protest- und Organisationsformen neben Publikationen versuchen Frauen immer wieder, auf ihre Ungleichbehandlung aufmerksam zu machen. Seit 2008 begehen unterschiedliche, auch Kapital-nahe Organisationen wie das Frauennetzwerk Business and Professional Women (BPW) oder die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sowie der Deutsche Frauenrat (DF) den Equal Pay Day. Dies bedeutet die Fortführung der politischen Wende unter der SPD-Familienministerin Renate Schmidt, Gleichstellungspolitik vor allem unter dem Aspekt der Arbeitsmarktreserve zu diskutieren.

Der öffentliche Fokus bei der "Frauenfrage" hat sich verschoben. Anstatt auf "Gewalt gegen Frauen" oder Beschneidungs-Problematiken in afrikanischen Ländern konzentrieren sich öffentliche Proteste gegen ungleiche Bezahlung und fehlenden Frauen in Führungspositionen. Frauen wollen weg von der Opferrolle und sich stark auch ökonomisch orientieren und teilhaben. Die politischen Partizipationsformen spiegeln den gesellschaftlichen Wandel weg von hergebrachten, hin zu neuen Protest- und Organisationsformen wider.

Gerade Internet-Kommunikation, Websites und Blogs ermöglichen es, mit wenig finanziellem Aufwand zu publizieren. So konnten feministische Blogs gerade junger Autorinnen realisiert werden. Gleichzeitig muss dabei jedoch bedacht werden, dass Blogs und Internetkommunikation nur eine eingeschränkte Leserinnenschar erreichen und hoher sozialer Selektivität unterliegen. Tatsächlich breite gesellschaftliche Schichten mit diesem Medium zu erreichen, ist weder möglich, noch unbedingtes Ziel, da oftmals ein solches Sendungsbewusstsein fehlt.

Die Debatte um Rollenstereotype, Geschlechtlichkeit und Sexualität ist in diesen Foren häufig gar nicht in erster Linie eine politische, sondern eine theoretisch-normative. Die hegemonialen Strukturen dualer Geschlechtlichkeit sollen aufgebrochen, Transsexualität und Geschlechterpluralität diskursiv normalisiert werden. Das Problem des Postfeminismus nach Judith Butler und der Auflösung nicht nur des sozialen, sondern auch des biologischen Geschlechts ist eben, dass es nach dieser absoluten Dekonstruktion auch kein benachteiligtes Geschlecht mehr gibt, für das Frauenräume oder gesetzliche Unterstützung geschaffen werden müssten. Vorrangig ist die Problematisierung der (Un-)Gleichbehandlung von Menschen, die aus Rollennormen herausfallen, das Ziel dieser Debatte. Alltags- oder finanzielle Sorgen schlecht verdienender, aber sich in der Rollennormativität wohlfühlender Frauen, finden dort nur wenig Platz.

Eine gemeinsame "Veranstaltung" dieser losen Verbindungen und punktuellen Zusammenschlüsse waren 2011 die "Slutwalks". Ziel dieser weltweiten Demonstrationen war es, die Opfer-Täter-Umkehr der Vergewaltigungsmythen anzuprangern. "Jede/r kann sich anziehen wie er/sie will, ohne, dass seine/ihre körperliche Integrität angegriffen werden darf" - so die grob zusammengefasste Aussage dieser Demonstrationen. TeilnehmerInnen dieser Demonstrationen waren hauptsächlich junge Frauen, was durchaus ein grundsätzliches Interesse an gleichstellungspolitischen und feministischen Themen zeigt, vor allem wenn sie mit der Lebensrealität und unmittelbaren Alltagsfragen zu tun haben. Diese haben auch gezeigt, wie das Internet auch die globale Kommunikation einzelner, in ihren Ländern jeweils marginalisierter Gruppen (Feministinnen) vereinfacht und so ihre Schlagkräftigkeit stärkt.


Was bedeutet dies für linke Strategien?

Dass Feminismus wieder salonfähig geworden ist, ist eine zentrale Ausgangsbasis, für mögliche reale Veränderungen. Gleichzeitig benötigen wir jedoch eine politische, und das heißt auch parteipolitische, Vernetzung, um die aus der breiten Gesellschaft entstehenden Ideen und Anregungen auch schlagkräftig vertreten und gesetzgeberisch umsetzen zu können.

Das Beschreiben ihres eigenen, persönlichen Schicksals als Frau ist sozusagen die moderne Interpretation des alten Schlachtrufs der Frauenbewegung "das Private ist Politisch!". Wichtig ist dabei jedoch, und immer gewesen, dass frau bei der Beschreibung allein nicht Halt macht, sondern ihre Lebenserfahrungen und ihr Schicksal in einen gesellschaftlichen Kontext setzt und einordnet. Im besten Falle entstehen daraus dann auch gesellschaftliche Interpretationen und es werden politische Schlussfolgerungen gezogen, wie das eigene Leben und die Gesellschaft insgesamt verändert werden könnten.

Für eine kritische Linke ist es jedoch wichtig, nicht in der Betrachtung von Einzelschicksalen zu verharren. Für uns war immer klar, strukturelle Probleme können nicht individuell, sondern müssen gesellschaftlich angegangen und gelöst werden. Für ein wirklich selbstbestimmtes Leben müssen gesellschaftliche Strukturen verändert werden. Dafür kann nicht allein in losen Zusammenschlüssen und Bündnissen gekämpft werden. So wichtig diese für die gesellschaftliche Wahrnehmung des Feminismus auch sind, Entscheidungen und Gesetzesänderungen werden am Ende im Parlament getroffen. Bei aller Notwendigkeit gesellschaftlichen Drucks sind, um diese zu beeinflussen, nicht nur lose Bündnisse, sondern stabile und langfristige Strukturen und politische Kollektivakteure wie Parteien und Gewerkschaften notwendig.

Der theoretische Diskurs um Rollenbilder und Geschlechterauflösung erreicht die politischen Parteien in Deutschland bisher nur bedingt. Die endgültige Trennung von Sex und Gender, also biologischem und sozialem Geschlecht, wie es von den queer-feministischen Akteuren gefordert wird, muss unser Ziel bleiben. Für einen linken Feminismus ist es jedoch wichtig, nicht allein im theoretischen und diskursiven zu verhaften, sondern ganz konkrete gleichstellungspolitische Ansätze in der Tagespolitik zu finden. Strukturell benachteiligten Alleinerziehenden, von Altersarmut bedrohten Frauen, Frauen die keine Betreuung für ihre Kinder bekommen und Frauen, die an der gläsernen Decke scheitern, mit Geschlechterdekonstruktion zu kommen hilft vielleicht ideell, ihre benachteiligte Lebenssituation ändert sich jedoch unmittelbar kein Stück. Der theoretische Diskurs der Geschlechterauflösung darf nicht vollkommen zu Lasten der Aufmerksamkeit und Ressourcen zur Aufhebung faktischer Ungleichbehandlungen von Frauen im Alltag gehen. Die (reale) Ungleichbehandlung der Geschlechter bleibt höchstes Ziel, Schnittmengen und Austausch zwischen hergebrachten und neuen feministischen AkteurInnen kann dabei nur helfen.


Katharina Oerder promoviert in Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Bonn und ist Stellv. Juso-Bundesvorsitzende.


LITERATUR

Wettig-Danielmeier, & Oerder, K. (2011):
Feminismus - und Morgen? Gleichstellung jetzt. Vorwärts/Buch: Berlin.

Kullmann, K. (2002):
Generation Ally: Warum es heute so kompliziert ist, eine Frau zu sein. Eichborn.

Dorn, T. (2005):
Die neue F-Klasse. Warum die Zukunft von Frauen gemacht wird. Piper.

Haaf, M., Klinger, S. & Streidl, B. (2008):
Wir Alpha-Mädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht. Hoffmann und Campe.

Mika, B. (2011):
Die Feigheit der Frauen: Rollenfallen und Geiselmentalität. - Eine Streitschrift wider den Selbstbetrug. C. Bertelsmann Verlag.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 1/2012, Heft 188, Seite 21-24
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2012