Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → SOZIALES

INTERNATIONAL/007: Billige Arbeitskräfte ohne Rechte - Lage von Einwanderern in Italien prekär (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. März 2011

Migration: Billige Arbeitskräfte ohne Rechte - Lage von Einwanderern in Italien prekär

Von Matt Carr


Bologna, 15. März. (IPS) - Die politischen Unruhen in mehreren Ländern Nordafrikas haben die Flüchtlingsströme in Richtung Süditalien weiter anschwellen lassen. Bereits in den vergangenen zwei Jahrzehnten kamen zahlreiche Einwanderer aus Nicht-EU-Staaten nach Italien. Industrie und Landwirtschaft sind mittlerweile auf ihre Arbeitskraft angewiesen. Dennoch leben die Migranten weitgehend ohne Rechte am Rande der Gesellschaft.

Im norditalienischen Brescia wird das Dilemma besonders deutlich. In der eleganten Stadt, deren Renaissance-Palazzi und Kunstschätze viele Touristen anziehen, wohnen inzwischen etwa 200.000 Menschen aus Staaten außerhalb der Europäischen Union. Mit 16 Prozent verzeichnet Brescia von allen italienischen Städten den höchsten Bevölkerungsanteil an Migranten.

Die meisten Zuwanderer leben in tristen Vororten, wo sie in kleinen oder mittleren Betrieben beschäftigt sind. Andere verdienen sich ihr Auskommen als Bauarbeiter, Erntehelfer oder Hauspersonal. Sie erledigen die Arbeiten, die Italiener in wirtschaftlich besseren Zeiten nicht übernehmen wollten.


Arbeitgeber beuten Migranten aus

Die rechtliche Stellung der Einwanderer bleibt prekär, obwohl ihnen die Behörden im Rahmen von Amnestien ein Aufenthaltsrecht gewähren. Ein Großteil der Arbeitgeber beschäftigt sie jedoch lieber illegal, um Kosten zu sparen und ihnen gegebenenfalls rascher kündigen zu können. Die Migranten in Brescia sind in einer ähnlich unsicheren Lage wie die Einwanderer, die sich auf Sizilien in dem von der Mafia dominierten Agrarsektor verdingen und deren Schicksal der Öffentlichkeit weit besser bekannt ist.

Migranten, die bei Polizeikontrollen nicht die notwendigen Dokumente vorweisen können, müssen mit Abschiebung rechnen. Aufenthaltsgenehmigungen gelten nur in Verbindung mit einem Arbeitsvertrag. Wer länger als sechs Monate ohne Job ist, fällt wieder aus dem Rahmen der Legalität.

Der Pakistaner Nadeem Hussain kam 1996 in einem Boot von Griechenland nach Italien. Er war damals 17 Jahre alt, hatte keine Papiere und sprach kein Wort Italienisch. Mittlerweile lebt er ganz legal mit seiner Frau und zwei Kindern in Gavardo am Gardasee, wo er einen Kebab- und Pizzaimbiss betreibt. Nebenbei engagiert er sich auch in der Gewerkschaft.

Nach 15 Jahren in Italien darf Hussain allerdings immer noch nicht wählen gehen. Im Falle einer Geschäftspleite könnte er außerdem in seine Heimat abgeschoben werden. "Ich fühle mich als Teil der italienischen Gesellschaft", meint der Mann. "Aber diese Gesellschaft sieht das offensichtlich anders."

Rechtsgerichtete Parteien wie die Lega Nord lassen nichts unversucht, um fremdenfeindliche Gefühle in der Bevölkerung zu schüren. Der ehemalige linke Bürgermeister Paolo Corsini hatte sich in seiner Amtszeit für die Integration von Einwanderern eingesetzt. Nachdem aber Silvio Berlusconis Regierungskoalition 'Popolo della Libertà' (Volk der Freiheit) und die Lega Nord die Kommunalwahlen 2008 gewannen, weht in der Stadt ein anderer Wind.

Auch in anderen Städten der Provinz Brescia haben Politiker der Partei, die zeitweise sogar für eine Abspaltung des wohlhabenden Norditalien vom Rest des Landes eintrat, Einwanderern neue Beschränkungen auferlegt. In Coccaglio kündigten sie im Dezember 2009 an, im Rahmen der 'Operation Weiße Weihnachten' alle Einwanderer ohne gültige Papiere umgehend ausweisen zu wollen.

In anderen Städten in der Umgebung wurde Migranten außerdem verboten, in der Öffentlichkeit ihre eigene Sprache zu sprechen. Außerdem listeten die Behörden die von Einwanderern bewohnten Häuser auf, um dort verstärkte Hygienekontrollen anzuordnen. Die Stadt Gavardo, in der Hussain Kebab verkauft, ließ im vergangenen Jahr Bänke von öffentlichen Plätzen entfernen und verbot Migranten, sich in Gruppen von mehr als drei Personen draußen aufzuhalten.


Lega Nord macht Stimmung gegen Ausländer

Der Bürgermeister der Stadt Adro ordnete außerdem im vergangenen September an, das Logo der Lega Nord - die Alpensonne - in einer staatlichen Schule an Fensterscheiben und Schulbänken anzubringen. Überdies sollte Schweinefleisch fester Bestandteil des Schulessens werden - eine Provokation, die auf muslimische Kinder abzielte. Auf der Suche nach billigen Arbeitskräften scheuen Unternehmer aus dem Umfeld der Lega Nord allerdings nicht davor zurück, auch Migranten zu beschäftigen.

Gerichte in Italien haben mehrere der umstrittenen Verordnungen außer Kraft gesetzt. In Gavardo kämpft dagegen ein Bündnis aus Einwanderern und der lokalen Bevölkerung weiterhin dafür, die Sitzbänke wieder aufstellen zu lassen. In Brescia verbrachten fünf verzweifelte Migranten im Dezember sogar 17 Tage auf einem Baukran, um auf ihre prekäre Lage aufmerksam zu machen.

Als der italienische Staat 2009 eine Legalisierung des Status illegaler Migranten ankündigte, hatten alle Betroffenen eine Gebühr von jeweils 500 Euro gezahlt - vergebens. Einige von ihnen wurden zudem von obskuren Mittelsmännern betrogen, die ihnen für jeweils 3.500 Euro Arbeitsverträge versprachen, der nie zustande kamen.

Die Protestaktionen gehen auch in diesem Jahr weiter. Anfang März versammelten sich etwa 200 Migranten auf der zentralen Piazza della Loggia in Brescia, um auf ihren Beitrag zur italienischen Wirtschaftsleistung hinzuweisen. Im vergangenen Jahr hatten dagegen noch rund 10.000 Menschen für mehr Rechte demonstriert. Die Zuwanderer, die auf den Kran geklettert waren, warten indes immer noch auf Papiere. (Ende/IPS/ck/2011)


Link:
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=54825

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 15. März 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. März 2011