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INTERNATIONAL/028: Frauenrechte in Äthiopien und Indien (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 115, 1/11

Am Papier und in der Praxis
Frauenrechte in Äthiopien und Indien

Von Gertrude Eigelsreiter-Jashari und Julia Günther


Im Vorfeld der vom Netzwerk Women In Development Europe (WIDE) geplanten Studie zu "Auswirkungen der multiplen Krisen auf Frauen im globalen Süden am Beispiel der Länder Äthiopien und Indien" haben sich die Autorinnen im folgenden Beitrag mit der Rechtssituation von Frauen in beiden Ländern beschäftigt.


Frauenrechte in Indien ...

In der indischen Verfassung ist Geschlechtergleichstellung fest verankert: gleiche Rechte, Verbot von Diskriminierung an öffentlichen Plätzen und gleiche Chancen einer Anstellung im öffentlichen Dienst. Doch auf politischer und zivilgesellschaftlicher Ebene wird immer wieder kritisiert, dass Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern nur auf dem Papier besteht. Mit dem vom Ministry of Education and Social Welfare 1971 eingerichteten Committee on Status of Women (CSW), das den Status der indischen Frauen auf konstitutioneller, rechtlicher und administrativer Ebene in den Bereichen Bildung und Arbeit untersucht, wurden Frauenthemen nach der indischen Unabhängigkeit 1947 in der Politik wieder aktuell. Die von der CSW 1974 veröffentlichte Studie Towards Equality zeigte, dass sich die Situation von Frauen in den genannten Bereichen seit 1947 verschlechtert hat. Besonders marginalisierten Frauen wird nicht das zu Teil, was ihnen zusteht: ein tatsächlicher, partizipativer, gleichberechtigter Teil der Gesellschaft zu sein. Ein ausschließlich schwarzes Bild zu malen wäre aber zu kurz gegriffen und würde der Komplexität der Realität nicht entsprechen. Obwohl sich der Staat seit den 1990er Jahren aufgrund wirtschaftlicher Interessen seiner sozialen Verantwortung für die benachteiligte Bevölkerung, besonders Frauen mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen, entzogen hat und nationale sowie internationale NGOs die entstandene Lücke mit ihren diversen Programmen füllen, hat die indische Regierung auch wichtige Gesetzgebungen zur Förderung des Empowerment von Frauen verabschiedet.


... und in Äthiopien

Äthiopien gehört laut Weltbank zu einem der ärmsten Länder weltweit. Eine nur leichte Armutsreduktion in den letzten Jahren (44,2% im Jahr 2000 im Vergleich zu 45,5% 1996) ist von großen Mängeln in der Demokratisierung begleitet. Frauen sind von Armut stärker betroffen, umso mehr sind sie auf rechtliche Sicherheit angewiesen. In der äthiopischen Verfassung von 1995 ist der Gleichheitsgrundsatz zwischen den Geschlechtern verankert, dazu gehört der Schutz vor körperlichem Schaden, gleiche Rechte in Ehe und Familie sowie das Ziel, die Beteiligung von Frauen im selben Maße wie die von Männern an allen ökonomischen und sozialen Entwicklungsbemühungen der Regierung durchzusetzen.


Internationale Abkommen und deren Ratifizierungen

Äthiopien hat 1993 sowohl den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte als auch jenen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ratifiziert und in Kraft gesetzt. Von den frauenspezifischen Menschenrechtsinstrumenten wurde als wichtigstes die "Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau" (CEDAW) 1982 ratifiziert und in Kraft gesetzt. Darüber hinaus sind wichtige verbindliche Dokumente wie die "Konvention zur Unterdrückung des Menschenhandels und der Ausbeutung von Prostituierten" zwar ratifiziert, aber nicht in Kraft gesetzt bzw. nur teilweise oder nicht anerkannt. Das ILO (Internationale Arbeitsorganisation)-Übereinkommen Nr. 100 über die Gleichheit des Entgeltes männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit ist ebenso wie Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf ratifiziert. Weder unterzeichnet noch ratifiziert sind das für die Individualbeschwerde so wichtige Fakultativprotokoll zu CEDAW und das international bedeutsame Protokoll zur Vorbeugung, Bekämpfung und Bestrafung von Menschenhandel. Indien ist seit 1945 aktives Mitglied der Vereinten Nationen und unterstützt seit Anfang an deren Frauenanliegen. Indische VertreterInnen nahmen an Aktivitäten des UN-Weltfrauenjahrzehnts (1976-1985) und an den vier Weltfrauenkonferenzen sowie an der Sondergeneralversammlung im Jahr 2000 und der Frauenstatuskommission zu "Peking+15" im März 2010 teil. 1993 ratifizierte Indien CEDAW, allerdings mit zusätzlichen, zum Teil einschränkenden Erklärungen. Das Fakultativprotokoll zu CEDAW, das Individuen und NGOs ermöglicht, Beschwerden einzureichen, hat Indien nicht angenommen. Im Jahr 2000 hat sich Indien - wie auch Äthiopien - verpflichtet, die "Millennium Development Goals" umzusetzen. Einen ersten Bericht gab es 2006, der vor allem eine große Benachteiligung von Mädchen im Bereich der Primarbildung festmachte. Der Folgebericht des Jahres 2010 zeigte die Diskriminierung von verletzlichen Gruppen, speziell von Dalit-Frauen, und ihrem Zugang zu Bildung, Gesundheitseinrichtungen und geregeltem Einkommen.


Nationale Gesetzgebungen

Im Jahr 1985 gründete die indische Regierung eine "Abteilung für Frauenfragen", die 2005 zu einem eigenständigen Ministerium wurde. 2001 wurde zum "Year of the Empowerment of Women". Der Fünfjahresplan von 2007 bis 2012 sieht Gender als eine Querschnittsmaterie, während dessen im Jahr 2008 Gender Budgeting in der Regierungspolitik verankert und eine Datenbank mit nach Geschlechtern getrennt aufgeschlüsselten Daten errichtet wurde. Am 9.3.2010 wurde die schon lang geforderte 33%-Frauenquote im indischen Parlament verabschiedet - ein großer Erfolg für Lobbyistinnen. Einen früheren Durchbruch erlebten Frauen 1992, als ein Verfassungszusatz verabschiedet wurde, der die Reservierung von einem Drittel der Gremiensitze auf Gemeinde- und Dorfebene (Panchayat) für Frauen festschrieb. Innerhalb der Familie hat sich mit der Reform des Familienrechts 2000 die Lage der Frauen in Äthiopien wesentlich verbessert. Das Heiratsalter wurde auf 18 Jahre angehoben, das Erbrecht modernisiert, und Scheidungen wurden vereinfacht. In der Praxis ist die Umsetzung schwierig. Ein Bericht der Vereinten Nationen schätzt, dass etwa 30% der Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren verheiratet werden. Aufgrund der hohen Bedeutung von Land als Lebensgrundlage für einen Großteil der ÄthiopierInnen sind Landrechte, Zugang zu Land, Landverteilung und Erbrecht nach wie vor zentrale Themen. Die Reformen der letzten Jahre haben bisher wenig dazu beigetragen, die herrschenden Ungerechtigkeiten der Landverteilung - nicht nur zwischen den Geschlechtern - zu verbessern.


Schlussfolgerungen

Die verhältnismäßig gute rechtliche Situation für Frauen und zur Geschlechtergleichstellung in Äthiopien und Indien hat ihre volle Wirkungskraft noch nicht entfaltet. Zur Verbesserung der rechtlichen Lage haben Frauen und Frauenrechtsorganisationen Wesentliches beigetragen. Ursachen für die mangelnde Umsetzung sind regional zwar unterschiedlich, lassen sich aber für beide Länder mit der mangelnden Implementierung und Kontrolle der Gesetze begründen. Subalterne Frauen sind von den multiplen Krisen, allen voran der Nahrungsmittel- und Landwirtschaftskrise, stark betroffen. Zur Stärkung von Frauen fordern indische wie äthiopische Frauen und Frauengruppen u. a. daher eine breitere Information über die Rechtslage, Trainings und Schulungen für Beamtinnen und die Implementierung der internationalen und nationalen Gesetzgebungen.


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Literatur- und Webtipps:

- Forbes, Geraldine:
Women in modern India: The New Cambridge History of India: IV.2, New Delhi 1998/2000)
- John, Mary E.:
Feminism and Internationalism (New Delhi 1998)

http://data.worldbank.org/country/ethiopia
http://hdrstats.undp.org/en/countries/profiles/ETH.html vom 31.1.2011


Zu den Autorinnen:

Gertrude Eigelsreiter-Jashari lehrt an der Universität Wien und an der Fachhochschule St. Pölten; sie ist Geschäftsführerin von Südwind Niederösterreich in St. Pölten und leitet das Projekt "Begegnungen Äthiopien-Österreich". Sie lebt in Niederösterreich.

Julia Günther ist Soziologin und aktives Mitglied bei WIDE (Women in Development Europe). Im Rahmen ihrer Dissertation forscht sie zu indischen Frauenbewegungen und Globalisierung in Indien. Sie lebt in Wien.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 115, 1/2011, S. 14-15
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2011