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INTERNATIONAL/038: Japan - Alleinerziehende Väter fordern nach Tsunami-Katastrophe staatliche Hilfe (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. Juli 2011

Japan: Alleinerziehende Väter fordern nach Tsunami-Katastrophe staatliche Hilfe

Von Suvendrini Kakuchi


Tokio, 22. Juli (IPS) - Innerhalb weniger Minuten wurde Hiroshi Yoshida Witwer und alleinerziehender Vater. Als am 11. März der Tsunami sein Haus in Rikuzentakata im Nordosten Japans mit sich fortriss, starben seine Frau und einer seiner Söhne.

Mehrere Monate später hat Yoshida immer noch große Mühe, sich an sein neues Leben zu gewöhnen. Neben seiner Arbeit sorgt er allein für seinen neunjährigen Sohn. Erst seit kurzem sind die beiden in einer Übergangswohnung untergekommen.

"Ich fühle mich unsicher in meiner Rolle als alleinerziehender Vater", gab er im Gespräch mit IPS zu. "Ich vermisse meine Frau, die sich um alles gekümmert hat." Zahlreiche Familien in Japan sind in einer ähnlichen Situation, nachdem ein Elternteil bei der Katastrophe ums Leben gekommen war. Bei der Bewältigung der Folgen des verheerenden Erdbebens und des Tsunamis muss sich das Land auch um diese Menschen kümmern.

Alleinerziehende Väter gab es auch schon vor der Katastrophe. Nun sieht es so aus, als würden die 'fushi-katei' endlich die nötige Aufmerksamkeit erhalten. "Viele Männer müssen jetzt damit fertigwerden, dass ihr Haushalt nicht mehr von einer Frau geführt wird", sagte Tomoyuki Katayama, der Sprecher einer Organisation für alleinerziehende Väter in Japan ist.


Geschlechterrollen klar geteilt

In dem ostasiatischen Land sind die Rollen bisher klar geteilt gewesen: Frauen sind verantwortlich für die Kinder, während die Männer für den Unterhalt der Familie sorgen. "Wenn Männer Witwer werden oder sich aus anderen Gründen dazu entscheiden, allein für ihre Familien zu sorgen, reagiert die Gesellschaft darauf nicht gerade sehr freundlich", meinte Katayama.

Diese Erfahrung machte auch Yoshida, der vor dem Tsunami ein unbeschwertes Leben mit seiner Familie geführt hatte. Das Unglück habe seinen Alltag völlig auf den Kopf gestellt, klagte er. Er wolle sich nun mit anderen Männern in einer ähnlichen Lage zusammenschließen, um in der Gesellschaft mehr Verständnis zu finden, kündigte er an.

Yoshida versucht zurzeit noch zu ermitteln, wie viele Mütter in der Region von Tohoku ums Leben gekommen sind. "Sobald ich diese Informationen habe, werde ich eine Gruppe für Männer gründen, die sich allein um ihre Kinder kümmern müssen. Wir können uns dann gegenseitig bei Problemen helfen und mehr Hilfe von den Behörden einfordern."

Bis jetzt hat der Witwer von neun Familien erfahren, die in seiner Gegend das gleiche Schicksal teilen. Bei einer Umfrage sprachen seine Leidensgenossen über ihre Verzweiflung und den Spagat zwischen Job und Familie. Viele vermissen Hilfe im Haushalt und machen sich zudem Sorgen um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze.

"Zum Glück habe ich mein eigenes kleines Geschäft und habe weiterhin ein Einkommen", erklärte Yoshida. Andere alleinerziehende Väter seien in einer schlechteren Lage, weil ihre Firmen nach der Katastrophe schließen mussten.

Die im November 2009 gegründete 'Vereinigung Alleinerziehende Väter in Japan' besuchte im Juni das Gesundheitsministerium in Tokio, um Renten für Männer zu fordern, die ihre Frauen bei dem Tsunami in Tohoku verloren haben. Alleinstehende Mütter hätten bereits ein Anrecht auf solche Bezüge, sagte Katayama. Dies müsse auch für Väter gelten.

Dem Ministerialbeamten zufolge konzentriert sich das japanische Familienrecht bisher auf die Unterstützung weiblicher Haushaltsvorstände, da man davon ausgehe, dass sich Frauen am besten um kleine Kinder kümmern könnten. Außerdem fänden Frauen nicht immer Arbeit und verdienten in der Regel auch weniger als Männer.

Da mittlerweile aber auch zahlreiche Männer ihre Jobs verloren hätten, bekämen seit 2009 auch alleinerziehende Väter finanzielle Unterstützung, erklärte der Beamte. Offiziellen Zahlen zufolge gibt es im Land mehr als 1,2 Millionen alleinstehender Mütter. Etwa halb so viele Haushalte würden von Männern geführt.


Vollzeitjob mit Kindererziehung schwer zu vereinbaren

Katayamas Gruppe hat offensichtlich schon dazu beigetragen, die Regierung zum Umdenken zu bewegen. Der Sprecher der Vereinigung, der nach der Scheidung seine zwei Kinder allein versorgt, hat seinen regulären Job, der eine hohe Präsenz am Arbeitsplatz erforderte, inzwischen an den Nagel gehängt.

"Ich konnte meine Kinder nicht die ganze Zeit sich selbst überlassen", sagte er. "Deshalb habe ich meine Arbeit mit festem Einkommen aufgeben müssen und lebe inzwischen von zwei Teilzeitjobs."

Seine Väter-Gruppe trifft sich regelmäßig, um Informationen auszutauschen und sich gemeinsam um staatliche Hilfe zu bemühen. Außerdem machen sie sich gegenseitig Mut, um besser in einer Gesellschaft zu bestehen, in der Väter, die sich mehr der Familie als der Arbeit widmen, schlecht angesehen sind.

Nach Ansicht von Katayama wollen viele Männer in Japan nicht mehr unter dem Druck stehen, das gesamte Familieneinkommen selbst erwirtschaften zu müssen. Dies müsse der Staat bei der Bewilligung finanzieller Hilfen für Alleinziehende berücksichtigen. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2011