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INTERNATIONAL/082: Kongo - Chaos, Unterernährung und getrennte Familien nach Munitionslager-Explosion (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. März 2012

Kongo: Chaos, Unterernährung und getrennte Familien nach Explosion in Munitionslager

von Arsène Séverin


Brazzaville, 14. März (IPS) - Die Explosion in einem Munitionslager in der kongolesischen Hauptstadt Brazzaville am 4. März hat zahlreiche Kinder von ihren Eltern getrennt. Bis heute konnten noch nicht alle auseinander gerissenen Familien wieder zusammengeführt werden. Die Gesundheits- und Wohlfahrtssysteme des Landes sind überfordert, und bei vielen Opfern zeigen sich Anzeichen von Unterernährung.

Der fünfjährige Vianey irrte mehrere Tage durch die Straßen von Brazzaville, bis er im Viertel Tréchot entdeckt wurde. "Ich habe Hunger", sagte der kleine Junge dem Mann, der ihn in ein Auffanglager nahe der städtischen Kathedrale brachte.

Die Serie von Explosionen Anfang des Monats hat mehr als 200 Menschen das Leben gekostet. Über 1.500 Personen wurden verletzt, tausende obdachlos. Die ohnehin schwachen medizinischen und sozialen Systeme stoßen mit der Versorgung der Explosionsopfer an ihre Grenzen. Vor allem Kinder sind die Leidtragenden.

Die zwölfjährige Lucie wurde durch die Explosion am Kopf und am rechten Arm verletzt. Sie ist im Albert-Leyono-Gemeindekrankenhaus untergebracht. "Als es knallte, sind wir alle losgerannt", berichtet sie. "Ich weiß nicht, was aus meinen Eltern und beiden Geschwistern geworden ist."

Rund 50 Überlebende werden derzeit in der Klinik versorgt, darunter viele traumatisierte Kinder. Dutzende andere Mädchen und Jungen werden in Kindergärten und -heimen betreut. Elf der 33 Heranwachsenden, die nach der Explosionskatastrophe im Moungali-Hort Unterschlupf fanden, wurden noch nicht von ihren Eltern abgeholt. Drei von sieben Minderjährigen, die sich im Kindergarten von Makélékélé aufhalten, warten bisher ebenfalls vergeblich auf ihre Eltern.


Suche nach elternlosen Kindern

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und ihre kongolesische Sektion unterstützen die Familienzusammenführungen. "Bisher warten noch 20 Kinder, die von unseren Mitarbeitern betreut werden, auf die Ankunft ihrer Eltern", berichtet Anne-Céline Moiraud, die beim IKRK zuständige Kinderschutzbeauftragte. "Wir ermutigen jeden, der ein elternloses Kind findet, mit uns Kontakt aufzunehmen."

Verschiedene UN-Organisationen haben ihrerseits hunderte Anfragen von Eltern erhalten, die ihre Kinder suchen. "Seit diesem Unglückstag habe ich keines meiner beiden Kinder wiedergesehen. Ich habe alle Auffanglager und Notunterkünfte abgesucht - nichts!", berichtet eine Mutter, den Tränen nahe.

An den Krankenhäusern von Makélékélé und Bacongo sowie in der Universitätsklinik von Brazzaville wurden insgesamt 866 Menschen nach der Explosion ärztlich behandelt, darunter 338 Kinder. Viele Menschen konnten nicht medizinisch betreut werden. "Niemand hat sich die Kopfverletzung meines Sohnes angesehen", beklagt Nicole Ibondo, die Mutter eines Achtjährigen.

"Wir tun, was wir können", meint dazu Suzanne Maleka, Leiterin des Makélékélé-Kindergartens. Die Möglichkeiten seien aufgrund der fehlenden Mittel begrenzt. "Die Kinder, mit denen wir zu tun haben, weisen Anzeichnen von Malaria und Unterernährung auf", erläutert sie.

In der Nähe der Kathedrale, wo etwa 5.000 Menschen einschließlich 120 unbegleiteter Kinder seit der Katastrophe unter freiem Himmel zubringen, bemüht sich ein Team der Hilfsorganisation 'Médecins d'Afrique' (Ärzte aus Afrika - MDA) um die Gestrandeten.


Nahrungsmitteldefizite

"Wir sehen Kinder, die unter den ersten Folgen von Unterernährung leiden. Doch uns fehlen die Medikamente und Möglichkeiten, ihnen angemessen zu helfen", berichtet die MDA-Koordinatorin Sara Pillar. Ein Drittel der 200 Menschen, die von ihrer Organisation täglich medizinisch durchgecheckt werden, sind Kinder.

In bestimmten Unterkünften wie der Albert-Leyono-Klinik und dem Marchand-Stadion werden Kinder mit Brot und Sardinen ernährt. "Wenn sie hier weggehen, werden sie an Hämorrhoiden leiden", meint dazu ein kongolesischer Rot-Kreuz-Mitarbeiter.

Dank der Unterstützung internationaler Organisationen werden inzwischen kindergerechte Betreuungsstellen eingerichtet. Das Weltkinderhilfswerk UNICEF hat zudem Gesundheitsexperten losgeschickt, die die traumatisierten Kinder psychisch auffangen sollen. Oftmals finden sie Heranwachsende vor, die nicht sprechen, wie die Traumata-Expertin Martial Lounoungou berichtet.

Weitere Opfer der Explosion sind UNICEF zufolge fast 20.000 Schul- und 470 Vorschulkinder. Ihre Bildungseinrichtungen wurden zerstört. Um die Mädchen und Jungen übergangsweise in anderen Schulen unterrichten zu können, werden 6.000 Pulte benötigt. Schüler, die sich auf ihre Abschlussprüfungen vorbereiten, sollen in den unbeschädigten Schulen unterrichtet werden. Die Behörden kommen für die Transportkosten auf. Ferner kündigte die Regierung an, jede Opferfamilie mit einem Betrag in Höhe von jeweils rund 6.000 US-Dollar zu unterstützen. (Ende/IPS/kb/2012)


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http://www.unicef.org/
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2012