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KIND/086: Nepal - Bald die Hälfte der Kinder ab fünf Jahren arbeitet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. Juli 2013

Nepal: Bald die Hälfte der Kinder ab fünf Jahren arbeitet

von Mallika Aryal


Bild: © Mallika Aryal/IPS

Etwa 165.000 Kinder arbeiten in Nepal als Haushaltshilfen
Bild: © Mallika Aryal/IPS

Katmandu, 29. Juli (IPS) - Die Hände der Elfjährigen waren mit Wunden bedeckt, die Augen eingesunken. Auf dem Kopf fehlten ganze Haarbüschel. Pradeep Dongol von der unabhängigen Kinder- und Frauenschutzorganisation CWISH war schockiert, als er das Kind sah, das seine Kollegen in der nepalesischen Hauptstadt Nepal in ihre Obhut genommen hatten. Das Mädchen, das im Haushalt einer Familie arbeitete, war weggelaufen, nachdem es massiv misshandelt worden war.

Reema, die eigentlich anders heißt, wurde von ihren Eltern aus ihrem Heimatdorf zu Fremden in das 400 Kilometer entfernte Katmandu geschickt. Sie kam zu einem jungen Paar, das der Familie versprach, Reema wie eine Tochter zu behandeln und auf eine gute Schule zu schicken.

Die Wirklichkeit sah jedoch anders aus. Das Mädchen wurde niemals an einer Schule angemeldet und musste sich von Speiseresten ernähren. Reema erledigte die gesamte Hausarbeit und passte auf den kleinen Sohn der Familie auf, ohne jemals dafür bezahlt zu werden. Sie wurde verprügelt und brutal an den Haaren gezogen. Eines Tages suchte bei CWISH Hilfe.

Von den rund 7,7 Millionen nepalesischen Kindern zwischen fünf und 17 Jahren müssen einem nationalen Bericht über Frauen- und Kinderhandel zufolge etwa 3,14 Millionen arbeiten. Zwei Drittel dieser Kinder sind jünger als 14 Jahre. Die Organisationen 'Plan International' und 'World Education' gehen davon aus, dass ungefähr 165.000 der arbeitenden Minderjährigen im Haushalt eingesetzt werden.

"Ihre Not wird nicht ernstgenommen, ebenso wenig dass die Gewalt in Privatwohnungen jenseits der Öffentlichkeit stattfindet", sagt CWISH-Teamleiter Bishnu Timilsina. In dem Land ist es demnach Tradition, dass in Städten lebende, wohlhabende Paare Kindern aus ländlichen Regionen Arbeit und Bildung anbieten.


Arme Familien fallen auf vermeintliche Hilfsangebote herein

Viele arme Familien sind auf solche Angebote angewiesen, auch wenn Nepal bei der Armutsbekämpfung Fortschritte gemacht hat. Das UN-Entwicklungsprogramm UNDP setzte den Himalaja-Staat in dem Bericht über menschliche Entwicklung 2013 unter 187 Ländern auf Platz 157. Laut einer staatlichen Untersuchung im Zeitraum 2010 bis 2011 müssen mehr als 30 Prozent der Nepalesen mit umgerechnet weniger als 14 US-Dollar im Monat auskommen.

Etwa 80 Prozent der Bevölkerung leben wie Reemas Eltern in ländlichen Gebieten von der Subsistenzlandwirtschaft. Schon kleine Kinder werden für gewöhnlich zur Feld- und Hausarbeit mit herangezogen. Etwa die Hälfte aller Minderjährigen in den Dörfern, die weder über eine grundlegende Gesundheitsversorgung noch Schulen und sauberes Trinkwasser verfügen, ist mangelernährt.

Die rasche Industrialisierung in den 1990er Jahren und das Anwachsen der Mittelschicht gepaart mit der der Flucht vieler Menschen vor dem Bürgerkrieg in den Jahren 1996 bis 2006 hatten die Nachfrage nach billigen Arbeitskräften erhöht. Da immer mehr Frauen einer bezahlten Arbeit nachgingen, füllten Kinder die Lücke und erledigten die anfallenden Hausarbeiten. Nach Erkenntnissen von Plan International und World Education verteilen sich die Kinderarbeiter inzwischen zu etwa gleichen Teilen auf Städte und ländliche Gebiete.

Kinderrechtsaktivisten führen die Misere teils darauf zurück, dass in der Gesellschaft die Arbeit Minderjähriger häufig akzeptiert wird. "Es herrscht die Überzeugung vor, dass schon Kinder den 'Wert' von Arbeit kennenlernen sollen", erklärt Nita Gurung von dem staatlichen Zentralen Wohlfahrtsausschuss für Kinder CCWB. Die Einhaltung von Gesetzen gegen Kinderarbeit sicherzustellen, ist daher nicht einfach. Danee Luhar vom Weltkinderhilfswerk UNICEF zufolge gilt es ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Kinderarbeit nicht akzeptabel sei.

Nepal hat die UNICEF-Kinderrechtskonvention, die Konvention 182 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO über die schlimmsten Formen von Kinderarbeit sowie die ILO-Konvention 138 für ein Mindestalter für Erwerbstätigkeit ratifiziert. In der 2007 eingeführten Interimsverfassung von Nepal wurden diese internationalen Konventionen in nationales Recht überführt. 1992 trat ein Kinderschutzgesetz in Kraft, 2000 ein Gesetz zur Reglementierung von Kinderarbeit und 2002 ein Gesetz gegen Zwangsarbeit.


Verstöße gegen Arbeitsgesetze nicht flächendeckend überprüfbar

Dennoch kann die Einhaltung dieser Gesetze bislang nicht garantiert werden. Häufig ist zudem unklar, welche Regierungsbehörde für die Umsetzung welcher Gesetze zuständig ist. Derzeit sind in dem Land mit rund 30 Millionen Einwohnern lediglich zehn Inspektoren im Einsatz, die die Einhaltung von Gesetzen überprüfen. Zuständig sind sie nur für formelle Beschäftigungsverhältnisse, etwa in den Bereichen Bergbau sowie Zigaretten- und Teppichherstellung. Nach wie vor ist unklar, wer die Rechte von Kindern in informellen Arbeitsbereichen wie Haushalten schützt.

Bei Reema hat CWISH erreicht, dass das Mädchen wieder nach Hause zurück kam und der Fall an die staatliche Arbeitsbehörde weitergeleitet wurde. Das Ehepaar in Katmandu wurde aufgefordert, dem Opfer Schadenersatz in Höhe von 210 Dollar zu zahlen und schriftlich zu versichern, dass das Kind von allen Pflichten befreit ist. Auf das Geld wartet Reema bis heute, und eine strafrechtliche Verfolgung ihrer ehemaligen Arbeitgeber ist unwahrscheinlich, wie der Kinderrechtler Kamal Guragain meint. "Der Schutz der Opfer hat in unserem Land einfach keine Priorität." (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.plan-deutschland.de/ueber-uns/wo-wir-arbeiten/laenderdetail/nepal/
http://www.worlded.org/WEIInternet/projects/ListProjects.cfm?Select=Country&ID=266&ProjectStatus=All
http://www.nhrcnepal.org/nhrc_new/doc/newsletter/National%20Report%20on%20Traffiking%20in%20Persons%20%20Especially%20%20on%20women%20and%20Children%20in%20Nepal%20-%202012.pdf
http://hdr.undp.org/en/reports/global/hdr2013/
http://www.cwish.org.np/
http://www.unicef.org/crc/
http://www.ipsnews.net/2013/07/nepal-moves-to-curb-child-labour/

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IPS-Tagesdienst vom 29. Juli 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2013