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KRIMINALITÄT/055: Mexiko - Gendatenbanken sollen Schicksal verschwundener Migranten klären (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. November 2011

Mexiko: Gendatenbanken sollen Schicksal verschwundener Migranten klären

von Emilio Godoy


Mexiko-Stadt, 17. November (IPS) - Gentests, Ethiktribunale und diplomatischer Druck sind die neuen Waffen, mit denen unabhängige Organisationen Übergriffe auf Migranten ohne Papiere in Mexiko und in den USA bekämpfen wollen. Seitdem die USA vor über zehn Jahren ihre Grenzkontrollen verstärkt haben und mehr mexikanische Verbrecherbanden aktiv geworden sind, verlieren sich die Spuren illegaler Einwanderer zunehmend im Nichts.

Das Komitee der Angehörigen toter und verschwundener Migranten in El Salvador (Cofamide) hat mit Unterstützung der argentinischen Regierung und argentinischer Rechtsmediziner eine Gendatenbank mit Angaben zu den Vermissten gemacht. Die Datenbank sei sehr nützlich, da sie die Identifizierung erleichterte, sagte die Cofamide-Leiterin Lucy de Acevedo. "Damit wächst die Hoffnung der Familien, ihre Verwandten wiederzufinden. Über viele Fälle ist bisher kaum etwas bekannt."

Seit dem vergangenen Jahr hat die Organisation 143 Genproben gesammelt und in dem an Mexiko angrenzenden US-Bundesstaat Arizona analysieren lassen. Die Leichen von zwei Männern und zwei Frauen aus El Salvador konnten auf diese Weise identifiziert werden. Seit seiner Gründung 2006 hat das Komitee das Schicksal von 59 Personen geklärt.


Migranten von Polizei und Kriminellen attackiert

In dem Ort Pima in Arizona werden die sterblichen Überreste von 500 Zuwanderern aufbewahrt. Tausende Menschen aus Zentralamerika kommen jedes Jahr nach Mexiko, um auf eigene Faust oder mit Hilfe von Schleppern illegal in die USA zu gelangen. Auf dem Weg dorthin werden viele von ihnen beraubt, entführt oder misshandelt. Manche werden von mexikanischen Polizisten oder Gangstern umgebracht, die häufig zusammenarbeiten. Nach offiziellen Angaben gelangten im vergangenen Jahr mindestens 130.000 Zentralamerikaner über Mexiko in die Vereinigten Staaten und wurden von dort aus später abgeschoben.

Auch in Honduras sind bereits erste Schritte zur Einrichtung einer Gendatenbank für Migranten unternommen worden. Von etwa 100 Familien soll DNA-Material gesammelt werden, das mit den Daten aus Arizona abgeglichen wird. Das Vorhaben soll noch in diesem Monat Gestalt annehmen, wie die Koordinatorin der Honduranischen Pastorale für menschliche Mobilität, Lidia de Souza, erklärte. Die Organisation kooperiert mit der Vereinigung der Migrantenkomitees, dem Nationalen Forum für Migration und dem argentinischen Gerichtsmedizinerverband EAAF.


'Karawane' von Müttern durch Mexiko

De Souza beteiligt sich zudem an einer Protestaktion von Müttern, die ihre verschwundenen Söhne suchen. Mit anderen Verwandten von Honduranern und Nicaraguanern, deren Spuren sich in Mexiko verloren haben, marschiert sie seit Ende Oktober von Zentralamerika aus durch neun mexikanische Bundesstaaten.

Seit die USA im Jahr 2000 ihre Grenzkontrollen verschärft haben und eine größere Zahl krimineller Banden in Mexiko ihr Unwesen treibt, sind zunehmend Migranten verschollen. Vorfälle wie das Massaker an 72 illegalen Einwandern Ende August im nordmexikanischen Bundesstaat Tamaulipas schüren bei den zurückgebliebenen Verwandten Ängste.

Mit diesem Fall hat sich das Internationale Gewissenstribunal beschäftigt. Die Organisation hielt im Oktober 2010 in Ecuador und im folgenden Monat in Mexiko Anhörungen ab. Die Ergebnisse werden von der mexikanischen Sektion des unabhängigen Ständigen Tribunals der Völker (TPP) analysiert. Die internationale Institution wurde 1979 in Anlehnung an die Russell-Tribunale gegründet, die Menschenrechtsverletzungen im Vietnamkrieg untersucht hatten.

In diesem Jahr sind Sitzungen des TPP in Arizona und mindestens sechs mexikanischen Bundesstaaten mit hoher Migrantenfluktuation geplant. Das Verfahren soll nach weiteren Beratungen im kommenden Jahr 2013 oder 2014 abgeschlossen werden.

Das Massaker von San Fernando in Tamaulipas überlebte nur der Ecuadorianer Freddy Lala, der nun unter dem Schutz seiner Regierung in der Anonymität lebt. Flor Haro, die Exekutivdirektorin des Familienhilfszentrums für Migranten in Quito, kritisiert die Bedingungen, unter denen Lala seither leben muss und fordert Wiedergutmachung.

Seit 1994, als die USA die Grenzpatrouillen verstärkten, sind nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen mehr als 5.700 Migranten an der Grenze zwischen Mexiko und den USA getötet worden. Das mexikanische Außenministerium geht davon aus, dass dort allein seit 2004 fast 3.000 Menschen ums Leben kamen. 955 Personen konnten noch nicht identifiziert werden.

In einem im September verbreiteten Bericht mit dem Titel 'Eine Kultur der Grausamkeit' erklärte die unabhängige Organisation 'Keine weiteren Toten', dass zwischen 2009 und 2010 mindestens 253 Menschen beim versuchten Grenzübertritt von Mexiko nach Arizona starben. Dafür machte die Organisation vor allem Schlepperbanden verantwortlich, die Migranten in Regionen schleusten, in denen sie keine Überlebenschancen hätten. (Ende/IPS/ck/2011)


Link:
http://cofamide.blogspot.com/
http://www.crop.org/storypg.aspx?id=346&MenuNode=&zone=12
http://www.internazionaleleliobasso.it/?op=6&oid=3
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=99515


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 17. November 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. November 2011