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REDE/065: Ministerin von der Leyen zum Haushaltsgesetz 2012, 24.11.2011 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Dr. Ursula von der Leyen, zum Haushaltsgesetz 2012 vor dem Deutschen Bundestag am 24. November 2011 in Berlin:


Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Zunächst einmal gilt mein Dank den Berichterstatterinnen und Berichterstattern für eine ausgesprochen konstruktive Zusammenarbeit. Dass die Zahlen über die strukturellen und konjunkturellen Einsparungen zu unterschiedlicher Interpretation führen, ist völlig in Ordnung. Wenn man allerdings die letzten Beiträge - insbesondere Ihren, Frau Pothmer - verfolgt hat, dann könnte man meinen, dass Deutschland kurz vor dem Untergang und die Arbeitsmarktpolitik kurz vor dem Kollaps steht.

Frau Hagedorn hat von einer Politik zulasten der Menschen gesprochen. Wenn wir schlicht die Wirklichkeit sprechen lassen, Frau Pothmer, statt Ihrer Suada, dann zeigt sich: Die Beschäftigung hat bei uns den höchsten Stand seit der Wiedervereinigung erreicht. Wir haben die Langzeitarbeitslosigkeit fast halbiert. Was die Jugendarbeitslosigkeit angeht: Es sind noch gut 240.000 junge Menschen arbeitslos. Die Expertinnen und Experten der Bundesagentur für Arbeit sagen, 200.000 sei Ausdruck einer normalen Fluktuation. Das heißt, nur 40.000 junge Menschen bei uns sind von struktureller Arbeitslosigkeit betroffen.

Ich könnte noch verstehen, wenn Sie blass vor Neid würden, weil die Ergebnisse am Arbeitsmarkt so gut sind. Aber dass Sie quasi rot vor Zorn sind, weil die Erfolge am Arbeitsmarkt so groß sind, kann kein Mensch mehr verstehen.

Herr Birkwald, dass sie mit ihrer Erwerbssituation unzufrieden sind, mag der Fall sein. Diese Feststellung ist das Ergebnis einer Befragung. Tatsache ist, dass die jungen Menschen heute mehr Chancen als je zuvor haben.

Die Arbeitslosigkeit der unter 25-Jährigen liegt bei 5,3 Prozent. Die Arbeitslosigkeit der unter 20-Jährigen liegt bei 3,3 Prozent. Wenn wir das damit vergleichen, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Europa im Durchschnitt bei über 20 Prozent liegt, dann sehen wir, dass der Arbeitsmarkt hier in Deutschland wirklich robust ist und jungen Menschen Chancen bietet. Das sollten Sie vielleicht auch einmal zur Kenntnis nehmen. Unsere Wirtschaft ist stark, und wir haben einen robusten Arbeitsmarkt.

Ja, es gibt Risiken im Euro-Raum. Das hat sich in der Debatte eben und auch in der Debatte heute Morgen gezeigt. Deshalb sollten wir unser Handeln aber nicht durch Mutlosigkeit und durch Angst leiten lassen, sondern wir sollten dafür sorgen, dass das Vertrauen in die Stabilität Europas und in die unbezweifelbare Stabilität Deutschlands erhalten bleibt. Das heißt für uns wie für alle anderen: Konsolidieren, aber mit Augenmaß, mit den richtigen Akzenten. Genau das tun wir. Das werde ich Ihnen jetzt auch darlegen.

Schauen Sie sich die Zahlen dieses Haushaltes an. Für das Jahr 2010 hatten wir Ausgaben in Höhe von 143 Milliarden Euro eingeplant. Wir haben zehn Milliarden Euro weniger ausgegeben. Die Arbeitslosigkeit ist gesunken. Im Jahr 2011 haben wir mit Ausgaben in Höhe von 131 Milliarden Euro geplant. Wir werden voraussichtlich fünf Milliarden Euro weniger ausgeben. Die Arbeitslosigkeit sinkt. Das heißt, wir sind am Arbeitsmarkt erfolgreich; aber wir nutzen diese Phase eben auch, um unsere Sozialsysteme zu stabilisieren und zu modernisieren, und vor allen Dingen, um denjenigen Menschen eine Chance zu geben, die vorher keine Chance am Arbeitsmarkt hatten. Das ist doch das Ziel unserer Politik, und da sind wir erfolgreich.

Ich werde Ihnen das auch am Thema "Alleinerziehende" aufzeigen. Ich habe von Ihnen einen - in Anführungsstrichen - "Block von Alleinerziehenden" geerbt; 40 Prozent der Alleinerziehenden sind im SGB II-Bezug. Wir haben im letzten Jahr eine Freistellung von Mitteln erreicht - ich danke den Haushältern noch einmal -, um in diesem Bereich gezielt neue Akzente zu setzen.

Wir haben die Jobcenter neu orientiert. Wir haben den Schwerpunkt der Bundesagentur für Arbeit auf die Qualifizierung und Vermittlung von Alleinerziehenden gelegt. Wir haben die Netzwerke zur Unterstützung ausgebaut. Wir haben jetzt, nach einem Jahr, erreicht, dass der Bestand an arbeitslosen Alleinerziehenden stärker gesunken ist als die Zahl der Arbeitslosen im SGB II-Bezug allgemein. Wir haben erreicht, dass mehr Alleinerziehende als sonst in den ersten Arbeitsmarkt gewechselt sind. Das heißt, der Ansatz, sich darauf zu konzentrieren, dass mehr Arbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt kommen, und darauf, dass mehr arbeitslose Alleinerziehende Arbeit finden, gerade weil sie ein Kind haben, erweist sich jetzt als erfolgreich. Das ist etwas, was man auch einmal positiv bewerten sollte.

Herr Schwanitz, es gibt im Arbeitsministerium die Xenos-Programme, die ich für richtig und gut halte. Es gibt in anderen Ministerien andere Programme gegen Rechtsextremismus. Unsere Programme sind darauf ausgerichtet, dass junge Menschen eine Chance erhalten, dass sie qualifiziert werden und dass sie Arbeit bekommen, damit sie die Integration in die Gesellschaft schaffen und damit die Festigkeit bekommen, die sie brauchen. Wenn es viele Anträge gibt, dann ist es doch eine Selbstverständlichkeit, dass das Arbeitsministerium danach auswählt, welcher Antrag die größten Chancen hat, dazu beizutragen, dass junge Menschen wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden. Es kommt also darauf an, wie arbeitsmarktnah ein Antrag ist. Es wird kein Antrag ausgewählt, der andere Ziele verfolgt.

Sie stellen mir eine Frage nach der Qualität der Anträge, Herr Schwanitz. Ich sage Ihnen: Wir werden das Geld einsetzen und den Rechtsextremismus bekämpfen. Wir bekämpfen ihn mit einem der wichtigsten Mittel, nämlich dadurch, dass wir den jungen Menschen Arbeit geben. Das ist unser Ziel.

Das war das Thema Arbeitsmarktpolitik, an dem wir sehen, dass wir erfolgreich sind. Hier sind die Zahlen so gut, dass ich merke, dass Sie nur noch an den Einsparungen, seien sie konjunktureller oder struktureller Art, mäkeln können. Es fällt Ihnen schwer, die Erfolge am Arbeitsmarkt nicht zu sehen.

Zurzeit sind über 900.000 Stellen unbesetzt. Deshalb sollten wir jetzt, anstatt zu unken - das gilt gerade für die Damen und Herren der Opposition -, gemeinsam die Kräfte bündeln und dafür sorgen, dass wir Fachkräfte bekommen, die dem Arbeitsmarkt allmählich ausgehen. Die Bundesagentur für Arbeit hat ausgerechnet, dass in der Pflege, im Handwerk, in der Gastronomie und im Dienstleistungssektor 385.000 Stellen unbesetzt sind. Wir haben auf der anderen Seite 690.000 Arbeitsuchende in der Grundsicherung mit passender Ausbildung. Das heißt, es gibt die Menschen, es gibt die Jobs, und es kommt jetzt darauf an, beide zusammenzubringen.

Sie toben die ganze Zeit, weil sie sehen, dass wir die Anzahl künstlicher Arbeitsplätze und den öffentlichen Beschäftigungssektor nicht ausbauen wollen. Wir wollen neue Akzente setzen. Die Menschen sollen in den ersten Arbeitsmarkt und nicht mehr in teure Warteschleifen. Das ist unsere Politik, und das ist die richtige Politik.

Daher haben wir den Instrumentenkasten aufgeräumt. Im nächsten Jahr stehen - hier wird immer der Eindruck erweckt, als stünde überhaupt nichts mehr für die Eingliederung zur Verfügung - 8,4 Milliarden Euro in der Grundsicherung für Eingliederung und Verwaltung zur Verfügung. Dazu kommen 2,8 Milliarden Euro aus dem Eingliederungstitel der Bundesagentur für Arbeit für die aktive Arbeitsmarktförderung. Das sind rund 500 Millionen Euro mehr, als in diesem Jahr im Eingliederungstitel überhaupt eingesetzt worden sind. Meine Damen und Herren von der Opposition, wer hier von Kahlschlag redet - das Wort habe ich vorhin schon wieder gehört -, der sieht offensichtlich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr.

Wir setzen die Akzente richtig. Sie möchten öffentlich geförderte Beschäftigung. Sie möchten künstliche Arbeit. Sie möchten Warteschleifen. Wir setzen die Akzente neu. Wir setzen sie auf Bildung, auf Ausbildung und auf Weiterbildung. Deshalb haben wir insbesondere beim Übergang von der Schule in Ausbildung und Beruf einen Schwerpunkt gesetzt. Wir haben einen Riesenerfolg; ich habe Ihnen eben die Zahlen genannt. Wir haben auch in der Weiterbildungsförderung - das betrifft die Menschen, die nicht aus der Schule kommen, sondern die schon mitten im Leben stehen und Weiterbildung in der Arbeitslosigkeit brauchen - die Mittel aufgestockt. Als wir von Ihnen die Regierung im Jahr 2005 übernommen haben, lag die Zahl der Arbeitslosen bei fünf Millionen.

Damals hat die Kanzlerin Merkel den Kanzler Schröder abgelöst. Sie werden doch nicht bestreiten, dass wir, als Schröder die Regierung verlassen hat, fünf Millionen Arbeitslose hatten. Ich merke an Ihrem Geschrei: Sie wollen es nicht hören. Sie haben Angst vor dieser Zahl. - Sie wissen ganz genau: Damals waren gerade einmal zwei Milliarden Euro für Weiterbildung vorgesehen. Jetzt haben wir 2,7 Millionen Arbeitslose, und es stehen drei Milliarden Euro für Weiterbildung zur Verfügung. Das ist Politik, die erfolgreich ist. So muss die Entwicklung sein.

Wir geben für Bildung, Ausbildung und Weiterbildung inzwischen 8,6 Milliarden Euro aus. Mit anderen Worten: Die Zeit der künstlichen Arbeitsplätze, die Zeit der Warteschleifen ist vorbei. Jetzt geht es darum, die Fachkräfte der Zukunft zu sichern. Das ist unsere Politik.

Die Erfolge am Arbeitsmarkt schlagen sich natürlich nicht nur in Jobs für Menschen nieder, sondern auch in der Rente, und das freut mich. Wir können zum 1. Januar 2012 den Beitragssatz - es ist richtig: das ist eine gesetzliche Regelung - auf 19,6 Prozent senken. Das bedeutet für die Beschäftigten eine Entlastung von 1,3 Milliarden Euro und für die Arbeitgeber eine Entlastung von 1,3 Milliarden Euro. Im Übrigen wird auch der Bundeshaushalt um 700 Millionen Euro entlastet. Das nützt der jüngeren Generation. Ich freue mich auch darüber, dass sich abzeichnet, dass es im nächsten Jahr für 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner eine spürbare Rentensteigerung geben wird.

Wir werden international für ein langfristig stabiles und demografiefestes Rentensystem bewundert. Wir befinden uns im Augenblick aber auch in der Diskussion darüber, wo es Schwachstellen gibt. Der Normalfall ist, dass Menschen, die ihr Leben lang arbeiten, ordentlich verdienen, vorsorgen und Beiträge zahlen, im Alter eine auskömmliche Rente haben. Wir sehen aber auch, dass Menschen wenig verdienen und ein Leben lang fleißig arbeiten, dass Menschen Kinder erziehen, Ältere pflegen und Teilzeit arbeiten - und dass diese Menschen am Ende ihres Lebens keine eigene auskömmliche Rente haben und in der Grundsicherung landen. Diesen Menschen müssen wir eine Antwort geben, die das Kriterium der Gerechtigkeit erfüllt.

Wer ein Leben lang gearbeitet hat, wer Kinder erzogen hat - ohne Kinder gibt es in der nächsten Generation keine Rente -, wer Ältere gepflegt und vorgesorgt hat, der darf am Ende des Lebens nicht ohne eigene Rente dastehen. Wir führen jetzt den Rentendialog, um diese Schwachstelle, die Gerechtigkeitsfrage, gemeinsam zu beheben, sodass die Menschen in Zukunft darauf vertrauen können: Wenn ich arbeite, wenn ich Kinder erziehe, wenn ich vorsorge, dann reicht es im Alter für die eigene Rente.

Noch einen letzten Gedanken - ich bin schon über meiner Zeit, deshalb muss ich mich beeilen - zum Thema Mindestlohn. Wir haben in den letzten zehn Jahren Flexibilierungsreformen erlebt. Wir alle haben sie mitgetragen.

- Das stimmt, Herr Wunderlich; die Linke hat das nicht mitgetragen. - Früher waren wir der kranke Mann Europas. Wenn es nach Ihnen ginge, wäre das wahrscheinlich immer noch so. Aber jetzt erlebt Deutschland ein Jobwunder. Uns ist das lieber.

Wir haben die Flexibilisierung auf den Weg gebracht; das ist richtig. Aber Flexibilisierung ist etwas anderes als Lohndumping. Wenn man die letzten zehn Jahre betrachtet, dann sieht man, dass die Lohnspreizung in Deutschland größer geworden ist. Das heißt, die unteren Einkommen haben stagniert; sie sind zum Teil gesunken. Wir sehen vor allem, dass die Tarifbindung sehr viel schwächer geworden ist. In den neuen Bundesländern sind nur noch 40 Prozent der Betriebe tarifgebunden. Wir alle sind der Meinung, dass derjenige, der anständig arbeitet, anständig bezahlt werden muss.

Das hat lange gut funktioniert, weil die Tarifparteien in Deutschland stark waren, weil die Arbeitgeber für ihre Interessen aufgestanden sind und weil die Gewerkschaften für ihre Beschäftigten aufgestanden sind. Das war gut. Das ist etwas, womit die deutsche soziale Marktwirtschaft erfolgreich war. Wenn das jetzt nicht mehr ohne Weiteres funktioniert, dann müssen wir einen Rahmen schaffen, damit das wieder funktioniert. Es gibt keine Freiheit ohne Regeln. Es gibt keinen Markt ohne Regeln. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam an diesen Regeln arbeiten.

Frau Zimmermann, ich bin nicht Ihrer Meinung, dass es sich am Arbeitsmarkt zum Schlechteren entwickelt hat. Im Gegenteil: Mehr Menschen haben Arbeit. Die Lohnsumme insgesamt und auch die Renten sind gestiegen. Unsere Politik war erfolgreich.

Ich bin der Meinung, dass wir die Ausreißer nach unten betrachten müssen; das habe ich eben dargelegt. Auch das ist ein Signum der sozialen Marktwirtschaft: Wenn alle erfolgreich mitarbeiten, müssen auch alle am Erfolg teilhaben. Wenn dies in den unteren Einkommensgruppen und dort, wo es weiße Flecken gibt, nicht mehr ohne Weiteres gilt, dann müssen wir einen neuen Rahmen stecken. Ich bin - anders als Sie - der Meinung, dass es nicht Aufgabe des Parlaments ist, die Frage nach der Höhe der Lohnuntergrenze für die weißen Flecken zu beantworten.

Ich komme zum Schluss. Ich möchte nicht, dass hier im Parlament über die Höhe der Lohnuntergrenze diskutiert wird. Frau Hagedorn hat von 8,50 Euro und die Linken haben von zehn Euro gesprochen. Wir sagen: Es ist Aufgabe der Arbeitgeber und der Gewerkschaften, dies festzulegen. Lassen Sie uns eine Kommission schaffen, in der das ausgehandelt wird. Dann haben wir einen fairen, richtigen Mindestlohn. Den wollen wir gemeinsam erarbeiten.


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Quelle:
Bulletin Nr. 125-2 vom 24.11.2011
Rede der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Dr. Ursula von der Leyen,
zum Haushaltsgesetz 2012 vor dem Deutschen Bundestag am 24. November 2011 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. November 2011