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KONFERENZ/193: Weichenstellungen für eine nachhaltige Stadtentwicklungspolitik? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2015

Gute Stadt - Böse Stadt
Landromantik vs. Stadt für alle

Weichenstellungen für eine nachhaltige Stadtentwicklungspolitik?
Zu den Vorbereitungen auf die UN-Weltsiedlungskonferenz Habitat III

von Klaus Teschner


Seit geraumer Zeit veranstalten die UN in schöner Regelmäßigkeit, alle 20 Jahre, eine Habitat-Weltkonferenz, die sich mit Fragen des Wohnungswesens und der Stadtentwicklung befasst. Nach Vancouver 1976 (Habitat I) und Istanbul 1996 (Habitat II) wird vom 17. bis 20. Oktober 2016 die dritte dieser Konferenzen, Habitat III, in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito stattfinden. Dabei soll eine "New Urban Agenda" verabschiedet werden, die Orientierungen für die staatliche Politik in diesen Bereichen liefern soll. Die Vorbereitungen verlaufen eher schleppend und es ist unklar, inwieweit in der Agenda nicht nur vage Handlungsempfehlungen für Kommunen, sondern auch umsetzbare Strategien für einen Wandel hin zu sozialen und umweltgerechten Städten erkennbar sein werden.

Im Jahr 2050 werden nach Schätzungen der UN-Abteilung für Bevölkerungsfragen (UNPOP) bereits 70 % der dann ca. neun Milliarden Menschen in Städten leben. Dass angesichts dieser Zahlen die großen Zukunftsprobleme in Städten gelöst werden müssen, ist eine triviale Erkenntnis. Für die sozialen Herausforderungen und für zentrale ökologische Probleme (Überwindung von Armut, Ressourcenverbrauch, Energieverbrauch, Klimagase, Bodenversieglung etc.) wird entscheidend sein, wie altgediente Metropolen, wachsende und neu entstehende Städte sich in den nächsten Jahrzehnten entwickeln. Da Bauten, Leitungsnetze, Verkehrssysteme und Siedlungsmuster Pfadabhängigkeiten aufweisen, die viele Jahrzehnte lang nachwirken, sind heutige Weichenstellungen relevant.


Kaum Berichte über die letzten 20 Jahre seit Habitat II

Die Konferenz wird vom Generalsekretariat der UN veranstaltet. Die Unterorganisation UN Habitat übernimmt Aufgaben in thematischen Bereichen. Für UN Habitat ist es ein besonderes Anliegen, dass Urbanisierung nicht länger als negativer, zu bremsender Prozess verstanden wird, sondern als Chance auf Wohlstand und Entwicklung. Allen Ländern wurde die Bildung eines breit angelegten Nationalen Habitat-Komitees empfohlen, das Prioritäten, Themen und Herausforderungen für die neue Stadtagenda festlegen und einen Nationalbericht über die 20 Jahre seit Habitat II erstellen soll. Dies wurde in nur wenigen Ländern so umgesetzt. Auch in Deutschland wurde die Berichtsredaktion an Fachleute vergeben und bei der Festlegung der Kernbotschaften für die Agenda gab es keinerlei zivilgesellschaftliche Beteiligung.

Als erste UN-Konferenz nach Festlegung der Ziele für Nachhaltige Entwicklung (SDGs) soll Habitat III die Umsetzung der SDGs konkretisieren helfen. Jedoch scheint es hierbei auf eine Debatte unter Fachleuten hinauszulaufen, die in Fachgremien (Policy Units) Themenpapiere erstellen sollen.

Globale zivilgesellschaftliche Netzwerke, etwa die Habitat International Coalition (HIC), beklagen die Ausblendung der Vereinbarungen der stark an Menschenrechten orientierten Habitat II-Agenda, ein fehlendes Follow-up werde nicht weiter beachtet. Das erkläre auch die magere Zahl der bisher vorgelegten Nationalberichte und die fehlenden Partizipationsmöglichkeiten. Aus diesem Grund arbeitet man in mehreren Ländern derzeit an zivilgesellschaftlichen Schattenberichten, sowie an einer in Quito stattfindenden Parallelkonferenz "von unten".


Problemfelder und Akteure im Hintergrund

Zu universell typischen städtischen Problemfeldern gehören die extreme Verteuerung innerstädtischer Flächen, die Verdrängung ärmerer Leute an den Rand, eine flächenintensive Siedlungsentwicklung, Verkehrslärm und Verkehrsstaus sowie der zunehmende Verlust von Agrarflächen. Zudem lebt etwa ein Viertel der Stadtbevölkerung der Welt in informellen Siedlungen, mit oft erheblichen Defiziten an elementarer Infrastruktur. Fast überall wächst die soziale Kluft, was zu extremen Unterschieden der Wohn- und Lebensbedingungen führt. Vielerorts häufen sich Vertreibungen wegen Investitionsvorhaben oder großen Infrastrukturprojekten. Mächtige Lobbygruppen sind hier aktiv, oft global sowie auf Regierungsebene bestens vernetzt, um ihre Belange zu vertreten - auch bei UN-Konferenzen.

Ein Akteur von Zersiedlung, Gentrifizierung und Vertreibungen ist die Immobilienbranche. Dahinter stehen Finanzkonsortien, die im "Betongold" der Städte ideale Anlagemöglichkeiten sehen. Eine weitere Lobbygruppe ist die Autoindustrie, die eine Reduktion des städtischen Individualverkehrs abzuwenden versucht und stattdessen auf eine Umrüstung der PKW-Flotten zu Elektrofahrzeugen setzt, bei Ausblendung aller weiteren Probleme urbanen Autoverkehrs. Auch die IT-Branche tritt vermehrt als Lobbyorganisation auf. Hinter den "Smart Cities" 1 stehen Firmen aus dem IT-Bereich, die Datentools an Unternehmen und Verwaltungen verkaufen wollen. Ob dies die Städte besser steuerbar machen wird, soziale Spaltungen noch verstärkt oder die Überwachung des Alltags ins Unermessliche steigert, ist noch nicht abzusehen.


Deutsche Kernbotschaften und die Frage nach Regulationsmechanismen

Im Prozess der Habitat III-Konferenz ist Deutschland mit sieben FachexpertInnen und einem Sitz im Konferenzsekretariat überdurchschnittlich stark vertreten. Das bei Habitat III federführende Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat im Vorfeld drei Kernbotschaften formuliert. Kurzgefasst soll in den deutschen Kernbotschaften die kommunale Ebene als zentraler, global anerkannter Akteur aufgewertet werden. Weiterhin soll analog zum SDG 11, das sich mit Städten befasst, das Leitbild einer lebenswerten (inklusiven, nachhaltigen, widerstandsfähigen und sicheren) Stadt im Mittelpunkt stehen. Und schließlich sollen integrierte Planungsansätze die Transformation zu Low-Carbon-Cities (Städten mit niedrigem CO2-Ausstoß) ermöglichen.

Die Kernbotschaften erheben damit die kommunale Selbstverwaltung zum globalen Modell, obwohl Städte und Gemeinden als unterste Ebene staatlicher Verwaltung nicht unbedingt bürgernah sind, solange Demokratie, Transparenz und Bürgerbeteiligung nicht vorausgesetzt werden können. Die Übernahme der Leitbilder aus den SDGs wirft ebenfalls Fragen auf, etwa die nach der Priorisierung elementarer Armutsprobleme und Infrastrukturdefizite im heilen Bild einer "lebenswerten" Stadt. Und schließlich lassen "integrierte Planungsansätze" im Unklaren, inwieweit Kommunen überhaupt handlungsfähig sind und starken externen und internen Interessengruppen mit ihrer Planung etwas entgegensetzen können.

Was bedeutet "lebenswert" und "integriert" für Städte, die verschärfter Wettbewerbslogik und Austeritätspolitik ausgesetzt sind? In denen Planung heißt, nachgeordnet auf Entscheidungen der Immobilienbesitzer und Investoren zu reagieren und die im Kontext von Krisen Armutsprobleme weitgehend alleine schultern müssen? Verbieten nicht gerade Freihandelsabkommen oft eine Regulierung der Entscheidungsfreiheit externer Investoren? Ohne Thematisierung der Makroebene und ohne Präzisierung der Instrumente für eine wirksame Regulierung der Stadtentwicklung bleiben Zielsetzungen wie "lebenswert" eine Illusion.

Angesichts der zahlreichen Problemfelder und der gesetzten Ziele für lebenswerte Städte, stellt sich die Frage, wie Handlungsspielräume zurückgewonnen werden können, um der Marktlogik im Bereich der Bodennutzung und der daraus folgenden unkontrollierten Entwicklung etwas entgegenzusetzen. Leider sucht man in den Dokumenten des Vorbereitungsprozesses vergeblich nach entsprechenden Hinweisen.


Einfluss auf den Habitat III-Prozesses und die New Urban Agenda?

Im April 2016 soll eine Nullversion der New Urban Agenda vorliegen. Das BMZ plant am 1. und 2. Juni 2016 in Berlin ein internationales German Habitat Forum mit etwa 700 Beteiligten, davon 20 % aus Kommunen. Dort soll unter dem Motto "Mobilizing Cities" unter anderem städtischer Verkehr im Mittelpunkt stehen.2 Die Inhalte sind vom Ministerium gesetzt. Ziel ist die Verabschiedung von "Berlin Recommendations", spezifischen Anregungen, die Ende Juli 2016 in Jakarta, Indonesien, bei der letzten Vorbereitungssitzung der Habitat III-Konferenz als Input einfließen können.

Habitat III ist eine gute Gelegenheit für die Diskussion stadt- und wohnungspolitischer Fragen, sowie eine Chance, die auf Stadtthemen bezogene umwelt- und entwicklungspolitische Diskussion in Parteien, Verbänden und im Parlament voranzubringen. Es könnte auch Anlass sein für eine Intensivierung des internationalen Austauschs von städtischen Basisinitiativen und Netzwerken, um etwa über Strategien zur Eindämmung aggressiver Immobilienmärkte und einen wirksamen Schutz gegen Vertreibungen zu beraten. Inwieweit es ihnen gelingen kann, den offiziellen Habitat III-Prozess zumindest teilweise zu beeinflussen, wird von der Stärke und Vernetzung dieser zivilgesellschaftlichen Akteure abhängen.


Der Autor ist Fachreferent für Städtische Entwicklung in der Afrikaabteilung von MISEREOR.

Da es im offiziellen Prozess keine Mitwirkungsmöglichkeiten gibt, bietet die Habitat AG des Forum Umwelt und Entwicklung entwicklungs- und stadtpolitisch Aktiven eine Plattform.


Anmerkungen:
(1) Siehe Artikel "Die Stadt der Zukunft gehört den Menschen!" Seite 6.
(2) http://german-habitat-forum.org/index.html

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2015, Seite 2-3
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Januar 2016

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